In roten Boxershorts stehe ich im Stadtzentrum auf einem Podest und grüße die vorübergehenden Indios.
Von den Sachen, die man auf einer Hochzeit anhaben sollte, besaß ich NICHTS, weshalb ich mich mit meiner Lehrerin Adriana auf einen Markt begab, wo wir für 180 Rubel Hosen für mich kauften. Eine Cholita(Indiofrau) bedeckte meinen Körper mit einem an einem langen Stock befestigten Laken, damit ich, auf dem Podest der Straßenecke zugewendet, mich meiner Jeans entledigen und die Hosen anprobierten konnte. Dabei lächelte ich und grüßte aus meiner Deckung heraus mit freudigen Gesten die Passanten. Einer von ihnen winkte mir mit der Hand zu, ein Anderer fing an zu lachen. Lustig. Auf mein Drängen hin blieb Adriana weiter an meiner Seite, und wir brachten die gekauften Hosen zum Kürzen und Einnähen. Schon einen Tag zuvor wollte ich passende Schuhe besorgen, kaufte aber aus irgendeinem Grund Turnschuhe. In meiner Größe gab es keine richtigen Schuhe. Ich verabschiedete mich von Adriana und tauschte Geld, womit meine Vorbereitungen zu der Hochzeit, die in dem Städtchen Cochabamba stattfinden sollte, beendet waren.
In der zweiten Hälfte des darauffolgenden Tages traf ich mich mit Fabrizio und irrte mit ihm eine geschlagene Stunde auf dem Markt umher: Wir suchten den Platz wo meine eingenähten Hosen sein sollten. Armseligerweise blieb aber keine andere Wahl, als meine Lehrerin anzurufen, deren Erklärungen Fabrizio halfen, mich zum Schneider zu bringen. Unterwegs kauften wir ein Hemd mexikanischer Produktion und fanden die Verwandten meines Freundes, die sich als Händler erwiesen und uns einen Reiskochtopf verkauften. Nur ungern trennte sich Fabrizio von einer bescheidenen Geldsumme als Anteil für das Geschenk. Danach tranken wir irgendetwas Fruchtiges in einem Cafe und trennten uns, um uns um 10 Uhr abends auf dem Platz San Francisco neben der Kathedrale wieder zu treffen.
Ich kam ein bißchen früher zum Treffpunkt. Es war dunkel und unheimlich, denn die Anti-Gringo-Demonstrationen und Stimmungen nahmen an Fahrt auf, und auf dem Platz selbst tanzten verdächtig Frauen in Frauenkleidern. Den Rat von Fabri befolgend, auf ihn irgendwo drinnen zu warten, drückte ich ohne zu zögern meinen Rucksack an die Brust und schlenderte durch die überflutete Prado Avenue auf der Suche nach einer Räumlichkeit. Das POLLO FRITO JA JA JA war das erstbeste und wie mir schien, äußerst lokale Etablissement. Ich schaffte es dann auch nicht, in Erfahrung zu bringen, ob sie Bier hatten, und auf mein Gebrüll „serveca, serveca!“ überhäufte mich die Frau an der Kasse mit einem Berg von Fragen, von denen ich gleich mal keine einzige verstand. Es galt also das Bier zu vergessen und sich auf das Essen zu konzentrieren. Das einzige was ich zustande brachte war das Zeigen auf ein gezeichnetes Huhn in der Speisekarte. Die Frau türmte weiter Wörter vor mir auf, und ich ergab mich mit einem Schrei der Verzweiflung.
„Spricht hier irgend jemand Englisch?“
Die Essenden sahen sich nach mir um, aber zum Glück schubste ein betrunkener Mann aus der Schlange, die sich hinter mir gebildet hatte, seine weibliche Begleitung nach vorn zu mir, und sie erklärte mir die Standardphrasen:“mit Kartoffeln oder ohne.“, „hier oder auf der Straße.“, „was werden Sie trinken.“. Hinter mein Tischchen setzte ich mich schon als ein kleiner Star, und während ich einen Knochen abnagte und über den Streit mir meiner Freundin nachdachte, betrachteten die Leute mit Neugier, kein Zweifel, meine finstere Gringogestalt. Únd was ist, wenn es für uns zusammen hier schlecht läuft…? Und was ist wenn es einem von uns schlecht geht… zum Beispiel mir…Und was ist, wenn sie nicht kommt…Was mache ich dann überhaupt hier? Zurückkehren? Immerhin bin ich in Bolivien…Wo Jegor? In Bolivien … So saß ich also da, stocherte niedergeschlagen mit den Kartoffeln in der Salsa herum. Als Fabrizio anrief, schlüpfte ich erneut in die Rolle eines Clowns. Der Empfang war gestört und auf seine Frage wo ich sei, musste ich fast schreien.
„Polljo Frito Ja Ja Ja, verstehst du?“
„Schlechte Verbindung mein Freund.“ - verstand er mich nicht.
„Ja ja ja, Poljo Frito!!!!“
Die Leute lachten, und vor Verlegenheit und zusammengebrochenem Ehrgefühl lachte auch ich.
Es stellte sich heraus, dass der Name des Etablissements sich liest wie Poljo Frito Cha Cha Cha, was übersetzt heisst GEGRILLTES HUHN HA HA HA. So ein Name war das also. Zu mir kam ein Obdachloser und bat um Geld, und danach kam ein Mann mit nicht minder abstoßendem Äußeren, um Kaugummis zu verkaufen.
Wie im Rostix am Bjelorusski: Obdachlose, Hühnchen, …
Zum Busbahnhof fuhren wir in einem Kleinbuslinientaxi, dessen Alter im Moment der Fahrt mindestens 60 Jahre betrug. Am Eingang keinerlei ASKPs oder Drehkreuze, man gibt dem Fahrer einfach einen Boliviano(4 Rubel). Ein Schwarzfahrer in Managerklamotten wurde zurückgeschickt und zum Bezahlen gezwungen. Ebenso bat der Fahrer einen Passagier sich neben ihn zu setzen, um irgendeiner Alten dafür Platz zu machen. Nur langsam setzte sich der alte Bus in Bewegung. Für alle ist es eng, aber keiner stört sich dran. Kommunismus.
In einer Straße nahe am Bahnhof rauchten wir unter einer Laterne auf einer Bank und warteten auf die Verwandten. Ich sang Fabri kubanische Lieder und schaute auf das Meer orangener und hellblauer Flammen auf den uns umringenden Bergen. Die Verwandten trafen ein, wie mir schien eine ganze Armee, mit Schachteln und Taschen beladen. Die Küsse und das Händeschütteln dauerten noch an bis wir zum Terminal getrottet waren, den Durchgang bezahlt hatten, und die Sachen in den Gepäckraum geladen hatten. Im Bus teilten sich die Verwandten in Abreisende und Mitfahrende auf. Küsse, Händeschütteln, sogar „Glückliche Reise!“ auf Russisch gab es. Sehr angenehme Leute waren das. Man druckte für mich ein Fahrkarte aus – mein einziges Dokument für diese Reise. Es ging los. Es war der geilste Bus den ich je sah: mit einer speziellen Plattform fuer die Beine. Er fuhr durch das nächtliche Bolivien und linkerseits sah man einen Ozean voller Feuer - meine neue Stadt mit dem Namen FRIEDEN(La Paz). An einer Haltestelle kaufte und saugte ich eine kleine Pfeife Mate de Coca, in einer gewöhnlichen Tüte verpackt, hörte einen Bettler singen, und bat Fabri, mir dessen unansehnliche Lieder zu übersetzen: „und du und ich gehen und gehen wie Mond und Sonne nebeneinander her, doch können nicht zusammen sein.“ Der Bettler wurde entfernt, der Motor wurde angelassen, die Federn bogen sich. Ich deckte mich zu mit einer Hälfte der Reisedecke des neben mir sitzenden Fabri, zog die Kapuze herunter, lehnte mich zurück, schloss die Augen … da fing auf einmal irgendwo hinten ein Kind an zu schreien. Wir fuhren und fuhren, und es schrie und schrie. Jemand fluchte laut, aber es hörte nicht auf. Den Bus schüttelte es manchmal, und ich fürchtete mich sehr, dass wir hinunter in den Abgrund stürzen, und ab und an war ich mir fast sicher, dass der Fall schon begonnen hatte. Aber dann wurde mir klar, dass es nur ein Traum war.
