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Literaturforum:
November 2017
Forum > Lektüregespräche > November 2017
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Autor
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Thema: November 2017
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Kenon
Mitglied
1482 Forenbeiträge seit dem 02.07.2001
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Eröffnungsbeitrag |
Abgeschickt am: 02.11.2017 um 22:14 Uhr |
Anne Applebaum - Between East and West: Across the Borderlands of Europe
Anne Applebaum reiste 1991/92 von Königsberg nach Odessa und fand ein Osteuropa im Wandel: Der ewige russische Winter wurde durch den Frühling der Freiheit verdrängt. Ihre Erlebnisse, ihre Begegnungen hat die Autorin in diesem kleinen Büchlein festgehalten. Für sie als namhafte Historikerin ist soetwas persönliches eher untypisch, aber es ist wunderbar geschrieben. Ein Buch, das man erst wieder weglegt, wenn man es ausgelesen hat. Vieles hat sich in den letzten Jahren in Litauen, Belarus, der Ukraine, Moldawien geändert, vieles ist gleich geblieben. Nicht alle Hoffnungen haben sich erfüllt. Und immer droht aus dem Osten der Winter.
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Kenon
Mitglied
1482 Forenbeiträge seit dem 02.07.2001
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1. Antwort - Permalink - |
Abgeschickt am: 15.11.2017 um 23:27 Uhr |
Diese Nachricht wurde von Kenon um 23:27:47 am 15.11.2017 editiert
Joseph Roth - Reise in Russland
Wollte ich eigentlich schon vor 1 1/2 Jahren lesen, beschloss aber, die gesammelten Werke von Joseph Roth, in denen sich auch die Reiseaufzeichnungen befinden, der gefügten Reihe nach zu lesen. Wer sich so lange spannen lässt, kann nur enttäuscht werden.
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ArnoAbendschoen
Mitglied
718 Forenbeiträge seit dem 02.05.2010
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2. Antwort - Permalink - |
Abgeschickt am: 16.11.2017 um 10:05 Uhr |
Und: War die Lektüre denn tatsächlich enttäuschend? Und, falls ja, inwiefern?
Diese Reisebilder von Roth kenne ich nicht, sie fehlt auch in meiner Ausgabe Gesammelter Werke. Ich blättere nun in Nürnbergers rororo-Monographie und finde dazu nur Weniges und Widersprüchliches. Der Biograph schließt mit dem interessanten Satz: "Walter Benjamin, der sich in seinem ´Moskauer Tagebuch´ über eine Begegnung mit Roth geäußert hat, verkennt dessen damalige Position, wenn er annimmt, dass Roth als beinah überzeugter Kommunist nach Russland gekommen sei." Benjamin hat freilich, zumal in Moskau, so manches "verkannt".
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Kenon
Mitglied
1482 Forenbeiträge seit dem 02.07.2001
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3. Antwort - Permalink - |
Abgeschickt am: 16.11.2017 um 23:49 Uhr |
Für eine Antwort auf Deine Frage ist es noch zu früh, selbst in einer Kategorie wie dieser, in der das Vor-Urteil zu gern herrschen möchte. Ich habe auch erst drei kurze Artikel gelesen; die Einleitung war eine etwas gehässige Betrachtung der Exil-Russen. Erstaunlich unsensibel für jemanden wie Roth, der ja zumindest irgendwie selbst ein Exilant gewesen ist. Es ist erkennbar, dass Roth keine klare politische Position einnehmen möchte, mal ein bißchen nach hier, mal ein bißchen nach dort schwenkt. Dass Sophokles, Ovid und Tacitus als "Repräsentanten bourgeoiser Geistigkeit" aus der Schule verbannt sind, schmerzt ihn dann doch und lässt ihn zwar nicht gleich giftig aber subtil sarkastisch werden:
Zitat:
... eine neue Art, zu schaffen und aufzunehmen, zu schreiben und zu lesen, zu denken und zu hören, zu lehren und zu erfahren, zu malen und zu betrachten, ist hier entstanden. Daneben bleibt alles andere, was es ist: gespenstisch. -
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Kenon
Mitglied
1482 Forenbeiträge seit dem 02.07.2001
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4. Antwort - Permalink - |
Abgeschickt am: 23.11.2017 um 09:34 Uhr |
So, jetzt bin durch mit den 17 Artikeln, die 1926/27 (September bis Januar) in der Frankfurter Zeitung erschienen sind. Mir scheint es, als würde Roth mit der Zeit kritischer werden, aber er versucht irgendwie, sich doch etwas Hoffnung zu bewahren, dass sich das sowjetische Experiment noch zum Guten wendet.
