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Kennen Sie das auch...? oder: Musik immer und überall?!
Autor: Karin Buchholz · Rubrik:
Humor & Satire

Diese Glosse entstand unter dem Signum "Der Typewriter" (c)
in der Kategorie "Kennen Sie das auch....?"


Da sitzen Sie morgens im Zug, der sich mit leichtem Ruckeln langsam in Bewegung setzt. Sie be¬obachten, wie Ihr Heimatbahnhof in gewohn¬ter Weise aus Ihrem Blickfeld ver¬schwindet. Sie rücken sich noch einmal in ihrem Sitz zurecht und genießen, dass ausnahmsweise die zugbekannte Quasselstrippe heute außerhalb Ihrer Hörweite sitzt. Da kommt ein lässig gekleideter junger Mann ins Großraumabteil, rammt Ihnen nachdrücklich und entschul¬di¬gungsfrei seinen Großraum-Ruck¬sack gegens Schienbein, lässt sich mit einem Seufzer der absoluten frühmorgendlichen Erschöpfung auf den Platz neben Ihnen fallen und zieht kurz, aber dafür ebenso gehaltvoll die Nase hoch. Sie rücken etwas weiter Richtung Fenster, ver¬suchen sich ein wenig Raum zu ver¬schaffen, atmen tief durch und nehmen sich vor, sich nicht aus Ihrer morgendlichen Ruhe bringen zu lassen.
Und dann hören Sie es. Bruch¬stückhaft zunächst, aber laut ge¬nug, um nicht ignoriert werden zu können. Rhythmisch, zweifelsfrei, aber ohne erkennbare Melodie stampfen Bässe und wummernde Akkorde an Ihr Ohr – direkt aus dem Walkman™ Ihres netten Fahrt¬begleiters. Der hat sich ganz der entspannenden Wirkung der häm¬mernden Beats hingegeben, die Augen geschlossen und lässt sich nun seinerseits auch durch wieder¬holtes Räuspern nicht aus seiner morgendlichen Ruhe bringen.
Sie versuchen, die Geräuschkulisse zu ignorieren und schauen mit be¬tont tolerantem Gesichtsausdruck aus dem Fenster. Nach einer Weile lassen Sie den Blick über die Gesich¬ter der anderen Mitreisenden glei¬ten. In ihnen allen sehen Sie eben¬falls ohnmächtige Genervtheit, und für einen kurzen Moment erwägen Sie, dem jungen Mann kurzerhand die Geräusch¬stöpsel aus den Ohren zu zerren und ihm Ihre ganz eigene Morgenandacht auf die gebeutelten Trommelfelle prasseln zu lassen – ganz im Sinne der Gemeinschaft aller Mitreisen¬den. Für einen Moment stellen Sie sich vor, wie er – der Feind aller morgendlicher Ruhe – zaghaft kleinbei gibt, eine Entschuldigung stammelnd den Krachapparat in seiner Jacken¬tasche verschwinden lässt und sich möglichst an der nächsten Station – unter dem nicht enden wollenden Beifall Ihrer Mit¬reisenden - einen neuen Platz sucht oder – besser noch – ganz aussteigt. Einen Moment lang fühlen Sie sich von Ihren Mitreisenden als Held und Retter des ungestörten Berufs¬verkehrs gefeiert, der wahrhaft couragiert gekämpft und den Sieg davongetragen hat...
Doch dieser Moment währt nicht lange, denn der Beat aus Nachbars Ohr hat mittlerweile die Taktrate geändert und irritiert erwachen Sie aus Ihrem Heldentraum von Cou¬rage und Solidarität.
Wieder ganz im Hier und Jetzt er¬tragen Sie das nervzerfetzende Bruchstück-Gedudel fortan klaglos. Schließlich ist’s ja nicht mehr weit bis zum Hauptbahnhof – wofür da noch Ärger machen und wohlmög¬lich von nun an als intolerant und hysterisch verschrien zu sein. Da erduldet man lieber noch weitere zehn Minuten sein Schicksal und hält die Faust still für sich in der Tasche geballt.
Aber morgen, das sage ich Ihnen: morgen setze ich mich woanders hin. Weit weg von Walkmen™ und Quasselstrippen. Ich kann nur hof¬fen, die Bahn setzt ab morgen für mich einen eigenen Zug ein...

PS.: Liebe Walkman™-Träger und Nutzer! Auch ich liebe Musik und könnte mir eine Welt ohne sie nicht vorstellen. Aber jeder sollte selbst entscheiden können, was er wann und in welcher Lautstärke in seine Ohren hineinlässt. Und nicht jeder liebt’s laut und hämmernd – übri¬gens gilt das auch für weibliche Walkman™-Fans und für den Feier¬abendverkehr

© COPYRIGHT by Karin Buchholz


Einstell-Datum: 2007-06-18

Hinweis: Dieser Artikel spiegelt die Meinung seines Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung der Betreiber von versalia.de übereinstimmen.

Dieser Text wurde noch von niemandem bewertet.

 

Kommentare


Das ist tanamur
Kommentar # 1: Political correctness ist ein schlechter Schluss!
Autor: tanamur, 24.09.2009 um 14:36 Uhr


Die Story ist gut und jeder kennt die in ihr manifesten Gefühlskurven! Provokation, Sammlung, imaginäre Gegenattacke und Befriedung aus Zeitmangel. Herrlich! Nur die Entschuldigung am Schluss ist überflüssig und fad!


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