Cochabamba begann mit einem dreckigen Bahnhofsnebenplatz und der Cholita Franzesca, die uns begrüßte. Erst hier bemerkte ich die Verwandten Fabrizios genauer: ein kleines Mädchen mit fast Schlitzaugen, ein großes Mädchen mit regenbogenfarbenen Handschuhen, und noch zwei Frauen. Da standen wir also. Ich sah mich um in der Hoffnung einen Papagei zu erblicken und neben uns spielte ein Händler irgendwas auf einer Mundharmonika. Eine gute Reklame: du handelst mit Kaugummi und bläst sie in die Mundharmonika. Keine Papageien weit und breit.
„In Cochabamba gibt es einen Kult des Essens.“ – ließ Fabrizio mich wissen.- „Alle essen sehr viel. Und auch wir werden uns hier den Wanst vollschlagen. Und ein Trinkgelage wird fällig.“ Wir zogen an die Straße um ein Taxi anzuhalten, wobei sich herausstellte, dass es hier wegen der Blockade in Santa Cruz zu wenig Benzin gab, und Taxis, erstens, nicht weit fahren, und, zweitens, ihre Preise verdreifacht hatten. Wir mussten auch eben mal ziemlich weit, aber nachdem ein paar Autos abgelehnt hatten, nahm uns jemand mit, und fuhr uns durch eine mehr schlecht als recht einstöckig gebaute Stadt, die mich sehr an Taganrog erinnerte.
Wir waren in eine unansehnliche Feriensiedlung abgebogen, hielten vor einer tiefen Pfütze, und der Fahrer lehnte es ab, weiter zu fahren. Links neben dem kleinen Sumpf weidete trostlos eine abgemagerte Kuh, in den Bäumen zwitscherten kleine Vögelchen(natürlich keine Papageien). Die Pforte des Hauses öffnete eine weitere Tante, die alle nach hiesigem Brauch auf die Wange küssten, und ich befand mich in einem einfachen Garten. Die Frauen gingen ins Haus, dessen Architektur einer Kolonialtruhe in zweistöckiger Ausführung ähnelte. Fabrizio und ich blieben draußen um zu rauchen und uns umzuschauen. Die Sonne schien, und es war angenehm warm. Es roch nach Dorf. Die Stadt des ewigen Frühlings. Das ganze Jahr über Sonne. Sachen sind das … das, was ich als Klette ausmachte und mein Freund als Bananentrieb, erwies sich von der entgegengesetzten Seite als Lotosblume. Nicht weit weg stand ein Strauch mit sich biegenden Zweigen voller Zitronen. Ein in Lumpen gehangener Hund mit verschiedenfarbigen Augen kam zu uns, wedelte mit dem Schwanz, und schaute uns an.
„Wie heißt du, Hund?“ – fragte ich.
„Er heißt Hitler.“ – sagte Fabri.
„Hitler?“ – fragte ich verwirrt – „Wieso denn Hitler?“
„Weil er böse ist und hässlich.“
„Und gibt’s auch einen Göbbels?“
„Nein. Der andere Hund heißt Madonna.“
„Kein schlechter Dualismus. Na dann, Sieg Heil, Hitler.“
Wir öffneten eine breite Glastür, und mir fiel auf, dass auf den Geländern der zweiten Etage, die sich über denen der ersten Etage entlang erstreckten, Kindersachen trockneten. Kein Hauch von Luxus. Vielmehr glich es entweder einem großen alten Wochenendhaus, oder aber einem beschlagnahmten Haus eines kleineren Gutsherrn, das dann an eine Kommunalka übergeben wurde. Vertrocknete Mistelkränze noch von Weihnachten, Bänder mit den amerikanischen Farben, vergilbte Fotos, eine auf Amerika zentrierte Weltkarte noch aus Sowjetzeiten, auf dem Boden Schüsseln, Spielzeuge, auf den Couches zerknitterte Decken und sich in ihnen herumwälzende Kinder. In einem guten Fernseher liefen Trickfilme, die Hifi-Anlage schwieg. Man rief uns in die Küche, und ich hielt den Atem an in Erwartung des Esskults. Auf einem Tisch wartete auf uns ein Krug mit Tee, ein Paket mit warmen, fade schmeckenden Bulotschkis, und in Scheiben geschnittener, gesalzener Käse zur Selbstbedienung für alle. „Brot des Krieges“ – nannten sie das Brot, und ich aß noch eins. Parabellum. Für den Fall, dass der Esskult so weitergehen sollte.
Nachdem wir Frühstück gegessen hatten, machten wir uns auf den Weg zu einem gewissen Onkel Viktor, dessen Haus hinter einem Zaun an einer Klinik lag, auf deren Wände überzeugend mit Farbe geschrieben war: La Clinica de Victor Arana. Oder etwas anders, aber mit dieser Bedeutung. Im Hof liefen zwei Chauchau-Hunde geschäftig hin und her, und sprangen uns an. Einer hieß JUCHA, und der andere war weiß und sah aus wie eine Mischung aus Schaf und Hund. Das Haus war, wie das davor, ja und auch wie meins in Moskau, zugeschüttet mit allem möglichen Zeug, Medikamenten, Souvenirs, Schachteln. Neben den vielen Couches, auf die wir uns auch setzten, ruhte eine Windschutzscheibe. Onkel Viktor, ein voller Mann mit tiefer Stimme, begrüßte uns aufs Herzlichste, während seine Frau an alle die wollten Pepsi Cola verteilte. Weil ich aber bis jetzt eine kleine Flasche Cola bei mir trug, die ich noch vor der Abfahrt in La Paz gekauft hatte, schien es mir dumm jetzt noch ein Glas zu nehmen. Aber als klar wurde, dass der Onkel Geburtstag hatte, und man anfing die Pepsi mit Feuerwasser zu mischen, opferte ich meine kleine Flasche zu Ehren des Onkels mit ein paar Worten von Felis Kumpleanos. Alle waren gerührt ob meiner Belesenheit und Güte. Ich selbst war zufrieden, lachte, und freute mich.
Auf der Straße machte mir Fabri klar, dass nicht der Onkel heute Geburtstag hatte, sondern das Mädchen mit den regenbogenfarbenen Handschuhen. Ich korrigierte meinen Fehler, und wir gingen, uns über die Fülle an Hunden auf den Straßen wundernd, durch das sonnige und staubige Cochabamba. Das Zentrum für die Planung der Geburtenrate passierend, das sich äußerlich nicht von einem Schuppen aus Beton unterschied, und danach die mehretagige Veterinärstation in glänzendem blaufarbenem Glas, verblüffte mich diese Unverhältnismäßigkeit.
„Mensch, weil es hier mehr Hunde gibt als Menschen!“ – antworte Fabrizio.
„Und weil die Männer wie Rüden auch zum Veterinär gehen.“ – fügte seine Schwester hinzu, die ich ihrer geringen Körpergröße, des Alters(18 Jahre), und des schwierigen Namens wegen, LA PEKENJA(Kleine) nannte. Mädchen mit dem gleichen Namen, aber etwas gewaltigeren Formen, nannte ich LA GRANDE(Große).
Einen Glasverkauf passierend, hielten meine Freunde an, um sich mit ein paar Verwandten zu unterhalten.