Hier einige Glanzlichter:
Zitat:
Eine kitschige Büste von Lenin im Klassenzimmer ist genau so schädlich wie ein kitschiger Öldruck vom Kaiser.
Zitat:
Man fürchtet den kritischen Individualismus wie eine ansteckende Krankheit, deshalb steckt man den jungen Menschen mitten in eine fiktive Gemeinschaft, läßt ihn Wurzel schlagen in einem sozialen Phantasiegebilde, erweckt in ihm den Glauben an nicht-existente Gewalten, an Siege, die nicht errungen, an Niederlagen, die nicht erlitten wurden.
Zitat:
Sie wissen, was es bedeutet, Komsomol zu sein und daß es die Karriere in Rußland sehr erleichtert, wenn man brav am Sonntag marschiert, Manifeste lernt, Zeitungsartikel memoriert und schließlich einmal durch die enge Pforte der Partei schlüpft.
Zitat:
In Sowjetrußland aber sieht man die Welt von dem Turm aus, den die gesammelten und aufgestapelten Schriften von Marx, Lenin und Bucharin bilden ...
Zitat:
Die verantwortlichen Männer Rußlands leben im Rausch der Zahlen, und die großen, runden Nullen verdecken die wahren Gesichter der Realitäten.
Zitat:
Vorläufig verwechselt der primitive Dorfmensch Zivilisation und Kommunismus. Vorläufig glaubt der russische Bauer, Elektrizität und Demokratie, Radio und Hygiene, Alphabet und Traktor, die ordentliche Gerichtsbarkeit, Zeitung und Kino wären Schöpfungen der Revolution.
Zitat:
Niemand ist, wie man weiß, stolzer, glücklicher und lächerlicher als ein Ideologe, der Gelegenheit findet, »Tatsachen« aufzuzählen. Jetzt, so bildet er sich ein, hat er die »Realität« am Kragen gepackt. (Er ist niemals weiter von der Realität entfernt gewesen.
Hat Walter Benjamin diese Texte wirklich gelesen?
Zum Thema beim deutschlandfunk:
Beklemmende Reportagen aus Russland und der Ukraine
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ArnoAbendschoen
Mitglied
718 Forenbeiträge seit dem 02.05.2010
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5. Antwort - Permalink - |
Abgeschickt am: 23.11.2017 um 10:26 Uhr |
Danke, Kenon, für die Zitate. Sie haben doch durchaus Substanz und zeugen von Beobachten aus Distanz, für einen Reporter / Journalisten eine gute Voraussetzung.
Keine Ahnung, ob Benjamin Roths Zeitungsartikel gelesen hat, schon möglich. Allerdings scheint sich die von Nürnberger erwähnte Stelle in Benjamins "Moskauer Tagebuch" auf eine persönliche Begegnung der beiden Autoren in Moskau zu beziehen. Man kann den obigen Roth-Zitaten ja mal ein anderes Benjamin-Zitat aus Moskau gegenüberstellen, um die Differenz zu ermessen:
„Mag man Russland auch noch so wenig kennen – was man lernt, ist, Europa mit dem bewussten Wissen von dem, was sich in Russland abspielt, zu beobachten und zu beurteilen. Das fällt dem einsichtsvollen Europäer als erstes in Russland zu. Darum ist andererseits der Aufenthalt für Fremde ein so sehr genauer Prüfstein. Jeden nötigt er, seinen Standpunkt zu wählen. Im Grunde freilich ist die einzige Gewähr der rechten Einsicht, Stellung gewählt zu haben, ehe man kommt. Sehen kann gerade in Russland nur der Entschiedene … Nur wer ‚an Hand der Fakten’ sich entscheiden will, dem werden diese Fakten ihre Hand nicht bieten …“
Vielleicht hat Benjamin das sogar geschrieben, nachdem er Roths Artikel gelesen hat? Jedenfallls scheint es eine Zurückweisung von kritischen Reaktionen zu sein.
