Das Ende einer Beziehung
„Hallo. Mir geht’s nicht gut. Können wir uns irgendwo treffen? Spazieren gehen und reden?“, lautete die SMS, die Steffen von seiner Freundin Susanne bekommen hatte. Ein flaues Gefühl breitete sich in ihm aus.
„Klar. Auf halbem Weg? In einer Stunde? :-* ILD“, schrieb er zurück und hatte gewusst, es war der Anfang vom Ende.
Vier Wochen später.
Steffen setzte sich in sein Auto und fuhr los.
Er dachte noch jeden Tag an Susanne. In seinem Herzen fehlte die zweite Hälfte. Einen Monat war es nun her, dass sie sich von ihm getrennt hatte. Elf Monate lang war er glücklich, Steffen hatte die Frau seines Lebens getroffen. Als sie sich vor einem Monat sahen, gab sie ihm einen Brief. Sie schaffte es nicht, diese Worte über die Lippen zu bringen. Sie schrieb, die Zeit mit ihm sei die schönste und wertvollste in ihrem Leben gewesen und sie wolle es nicht weg werfen.
Sie schrieb, wieviel er ihr bedeutete und dass er in ihrem Herzen immer eine Sonderstellung haben würde.
Und sie schrieb, sie hätte im Internet jemanden kennen gelernt. Daraus hätte sich unbeabsichtigt mehr entwickelt, sie hätte es nicht gewollt. Sie wollte eine Beziehungspause um sich darüber klar zu werden, was sie wolle.
Sie hätten heute ihren ersten Jahrestag gehabt. Steffen fuhr zu einem Interview. Er war freier Journalist für die Allgemeine. Er nahm sich vor, wenigstens während des Interviews nicht an Susanne zu denken. Aber das fiel ihm so schwer.
Steffen weinte jeden Tag während dieser Pause. Es war ein Gefühl, als würde das Herz mit Eisspray besprüht. Susanne war so sensibel und zerbrechlich, sie gab ihm so viel. Noch nie in seinem Leben hatte er so etwas Intensives gespürt. Seine Suche war vorbei. Sie machten Pläne für die Zukunft, sahen sich Wohnungen an. Steffen konnte sich ein Leben ohne Susanne nicht mehr vorstellen. Nach zwei Tagen Hölle auf Erden rief er sie an, um ihr gute Nacht zu sagen.
„Hey, ich wollt dir nur gute Nacht wünschen.“
„Ich... Tut mir leid.“
„Was?“
„Ich muss das mit ihm probieren, sonst werde ich nicht glücklich. Tut mir leid, echt.“
„Du machst Schluss? Am Telefon?“
„Tut mir leid.“
Steffen brach zusammen. Er weinte die ganze Nacht. All sein Flehen und Bitten half nicht. Susanne hatte ihn so verletzt, wie noch nie ein Mensch zuvor. Diesen Schmerz hatte Steffen das letzte Mal gefühlt, als sein Vater überraschend gestorben war.
Nur war es dieses Mal schlimmer.
In dieser Nacht träumte er von diesem Anruf. Damals hatte er ihn geweckt.
„Steffen, bist du da? Komm bitte sofort nach Hause!“, hatte seine Stiefmutter förmlich auf seinen Anrufbeantworter geschrien. Benommen hatte Steffen den Hörer abgenommen.
„Was ist denn los?“
„Komm bitte sofort hierher!“, flehte sie mit einer Stimme, die ihn die Nackenhaare aufgestellt hatte.
Er hatte sich sofort ins Auto gesetzt und war in sein Elternhaus gefahren.
„Dein Vater liegt im Krankenhaus. Ist heute morgen aufgestanden und umgefallen. Herzinfarkt.“ Stiefmutter begann zu weinen. „Eine Dreiviertelstunde mussten wir ihn Wiederbeleben, bis der Notarzt da war.“
Sie fuhren ins Krankenhaus.