„Haltet wenigstens ein Auto an.“ – sagte einer von ihnen. – „Sonst denkt er(ich) noch, dass wir hier auf Eseln reiten.“
Danach fragte Fabrizio mich dreimal, ob ich nicht mit dem Auto fahren möchte. Ich beruhigte ihn, und kurz darauf gelangten wir ans Haus. Es zeigte sich, dass der Zaun des kleinen Grundstücks an die Ziegelwand einer Volleyballhalle grenzt, die somit auch Familieneigentum ist. Außer Volleyball bot man uns Squash an, aber wir begnügten uns mit Ball und Netz. Eine der Wände war aus Glas, und anfangs fand ich es schrecklich, wie der Ball da widerhallend aufschlug. Aber dann klappte es, von fünf Partien verlor meine Mannschaft alle, außer einer, und durch den Garten kehrten wir in die Küche zurück, wo wir anfingen uns mit Pekenja über Frauen und Männer zu unterhalten. Heraus kam, dass Sex vor der Ehe und sogar die bürgerliche Ehe für sie eine Sünde sind und unakzeptabel. Und wenn Hochzeit, dann erst nach vier Jahren Bekanntschaft und Freundschaft. Weil, „Wenn du nicht jemanden an der Gurgel packst, wird dich jemand dort packen und zudrücken.“ So ein gehässiges kleines Ding. Als ich sagte, dass ich im Alter von 18 bis 20 Jahren bürgerlich verheiratet war, sah sie mich wie einen Aussätzigen an und fragte, ob ich denn überhaupt Apfelsinen schälen kann. Bis heute weiß ich nicht, wozu das gut sein sollte. Nachdem ich geduscht hatte, wurde ich zur verdienten Entspannung entlassen. Meine stille Stunde verging in einem mit Spielzeug und Lumpen vollgestopften Zimmer mit einer in der Ecke an einem Stock aufgewickelten, riesigen bolivianischen Flagge.
Nach einer halben Stunde Ruhe anstelle eines kultigen Mittagessens wurden wir mit unserer Hühnchen-Kartoffelsuppe fertig, und fuhren uns das Christus-Denkmal anschauen. Man muß sagen, dass alle Bolivianer sich das Gesicht mit Sonnenkreme einschmierten, und mir das Gleiche rieten. Ich verstimmte ein wenig und kam dem Rat träge nach. Zu Jesus gingen wir von irgendeiner demolierten Kreuzung mit einem zerfetzten Reklameschild, vorbei an Palmen, Wolkenkratzern, und wunderlichen violetten Bäumen. Ich soll einen wegflatternden Papagei gesehen haben, aber ehrlich gesagt, habe ich ihn gar nicht wahrgenommen: der Unwürdige verbarg sich im Geäst. Auf den Berg fuhren wir mit einer wunderschönen Drahtseilbahn, begafften das beeindruckende Panorama, kletterten in den Chistus hinein, und ich fotografierte seine Achselhöhle und das Loch an der Stelle, wo ungefähr das Herz ist. Auf dem Weg nach unten erfreute ich mich der Beliebtheit bei Mädchen, die mich aus der Nachbarkabine fotografierten, deren Interesse an mir jedoch erst wieder aufkam, als sie meine Visage im vorbeifahrenden Auto erblickten. Sie winkten mir zu und freuten sich. Fabrizio beschimpfte sie fürchterlich in russischem Mat. Suki, Blja, usw…
Nach Hause zurückgekehrt begannen wir uns weltlich umzuziehen, und aus Mangel an Schuhen putzte ich meine alten Wanderbotten mit ein paar Brocken vertrockneter Kreme. Behangen mit Hemd, Schlips, und Jacket, das die Mutter meines Freundes aus den USA geschickt hatte, machte ich die eingenähten Hosen vom Markt zu, stülpte die alten Botten über, und erschien vor Fabrizio.
„Jetzt siehst du aus wie ein echter Russe. – sagte er zu mir. „Ohne Anzug merkt man es nicht so. Aber jetzt sieht man es sofort. Ein Russe.“
Ich beschloß, nicht gekränkt zu sein. Auf der Außentreppe machten wir Fotos von uns Männern, einschließlich eines Franzosen, der hierher gekommen war, um Hochzeit zu halten mit noch einer Verwandten aus Fabrizios Legion, nur dass die Braut wegen all der Blockaden irgendwo, keiner wußte wo – mal in Sao Paulo, mal in Santa Cruz – stecken geblieben war.
Schmuck gekleidet gingen wir durch die steinigen ländlichen Straßen, und der Wind wirbelte Staub auf und zerzauste unsere Schlipse. Zeitgleich mit dem Aufgang des Mondes ging die Sonne unter, und die Berge schimmerten in den Strahlen des beißenden Himmelslichts.
Die Kirche war groß und katholisch. Einprägsam waren energiesparende Glühbirnenspiralen anstelle von Kerzen, sowie ein Haufen Lautsprecher, aus denen das Wort Gottes auf Spanisch verkündet wurde. Ich sah, dass ich auf der Matritze des Fotoapparats einen kaputten Pixel hatte und war untröstlich, bis alle anfingen aufzustehen, sich zu setzen, und erneut aufzustehen.
Gott nennen sie SENOR… Als die zu Vermählenden begannen, sich auf ihr Einverständnis Mann und Frau zu werden vorzubereiten, bekam ich Angst, dass ich eines Tages das Gleiche mitmachen muss. Wie versteinert übersetzte ich in Gedanken vom Spanischen ins Russische folgendermaßen:
„Bist du, Name, einverstanden, deinen Ehegatten zu verachten, öffentlich wie im Geheimen? Allen von seinen Unzulänglichkeiten zu erzählen, von den wirklichen und von den erdachten? Auf seinem Hals zu hängen, fett zu werden, und ihn zu hassen dafür, dass er das Brot nach Hause bringt, besonders wenn es wenig ist? Ihm das Leben zu vergräueln in Trauer, wie in Freude? Ihm nicht nur einmal untreu zu sein, und das aus Trotz, und im Suff, und vom Nichtstun?“
„Ja.“ – antwortete die Frau laut und entschlossen.
„Bist du, Name, einverstanden, in Faulheit auf Arbeit und in Einsamkeit zu Hause zu leben? Alle Weiber zu begehren, außer der Ehefrau und den Tuberkulosekranken? Das Kreuz des Lebens mit einer bösen dicken Frau auf dich zu laden und ihre Gemeinheit mit Gleichgültigkeit zu vergelten bis ans Ende deiner Tage? Verschwinden im Abgrund der Sehnsucht und der Verzweiflung in der familiären Müllgrube?“
„Ja.“ – antworteten sie Gott.
„Ich erkläre euch zu Mann und Frau.“
Anstatt des Marsches von Mendelsson erklang eine Orgelmelodie. „YESTERDAY“ BEATLES. Ein Lied darüber wie schön es gestern war, und wie schlecht es heute ist. Einfach wunderbar…Alle standen. Neben mir war eine Frau aus La Paz, die ich für eine Verwandte des Mannes hielt, weil ich mit ihr fast kein Wort redete: eine schon schmerzhaft schreckliche Frau. Ein garstiges Gesicht, Hängetitten, einen Hintern wie Sülze in einen Lappen eingewickelt. Sie war jedoch die einzige, die Englisch sprach. Und als sie es übernahm meine Hemden und Hosen zu bügeln, ging die Abscheu weg, und es wurde klar, dass sie hier niemand war, nur eine Bekannte, wie ich.
Also, wo sie schon mit mir auf einer Bank in der Kirche saß, nahm sie meine Hand! WHAT THE FUCK??? – sah ich sie mit fragenden Augen an und erfuhr von ihr, dass man sich beim Gebet an die Hände faßt, um Einheit zu schaffen. Ich fand mich ab mit ihrer warmen Handfläche und schaute mich um. Einige Leute setzen sich, wie ich sah, absichtlich an die Seite, damit sie nicht mit Unbekannten Händchen halten müssen. Und sowieso wird sich nicht überall an den Händen gehalten, nur in bestimmten Bereichen. In Reih und Glied. Schlimmer war, dass man sich danach noch umarmen und küssen muss. Es ist schon schlimm, nicht denjenigen zu umarmen oder irgendwohin zu küssen. Mit Hängen und Würgen war es aber machbar. Der traurige Mann und das Mannsweib gingen aus der Kirche heraus, ich bestreute neben ihnen die Luft mit zerschnittenem Papier und ergötzte mich an komikhaften Männern mit Sombrero und Pfeife. Sie spielten lustige Musik, freuten sich aber irgendwie nicht. Ich dachte nach und beschloss, nicht weiter in der Reihe der Gratulanten zu stehen, sondern abzuwarten. Ich fotografierte dafür bettelnde Kinder und feierlich gekleidete Frauen.
