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Houx, houx, dit le hiboux
Autor: Karsten Mekelburg · Rubrik:
Humor & Satire

U, U, schreit der Uhu

Wunderschön ist es anzusehen, wenn ein Künstler nicht zu fett wird. Wenn er, der Lerche gleich, sich in die Lüfte schwingt und Gott zu Ehren jubelt und tiriliert für weiter nichts, als ein paar Körnerchen, die er sich den Tag über erhüpft. Nun, aber direkt notwendig ist es natürlich auch wieder nicht.

Die beste meiner Ehefrauen war von ihrer Konzertreise zurückgekehrt und hatte unseren Namen reichlich mit Ruhm bekleckert. So dick war der Ruhm, das der nagende Hobel der Zeit wohl länger brauchen würde, um alles wieder ins Vergessen zu schmirgeln. Diesmal war aber nicht nur Lob und Ruhm in reichen Massen auf uns niedergeregnet, das passiert öfter, nein, diesmal hat sie auch Gold und Geld mitgebracht, soviel die Taschen tragen konnten.

Mit allerlei Heimsuchungen und Widerlichkeiten hat so ein Künstlerhaushalt fertig zu werden. Anhaltende schöpferische Krisen kommen und gehen im halbjährlichen Rhythmus und werden üblicherweise mit zahlreichen Flaschen Pfälzer Weines mühelos hinweg gespült. Für geplatzte Konzertermine, Verrisse durch die Kritik sind ähnliche Mittel stets ausreichend parat. Aber was macht man mit Geld im Übermaß? Mammon, der wie fetter Brei aus jeder Ritze hervorkriecht? Geld das aus allen Fächern quillt? Geld wohin man greift? Das ohne Ende aus den prallen Taschen sickert. Geldnoten, wo man auch den Fuß hinsetzt? Geld, wie Heu, in dem man schwimmen kann, in dem man fast erstickt? Ein vollkommen neuartiges Gefühl, an das man sich besser erst gar nicht gewöhnen sollte.

Der sauer verdiente Kies musste weg, je schneller desto besser. Eine fromme Stiftung kommt dabei nicht in Betracht, überzählige Moneten werden ins benachbarte Elsass getragen. Die Elsässer Küche ist berühmt, hier wird noch mit Liebe gesotten, geschmolzen, flambiert, gebacken, geschmort, angeschwitzt, gegrillt, gespickt, bardiert, pochiert, gestockt, püriert, gegart, gebrüht, gebrodelt, gekocht, gedämpft, glaciert, garniert, frittiert, gebuttert, in Fett und Wein gebadet, goldgelb gebraten, paniert und gebrutzelt bis der Ofen explodiert. Die Raffinessen, die Kräuter, der Wein, die ganzen Vorbereitungen, die nötig sind, um das gute Essen zu richten, würden sogar einen alten Schuh zum Entzücken eines Feinschmeckers machen.

Und da soll mir niemand kommen und mosern: Welsche Küche, um Gottes Willen! Sautierte Kieselsteinchen an getrüffelten Spatzenfedern. Ein halbiertes Erbslein mit einem Kleckschen teurer Sauce und drei Fasern halbrohen Fleisches. Das ist im tiefen Hinterland beim Sechzig Sterne Koch zwar der letzte Schrei, im Elsass gibt es Sauerkraut mit Eisbein in der Waldarbeiterportion. Man isst also nobel und vor allem viel. Das erste ist für meine Frau wichtig, das zweite für mich.

Hinter Bruneck liegt die angesagte Futterkrippe der Familie. Der Weinkeller geht zurück bis Karl dem Krummen und führt allerlei Schlabberwasser im dreistelligen Eurobereich. Internationale Weinkenner reisen hier an, verkaufen ihre Auto irgendwo um die Ecke und hauen sich einmal in Leben hundertjährigen Bordeaux hinter die Kiemen. Feudaler Stall, denkt der Kenner und irrt gewaltig. Früher wurden hier hoch herrschaftliche Schweine mit Eicheln, heute hingegen wird die hohe Herrschaft mit Schwein gemästet. Derweil man sich im restlichen Teil Frankreichs beim Aperitif mit schäbigen Zeug wie Champagner brut und Kir royal bescheiden muss, erlebt man hier bereits am Anfang den befreienden Unterschied: Hier gibt es Cremant, eine weinhaltige Süßbrühe ungeheurer Durchschlagskraft und Picon.

