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Literaturforum: Ernst May - Architekt und Stadtplaner


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 Thema: Ernst May - Architekt und Stadtplaner
ArnoAbendschoen
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Das ist ArnoAbendschoen

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Eröffnungsbeitrag Abgeschickt am: 02.11.2011 um 10:33 Uhr

Sein Name ist heute außerhalb von Frankfurt einer breiteren Öffentlichkeit kaum noch bekannt. Dabei war er zu Lebzeiten einer der Erfolgreichsten, Angesehensten seiner Zunft. Von keinem anderen deutschen Architekten dürfte ein vergleichbar hoher Baubestand erhalten geblieben sein. Keines anderen Wohnhäuser dienen so vielen Menschen noch heute hierzulande als Heimstatt. Oder nur als Unterkunft? Wer war Ernst May und wo sind seine Bauten?

Geboren 1886 in Frankfurt, wuchs er dort auf und ging zum Lernen, Studieren eine Zeitlang nach England, machte sich mit den dortigen Gartenstädten vertraut. 1913, nach beendetem Studium, sehen wir ihn als selbständigen Architekten in seiner Heimatstadt. Dann wird er Soldat und geht nach dem Krieg nach Schlesien. Er arbeitet an Landsiedlungen und an Bebauungsplänen für Breslau und Umgebung.

1925 wird er Stadtbaurat in Frankfurt. Seine erste große Zeit beginnt: May, der Mitentwickler und Organisator des Neuen Bauens, entwirft eine Reihe neuer Stadtrandsiedlungen, z.B. die Hellerhofsiedlung, die Römerstadt, Praunheim. Die große Wohnungsnot jener Zeit ist zu beseitigen. Mays Ziele gehen darüber hinaus, er will fortschrittlichen, menschenwürdigen Wohnraum für die breiten unteren Schichten bauen. Mit der Wirtschaftskrise endet die rege Bautätigkeit abrupt.

May geht 1930 in die UdSSR, entwirft Bebauungspläne am Ural und in Sibirien, für Magnitogorsk und Kusnezk zum Beispiel. May hat Differenzen mit den staatlichen Stellen, für die er arbeitet, und kehrt 1933 nach Deutschland zurück – um es rasch wieder zu verlassen. Seine Person und seine Art zu bauen sind daheim nicht mehr willkommen. Er geht nach Kenia, hat eine eigene Farm, dann ein Architekturbüro in Nairobi, bis ihn die Briten bei Kriegsausbruch internieren.

Nach dem 2. Weltkrieg kommt Mays wirkungsvollste Zeit. Er arbeitet zeitweise für die Neue Heimat, betreibt ein eigenes Architekturbüro. Von ihm sind Entwürfe für zahlreiche Wohnsiedlungen der Nachkriegszeit. Wir finden sie noch heute z.B. in Hamburg (Neu-Altona), Bremen (Neue Vahr), Wiesbaden oder Darmstadt. Er stirbt 1970 in Hamburg.

Fragt man heute einen Hamburger nach Neu-Altona, kann man zur Antwort bekommen: Ach, das ist da, wo die hässlichen Hochhäuser sind … Dagegen lobte Wilhelm Westecker in seinem Buch „Die Wiedergeburt der deutschen Städte“ von 1962 den Entwurf für das Viertel als „vorbildlich“. Und: „Die zwölfgeschossigen Hochhäuser haben einen harmonischen Fensterrhythmus und eine ansehnliche Gestalt.“

Sein sachlich-funktionaler Stil, seine überwiegende Verwendung von vorgefertigten Bauteilen, die extreme Höhenabstufung seiner späteren Siedlungen, die angestrebte starke soziale Durchmischung der Stadtteile, all das kommt spätestens seit dem Ende der siebziger Jahre erst aus der Mode, dann in Verruf. Und gleichzeitig bleibt er mit seinen frühen Siedlungen in Frankfurt unter Kennern eine Ikone der Architektur. Manches kommt unter Denkmalschutz. Diese Zweiteilung in der Wertschätzung ist absurd, zumindest inkonsequent. Mays Bauideal ist durchgehen dasselbe: sozial verantwortlich, rationell, funktional. May ist der Architekt der zu seinen Lebzeiten sozial aufsteigenden Schicht der Industriearbeiter und kleinen Angestellten. Die Vermutung liegt nahe, dass das ästhetische Verdammungsurteil über sein Alterswerk in Wahrheit eine Abkehr von seinen sozialen Idealen ist. Ist May etwa dafür verantwortlich, dass seine Quartiere nach seinem Tod teilweise sozial umgekippt sind? Die Kritik an seinem Bauen dient verschleiert der späteren sozialen Differenzierung. Aber der Niedergang der alten Arbeiterklasse und der Umzug der sozialen Aufsteiger in zeitgemäßere Viertel machen aus ästhetisch gelungenen Baukörpern und –gruppen kein schlechtes Bauen. Haben wir den Mut, seine Wohnsiedlungen mit neuen, unvoreingenommenen Augen zu betrachten!

Eines seiner letzten größeren Projekte war die Siedlung Winterfloß in Neunkirchen/Saar, um 1965 gebaut. Auf einem steil abfallenden Terrain, auch in sich topographisch unruhig, waren ca. 700 Wohnungen zu planen – eine schwierige, undankbare Aufgabe. May stellte dreizehnstöckige Hochhäuser an den oberen Rand, direkt vor die Waldkulisse, dann achtgeschossige Blocks an die ins alte Dorfzentrum abwärts führende Straße und an den Hang im Winkel zwischen den beiden dominanten Gruppen ein Viertel mit Eigenheimen, selbstredend alle mit Flachdächern. Der Anblick von weitem verrät Gespür für Balance. Wir sehen eine stark urbanisierte Umgebung von gewisser himmelstrebender Brutalität – und dennoch ist der Rahmen von hügeliger, waldiger Landschaft und altem niedrigem Baubestand nicht gesprengt.

Inzwischen haben sich viele der Eigenheime in der Siedlung Winterfloß ihres Flachdachs entledigt und ein Steildach aufgesetzt. Das stört nicht nur das Gesamtbild der Anlage empfindlich, es erscheint symptomatisch: Mit Egalität will, wer sozial aufstrebt, nichts mehr am Hut haben und setzt dafür seinem Haus – einen Hut auf. Besser wäre es: Hut ab vor Ernst May, einem der wirklich großen Architekten unseres Landes.

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