Zum Restaurant gingen wir zu fuß, und unterwegs sah ich einen auf der Straße liegenden obdachlosen Jungen. Fabri sagte, dass wenn man ihn anspricht und fotografiert, er Rasierklingen ins Gesicht spucken kann. Er saugt sich die Rasierklingen hinter die Wange, und speit sie Feinden entgegen.
Der Bankettsaal im Restaurant war noch in Vorbereitung. Alle setzten sich an die Tische, und Bedienstete brachten Chips. Ein Lifeensemble stimmte seine Instrumente. Uns sagte man, dass es in zwei Stunden Essen geben würde. Fabri und ich beschlossen nicht zu warten und gingen ins Cafe für Arme. Das ist eine Räumlichkeit mit herunterhängendem Putz, trübem Licht, schmutzigen Tischen. An einer zerrissenen, ekelerregenden Gardine stand eine fettige Herdplatte, an der eine Alte bestimmt schon 50 Jahre Speisen zubereitet. Am Telefon schaltete ich russische Musik ein, wir aßen das schlechte Essen, und kehrten auf die Hochzeit zurück.
Dort klammerten Standesbeamte an die unglücklichen Verliebten das Gesetzesjoch der bürgerlichen Sklaverei. Danach fing man an, Essen und Getränke auszugeben. Anstelle von Champagner in Gläsern plätscherte ein gelbes alkoholisches Getränk, dazu gab es trockenes Brot. Dann tanzten Braut und Bräutigam einen Tanz. Dann mit den Eltern. Dann noch mit irgendjemandem. Insgesamt wurde 40 Minuten getanzt, und alle gerieten in eine stille Entrüstung darüber, weil man eigentlich schon lange was fressen wollte. Endlich wurde heiß aufgetragen: Reis, Huhn, ein Stückchen Tomate, eine Gurkenscheibe, … ich aß ein Scheibchen und verstand nicht gleich, dass es sich um den Hinterteil des berühmten Chillipfeffers handelte. Ich weinte, hustete, errötete, versuchte etwas hinterherzuessen und zu trinken. Alle schauten, lachten, rieten mir Reis zu essen. Es war richtig schlecht und das ziemlich lange. Dann, als ich mir die Teller der anderen ansah, verstand ich, dass ich echt Pech gehabt hatte. Sie beißen vom Pfeffer nur ein kleines Stückchen ab oder lassen ihn ganz liegen. Ich hatte den ganzen auf einmal gefressen.
Der Pfeffer war der krasseste Eindruck bis die Tänze anfingen. Ganz plötzlich polterte und pfiff das Orchester los, die Leute befüllten die Tanzfläche. Sie tanzten im Kolonialstil, in zwei Reihen: Jungen und Mädchen gegenüber. Die Musik eher langsam, Schritt vor, Schritt zurück. Danach zu urteilen, wie sie mich anschauten, sind europäische Bewegungen hier eine wunderbare Seltenheit. Übrigens versaue ich unfehlbar jeden beliebigen Tanz. Meine Tänze, das sind die Tänze von Gollum. Und das Volk verstreute sich, und es begannen Tänze mit Servietten anstelle von Tüchern im Stil: wir säen, wir mähen. Es roch nach russischem Geist. Ich mähte und säte mit äußerstem Eifer – die Heimat immerhin… Es wurde viel getrunken, es gab rote und weiße Spirituosen und auch Bier. Rotes wurde mit Cola verdünnt, Weißes mit Sprite. Und weiter wurde getanzt. Eijeijei! Es kam ein riesiger Indio, größer als ich, und ich taufte ihn sofort Häuptling. Der Häuptling mähte nicht so kindermäßig, warf die Knie durch die Luft, drehte sich wie ein Kreisel, hantierte mit Messern mit unglaublicher Behändigkeit. Besonders erhitzten sein Gemüt solche hier selten vorkommenden Melodien wie YMCA und Rocknroll. Zum Abschluß einer solchen, die er unverkennbar sehr liebgewonnen hatte, sprang er auf einen Tisch und fiel mit diesem zusammen um.
Die Hochzeit dröhnte… niemand johlte, dafür warf man den Hochzeitsstrauß und fing das Strumpfband. Das Strumpfband wollte ich auch fangen, was mir nicht gelang, aber ich unterhielt mich in der Gruppe der Fänger mit irgendeinem Weißhäutigem. Das Strumpfband flog sowieso nicht bis zu mir, und ich ging auf die Toilette, wo mein Nachbar an der Pißrinne mich fragte, ob ich nicht Deutscher sei. Was hat nur diese Vermutung in ihm hervorgerufen? Wahrscheinlich meine Methodenhaftigkeit.
Die Band wurde abgelöst von MARIATSCHI: traurige Leute in großen Sombreros und bunten Kostümen. Mit bedrückten Gesichtern spielten sie lustige Musik, und die Hitze hielt ziemlich lange an. Ich bestellte mir einen Kringel und befeuchtete erneut meine Kehle, bevor Fabri nicht zum Abzug blies. An dieser Stelle tauchte der Häuptling auf, schüttelte mir die Hand, und tätschelte mir ein paar Mal mit seinen hühnehaften, rauhen Handflächen meine Wangen. Ich war geschmeichelt. Am Ende stellte man mich dem Brautpaar vor, wir ließen uns fotografieren, küssten und verabschiedeten uns, setzten uns in ein Taxi und fuhren in die schon genannte Klinik zurück. Dort wartete auf Fabri und mich ein Zimmer mit zwei hohen Krankenbetten, in deren einem ich am nächsten Morgen aufwachte.
Im Haus von Onkel Viktor gab es für uns zum Frühstück eine einfache Suppe: Kartoffeln, ein Stück Huhn, Streifen von irgendeinem Fleisch. Das Fleisch machte mich stutzig und ich gab es unbemerkt zu Fabrizio hinüber. Das Gespräch drehte sich um irgendeine Pflanze, deren ganzer Familienstammbaum von Ärzten untersucht wird. Sie hat die Fähigkeit, alle Krankheiten zu heilen und ist unikat. Der dickliche Onkel Viktor fliegt durch die ganze Welt, besucht Konferenzen, und hält Vorträge über sein Wunderkraut. Mitgerissen durch die Erzählungen, brachte er Fotos der Arznei der Zukunft. Sanddorn. Onkel Viktor freute sich sehr über mein Wissen, bat mich, dieses schwierige Wort sowohl in kyrillischer als auch in lateinischer Schrift aufzuschrieben, und war im Gegenzug so freundlich, sich meinen Rachen anzuschauen. Es ist ein komisches Gefühl als der Pfannkuchen Onkel Viktor sein fetttriefendes Süppchen aufißt, auf den Hof seiner Behausung hinausgeht, sein anderes Haus betritt … Und schon ist er der Chefarzt im schneeweißen Kittel, ein lieber und mächtiger Äskulap in Wolkenschlössern. Er stellte mir eine Überweisung aus, wir gaben uns die Hände, und ich machte mich mit Fabri auf den Weg zurück in unser Haus. Schon bald versammelten sich dort die zu erwartenden Leute, aber schon mit dem Bräutigam an der Spitze. Wir tauschten unsere Kostüme gegen legere Kleidung, um dann irgendwohin zu gehen und, wie man uns sagte, zu saufen.
