Biographien Rezensionen Diskutieren im versalia-Forum Das versalia.de-Rundschreiben abonnieren Service für Netzmeister Lesen im Archiv klassischer Werke Ihre kostenlose Netzbibliothek

 



Save Ukraine!
Save Ukraine!


Love all Animals

Literaturforum: Die Fliege und ich


Aktuelle Zeit: 27.07.2024 - 18:10:29
Hallo Gast, Sie sind nicht eingeloggt!
Suche | Mitglieder | Neu | Statistik

Heute ist der 140. Geburtstag von Ernst Bertram.

Forum > Prosa > Die Fliege und ich
Seite: 1
[ - Beantworten - ] [ - Drucken - ]
 Autor
 Thema: Die Fliege und ich
ArnoAbendschoen
Mitglied

718 Forenbeiträge
seit dem 02.05.2010

Das ist ArnoAbendschoen

Profil      
Eröffnungsbeitrag Abgeschickt am: 01.07.2010 um 22:19 Uhr

Vor zehn Jahren bin ich zuletzt umgezogen. Beim Auspacken und Einräumen schwor ich mir: Ich will nie wieder wechseln. Ordnen Sie einmal tausend Bücher, die vollkommen unsortiert in Kartons gewesen sind, nach Sachgebieten und alphabetisch in Regale ein. Es kommt einer dreizehnten Herkulesaufgabe gleich.

Dann wurde ich nachdenklich: Ist es vielleicht tatsächlich das letzte Mal, dass du eine neue Wohnung beziehst? Bist du an der Endstation deines Lebens angekommen? Das war keine sehr angenehme Vorstellung. Sie passte allerdings zur Jahreszeit: Herbst.

Ich gewöhnte mich allmählich ein. Im Haus war es ungewöhnlich ruhig; der einzige Nachbar, ohnehin rücksichtsvoll, war meistens abwesend. Ich konnte die Stille förmlich sehen, riechen, schmecken. Und der Herbst schritt immer weiter fort.

Jene Fliege fiel mir schon bald nach dem Einzug auf. Es musste die letzte Fliege des Sommers sein, die sich in meine temperierte Wohnung gerettet hatte. Anfangs flog sie noch recht vital durch die Räume. Sie interessierte sich vor allem für meinen Speisezettel. Konfitüre fand sie unwiderstehlich. Ich verscheuchte sie. Sie kam zurück. Ich schlug nach ihr, ohne sie zu treffen. Es gelang mir nie. Allmählich kam es zu einer Koexistenz zwischen uns. Oder ist Kohabitation das rechte Wort?

Sie folgte mir von der Küche ins Wohnzimmer. Ich hörte Schuberts Vierte, und sie summte mir um die Stirn. Da ich Musik gewöhnlich nur mit Kopfhörer genieße, hörte ich sie nicht. Plötzlich fühlte ich sie an meiner Nasenwurzel. Ich bedeutete ihr, sich zu entfernen. Sie tat mir den Gefallen und erging sich zwischen den Zimmerpflanzen oder auf der Tischplatte.

Sie begleitete mich ins Schlafzimmer, unternahm Annäherungsversuche, als ich im Bett las. Wenn ich in der Nacht einmal die Lampe neben mir anknipste, entdeckte ich sie in der Nähe meiner Lagerstatt, an der Wand oder an der Zimmertür.

Es wurde noch herbstlicher, und wir gewöhnten uns immer mehr aneinander. Die Vorstellung, sie jedenfalls sei in ihre letzte Behausung übergesiedelt, begann mich zu beschäftigen. Hätte sie nicht längst tot sein müssen? Etwas wie Sympathie mit ihr und ihrem unausweichlichen Schicksal regte sich in mir. Ich verscheuchte sie nicht mehr, ließ sie auf meinen Händen und Armen krabbeln. Fliegen sind leichtfüßig. Sie kommen schnell voran, und dann verharren sie plötzlich lange an einem Punkt der Körperoberfläche. Ich registrierte es genau.

Wenn sie nicht zu mir kam, hielt ich nach ihr Ausschau. Sie wurde schwächer, müder. Ich kam auf die Idee, für sie zu sorgen. Bevor ich morgens zur Arbeit aufbrach, stellte ich ihr ein Glasschälchen mit Marmelade hin. Zwischenzeitlich erholte sie sich wieder, um dann noch schwächer zu werden. Sie verharrte jetzt die meiste Zeit an einem Punkt.

Sie hielt noch lange durch, weit über die ihr von der Natur bestimmte Zeit hinaus. Weihnachten war schon vorüber. Ob ich sie bis ins Frühjahr durchbringen würde? Aber mit einemmal war sie doch verschwunden. Soviel ich auch gesucht habe: Ich habe in jenem Winter nie eine tote Fliege bei mir finden können.

Nachricht senden Zitat
Seite: 1
[ - Beantworten - ] [ - Drucken - ]
Forum > Prosa > Die Fliege und ich


  Ähnliche Beiträge
Gestartet von
Antworten Letzter Beitrag
die fliege
Kenon
0 03.06.2021 um 00:08 Uhr
von Kenon


Sie möchten hier mitdiskutieren? Dann registrieren Sie sich bitte.




Buch-Rezensionen:
Anmelden
Benutzername

Passwort

Eingeloggt bleiben

Neu registrieren?
Passwort vergessen?

Neues aus dem Forum


Gedichte von Georg Trakl

Verweise
> Gedichtband Dunkelstunden
> Neue Gedichte: fahnenrost
> Kunstportal xarto.com
> New Eastern Europe
> Free Tibet
> Naturschutzbund





Das Fliegende Spaghettimonster

Ukraine | Anti-Literatur | Datenschutz | FAQ | Impressum | Rechtliches | Partnerseiten | Seite empfehlen | RSS

Systementwurf und -programmierung von zerovision.de

© 2001-2024 by Arne-Wigand Baganz

v_v3.53 erstellte diese Seite in 0.031694 sek.