ArnoAbendschoen
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Eröffnungsbeitrag |
Abgeschickt am: 04.03.2018 um 18:39 Uhr |
Auch dieser hervorragende ungarische Film, herausgekommen 2014, folgt einem allgemeinen Trend aufs Land. Der junge Profifußballer Szábolcz (András Sütö) scheitert in Deutschland und zieht sich in die Puszta zurück, um Bienen zu züchten. Dort bezieht er das von den Großeltern geerbte, leer stehende und verfallende Haus abseits eines Dorfes. Mit Hilfe des noch etwas jüngeren Dörflers Áron (Ádám Varga) repariert er Dach und Inneres. Sie fühlen sich voneinander angezogen und werden unter Schwierigkeiten ein Paar. Der Ex-Fußballer kommt damit eher zurecht als der naive Lehrling. Die krassen Reaktionen aus der Dorfbevölkerung erschweren ihnen das Durchhalten. Der Besuch seines deutschen Freundes Bernard (Sebastian Urzendowsky) bei Szábolcz kompliziert die Lage. Der Heimkehrer lehnt es ab, wieder nach Deutschland zu gehen, und bleibt bei Áron. Das verhindert indessen ihren folgenden Absturz nicht. An dieser Stelle wird für den Rezensenten das Spoilerverbot wirksam. Jeder Zuschauer hat das Recht, die Katastrophe im einsamen Pusztagehöft unvorbereitet auf sich wirken zu lassen.
Andererseits: Dass das Filmdrama eine Tragödie ist, deren genaues Ende man besser nicht preisgibt, ist noch kein Grund, den am Film Interessierten zuvor in die Irre zu führen. Man könnte wieder einmal eine Rezension der Rezensionen schreiben. In ihrer Verlegenheit, sich über den Schluss auszuschweigen, retten sich manche in unhaltbare Behauptungen, die im Widerspruch zur Filmhandlung stehen. Und der Verleih greift dergleichen auf, da er es wohl für verkaufsfördernd hält. So ziert die DVD ein Zitat des „Hollywood Reporter“: „Ein romantisches Dreieck, von Zärtlichkeit erfüllt …“ Dieses in Wahrheit nur einen kleinen Teil des Films ausfüllende Dreieck ist tatsächlich so beschaffen: Áron und Bernard konkurrieren um Szábolcz, prügeln sich und im Suff kommen sich alle drei gerade einmal für den Rest einer Nacht näher. Oder das Zitat aus der „Berliner Zeitung“, auch auf dem Cover prangend: „Ein Liebesparadies, in dem alles möglich ist: Begehren jenseits von Eifersucht und ein glückliches Leben in der Natur.“ So verdreht man den wesentlichen Gehalt des Films ins Gegenteil. Tatsächlich enthält er idyllische Momente von großer Schönheit, eingestreut zwischen die zahlreicheren Szenen voll von Härte und Gewalt. Dass Glück in diesem Umfeld Utopie bleiben muss, ist zentrale Botschaft des Streifens. Er wäre sonst keine Tragödie, eine Gattung, für die Scheitern stets immanent ist. Man kann hinter solchen Fehlinterpretationen auch eine, speziell deutsche, Aversion gegen Tragödien überhaupt, nicht nur im Film, erkennen. So wird dann aus einem eindreiviertelstundenlangen Opus mit Schmerz und Tod für den Evangelischen Pressedienst ein „liebenswerter kleiner Film“.
Eine andere oft erörterte Frage: Übt dieser Film auch Kritik am aktuellen Zustand der ungarischen Gesellschaft? Oberflächlich gesehen scheinen wir in einen tiefen soziokulturellen Graben zwischen West- und Osteuropa zu blicken. Tatsächlich aber hat sich der Regisseur in einem Interview erstaunt über eine solche Perspektive gezeigt, darüber, dass er in Berlin vor allem auf den Zusammenhang des Films mit Politik und Gesellschaft im heutigen Ungarn angesprochen werde. Ihm sei es vielmehr um eine universell gültige Liebesgeschichte gegangen. Diese Äußerung mag auch taktisch begründet sein, Császi hat die nationale Filmförderung Ungarns in Anspruch genommen und vielleicht noch mehr Projekte im Kopf. Dennoch sollten wir seinen Standpunkt akzeptieren. Figuren wie sein Áron sind in vielen Gesellschaften anzutreffen, mit jeweils regional akzentuierten Problemlagen. Zu beachten ist auch, dass das Drehbuch an einen realen Kriminalfall bereits aus dem Jahr 2008 anknüpft.
Ádám Vargas Schauspielkunst ist das größte Plus in diesem auch insgesamt überzeugenden Film. Ihm gelingt das Schwierige: in der Mimik und im Auftreten des schweigsamen, einfach strukturierten, unerfahrenen jungen Landbewohners Áron eine komplexe Entwicklung voll von Widersprüchen und Sprüngen, auch das Begehren und die Angst davor lebendig werden zu lassen. Großen Respekt für diese enorme Leistung.
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