Die Sonne brannte uns wie Ameisen unter der Lupe. Durch die staubige ländliche Ortschaft kamen wir zu einer Viehkoppel, aus der auch gleich zwei gefleckte Kühe herauskamen. Zu meinem Erstaunen gingen wir in die Koppel und setzten uns an einen Stuhl. Bald darauf brauchte man uns zwei Wischeimer mit dreckigem Wasser und kleinen Schöpfkellen aus Kokos. Ich dachte schon, dass wir uns die Füße waschen werden, doch es stellte sich heraus, dass das das Maisgetränk TSCHITSCHA ist, 12 Prozent stark. Wie man sehen sollte, war es wirklich gut. Getrunken wird aus Kokosnüssen: man schöpft aus dem Eimer für seinen Nachbarn, der mit den Worten PATSCHA MAMA ein bißchen davon auf den Boden verkippt. Er gibt der Mutter Erde ein bisschen Tschitscha ab… Trinken muss man, glaube ich, bis der Eimer leer ist. Es wurde Essen bestellt, und mir gefiel die Aufmachung nicht so sehr. Es gab zerbrochene Schweinerippe in gebratener Schweinehaut mit abstehenden Borsten. Ich zweifelte daran, dass das essbar ist. Fabri riß mühsam ein Stück ab und stecke es demonstrativ in den Mund. Mir persönlich kam es so vor, als dass er es ohne besonderes Vergnügen kaute. Inmitten der Küche, in einer Wiege, hing in bunte Stoffe eingehüllt ein Kind. Daneben am Tisch tranken Männer Bier, ab und zu kam eine Frau, um das Lumpenbündel zu schaukeln. Auf dem Hof gab es zwei Toiletten: Holzhäuschen mit Keramikschüsseln. Zusätzliche Pikantheit lag im Nichtvorhandensein einer Handspülung. Alles zu ertragen Patscha Mama…
Während der Feierlichkeiten fing der Ehemann zu weinen an. Wie sich heraustellt, kennt er die Ehefrau schon lange, hat diese Hochzeit schon zweimal innerhalb längerer Zeitspannen abgesagt, die Frau ist älter als er, und sie haben eine 9jährige Tochter. Dann zog er sich aus der Patsche und sagte, dass er mit allen Mädchen weint, die er nicht bekommen hat. Er erzählte, dass er bis zur Hochzeit viel gesoffen hat und oft neben Unbekannten aufgewacht ist, die alle total hässlich waren. Doch einmal lag neben ihm im Bett ein schöne Frau. Er war angenehm überrascht. Als sie die Augen öffnete sagte sie:“Mein Gott, was bist du schrecklich.“ Ich fing an zu lachen, und über Fabri bat er mich um die Erlaubnis, mich PRIMO(Vetter) nennen zu dürfen. Ich stimmte zu, und mit Vergnügen küssten wir uns ab zu den Worten: „BRAT?“ „BRAT!“ Schön angesoffen schleppten wir uns nach Hause und die Sonne brannte so stark, dass der Schädel schmerzte.
Lange saßen wir dann noch im Saal, aßen, und unterhielten uns. Da kam die Braut des Franzosen an: Bolivianerin, in Frankreich lebend. Es begann eine Familienzusammenkunft in der Küche, Leute sagten einander Worte der Dankbarkeit und weinten. Der Ehemann wollte nicht nach Hause gehen, seine Augen füllten sich angesichts dessen mit Tränen, und er verbarg sein Gesicht im Rock seiner Mutter.
Der Plan war, den Ehemann per Auto zum Haus der Ehefrau zu fahren, wo der zweite Teil der Hochzeit stattfinden sollte: das Überreichen der Geschenke. Von da aus sollte es für uns gleich schnurstracks weiter zum Bahnhof gehen, weshalb wir unsere Koffer packten und zu acht in den Jeep kletterten. Zu guter Letzt bat mich mein frischgebackener Cousin, mich mit seiner Tochter fotografieren zu lassen. Als ob ich ein wichtiger Mensch in seinem Leben wäre. Oder sie.
Der Jeep hielt neben einem unauffälligen Bau an der nächsten Landstraße. Die in Bolivien lebende Russin N. hatte Recht als sie sagte, dass Cochabamba ein riesengroßes Dorf ist. Ein einstöckiges Amerika, jedoch auf eine lateinische, verdreckte, und staubige Art. Ein kränklicher, rasender Köter riß sich los vom Hof auf die Straße. Das Haus, das sich lediglich im Gebrauch von meinem neuen Cousin Antonio befand, erinnerte an eine weitere Kommunalwohnung, oder besser gleich an ein Gemeinschaftsgefängnis: ein nach allen vier Seiten führender, enger Flur, kahle, schäbige Wände, in den kleinen Zimmern Stücke von Staub bedeckten Gerümpels. In einem davon lief ein Fernseher, und wir fingen an zu trinken was auffindbar war, und uns zu unterhalten. Ich lernte das Verb chupar(saufen), und nannte hier meine Freundin aus der Kirche, die schrecklichste unserer Reisegefährtinnen, Tschupaka anstatt ihres richtigen Namens, der, wie ich danach erfuhr, überhaupt nicht ähnlich klingt. Chovanka. Chovanka verstand die Anspielung auf Chewbacca aus Krieg der Sterne, und ich kam nicht drum herum mich zu entschuldigen und zu lügen, dass ich mich einfach geirrt hätte. Mich rettete, dass Tschupaka „Säuferin“ bedeutet. „Also sind wir alle hier Tschupaks.“ – sagte Fabri versöhnend und ging hinaus. Der von Sehnsucht erschlagene Neuvermählte wusch sich in dieser Zeit grausamerweise mit Wasser aus dem Bottich über dem Klobecken.
Ich lobte den Aufzug des Ehemanns und alle stiegen ins Auto. Im Gefühl der Vorfreude auf ein Saufgelage lachten und quatschten wir, aber in irgendeinem Moment, alle immer zwanghafter schwatzend, drehte Antonio das Lenkrad herum und sah, dass an seinem Finger kein Ring war.
Wir kehrten zurück und fingen an zu acht, inklusive der Tochter, den Ring zu suchen. Einer krempelte die Taschen der dreckigen Wäsche um, durchkramte Aschenbecher, Seifendosen, Tassen … ihm folgte ein anderer, der das Gleiche noch mal machte. Und wieder, wieder, immer wieder. Den zweiten Hochzeitsfeiertag gibt die Verwandschaft der Ehefrau, und der Ehemann erscheint mit frischer Fahne und ohne Ring … am Ende einigten wir uns darauf, dass er während seiner Wäsche ins Klobecken gespült wurde. Grande schlug sogar eine kleine Luke in den Boden, offensichtlich wollte er die Rohre aufschneiden. Plötzlich rief Fabri mich nach draußen.
Dort, er hatte entdeckt, dass beim Jeep die Handbremse nicht angezogen war, drückte er eine Hebestange nach oben, die sich just verkantet hatte. Es gelang uns nicht, den wie versteinerten Stiel herauszuzerren, so dass wir auf Antonio die arme Sau warten mussten. Und als alle ins Auto stiegen, und der schweigsame Marten, wartend bis er an die Reihe kam, sich direkt auf den Weg ergoß, rückten wir damit heraus, dass die Handbremse nicht funktioniert. Die Motorhaube musste geöffnet und etwas festgezogen werden. Es war unbequem, aber alles konnte repariert werden, wir fuhren los, und Antonio glich die Unannehmlichkeiten mit Erzählungen über seine drei Autos aus, die er bis dahin alle verloren hatte. Das heißt, er hatte sich so betrunken, dass er sich dann nicht mehr erinnern konnte, wo er sie abgestellt hatte, und so nicht mehr fand.
Wir kamen ohne Ring an. Das Haus ist riesig: es gibt sogar eine gemeinschaftliche Herrentoilette mit Gummimatte in der Art wie Waschbecken in Pionierlagern. Im Hof gedeckte Tische und geschäftige Kellner. Eine Familie von Bananenanbauern. Als man mich irgendeiner Indioalten vorstellte als direkt aus Russland, und ich sie küsste, sagte sie nur eines: „Aaaa, ein Gringo….“
Wir saßen im Hof am Tisch, und ich weidete mich daran, wie drei Arbeiter ein riesiges Fass mit Tschitscha nicht vom Fleck bewegen konnten. Die Fütterung schien schon wieder verspätet zu beginnen, und Chewbacca erbot sich, mich zum einem Essenverkaufsstand zu begleiten. Wir gingen raus auf die Straße. Der Sonnenuntergang begann, und an der anderen Seite des Himmels war schon der Mond zu sehen. Ich sagte Chewbacca, dass ich Fotos mache, und versuchte für die Aufnahme eine der Zementmauern zu stürmen. Sie zerbröckelte unter meinen Fingern, und aus dem Foto wurde nichts. Dafür wehte der Wind die Reste des Privateigentums in Sandgestalt wunderschön aus meinen Fingern.
