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Fünf Bierdeckelgeschichten
Autor: Dieter Hellfeuer · Rubrik:
Kurzgeschichten

Bitter sind die Oliven

Als Paul hier zum ersten Mal hereingestolpert war, trug Giuseppe noch bunte Hemden und beim Her-ausfischen der Oliven hatte seine Hand nicht die Spur gezittert, nicht einen Millimeter.
Paul wußte, daß auch an ihm die Jahre nicht spurlos vorübergegangen waren. Nur die Geste war die glei-che geblieben: Ein senkrechter Fingerzeig auf das grazile Glas und ein knappes „Grazie“, wenn Gui-seppe ihm einen weiteren „Wodka Tristesse“ an den Tresen brachte. Dabei war dieses eine Wort inzwi-schen ebenso überflüssig wie der Fingerzeig. Denn Giuseppe war seit zwei Jahren taub, und nach Zehn-gab es hier sowieso nichts anderes.
Paul klebte die Briefmarke auf den Umschlag und schüttelte sich, weil seine Handschrift so schlampig geworden war.
Sogar das hatte sie ihm angetan, diese Schlampe, dachte Paul.
Ja, er hatte sich das alles anders vorgestellt, damals. Ganz anders. Und er schüttelte sich noch einmal, diesmal ob der Bitterkeit der Triester Oliven.


Endstation Sehnsucht

Aus der Juke-Box nölte die ewig gleiche Schnulze, und der Ventilator quietschte, als erwartete er die letzte Ölung. Leanders Augen mäanderten glasig zwischen dem Marlon-Brando-Poster und seinem eigenen Spiegel-bild im Zapfhahn hin und her, während er mit der Zigarettenglut nacheinan-der drei Nachtfalter auslöschte, die sich über die Krümel seines Hawaii-toasts hermachten.
Marlene, die angeblich mal was mit einem Kerl aus Hollywood gehabt hatte und seitdem für alle anderen Männer verloren war, und die sie alle hier deswegen und weil sie halt aus Pommern stammte nur "Alleene" nannten, Marlene also hob ihre schweren Augenlider und warf über das Geschirrtuch hinweg einen Blick auf die fleckige Fotografie mit dem blonden Flittchen neben den wie gemalt ins Tresenholz gebrannten Nachtfaltern.
„Ach Jungchen“, seufzte sie.
„Lass mich doch, Alleene“, murmelte Leander.
Und wie immer glucksten daraufhin die beiden Filmfreaks am anderen En-de des Tresen synchron in ihre Weizengläser, weil diese Szene zwar nicht neu, aber jedes Mal aufs Neue richtig großes Kino war.
.

Baise moi

Die Stadt seufzte in der Schwüle des Spätsommers, sogar der Gummibaum neben der Espressomaschine ließ erstmals seit Menschengedenken seine Blätter hängen. Die beiden Backgammonspieler, die wie immer neben dem Durchgang zum Pissoir saßen, fuhren sich abwechselnd über die faltigen Gesichter, während im Hintergrund ein einäugiger Fremdenle-gionär einen Dreibander nach dem anderen über das abgewetzte Meergrün des Billardtisches jagte.
Mimi haßte Paris, aber das wußte sowieso jeder hier. Vor allem aber haßte sie diese Typen, die mit alten Geschichten prahlten, doch das war eine andere Ge-schichte.
„Ärsche waren das! Ärsche, Mimi, solche fetten Ärsche!“, rief ihr der Fremdenlegionär mit kürbis-weit ausgebreiteten Armen zu, nachdem er mal wie-der herumposaunt hatte, wie er damals in der Wüste allein gegen einhundert bis an die Zähne bewaffnete Kameltreiber die Stellung gehalten hatte und ihm als Dank für sein dabei draufgegangenes Auge drei kos-tenlose Nächte in einem der teuersten algerischen Puffs gewährt wurden.
Mimi ging vor die Tür, suchte im Violett der A-benddämmerung die Silhouette des Eiffelturms und preßte ein tonloses „Fick mich“ an der maisgelben Gauloise vorbei.
Auf französisch natürlich.


Eine letzte Zigarette

Eigentlich war alles nur ein blöder Zufall gewesen. Warum mussten sie damals auch ausgerechnet hier diese Panne gehabt haben, mitten am Arsch der Welt, wo diese verdammte Bahnhofskneipe zum Verkauf ange-boten wurde, spottbillig, klar, das war schon ein wenig verdächtig, aber Britta meinte, die Ossis hätten keinen blassen Schimmer vom Wirtschaften, und überhaupt, gesoffen wurde schließlich immer und überall.
Manni stellte die leere Flasche Rotkäppchen auf den blitzeblank gewiener-ten Eichenholztresen, schlurfte zur Tür, hängte das Emaileschild mit der Aufschrift „Geschlossen“ an den Messinghaken unter der Gardinenstange und warf einen letzten Blick über die verwaisten Holztische mit Brittas selbstgehäkelten Platzdeckchen.
Die Bahnhofsuhr schimmerte matt unter dem dicken Lausitzer Vollmond, als er über den Kiesweg auf die Gleise zuwankte. In fünf Minuten kam der Güterzug, auf den wenigstens war Verlass.
Zeit genug für eine letzte Zigarette.


Zeit, umzublättern

Morten hatte Stil, einen Stil, dessen Klasse auf einer gewissen auffälligen Unauffälligkeit beruhte. Die Koteletten sahen aus, als wären sie schon immer so lang gewesen, der Bartschatten verlieh seinem Kinn eine länd-lich-derbe Aura und auch seinem Jackett sah man nicht an, dass es eine Maßanfertigung war, von einem illegal eingewanderten usbekischen Schneider zwar, aber immerhin.
Morten ließ den Rauch seiner Nil langsam durch die Nase entweichen, während er selbstversunken auf Seite 449 von Mann ohne Eigenschaften starrte. Mechanisch klopfte er mit der Linken die Asche ab, wobei er dar-auf achtete, dass unter dem Ärmel des Jacketts die schlichte Glashütte-Uhr zum Vorschein kam, ein Erinnungsstück an Onkel Erich aus Stalin-stadt, der Mitte Fünfzig nach Wien abgehauen war und sich dort bis zu diesem schrecklichen Unfall mit einem Fiaker als Ornitologe und Witwen-tröster einen Namen gemacht hatte.
"Wie spät ist es denn?", lächelte die schon leicht angezwitscherte Brünet-te, die zwei Hocker weiter saß und bereits den dritten Piccolo vor sich stehen hatte. Ohne aufzublicken drehte Morten das Handgelenk in ihre Richtung. Das wirkte sehr lässig, und auch wenn er nicht so genau wusste, wie es nun weitergehen würde, eines wusste er genau: Es war Zeit, um-zublättern.


Einstell-Datum: 2005-08-06

Hinweis: Dieser Artikel spiegelt die Meinung seines Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung der Betreiber von versalia.de übereinstimmen.

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