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Literaturforum:
Ende der Geschichte(n)
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Autor
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Thema: Ende der Geschichte(n)
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LX.C
Mitglied
1770 Forenbeiträge seit dem 07.01.2005
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40. Antwort - Permalink - |
Abgeschickt am: 08.11.2006 um 13:46 Uhr |
[Quote]Ich suche nach der Form, die dem Leser/Menschen bedeutet, in welcher fließenden Schein-Realität er sich befindet - was keine Kritik an der Welt ist, sondern ihre Beschreibung; dieser Schein ist etwas neutrales, ein Faktum[/Quote]
Kann eine fließende Schein-Realität nicht auch nur, ich will nicht von Geschmacksurteil reden, aber ein rein subjektives Urteil sein? Wie kann Schein-Realität also ein neutrales Faktum sein?
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Thomas_Goergen
Mitglied
Forenbeitrag seit dem 07.01.2005
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41. Antwort - Permalink - |
Abgeschickt am: 08.11.2006 um 15:15 Uhr |
Ein schönes Beispiel für Schein-Realität :-) Deine zweite Frage setzt eine Antwort auf die erste voraus, um ("also") gestellt werden zu können. Du stellst sie aber ohne diese Voraussetzung. Ist dadurch jetzt die vorauszusetzende Antwort real geworden? Oder ist die Frage, wiewohl sie da steht, nicht real geworden?
Aber um die Frage 1 zu beantworten und wenigstens hier für Realität (eine Form davon) zu sorgen: Bis zu dem Punkt, wo es eine unbestrittene allgemeinverbindliche Definition von Realität gibt, die ihren Teilnehmern vollbewußt ist, ist wohl, was wir als real wahrnehmen, nicht real, also Schein-Realität. Sehr neutral, würd ich sagen.
Ist jetzt die 2. Frage noch real?
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LX.C
Mitglied
1770 Forenbeiträge seit dem 07.01.2005
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42. Antwort - Permalink - |
Abgeschickt am: 08.11.2006 um 15:26 Uhr |
Diese Nachricht wurde von LX.C um 15:26:43 am 08.11.2006 editiert
Denk dir das "also" weg. Frage 1 und Frage 2 zielen auf das selbe. Frage 2 ist keine Antwort auf Frage 1. Frage 2 soll Frage 1 konkretisieren.
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LX.C
Mitglied
1770 Forenbeiträge seit dem 07.01.2005
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43. Antwort - Permalink - |
Abgeschickt am: 08.11.2006 um 15:38 Uhr |
[Quote]Ist jetzt die 2. Frage noch real?[/Quote]
Ja, sehr real. Gibt es denn eine allgemeinverbindliche Definition von Realität? Sind nicht die Grenzen zur Schein-Realität fließend? Selbst eine intersubjektive Realität kann mit jedem hinzukommenden Subjekt in Frage gestellt werden. Ein neutrales Faktum ist für mich Realität / Schein-Realität also lange nicht.
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Thomas_Goergen
Mitglied
Forenbeitrag seit dem 07.01.2005
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44. Antwort - Permalink - |
Abgeschickt am: 08.11.2006 um 16:12 Uhr |
Ich versteh nicht - stört dich jetzt der Begriff "neutrales Faktum" - denn du sagst ja selbst, dass Realität in Frage stellbar ist - und das ist doch auch meine Annahme?
Was bedeutet diese Thematik für dich in Bezug auf die Frage nach Inhalt/Gestalt von Texten?
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LX.C
Mitglied
1770 Forenbeiträge seit dem 07.01.2005
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45. Antwort - Permalink - |
Abgeschickt am: 08.11.2006 um 18:31 Uhr |
Diese Nachricht wurde von LX.C um 18:33:07 am 08.11.2006 editiert
Mich stört gar nichts. Ich hab als neutraler stiller Teilhaber Eurer Diskussion lediglich eine Zwischenfrage gestellt, zu einem Punkt, auf den du hinaus willst, der mir nicht ganz klar ist.
Realität / Schein-Realität, die ein subjektives Urteil ist, kann aus meiner Sicht kein neutrales Faktum sein, ganz einfach. Daher fragte ich nach, um besser zu verstehen, weil sonst aus meiner Sicht deine Fragestellung nicht hinhaut und somit auch nichts mehr, wohin diese führt. Die Thematik im Bezug auf Inhalt und Gestalt scheint dir ja bedeutsam, mir bedeutet sie nichts. Wie Henry Miller schon sagte (einer meiner ältesten im Gedächtnis gebliebenen Lieblingszitate): Eine Geschichte bleibt eine Geschichte, ob sie nun auf einer Tatsache beruht oder auf Phantasie.