In einer Wohnung am Straßenrand bekam ich für acht Boliviano Hühnchen, Nudeln, und noch irgendetwas. Nachdem ich gegessen hatte wollte ich zur Fortsetzung der Hochzeit. Wir kamen zurück ins Haus. Die Ehefrau lächelte uns an wie ein blitzendes Messer. Ich setzte mich und trank kubanischen Rum mit Marten, der schon schön gegessen hatte und anfing mit mir Englisch zu sprechen. Er erwähnte, dass er an einer Universität studiert hat und deshalb Kommunist ist. Zur Bestätigung schlug er sich mit der Faust auf die Brust und hob den Arm nach oben. Es roch nach Faschismus…
Es war an der Zeit, die Geschenke zu überreichen. Für den Reiskochtopf schenkten sie uns Kokosschnaps ein und streuten Papier auf unsere Köpfe. Das Kokosgesöff gefiel mir, und der Ehemann befahl dem Ausschank, mir so viel aus dem Bottich zu geben wie ich wünsche. Lediglich die von irgendjemand genannte Möglichkeit eines Durchfalls hielt mich auf. Wir kehrten an den Tisch zurück. Wir tranken. Mir wurde langweilig und nach einer Weile schrie ich auf Russisch „Familie Arano, los geht die Party!“ und fing an wie wild zu tanzen. Unsere, des Ehemanns Seite bewahrte die Würde, und ich, mich zierend, aß noch etwas Warmes und schlief ein. Man verfrachtete mich ins Auto, wo ich bis zum Einbruch der Dunkelheit ruhig schlief, bis es an der Zeit war zum Busbahnhof zu fahren. Die Hochzeit war für uns zu Ende.
Auf dem Bahnhof wollte ich zur Toilette, aber es stellte sich heraus, dass das gar kein Bahnhof ist, und es auch keine Toiletten gibt, mit Ausnahme des Plumsklos in der Kassierstube. Meine Begleiter versuchten die dicke Frau darin dazu zu bringen, mir zu erlauben mein Bedürfnis zu verrichten, aber die sträubte sich dagegen wie ein Igel. In die Überredungskünste schaltete auch ich mich ein:
„Senorita, por favor!“
„No.“
„Esta bien, senorita, chao, gracias!“ ergab ich mich erbost, legte auf ihrem Tisch ein Halls Bonbon und ging weg. Doch hinter mit hörte ich:
„Amigo!...“
Als ich mich schon wusch dachte ich, dass ich gar nicht so sehr musste. Aber das Gute siegte über das Böse, und das war angenehm.
Jegor Kremenzov, 2009
Von den Sachen, die man auf einer Hochzeit anhaben sollte, besaß ich NICHTS, weshalb ich mich mit meiner Lehrerin Adriana auf einen Markt begab, wo wir für 180 Rubel Hosen für mich kauften. Eine Cholita(Indiofrau) bedeckte meinen Körper mit einem an einem langen Stock befestigten Laken, damit ich, auf dem Podest der Straßenecke zugewendet, mich meiner Jeans entledigen und die Hosen anprobierten konnte. Dabei lächelte ich und grüßte aus meiner Deckung heraus mit freudigen Gesten die Passanten. Einer von ihnen winkte mir mit der Hand zu, ein Anderer fing an zu lachen. Lustig. Auf mein Drängen hin blieb Adriana weiter an meiner Seite, und wir brachten die gekauften Hosen zum Kürzen und Einnähen. Schon einen Tag zuvor wollte ich passende Schuhe besorgen, kaufte aber aus irgendeinem Grund Turnschuhe. In meiner Größe gab es keine richtigen Schuhe. Ich verabschiedete mich von Adriana und tauschte Geld, womit meine Vorbereitungen zu der Hochzeit, die in dem Städtchen Cochabamba stattfinden sollte, beendet waren.
In der zweiten Hälfte des darauffolgenden Tages traf ich mich mit Fabrizio und irrte mit ihm eine geschlagene Stunde auf dem Markt umher: Wir suchten den Platz wo meine eingenähten Hosen sein sollten. Armseligerweise blieb aber keine andere Wahl, als meine Lehrerin anzurufen, deren Erklärungen Fabrizio halfen, mich zum Schneider zu bringen. Unterwegs kauften wir ein Hemd mexikanischer Produktion und fanden die Verwandten meines Freundes, die sich als Händler erwiesen und uns einen Reiskochtopf verkauften. Nur ungern trennte sich Fabrizio von einer bescheidenen Geldsumme als Anteil für das Geschenk. Danach tranken wir irgendetwas Fruchtiges in einem Cafe und trennten uns, um uns um 10 Uhr abends auf dem Platz San Francisco neben der Kathedrale wieder zu treffen.
Ich kam ein bißchen früher zum Treffpunkt. Es war dunkel und unheimlich, denn die Anti-Gringo-Demonstrationen und Stimmungen nahmen an Fahrt auf, und auf dem Platz selbst tanzten verdächtig Frauen in Frauenkleidern. Den Rat von Fabri befolgend, auf ihn irgendwo drinnen zu warten, drückte ich ohne zu zögern meinen Rucksack an die Brust und schlenderte durch die überflutete Prado Avenue auf der Suche nach einer Räumlichkeit. Das POLLO FRITO JA JA JA war das erstbeste und wie mir schien, äußerst lokale Etablissement. Ich schaffte es dann auch nicht, in Erfahrung zu bringen, ob sie Bier hatten, und auf mein Gebrüll „serveca, serveca!“ überhäufte mich die Frau an der Kasse mit einem Berg von Fragen, von denen ich gleich mal keine einzige verstand. Es galt also das Bier zu vergessen und sich auf das Essen zu konzentrieren. Das einzige was ich zustande brachte war das Zeigen auf ein gezeichnetes Huhn in der Speisekarte. Die Frau türmte weiter Wörter vor mir auf, und ich ergab mich mit einem Schrei der Verzweiflung.
„Spricht hier irgend jemand Englisch?“
Die Essenden sahen sich nach mir um, aber zum Glück schubste ein betrunkener Mann aus der Schlange, die sich hinter mir gebildet hatte, seine weibliche Begleitung nach vorn zu mir, und sie erklärte mir die Standardphrasen:“mit Kartoffeln oder ohne.“, „hier oder auf der Straße.“, „was werden Sie trinken.“. Hinter mein Tischchen setzte ich mich schon als ein kleiner Star, und während ich einen Knochen abnagte und über den Streit mir meiner Freundin nachdachte, betrachteten die Leute mit Neugier, kein Zweifel, meine finstere Gringogestalt. Únd was ist, wenn es für uns zusammen hier schlecht läuft…? Und was ist wenn es einem von uns schlecht geht… zum Beispiel mir…Und was ist, wenn sie nicht kommt…Was mache ich dann überhaupt hier? Zurückkehren? Immerhin bin ich in Bolivien…Wo Jegor? In Bolivien … So saß ich also da, stocherte niedergeschlagen mit den Kartoffeln in der Salsa herum. Als Fabrizio anrief, schlüpfte ich erneut in die Rolle eines Clowns. Der Empfang war gestört und auf seine Frage wo ich sei, musste ich fast schreien.
„Polljo Frito Ja Ja Ja, verstehst du?“
„Schlechte Verbindung mein Freund.“ - verstand er mich nicht.
„Ja ja ja, Poljo Frito!!!!“
Die Leute lachten, und vor Verlegenheit und zusammengebrochenem Ehrgefühl lachte auch ich.
Es stellte sich heraus, dass der Name des Etablissements sich liest wie Poljo Frito Cha Cha Cha, was übersetzt heisst GEGRILLTES HUHN HA HA HA. So ein Name war das also. Zu mir kam ein Obdachloser und bat um Geld, und danach kam ein Mann mit nicht minder abstoßendem Äußeren, um Kaugummis zu verkaufen.
