ArnoAbendschoen
Mitglied
718 Forenbeiträge seit dem 02.05.2010
|
Eröffnungsbeitrag |
Abgeschickt am: 01.02.2020 um 12:42 Uhr |
Das Ungeheuer im Schrank ist für den achtzehnjährigen Oscar (Connor Jessup) eine Kindheitserinnerung. Damals wurde er Zeuge eines homophoben Gewaltverbrechens und identifiziert sich seitdem bewusst oder unbewusst mit dem querschnittsgelähmten Opfer. Dieses seelische Trauma steht in komplexer Beziehung zu Oscars desolater familiärer Situation. Bei der Trennung seiner Eltern blieb er bei seinem verhaltensgestörten, selbst gewalttätigen Vater (Aaron Abrams). Die Besuche bei der Mutter (Joanne Kelly), die in einer harmonischen neuen Beziehung lebt, reichen als Gegengewicht nicht aus.
Nach seinem Schulabschluss ballen sich die Probleme für Oscar. Er verliert den Aushilfsjob im Baumarkt, erhält den angestrebten Studienplatz in New York nicht und kommt mit seiner sexuellen Identität nicht klar. All das kulminiert, als er während einer Auseinandersetzung seinen Vater in einen Schrank stößt, um sich abends Ausgang zu erzwingen. Jetzt fallen zusammen das alte Verbrechen und die laufende väterliche Tyrannei, die Zwangserinnerung und die Zwangslage daheim. Parallel dazu läuft für den jungen Mann verstörend sein Coming-out ab. Die Krise wird überwunden durch Umzug zur Mutter und Oscars Unterbringung in einem elitären Bildungsinstitut. Er will Maskenbildner werden, wird zum Beruf machen, was ihn bisher schon beschäftigt hat: die Nachtmahrgestalten in seinem Kopf ästhetisch bannen.
Das scheint ein schwerer Stoff, hat jedoch vor allem die Form einer schmissigen Familientragikomödie. Sie ist zugleich ironisch, bissig und liebevoll. Der schweren Geburt des erwachsenen Oscar steht gegenüber die surrealistische Leichtigkeit vieler Sequenzen. Zwar sind da auch immer wieder eingeblendete Visionen, visuell erfahrbarer Horror, und schrille Zwischentöne, doch alles ergibt seltsamerweise ein harmonisches Ganzes. Es gibt einen sprechenden Hamster und die vielleicht kürzeste Penetration der Filmgeschichte, als katastrophal halluziniert und zugleich wie mit einem Augenzwinkern inszeniert. Unterstützt wird diese Verbindung von Drama und Idylle durch den Schauplatz, die herrlich gelegene alte Stadt St. John’s an der Küste von Neufundland. Kongenial ist neben den opulenten Bildern der Kameraarbeit auch die zu den Schlüsselszenen erklingende Filmmusik. Die Bildmotive sind klug variiert und werden dabei optimal eingesetzt. Hervorragende Schauspieler bringen uns die Handlung nahe. Zu ihnen gehören noch Sofia Banzhaf als Gemma, Oscars Schulfreundin, Aljocha Schneider als Wilder, einen jungen Kollegen, von Oscar insgeheim begehrt, und Mary Walsh als skurril-komische Leiterin des Baumarkts. Kanada ist ein erstaunlich produktives Filmland voller Talente.
Stephen Dunn, geboren 1989, wandelt mit seinem ersten Spielfilm „Closet Monster“ erkennbar auf den Spuren von Xavier Dolan und David Cronenberg. Für seine dennoch ganz eigenständige Verarbeitung des Stoffs erhielt er verdientermaßen zahlreiche Preise, darunter auf dem Internationalen Filmfestival von Toronto die Auszeichnung als bester kanadischer Spielfilm des Jahres 2015.
|