Auf der Intensivstation lag er und wurde künstlich beatmet. Das Piepen des EKG´s schuf zusammen mit dem hellgrünen Wänden und den Pumpgeräuschen des Beatmungsgerätes ein erschreckend steriles Bild.
Ohne Regung lag er da, nur die Beine mit einer dünnen Decke bedeckt. Steffen fasste ihn an. Er war kalt. Er bat die Krankenschwester, noch eine Decke zu holen.
Das rhythmische Piepen wurde zu einem langen Ton. Steffen und seine Stiefmutter wurde aus dem Zimmer geschickt. Kurz darauf durften sie wieder hinein. Das ganze geschah fünf Mal während der zwei Stunden, die sie dort waren. Als sie gingen, sagte Steffen seinem Vater zum ersten Mal, dass er ihn liebe.
Am nächsten Morgen starb er.
Steffen hielt am Straßenrand an und wischte sich die Tränen aus den Augen. So konnte er doch unmöglich zu einem Interview gehen. Was sollte die Akademikerin von ihm halten? Wie hieß sie nochmal? Er nahm sich vor, die Fakten vor dem Termin nochmal durchzugehen.
Doch jetzt dachte er wieder an Susanne. Er liebte alles an ihr, von ihren Füßen über ihre olivfarbenen Augen bis zu ihren dunkelblonden Haaren, alles war perfekt. Sie fand sich selbst häßlich und Steffen wünschte ihr, sie könne sich nur einmal durch seine Augen sehen. Dann würde sie erkennen, wie wunderschön sie ist.
Der Gedanke, dass ein Anderer sie küsste oder anfasste war so grausam. Steffen begann wieder zu weinen. Körperliche Schmerzen ließen irgendwann nach, aber diese seelischen Qualen blieben und Steffen wusste nicht, was er dagegen tun konnte.
Er öffnete das Handschuhfach und suchte nach Taschentüchern. Neben seiner Kamera lagen zwei Kinokarten für „Mr. Bean macht Ferien“, den letzten Film, den er sich mit Susanne angesehen hatte. Steffens Herz quetschte sich erneut zusammen und implodierte.
„Was hab ich getan?“, schrie er dem Autohimmel entgegen. „Was hab ich falsch gemacht, dass ich das hier ertragen muss?“
„Du hast alles richtig gemacht“, sagte Susanne, als sie ihm seine Sachen gebracht hatte. „Ich wollte dir nie weh tun, ehrlich. Es war schön mit dir, du bist etwas Besonderes und du hast absolut nichts falsch gemacht. Das mit dem Anderen ist nur anders, nicht besser oder schlechter. Versteh doch, ich muss das einfach probieren, sonst würde ich mir ein Leben lang Vorwürfe machen.“
„Ich hab nichts falsch gemacht? Der Scheißkerl macht es nur richtiger, oder wie? Warum sagst du laufend, du willst mir nicht weh tun?“
„Weil das so ist. Meine Gefühle für dich sind doch nicht einfach weg. Ich denke sehr viel an dich.“
„Du tust es aber! Es ist, als ob du mit einem Messer auf mich einstichst und sagst: ´Ich will dich nicht erstechen, tut mir leid, mitten ins Herz, jetzt bist du tot, das wollte ich wirklich nicht.`“
„Wenn dir das so vor kommt, tut´s mir leid. Fakt ist, ich bin mit ihm zusammen...“
„Nach einer Woche?“, unterbrach Steffen sie. „Eine Woche ist Schluss und du bist schon mit ihm zusammen? Das zeigt doch deutlich, wieviel ich dir bedeute!“
Susanne rieb sich die Augen.
„Ich will, dass wir für eine Weile keinen Kontakt mehr haben. Das ist besser für uns beide, glaub´ mir.“
„Wie lange?“
„Einen Monat.“
Steffen wischte sich die Tränen weg und betrachtete im Rückspiegel seine roten Augen. Er hoffte, dass die Rötung bis zu seiner Ankunft abgeklungen war. Er startete den Motor und fuhr weiter.