Aber vielleicht bist du ja auch der Meinung, ich habe dich nicht verstanden. Das ist eben das Kreuz mit den subjektiven Wahrnehmungen und Urteilen. Also lass dich in deinem Gedankenfluss nicht stören. Das ist natürlich nicht meine Absicht. Theoretisiert nur weiter.
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Thomas_Goergen
Mitglied
Forenbeitrag seit dem 07.01.2005
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46. Antwort - Permalink - |
Abgeschickt am: 08.11.2006 um 19:09 Uhr |
Aber du störst doch nicht. Ist löblich, dass du nachfragst.
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Gast873
Mitglied
1457 Forenbeiträge seit dem 22.06.2006
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47. Antwort - Permalink - |
Abgeschickt am: 08.11.2006 um 19:40 Uhr |
So, da ist ne Menge in der Zwischenzeit passiert. Nur ganz kurz im Voraus: den Begriff des "Erhabenen" stütze ich ganz klar und NUR auf Kant und Schopenhauer, sonst auf niemand, egal was andere dazu meinten. Daran soll sich aber niemand so aufhängen und stören. Ich werde eine Definition aus dem Kantischen Geiste hier abliefern.
Jetzt muss ich die Stellen gezwungenermaßen bei Kant und Schopenhauer genau nachlesen. Ich bitte um etwas Geduld und werde mich wieder nach der erfrischenden Lektüre melden.
Gruß
Hyperion
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Gast873
Mitglied
1457 Forenbeiträge seit dem 22.06.2006
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48. Antwort - Permalink - |
Abgeschickt am: 20.11.2006 um 22:17 Uhr |
Diese Nachricht wurde von Hyperion um 22:23:17 am 20.11.2006 editiert
Um der These, dass wir das Erhabene in der Kunst brauchen, mehr Fleisch auf die Knochen zu geben, schreibe ich nun folgenden Beitrag. Das Dispositiv der Kunst ist der Seele Erhabenheit. Mein Leben verwandelt sich dabei immer mehr in eine traurige Ballade, je mehr ich darüber nachdenke, was Philosophie in der Kunst, in der Lyrik zu suchen hat. Was ist mit Lebendigkeit eines Gedichtes gemeint, im Gegenteil zu toter Rede, wie etwa einer apologetischen Schrift, dies und mehr wird in der Folgezeit sich von alleine lösen, wie der Gordische Knoten, den wir irgendwann geistig zerschneiden werden. Dabei gefällt mir die Sokratische Rolle eines Fragenden besser, als die eines Allwissenden. Aber die Fragen sind nun mal an mich gestellt worden, ergo muss ich ihnen irgendwie gerecht zu werden versuchen. Dabei hoffe ich, dass wir den Antworten gemeinsam dialektisch näher kommen, als wenn ich monologisiere. Ich werde oft versuchen zu erklären, was „Philosophie-Dichtung“ alles nicht ist, um desto sicherer annähernd zu wissen, was sie ist. Zu deiner wichtigsten Frage zuerst Thomas:
Ad „Existenz der Dinge außerhalb der Sprache, der Zeichen“:
Es gibt eine Bezeichnung dafür, obschon das per se paradox erscheint und somit einen Regress nach sich zieht, dass es eine Welt außerhalb der Sprache gibt, unabhängig davon, wie wir sie sinnlich wahrnehmen. Kant bezeichnet sie als „Ding an sich“. Das müssen wir leider als gegeben setzen, um einen Anfang zu haben.
Ad Erhabenes:
1) Über das Erhabene von Mendelssohn „Phaedon oder über die Unsterblichkeit der Seele“:
Das Erhabene erhebt sich über die Sphäre der Vergänglichkeit und sensibler Wirklichkeit hinweg. „Ordnung, Uebereinstimmung, und Ebenmaß dienen ihm nicht nur zum vernünftigen Ergötzen, sondern beschäfftigen seine Gemüthskräfte alle in gehöriger und ihrer Vollkommenheit zuträglicher Harmonie.“
2) Kant: Einleitung in die Kritik der Urteilskraft
Sie enthält „die Kritik des Geschmacks (Beurteilungsvermögen des Schönen), zweitens die Kritik des Geistesgefühls, denn so nenne ich vorläufig das Vermögen, an Gegenständen eine Erhabenheit vorzustellen." ...
