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Literaturforum:
Paul Gratzik: Kutte mit Löchern
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Autor
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Thema: Paul Gratzik: Kutte mit Löchern
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Kenon
Mitglied
1482 Forenbeiträge seit dem 02.07.2001
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10. Antwort - Permalink - |
Abgeschickt am: 12.02.2022 um 12:26 Uhr |
Ja, die Schlafzimmer- und Restaurantszene sind sicherlich die Highlights des Buches. Im Restaurant scheint es mir vor allem um die Kritik am Service-Verständnis und allgemein an den jämmerlichen Zuständen in der DDR zu gehen; die menschliche Gesellschaft, die Kohlenkutte bekommt, mildert sie etwas.
Hier noch der Link zum nd-Artikel:
https://www.nd-aktuell.de/artikel/1091819.endlich-geheimtipp.html
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ArnoAbendschoen
Mitglied
718 Forenbeiträge seit dem 02.05.2010
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11. Antwort - Permalink - |
Abgeschickt am: 19.02.2022 um 17:58 Uhr |
Roman ausgelesen, fasse den Gesamteindruck zusammen. Lektüre war anregend, den Horizont rückwärts erweiternd und nicht immer ganz einfach. Letzteres liegt daran, dass einem da viel aus dem Innenleben einer Gesellschaft vorgeführt wird, die es seit Jahrzehnten nicht mehr gibt. Das Buch ist gewiss für DDR-Zeitgenossen geschrieben, ungeachtet seines Erscheinens in West-Berlin. Wahrscheinlich sind viele Ausdrücke oder Anspielungen für diese auf Anhieb verständlich gewesen, für uns Heutige oft nicht oder nur mit Mühe. Warum zum Beispiel sagt auf Bl. 181 einer, nachdem er von Polizisten zusammengeschlagen: "Alles Pack von Helsinki."? Ich löse auch jenes Rätsel nicht, wie man denn von einer Fabrik in Schöneweide auf eine grüne Insel in der Spree schauen kann (S. 111). Man müsste auch viel mehr vom Tischlerhandwerk verstehen ... Was sind "Spannungsringe"? Es fallen so viele technische Ausdrücke und werden so viele Arbeitsvorgänge im Werk beschrieben, dass man den Roman für einen für den "Bitterfelder Weg" typischen halten möchte. Aber er ist viel mehr, erzählt zwar streng chronologisch, doch kann man die einzelnen Abschnitte mit ihren langen, oft wenig realistischen Dialogen als eine Kette von neoexpressionistischen Theaterszenen auffassen. Für mich Heutigen, im Westen Sozialisierten ist oft gar nicht zu entscheiden, wo in diesen Dialogen noch Alltagssprache von damals ist und wo die kunstvolle Theatersprache à la Brecht und Heiner Müller beginnt.
Was die Tendenz angeht, so neige ich zur Auffassung von Rolf Schneider (s. Link oben), der in Rodschinka einen Kleinbürger-Anarchisten sehen wollte. Das trifft ebenso auf die Tischlerkollegen in Berlin zu, bei denen Rodschinka Anschluss findet und Gemeinschaft erlebt. Dagegen ist mir Schneiders Unverständnis, warum der Roman damals nicht in der DDR erscheinen konnte, selbst unverständlich. Er weist eine Fülle von systemkritischen Details auf, insbesondere stellt er die Gesellschaft dort als eine Art neue Klassengesellschaft dar. Er thematisiert und kritisiert das Lohn- und Prämiensystem. Und er spricht nebenbei u.a. an: die Mauer, Flucht, verweigerte Ausreise, Versorgungsprobleme, Schiebereien. Einen anderen Grund konnte Schneider wohl nicht wissen: Gratziks kürzlicher Bruch mit der Stasi.
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ArnoAbendschoen
Mitglied
718 Forenbeiträge seit dem 02.05.2010
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12. Antwort - Permalink - |
Abgeschickt am: 19.02.2022 um 18:50 Uhr |
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