ArnoAbendschoen
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Eröffnungsbeitrag |
Abgeschickt am: 15.01.2011 um 21:11 Uhr |
Der Fall Berger ist schnell erzählt: Ein 1968 in Würzburg geborener Katholik wächst mit dem Berufswunsch Priester auf, wechselt mit sechzehn auf das Gymnasium einer Benediktinerabtei und verzichtet nach dem Abitur auf den Traumberuf. Er weiß schon, dass er homosexuell ist und nicht zölibatär leben kann. Er studiert Germanistik, Philosophie und katholische Theologie, wird Gymnasiallehrer im Raum Köln. Daneben promoviert er in Theologie und macht aufgrund seiner konservativen Grundeinstellung Karriere in ihm geistesverwandten kirchlichen Kreisen. Er entfaltet eine intensive publizistische Tätigkeit, gilt im deutschsprachigen Raum als Spezialist für Thomismus. Dann wird er Herausgeber und Chefredakteur der konservativen Zeitschrift "Theologisches" und korrespondierender Professor der Päpstlichen Thomas-Akademie in Rom (2003). Im April 2010 tritt er bei "Theologisches" zurück und veröffentlicht einen Artikel in der "Frankfurter Rundschau", in dem er sich als homosexuell outet und von seinem bisherigen kirchlichen Milieu distanziert.
Sein im Herbst 2010 erschienenes Buch „Der heilige Schein“ ist weit über den speziellen Fall hinaus von allgemeinem Interesse. Es schildert breit und mit erschreckenden Details die heutige Welt des Rechtskatholizismus. Berger hat sich in ihm etwa zehn Jahre lang bewegt, er kennt seine Organisationen, deren Bildungseinrichtungen und die privaten Netzwerke. Wer die Piusbruderschaft oder die „Gesellschaft zum Schutz von Tradition, Familie und Privateigentum“ (TFP) oder deren Vorfeldorganisationen näher kennenlernen will, sollte zu Bergers Buch greifen. Ebenso erhält er Einblicke in die Organisation „Diener Jesu und Mariens“ (SJM) und in die Institution der Düsseldorfer „Herrenabende“. Bei letzteren sind die Querverbindungen zu Adels- und Unternehmerkreisen ein Thema. Deutlich werden die Nähe vieler Traditionalisten zu rechtsradikalem, auch antisemitischem Gedankengut sowie ihre Bestrebungen, Staat und Gesellschaft grundlegend umzubauen, die Demokratie abzuschaffen, den Katholizismus zur Staatsreligion zu machen, die Monarchie und die Todesstrafe wiedereinzuführen usw. Bischof Williamson ist unter ihnen keine Ausnahmeerscheinung!
Berger beschäftigt sich ausführlich mit den Internetseiten kath.net und kreuz.net – und mit dem Wirken Joseph Ratzingers, sowohl mit dem Kardinal als auch mit dem Papst Benedikt XVI. Allmählich gewinnt der Leser den Eindruck, dass Ratzinger seit langem die Kirche bewusst entmodernisiert und sie auf einen Weg gebracht hat, der immer tiefer in vergangene Zeiten führt. Im Buch werden weiter längere Seitenblicke auf Priestererziehung, innerkirchliche Sittenskandale und den Einsatz der Morallehre zum Zweck von Disziplinierung und Machterhalt geworfen. Berger analysiert ein System des Verschweigens, Vorspiegelns und Instrumentalisierens, dem er den Namen „Heiliger Schein“ gibt. All das kann im Rahmen einer kurzen Buchbesprechung nicht ausführlich nachgezeichnet werden. Dabei betrifft es in seinen weitreichenden Auswirkungen mehr oder weniger die gesamte Gesellschaft.
Der Skandal im Frühjahr 2010 war einer mit jahrelanger Vorgeschichte. Berger stemmte sich dagegen, "Theologisches" in ein reaktionäres Kampfblatt verwandeln zu lassen. Der Förderkreis der Zeitschrift setzte ihn immer wieder unter Druck, auch mit dezenten Hinweisen auf seine Sexualität, deren Ausrichtung viele in seiner Umgebung kannten. Parallel dazu erfolgten Hetzartikel und –kommentare in kreuz.net. Auf dem Höhepunkt dieser Entwicklung kam Berger weiteren Erpressungsversuchen und absehbarem Rauswurf zuvor, indem er selbst ging und die Tür krachend zuschlug. Das Echo hält bis heute an.
Zu fragen ist, wie glaubwürdig Berger ist. Frühere Weggenossen werfen ihm regelmäßig eigennützige Motive, Verrat und Opportunismus vor. Ist Berger zum Wendehals geworden, als er sah, dass seine Position ohnehin nicht zu halten war? Er selbst beschreibt ausführlich und nachvollziehbar den Weg seiner inneren Entwicklung, seine ursprünglichen Sympathien für Traditionalismus und alte Liturgie und seine allmählich einsetzende Distanzierung vom reaktionären Rechtskatholizismus. Er kann diese Entwicklung auch an einzelnen äußeren Vorkommnissen festmachen, so z.B. gab er schon 2007 den polnischen Titel „Ritter von Jasna Gora“ zurück, damals mit beruflicher Überlastung begründet, tatsächlich jedoch, wie Berger jetzt versichert, wegen der Nähe des Ordens zu ultrarechten und extrem schwulenfeindlichen Gruppen.
Abschließend entwirft Berger in seinem Buch zwei Szenarien zur möglichen weiteren Entwicklung der katholischen Kirche, eines, das allmählich immer tiefer ins Sektierertum führt, und ein anderes, das christlichen Glauben in der Mitte der Gesellschaft wirksam werden lässt. Diese Perspektiven des Autors zu beurteilen, bleibt anderen – katholischen – Rezensenten vorbehalten.
(Das Buch: David Berger, Der heilige Schein, Ullstein 2010, 299 Seiten, € 18,-)
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