Noch zwei Wochen. Sie sagte zwar, es sei besser für beide, meinte damit aber wohl nur für sich selbst. Für ihn war nichts besser geworden. Er dachte jeden Tag, jede freie Minute an sie, fragte sich, wie es ihr wohl ging, was sie gerade machte. Und graute sich vor seiner Phantasie, die ihm nachts manchmal zeigte, wie sie bei einem Anderen im Bett lag und über ihn lachte.
Oft träumte er, es sei wieder alles in Ordnung und sie schlief neben ihm, wie so viele Male. Er hörte ihr leises Atmen, roch ihr Haar und spürte ihre Bewegungen. Steffen streckte seine Hand, um sie zu berühren und spürte nur ihre kalte Decke. Dann wachte er auf und weinte voller Sehnsucht. Das war der Moment, indem die Phantasie zuschlug. Wie konnte sie so grausam sein? Seine eigene Phantasie zeigte ihm das schrecklichste, dass er sich vorstellen konnte. Seine über alles geliebte Susanne nackt im Bett mit einem Anderen. Und sie lachten ihn aus.
Steffen fuhr auf den Parkplatz des Café Salsa, einem mediterran eingerichteten Café. Große, orangene Sonnen-schirme warfen Schatten auf gepolsterte Korbstühle. Obwohl die Sonne schien, war es noch zu kalt um draußen zu sitzen.
Steffen ging hinein und sah sich um.
Ein einziger Gast saß am Tresen und las Zeitung. Steffen setzte sich an einen Tisch, von dem aus er den Eingang im Blick hatte. Dann kramte er in seiner Tasche und holte seine Notizen hervor.
Er sollte hier eine Manuela Brauhaus treffen, Studium in Wirtschaftsmathematik, jetzt Abteilungsleiterin für Produktions-planung bei der Inter-Versicherungsagentur. Die Allgemeine brachte hin und wieder einen Lebenslauf von Personen, die in dieser Gegend aufgewachsen waren und es zu etwas gebracht hatten. Als Ansporn für die Jugend, sozusagen.
Steffen bestellte sich einen Kaffee und ging die Fragen noch einmal durch. Es waren immer dieselben.
Das Klacken von hohen Absätzen ließ ihn zum Eingang blicken. Dort stand eine Frau, die Steffen definitiv nicht in die Akademiker-Schublade steckte. Lange, braune Haare fielen über ein Kleid aus blassblauem Leinen, dass zu groß für sie wirkte. Und doch sah sie wunderschön darin aus. Sie sah sich suchend um und entdeckte Steffen, der sie wie hypnotisiert ansah. Sie schenkte ihm ein strahlendes Lächeln und setzte sich zu ihm.
„Hallo, ich bin Manuela“, sagte sie und streckte ihm die Hand entgegen.
„Hallo, Steffen“, sagte Steffen in zwei strahlende blaue Augen. „Was willst du trinken? Geht auf meinen Boss.“
„Oh, Kaffee. Wie kommt die Allgemeine denn auf mich?“
„Vielleicht war es Schicksal“, murmelte Steffen. Er konnte sich einfach nicht von ihren Augen lösen.
„Schicksal?“, fragte sie und überlegte einen Moment. „Könnte sein.“ Sie erwiderte seinen Blick. Beide erröteten.
Das Interview wurde später vom Salsa in einen Irish Pub verlegt, dann ging es weiter, einfach zu Fuß durch die Stadt. Steffen erzählte ihr von Susanne und wie er sich fühlte. Manuela nahm ihn in den Arm. Steffen bekam Manuelas Nummer, als sie sich mitten in der Nacht verabschiedeten.
Steffen würde noch einige Zeit brauchen, um an eine neue Beziehung zu denken, die Wunden waren einfach noch zu frisch. Aber jetzt, nachdem er Manuela kennen gelernt hatte, heilten sie bedeutend schneller. Er dachte immer noch jeden Tag an Susanne und fragte sich, wie es ihr wohl ginge.
Aber jetzt wusste er auch: Das Leben ging weiter.