Wie im Rostix am Bjelorusski: Obdachlose, Hühnchen, …
Zum Busbahnhof fuhren wir in einem Kleinbuslinientaxi, dessen Alter im Moment der Fahrt mindestens 60 Jahre betrug. Am Eingang keinerlei ASKPs oder Drehkreuze, man gibt dem Fahrer einfach einen Boliviano(4 Rubel). Ein Schwarzfahrer in Managerklamotten wurde zurückgeschickt und zum Bezahlen gezwungen. Ebenso bat der Fahrer einen Passagier sich neben ihn zu setzen, um irgendeiner Alten dafür Platz zu machen. Nur langsam setzte sich der alte Bus in Bewegung. Für alle ist es eng, aber keiner stört sich dran. Kommunismus.
In einer Straße nahe am Bahnhof rauchten wir unter einer Laterne auf einer Bank und warteten auf die Verwandten. Ich sang Fabri kubanische Lieder und schaute auf das Meer orangener und hellblauer Flammen auf den uns umringenden Bergen. Die Verwandten trafen ein, wie mir schien eine ganze Armee, mit Schachteln und Taschen beladen. Die Küsse und das Händeschütteln dauerten noch an bis wir zum Terminal getrottet waren, den Durchgang bezahlt hatten, und die Sachen in den Gepäckraum geladen hatten. Im Bus teilten sich die Verwandten in Abreisende und Mitfahrende auf. Küsse, Händeschütteln, sogar „Glückliche Reise!“ auf Russisch gab es. Sehr angenehme Leute waren das. Man druckte für mich ein Fahrkarte aus – mein einziges Dokument für diese Reise. Es ging los. Es war der geilste Bus den ich je sah: mit einer speziellen Plattform fuer die Beine. Er fuhr durch das nächtliche Bolivien und linkerseits sah man einen Ozean voller Feuer - meine neue Stadt mit dem Namen FRIEDEN(La Paz). An einer Haltestelle kaufte und saugte ich eine kleine Pfeife Mate de Coca, in einer gewöhnlichen Tüte verpackt, hörte einen Bettler singen, und bat Fabri, mir dessen unansehnliche Lieder zu übersetzen: „und du und ich gehen und gehen wie Mond und Sonne nebeneinander her, doch können nicht zusammen sein.“ Der Bettler wurde entfernt, der Motor wurde angelassen, die Federn bogen sich. Ich deckte mich zu mit einer Hälfte der Reisedecke des neben mir sitzenden Fabri, zog die Kapuze herunter, lehnte mich zurück, schloss die Augen … da fing auf einmal irgendwo hinten ein Kind an zu schreien. Wir fuhren und fuhren, und es schrie und schrie. Jemand fluchte laut, aber es hörte nicht auf. Den Bus schüttelte es manchmal, und ich fürchtete mich sehr, dass wir hinunter in den Abgrund stürzen, und ab und an war ich mir fast sicher, dass der Fall schon begonnen hatte. Aber dann wurde mir klar, dass es nur ein Traum war.
Cochabamba begann mit einem dreckigen Bahnhofsnebenplatz und der Cholita Franzesca, die uns begrüßte. Erst hier bemerkte ich die Verwandten Fabrizios genauer: ein kleines Mädchen mit fast Schlitzaugen, ein großes Mädchen mit regenbogenfarbenen Handschuhen, und noch zwei Frauen. Da standen wir also. Ich sah mich um in der Hoffnung einen Papagei zu erblicken und neben uns spielte ein Händler irgendwas auf einer Mundharmonika. Eine gute Reklame: du handelst mit Kaugummi und bläst sie in die Mundharmonika. Keine Papageien weit und breit.
„In Cochabamba gibt es einen Kult des Essens.“ – ließ Fabrizio mich wissen.- „Alle essen sehr viel. Und auch wir werden uns hier den Wanst vollschlagen. Und ein Trinkgelage wird fällig.“ Wir zogen an die Straße um ein Taxi anzuhalten, wobei sich herausstellte, dass es hier wegen der Blockade in Santa Cruz zu wenig Benzin gab, und Taxis, erstens, nicht weit fahren, und, zweitens, ihre Preise verdreifacht hatten. Wir mussten auch eben mal ziemlich weit, aber nachdem ein paar Autos abgelehnt hatten, nahm uns jemand mit, und fuhr uns durch eine mehr schlecht als recht einstöckig gebaute Stadt, die mich sehr an Taganrog erinnerte.
Wir waren in eine unansehnliche Feriensiedlung abgebogen, hielten vor einer tiefen Pfütze, und der Fahrer lehnte es ab, weiter zu fahren. Links neben dem kleinen Sumpf weidete trostlos eine abgemagerte Kuh, in den Bäumen zwitscherten kleine Vögelchen(natürlich keine Papageien). Die Pforte des Hauses öffnete eine weitere Tante, die alle nach hiesigem Brauch auf die Wange küssten, und ich befand mich in einem einfachen Garten. Die Frauen gingen ins Haus, dessen Architektur einer Kolonialtruhe in zweistöckiger Ausführung ähnelte. Fabrizio und ich blieben draußen um zu rauchen und uns umzuschauen. Die Sonne schien, und es war angenehm warm. Es roch nach Dorf. Die Stadt des ewigen Frühlings. Das ganze Jahr über Sonne. Sachen sind das … das, was ich als Klette ausmachte und mein Freund als Bananentrieb, erwies sich von der entgegengesetzten Seite als Lotosblume. Nicht weit weg stand ein Strauch mit sich biegenden Zweigen voller Zitronen. Ein in Lumpen gehangener Hund mit verschiedenfarbigen Augen kam zu uns, wedelte mit dem Schwanz, und schaute uns an.
„Wie heißt du, Hund?“ – fragte ich.
„Er heißt Hitler.“ – sagte Fabri.
„Hitler?“ – fragte ich verwirrt – „Wieso denn Hitler?“
„Weil er böse ist und hässlich.“
„Und gibt’s auch einen Göbbels?“
„Nein. Der andere Hund heißt Madonna.“
„Kein schlechter Dualismus. Na dann, Sieg Heil, Hitler.“
Wir öffneten eine breite Glastür, und mir fiel auf, dass auf den Geländern der zweiten Etage, die sich über denen der ersten Etage entlang erstreckten, Kindersachen trockneten. Kein Hauch von Luxus. Vielmehr glich es entweder einem großen alten Wochenendhaus, oder aber einem beschlagnahmten Haus eines kleineren Gutsherrn, das dann an eine Kommunalka übergeben wurde. Vertrocknete Mistelkränze noch von Weihnachten, Bänder mit den amerikanischen Farben, vergilbte Fotos, eine auf Amerika zentrierte Weltkarte noch aus Sowjetzeiten, auf dem Boden Schüsseln, Spielzeuge, auf den Couches zerknitterte Decken und sich in ihnen herumwälzende Kinder. In einem guten Fernseher liefen Trickfilme, die Hifi-Anlage schwieg. Man rief uns in die Küche, und ich hielt den Atem an in Erwartung des Esskults. Auf einem Tisch wartete auf uns ein Krug mit Tee, ein Paket mit warmen, fade schmeckenden Bulotschkis, und in Scheiben geschnittener, gesalzener Käse zur Selbstbedienung für alle. „Brot des Krieges“ – nannten sie das Brot, und ich aß noch eins. Parabellum. Für den Fall, dass der Esskult so weitergehen sollte.
Nachdem wir Frühstück gegessen hatten, machten wir uns auf den Weg zu einem gewissen Onkel Viktor, dessen Haus hinter einem Zaun an einer Klinik lag, auf deren Wände überzeugend mit Farbe geschrieben war: La Clinica de Victor Arana. Oder etwas anders, aber mit dieser Bedeutung. Im Hof liefen zwei Chauchau-Hunde geschäftig hin und her, und sprangen uns an. Einer hieß JUCHA, und der andere war weiß und sah aus wie eine Mischung aus Schaf und Hund. Das Haus war, wie das davor, ja und auch wie meins in Moskau, zugeschüttet mit allem möglichen Zeug, Medikamenten, Souvenirs, Schachteln. Neben den vielen Couches, auf die wir uns auch setzten, ruhte eine Windschutzscheibe. Onkel Viktor, ein voller Mann mit tiefer Stimme, begrüßte uns aufs Herzlichste, während seine Frau an alle die wollten Pepsi Cola verteilte. Weil ich aber bis jetzt eine kleine Flasche Cola bei mir trug, die ich noch vor der Abfahrt in La Paz gekauft hatte, schien es mir dumm jetzt noch ein Glas zu nehmen. Aber als klar wurde, dass der Onkel Geburtstag hatte, und man anfing die Pepsi mit Feuerwasser zu mischen, opferte ich meine kleine Flasche zu Ehren des Onkels mit ein paar Worten von Felis Kumpleanos. Alle waren gerührt ob meiner Belesenheit und Güte. Ich selbst war zufrieden, lachte, und freute mich.