Falls sie mit den heidnischen Gebräuchen unserer Nachbarn weniger vertraut sind, lassen sie es mich etwas weitläufiger erklären. In ganz Frankreich ist man sich einig, dass es hochkompliziert ist, brauchbaren Wein zu kultivieren. Soweit wird das ja sicher jeder von uns nachvollziehen können. Bier, denkt man hingegen, Bier, kann jeder Tölpel machen. So schmeckt es dann auch.

Da man sich dies- und jenseits des Rheines nicht nur gern die Frauen wegheiratet, sondern gelegentlich auch zusammen feiert, konnte der drastische Unterschied auf die Dauer nicht unentdeckt bleiben. Der Elsässer ist jedoch einfallsreich und erfand den Bierverstärker. Nehmen kann man dafür fast alles, was die Prozente erhöht und den Wohlgeschmack verstärkt. Bohnerwachsreste, faulige Karotten, Schuhsohlen, rostige Nägel, letztlich können sie irgend etwas in französisches Bier hineinwerfen, der Geschmack wird sich in jedem Fall drastisch verbessern. Beliebt ist Cynar, ein Schnapspunsch, die aus Artischocken und anderen Disteln gewonnen wird, und Picon, ein Gemisch aus Apfelsinenschalen und stark konzentrierten Alkohol. Insgesamt ergibt sich durch diese Bieradditive ein Getränk, das unserem Bier nahe kommt und jeden stotternden Motor flott auf Touren bringt.

Derweil man sich in seine Futterbank quetscht, robbt das als Pinguin verkleidete Personal an und umstellt den Tisch in konzentrischen Verteidigungsringen. An Flucht ist nicht zu denken, Entkommen ist unmöglich, soll dass dem Gast wohl unmissverständlich zu Erkennen geben. Lass fahren hin all dein Geld und Gut, und trenne dich von dem Gedanken, ein paar Euro im Portemonaie zu führen. Jetzt bist du dran, Freundchen! Wenn wir mit dir fertig sind, sieht deine Geldbörse aus wie eine verschrumpelte Mumie und dein Konto wird jungfräulich sein, wie am ersten Tag seines Bestehens. Solch subtile Botschaft verstömt die grimmig zum Angriff auf unser Geld angetretene Pinguin Sturmbrigade. Während am Anfang der kulinarischen Verhandlungen fünf bis sechs Pinguine den Tisch belagern, um Einem trockenes Brot und Leitungswasser anzudrehen, kommt dann unweigerlich der Moment, an dem sich der Sommelier, eine Art Pinguin der Luxusklasse, aus der grauen Masse herausschält und versuchen wird, mit all seiner Beredsamkeit verdünntes Abwaschwasser für den Preis eines mittleren Einfamilienhauses unter das andächtig lauschende Volk zu bringen. Dieser hier hätte auch mit Leichtigkeit alte Socken verkauft. Ein charmanter Plauderer, der auch dem Teufel ein oder zwei Fässchen Weihwasser aufzuschwatzen gewusst hätte. Mit Kennerblick hat er das schwächere Glied der Kette erspäht und wieselte um meine Frau herum, um ihr einen Sauterne zu empfehlen, den ein guter Freund, der sich erst vor kurzem der Winzerei verschrieben hat, zu einem äußerst günstigen Einführungspreis abgeben könne.

Mit Wein kenne ich mich aus. Früher dachte ich: Es gibt Bier, das schmeckt gut, und dann gibt es noch Wein, das schmeckt nicht gut. Nun bin ich schon ein Dutzend Jahre in Baden, lebe neben Winzern und habe unglaublich viel über Wein gelernt. Meine anfängliche Unkenntnis des Weines kann ich heute nur noch als peinlich empfinden. Ja man entwickelt sich weiter im Laufe der Zeit und durch die Umstände bedingt. Heute weiß ich so vieles mehr. Es gibt Bier, und dann gibt es noch Weißwein, Roséwein und Rotwein... trinken kann man vom ganzen Zeug allerdings nur das Bier. Ist eben schön, wenn man sich auskennt. Viel mehr braucht man auch nicht zu wissen. Außer das man die Pfoten von den, von Freunden junger Möchtegern Winzer empfohlener Weine lassen soll.