Kant setzt das Erhabene vom Schönen ab (langes ZITAT) „so daß das Schöne für die Darstellung eines unbestimmten Verstandesbegriffs, das Erhabene aber eines dergleichen Vernunftbegriffs genommen zu werden scheint. Also ist das Wohlgefallen dort mit der Vorstellung der Qualität, hier aber der Quantität verbunden. Auch ist das letztere der Art nach von dem ersteren Wohlgefallen gar sehr unterschieden: indem dieses (das Schöne) directe ein Gefühl der Beförderung des Lebens bei sich führt, und daher mit Reizen und einer spielenden Einbildungskraft vereinbar ist; jenes aber (das Gefühl des Erhabenen) eine Lust ist, welche nur indirecte entspringt, nämlich so, daß sie durch das Gefühl einer augenblicklichen Hemmung der Lebenskräfte und darauf sogleich folgenden desto starkem Ergießung derselben erzeugt wird, mithin als Rührung kein Spiel, sondern Ernst in der Beschäftigung der Einbildungskraft zu sein scheint. ... Der wichtigste und innere Unterschied aber des Erhabenen vom Schönen ist wohl dieser: daß, wenn wir, wie billig, hier zuvörderst nur das Erhabene an Naturobjekten in Betrachtung ziehen (das der Kunst wird nämlich immer auf die Bedingungen der Übereinstimmung mit der Natur eingeschränkt), die Naturschönheit (die selbständige) eine Zweckmäßigkeit in ihrer Form, wodurch der Gegenstand für unsere Urteilskraft gleichsam vorherbestimmt zu sein scheint,bei sich führe, und so an sich einen Gegenstand des Wohlgefallens ausmacht; statt dessen das, was in uns, ohne zu vernünfteln, bloß in der Auffassung, das Gefühl des Erhabenen erregt, der Form nach zwar zweckwidrig für unsere Urteilskraft, unangemessen unserm Darstellungsvermögen, und gleichsam gewalttätig für die Einbildungskraft erscheinen mag, aber dennoch nur um desto erhabener zu sein geurteilt wird.“
Ferner unterscheidet Kant beim Erhabenen das mathematische vom dynamsich Erhabenen, welcher das Schöne nicht bedarf. „Das Gefühl des Erhabenen ist eine mit der Beurteilung des Gegenstands verbundene Bewegung“ und Kontemplation. Der Begriff ist folglich primär nicht in der Natur zu suchen, sondern in unserem Vorstellungsvermögen. Es ist kein bloßes Gefühl des Schauderns und Fürchtens, das uns leitet, denn „wer sich fürchtet, kann über das Erhabene der Natur gar nicht urteilen“. ... „Kühne überhangende gleichsam drohende Felsen, am Himmel sich auftürmende Donnerwolken, mit Blitzen und Krachen einherziehend, Vulkane in ihrer ganzen zerstörenden Gewalt, Orkane mit ihrer zurückgelassenen Verwüstung, der grenzenlose Ozean, in Empörung gesetzt, ein hoher Wasserfall eines mächtigen Flusses u.d.gl. machen unser Vermögen zu widerstehen in Vergleichung mit ihrer Macht, zur unbedeutenden Kleinigkeit. Aber ihr Anblick wird nur um desto anziehender, je furchtbarer er ist“.
Man definiere also das Erhabene so, dass dessen Vorstellung unser Gemüt dazu bewegt, die Unerreichbarkeit der Natur als Darstellung der Ideen zu denken. Schopenhauer nennt das „Rührung“, wie das Kunstwerk in der attischen Tragödie. Die Tragödie also ist bei Schopenhauer, der seine Gedanken bei Kant geschult hat, das Erhabene mit all seinen Schrecken.
Die anderen unklaren und strittigen und der Klärung bedürftigen Punkte werden noch sukzessive herausgeschliffen, hoffe ich. Das war nur eine kurze Antwort von mir, da ich immer noch über dieses Thema sehr viel nachdenke und nachdenken muss.
Schönen Gruß
Hyperion
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Gast873
Mitglied
1457 Forenbeiträge seit dem 22.06.2006
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49. Antwort - Permalink - |
Abgeschickt am: 26.11.2006 um 22:39 Uhr |
Am Freitag war in Tübingen die Poetik-Dozentur mit Peter Esterhazy zu Ende gegangen. In der Vorlesung hat er Folgendes gesagt:
"Die Sprache des 21. Jahrhunderts muss die Heiterkeit Goethes, die Klarheit Kants und die Diplomatie von Joschka Fischer wieder gewinnen und herstellen."
Starke Behauptung, wie ich finde.
Gruß
Hyperion
P.S.
Das Motto des Würther-Wettbewerbes wurde auch bekanntgegeben: "Kuttelkompromiß" (mit scharfem ß zum Schluss geschrieben, weil er das Scharfe mag)
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