Man muss Roth mit seiner noch vorsichtig tastenden Herangehensweise zugute halten, dass er zu einem sehr frühen Zeitpunkt in die UdSSR gefahren ist. Zwei viel krassere Beispiele von scharfer Distanzierung nach anfänglicher Sympathie aus den 1930er Jahren: Gide und Dos Passos.
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Kenon
Mitglied
1482 Forenbeiträge seit dem 02.07.2001
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6. Antwort - Permalink - |
Abgeschickt am: 23.11.2017 um 23:20 Uhr |
Weisst Du, wo ich etwas zum SU-Verhältnis von John Dos Passos nachlesen kann? Ich habe nur sekundäre Randbemerkungen finden können.
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ArnoAbendschoen
Mitglied
718 Forenbeiträge seit dem 02.05.2010
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7. Antwort - Permalink - |
Abgeschickt am: 24.11.2017 um 00:32 Uhr |
Es geht mir nicht anders, Kenon. Recherchiert man im Netz, findet man viele, die Dos Passos´ geänderte Haltung erwähnen - von ihm selbst nur einzelne Sätze dazu hier und da. Offenbar hat er nichts Systematisches darüber verfasst. Es kam wohl erst im Spanischen Bürgerkrieg zu einer Revision seiner Auffassungen. Der Tod des mit ihm befreundeten José Robles dürfte eine wesentliche Rolle gespielt haben. Diesen interessanten Stoff hat zu unserer Zeit Ignacio Martinez de Pison in dem Buch "Der Tod des Übersetzers" behandelt (Hoffmann und Campe 2007). Die Kritiken dazu sind allerdings so durchwachsen, dass ich mich nicht auf Anhieb zum Erwerb des Buches entschließen könnte.
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Kenon
Mitglied
1482 Forenbeiträge seit dem 02.07.2001
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8. Antwort - Permalink - |
Abgeschickt am: 25.11.2017 um 09:43 Uhr |
Roger Scruton - Fools, Frauds and Firebrands: Thinkers of the New Left
Roger Scruton (*1944) stellt einflussreiche Denker der Neuen Linken vor. Er untersucht, was sie zu sagen hatten und versucht zu verstehen, warum sie so wirkungsmächtig sein konnten; oft muss er eingestehen, dass er sie nicht versteht, weil sie nicht zu verstehen sind – wie etwa der vollkommen überbewertete und übergeehrte Jürgen Habermas, der hunderte Seiten mit seinem unsinnigen Geschwurbel gefüllt hat, ohne etwas substantielles zu sagen.
Wie der Titel nahelegt, erfolgt diese Untersuchung in einer schonungslos kritischen Art, die durch ihren Gegenstand mehr als gerechtfertigt ist. Damit vollbringt der Autor eine ähnliche gute Tat wie einst Leszek Kołakowski mit "Main Currents of Marxism".
Zitat:
Behind the impassioned rhetoric of the Communist Manifesto, behind the pseudo-science of Marx’s labour theory of value, and behind the class analysis of human history, lies a single emotional source – resentment of those who control things.
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Kenon
Mitglied
1482 Forenbeiträge seit dem 02.07.2001
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9. Antwort - Permalink - |
Abgeschickt am: 30.11.2017 um 00:03 Uhr |
Eyjólfur K. Emilsson - Plotinus
Plotin hat mich schon immer begeistert. Nicht, weil seine Ausführungen die Welt so gut und treffend erklären, sondern weil er originell ist. Ich gehe gern auf Zeitreise mit diesem alten Geist.
Zitat:
The role of philosophy is to awaken the soul, make it turn its focus away from body and the sensible and towards the intelligible.
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