Kaum blickte ich zu Gattin, musste ich schon erkennen, dass ich verloren hatte. Der verkaufsfördernder Charme hatte bereits tiefe Breschen in die Verteidigung geschlagen. "Ja, lassen sie uns den versuchen" hörte ich voller Erschrecken meine bessere Hälfte flöten und verfluchte wieder einmal den Tag meiner Heirat. Würden Männer am Tage ihrer Heirat nicht der rohen Macht der Hormone erliegen, würden sie sehr viel intelligentere Frauen heiraten. Oder gar nicht. Aber frischauf und nicht gemeckert, lieber den Magen verdorben, als den Abend. Doch sollte sie die Suppe selbst auslöffeln, die sie sich eingebrockt hatte und das Spülwasser allein probieren. Ohne die Miene zu verziehen, kamen ihr die folgende Worte über ihr süßes Mäulchen: "Stechender Geschmack nach Mottenkugeln, brennt auf der Zunge wie Petroleum, im Abgang dann wie Kernseife. Diese Richtung hat man nur sehr selten." Diese Frau muss man einfach lieben! Während ich mich noch in meinem Glück aalte und mir auf die Schulter schlug, wie gut ich es doch bei meiner Hochzeit erwischt hatte, muss mich wohl der Übermut gepackt haben und ich versuchte auch einen Schluck. Lassen sie es mich so formulieren: Dieser Wein hatte ein paar gute Freunde und Empfehlungen bitter nötig. "Warum verkauft ihr Freund die Flaschen nicht als Essig?", war das einzige, was ich röcheln konnte, als ich mich tränenüberströmt mit Hustenanfall am Rock des Kellners festklammerte. "Das ist sicher sehr aufwendig, alles umzuarbeiten." "Keineswegs, Monsieur, er muss nur das Etikett austauschen." Wir blieben beim Picon. Lieber als Barbaren ohne jeden Geschmack durchgehen, als mit Naphthalin Hustensaft Brühe zu Tode gemartert zu werden.

"Le menu" erscholl es wie aus einem Mund, als wir nach dem Essen gefragt wurden. Le menu ist immer manierlich und erspart längeres Studium der Speisekarte, die ohnehin nur in welscher Sprache verbrochene Unverständlichkeiten enthält. "Wir bieten fünf Menüs, welches hätten sie denn gerne?" Die Götter haben vor dem Spaß die Arbeit gesetzt, damit es keinem Sterblichen zu wohl werde, hier in diesem Jammertal.

Nun bin ich als langjähriger Schüler der französischen Sprache durchaus in der Lage, über den Einfluss des Surrealismus im Spätwerk Paul Eluards erschöpfend Auskunft zu geben, das sogar in fließendem Französisch. Für derart bodenständige Dinge wie die simple Aufnahme von Nahrung hatte meine Französischlehrerin aber nichts anderes als absolute Verachtung im Angebot. In derartigen sprachlichen Untiefen wurde sich in meiner Schulzeit nicht gesuhlt.

"Was heißt: Fois gras avec pain grillé ?" " Leberwurst mit trocken Brot" "Endlich mal
was, das man aussprechen kann! Nichts wie her damit!" Streng genommen, war die Übersetzung nicht ganz genau. Es handelte sich hier um Gänseleberpastete, dem Stolz der französischen Küche. Von ausgesuchten Mastgänsen gewonnen, deren Wohlergehen vom Bauern in jedes Morgen- und Nachtgebet eingeschlossen wird. Morgendliche Massagen aller querliegenden Federchen ebenso wie psychologische Betreuung bei Verdauungsbeschwerden sind selbstverständlicher Bestandteil der komplizierten Aufzucht. Die Bäuerin kocht dreimal täglich und einmal zur Nacht liebevoll gebutterten Maisbrei mit handgepflückten zarten Grünpflänzchen, die sie selbst am nächsten Bachlauf erhüpft hat. Nach Feierabend geht der Bauer dann über seinen Hof, um mit seinen Mastgänsen einen Schoppen teuren Roten zu kippen. Kurzum, jeder erdenkliche Aufwand ist gerade gut genug für das Wachsen und Gedeihen der hochsensiblen Gänselebern. Ja, und wie schmeckt das ganze nun? Nun, wie Leberwurst, eben.

