ArnoAbendschoen
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Eröffnungsbeitrag |
Abgeschickt am: 09.04.2015 um 22:37 Uhr |
Auch Tomasz Wasilewskis 2013 produzierter Streifen „Tiefe Wasser“ zeigt, welch hohes Niveau Filmkunst in Polen gegenwärtig erreichen kann. Fast jede Szene ist akkurat inszeniert und dabei so kraftvoll wie originell. Die Darstellungen der Schauspieler, die Dialoge, die Kameraführung, der sparsame Einsatz von Musik – all das überzeugt auf Anhieb. Umso mehr bedauert man den konstruktiven Mangel der Handlung zum Schluss hin. Davon später mehr.
Was ist das Thema dieses Werks? So allgemein wie möglich ausgedrückt: die Autonomie des Individuums, ihre starke Einschränkung, das Bewusstwerden fehlender Autonomie, die tastenden Versuche, sie doch noch zu erreichen. Der junge Kuba (Mateusz Banasiuk) trainiert seit Jahren, um sich eine Position im Profischwimmsport zu schaffen. Um gegen die große Konkurrenz zu bestehen, nimmt er leistungssteigernde Mittel. Einer anderen Berufstätigkeit geht er nicht nach. Seine unbefriedigende materielle Situation wird kaum beleuchtet. Er lebt mit seiner Freundin Sylwia (Marta Nieradkiewicz) bei seiner Mutter (Katarzyna Herman). Die beiden Frauen sind sich nicht grün, konkurrieren jede auf ihre Weise um Zuwendung durch den jungen Mann – der seinerseits stark am Sex mit Männern interessiert ist. Aus anonymen Kontakten wird eine Liebesbeziehung, als er den Studenten Michal (Bartosz Gelner) kennen lernt. Das fragile häuslichen Dreiecksverhältnis mutiert zum explosiven Viereck, dessen Schauplatz Teile von Warschau und dessen Umgebung sind. Die urbane Szenerie vermittelt variantenreich die Anmutung eines Käfigdaseins: Käfige die Neubauwohnungen, die Aufzüge, Treppenhäuser, Durchgänge, Parkhäuser, die eingehausten Schnellstraßen, verschachtelten Restaurants usw. Doch es gibt Gegenwelten: die intensiv grünen, gewässerreichen Parks der Stadt, die wald- und seenreiche Landschaft der polnischen Tiefebene. Sie bilden den Gegenentwurf zu einem Leben unter dauernden Zwängen. Kuba gewinnt Geschmack an der Freiheit des Tun und Lassens – und taucht mitten in einem Ausscheidungsschwimmen plötzlich im wörtlichen Sinn ab und weg …
Er bleibt nicht lange in den tiefen Wassern. Mutter und Freundin verbünden sich, setzen ihn unter Druck, er muss Michal aufgeben, wird auch beruflich unter Kuratel gestellt. Ob er sich auf Dauer unterwerfen lässt? Das ist zumindest fraglich. Das Schlussbild legt die Vermutung nahe: Hier hat einer glasklar verstanden, wie es um ihn bestellt ist und dass es so nicht gut werden kann. Hass liegt in der Luft und der Film ist zu Ende. Dieser offene und suggestive Schluss wäre viel überzeugender, wenn nicht unmittelbar davor der verlassene Michal Opfer einer dramaturgisch mühsam herbeigeführten Gewaltattacke geworden wäre. Sein blutiges Ende überschattet das des Filmes und nimmt ihm leider ein Gutteil seiner Wirkung.
Dennoch kann Wasilewskis Werk weitgehend neben Malgorzata Szumowskas Film „Im Namen des …“ bestehen. Beide zusammen, etwa zur selben Zeit gedreht, ergeben einen Querschnitt durch das Polen von heute, setzen ein Bild zusammen, das sowohl ländlich wie städtisch, traditionell wie modern, religiös geprägt wie säkularisiert ist – und insgesamt dem Beobachter von außen ebenso dynamisch wie problematisch erscheint .
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