Franzosen sind, ohne mit der Wimper zu zucken bereit, für ein Menü das Mehrfache eines Monatsgehaltes hinzulegen, den Wagen oder das Haus zu verpfänden oder einen langjährigen Kredit aufzunehmen. Um sich als Deutscher für das näherkommende Drama der Rechnung als Mann zu erweisen, ist es nach dem opulenten Mahl stets anzuraten, sich mit Hochprozentigem Mut zu machen. Die auf der Rechnung notierten Zahlen ohne geistigen Beistand auf sich wirken zu lassen, kann äußerst gefährliche Nebenwirkungen nach sich ziehen. Dabei ist von Schlaganfall bis zur spontanen Flucht durch das Fenster alles denkbar.

Wir wollten auch hier von diesem schönen Brauch nicht lassen, konnten aber in der vorliegenden Karte nichts entdecken, was wir auch übersetzen konnten. Sapin, Églantine, Surreau (in weiß und schwarz), Prunelle und Houx. Nie davon gehört. Kam bei Paul Eluard nicht vor, soviel ist sicher. Nicht mal in den vorsurrealistischen Gedichten. Ich fragte den kenntnisreichen Kellner, was wohl Houx bedeuten mag. Was ihm sofort ein "Houx, Houx dit le Hibou" entlockte. Für welche, welche die welsche Zunge nicht beherrschen: U, U, sagt der Uhu und es sprichts sich sogar noch so, weil die Welschen das Ha zwar schreiben, aber nicht sprechen. Also U, U, di le ibu. Total witzig, nein, was liebe ich witzige Kellner, half letztlich aber doch nicht weiter. Er konnte sich soweit verständlich machen, dass es sich dabei um etwas handelt, was rot und weiß ist und von den Deutschen gern in ihre Weihnachtsbäume drapiert wird. Die Franzosen verschnapsen also ihre Weihnachtskugeln. Wieder falsch geraten! Houx ist spitz und stachelig, wurde mir mitgeteilt, und meine Neugier damit so nachhaltig geweckt, das ich um alles auf der Welt Houx haben musste. Ich glaubte so etwas wir Ehrfurcht in den Augen des Kellners bemerkt zu haben. Aber ich kann mich da auch täuschen, das ist lange her und so die rechte Erinnerung habe ich auch nicht mehr. Der Schluck, der abgemessen wurde, war wirklich äußerst üppig. Ich habe das damals auf die natürliche Großzügigkeit der Elsässer zurückgeführt, weiß aber inzwischen, das Houx nur sehr, sehr selten verlangt wird. Nach dem ersten Schluck sah ich weiße und rote Bälle Cancan tanzen, nach dem zweiten Schluck schien mir sogar die Rechnung gar nicht mehr allzu bedrohlich, nach dem dritten Schluck... Nun, ich möchte hier nicht lügen. Nach dem dritten Schluck, sah ich gar nichts mehr. Ich soll am Tisch gesessen, meinen Kopf um 360 Grad gedreht und dabei ständig "Houx, Houx, dit le Hibou!!!" ausgerufen haben. Ich muss hier auf den Bericht meiner Frau vertrauen, da meine Erinnerungen sehr spärlich sind. Unter heftigen Schlagen meiner Flügelchen und Houx, Houx Schreien soll mich meine Frau erst in das Auto und dann nach Hause gebracht haben.

Schon nach wenigen Wochen wieder zu mir gekommen, robbte ich aus meinem Bett, um den Petite Larousse zu rezitieren. Houx, stand es dort zu lesen, Houx, deutsch Stechpalme, ist ein kleiner Busch mit stachligen Blättern und weiß bis roten Beeren. Enthält Atropin, ein wirksames Nervengift. Das sind wir Freund Hein aber noch einmal knapp von der Sense gerutscht. Nun, Mensch, lern fremde Sprachen! Das spart viel Unbill in fernen Landen und verlängert dir dein Leben nicht unbeträchtlich.


Einstell-Datum: 2004-04-13

Hinweis: Dieser Artikel spiegelt die Meinung seines Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung der Betreiber von versalia.de übereinstimmen.

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