Auf der Straße machte mir Fabri klar, dass nicht der Onkel heute Geburtstag hatte, sondern das Mädchen mit den regenbogenfarbenen Handschuhen. Ich korrigierte meinen Fehler, und wir gingen, uns über die Fülle an Hunden auf den Straßen wundernd, durch das sonnige und staubige Cochabamba. Das Zentrum für die Planung der Geburtenrate passierend, das sich äußerlich nicht von einem Schuppen aus Beton unterschied, und danach die mehretagige Veterinärstation in glänzendem blaufarbenem Glas, verblüffte mich diese Unverhältnismäßigkeit.
„Mensch, weil es hier mehr Hunde gibt als Menschen!“ – antworte Fabrizio.
„Und weil die Männer wie Rüden auch zum Veterinär gehen.“ – fügte seine Schwester hinzu, die ich ihrer geringen Körpergröße, des Alters(18 Jahre), und des schwierigen Namens wegen, LA PEKENJA(Kleine) nannte. Mädchen mit dem gleichen Namen, aber etwas gewaltigeren Formen, nannte ich LA GRANDE(Große).
Einen Glasverkauf passierend, hielten meine Freunde an, um sich mit ein paar Verwandten zu unterhalten.
„Haltet wenigstens ein Auto an.“ – sagte einer von ihnen. – „Sonst denkt er(ich) noch, dass wir hier auf Eseln reiten.“
Danach fragte Fabrizio mich dreimal, ob ich nicht mit dem Auto fahren möchte. Ich beruhigte ihn, und kurz darauf gelangten wir ans Haus. Es zeigte sich, dass der Zaun des kleinen Grundstücks an die Ziegelwand einer Volleyballhalle grenzt, die somit auch Familieneigentum ist. Außer Volleyball bot man uns Squash an, aber wir begnügten uns mit Ball und Netz. Eine der Wände war aus Glas, und anfangs fand ich es schrecklich, wie der Ball da widerhallend aufschlug. Aber dann klappte es, von fünf Partien verlor meine Mannschaft alle, außer einer, und durch den Garten kehrten wir in die Küche zurück, wo wir anfingen uns mit Pekenja über Frauen und Männer zu unterhalten. Heraus kam, dass Sex vor der Ehe und sogar die bürgerliche Ehe für sie eine Sünde sind und unakzeptabel. Und wenn Hochzeit, dann erst nach vier Jahren Bekanntschaft und Freundschaft. Weil, „Wenn du nicht jemanden an der Gurgel packst, wird dich jemand dort packen und zudrücken.“ So ein gehässiges kleines Ding. Als ich sagte, dass ich im Alter von 18 bis 20 Jahren bürgerlich verheiratet war, sah sie mich wie einen Aussätzigen an und fragte, ob ich denn überhaupt Apfelsinen schälen kann. Bis heute weiß ich nicht, wozu das gut sein sollte. Nachdem ich geduscht hatte, wurde ich zur verdienten Entspannung entlassen. Meine stille Stunde verging in einem mit Spielzeug und Lumpen vollgestopften Zimmer mit einer in der Ecke an einem Stock aufgewickelten, riesigen bolivianischen Flagge.
Nach einer halben Stunde Ruhe anstelle eines kultigen Mittagessens wurden wir mit unserer Hühnchen-Kartoffelsuppe fertig, und fuhren uns das Christus-Denkmal anschauen. Man muß sagen, dass alle Bolivianer sich das Gesicht mit Sonnenkreme einschmierten, und mir das Gleiche rieten. Ich verstimmte ein wenig und kam dem Rat träge nach. Zu Jesus gingen wir von irgendeiner demolierten Kreuzung mit einem zerfetzten Reklameschild, vorbei an Palmen, Wolkenkratzern, und wunderlichen violetten Bäumen. Ich soll einen wegflatternden Papagei gesehen haben, aber ehrlich gesagt, habe ich ihn gar nicht wahrgenommen: der Unwürdige verbarg sich im Geäst. Auf den Berg fuhren wir mit einer wunderschönen Drahtseilbahn, begafften das beeindruckende Panorama, kletterten in den Chistus hinein, und ich fotografierte seine Achselhöhle und das Loch an der Stelle, wo ungefähr das Herz ist. Auf dem Weg nach unten erfreute ich mich der Beliebtheit bei Mädchen, die mich aus der Nachbarkabine fotografierten, deren Interesse an mir jedoch erst wieder aufkam, als sie meine Visage im vorbeifahrenden Auto erblickten. Sie winkten mir zu und freuten sich. Fabrizio beschimpfte sie fürchterlich in russischem Mat. Suki, Blja, usw…
Nach Hause zurückgekehrt begannen wir uns weltlich umzuziehen, und aus Mangel an Schuhen putzte ich meine alten Wanderbotten mit ein paar Brocken vertrockneter Kreme. Behangen mit Hemd, Schlips, und Jacket, das die Mutter meines Freundes aus den USA geschickt hatte, machte ich die eingenähten Hosen vom Markt zu, stülpte die alten Botten über, und erschien vor Fabrizio.
„Jetzt siehst du aus wie ein echter Russe. – sagte er zu mir. „Ohne Anzug merkt man es nicht so. Aber jetzt sieht man es sofort. Ein Russe.“
Ich beschloß, nicht gekränkt zu sein. Auf der Außentreppe machten wir Fotos von uns Männern, einschließlich eines Franzosen, der hierher gekommen war, um Hochzeit zu halten mit noch einer Verwandten aus Fabrizios Legion, nur dass die Braut wegen all der Blockaden irgendwo, keiner wußte wo – mal in Sao Paulo, mal in Santa Cruz – stecken geblieben war.
Schmuck gekleidet gingen wir durch die steinigen ländlichen Straßen, und der Wind wirbelte Staub auf und zerzauste unsere Schlipse. Zeitgleich mit dem Aufgang des Mondes ging die Sonne unter, und die Berge schimmerten in den Strahlen des beißenden Himmelslichts.
Die Kirche war groß und katholisch. Einprägsam waren energiesparende Glühbirnenspiralen anstelle von Kerzen, sowie ein Haufen Lautsprecher, aus denen das Wort Gottes auf Spanisch verkündet wurde. Ich sah, dass ich auf der Matritze des Fotoapparats einen kaputten Pixel hatte und war untröstlich, bis alle anfingen aufzustehen, sich zu setzen, und erneut aufzustehen.
Gott nennen sie SENOR… Als die zu Vermählenden begannen, sich auf ihr Einverständnis Mann und Frau zu werden vorzubereiten, bekam ich Angst, dass ich eines Tages das Gleiche mitmachen muss. Wie versteinert übersetzte ich in Gedanken vom Spanischen ins Russische folgendermaßen:
„Bist du, Name, einverstanden, deinen Ehegatten zu verachten, öffentlich wie im Geheimen? Allen von seinen Unzulänglichkeiten zu erzählen, von den wirklichen und von den erdachten? Auf seinem Hals zu hängen, fett zu werden, und ihn zu hassen dafür, dass er das Brot nach Hause bringt, besonders wenn es wenig ist? Ihm das Leben zu vergräueln in Trauer, wie in Freude? Ihm nicht nur einmal untreu zu sein, und das aus Trotz, und im Suff, und vom Nichtstun?“
„Ja.“ – antwortete die Frau laut und entschlossen.
„Bist du, Name, einverstanden, in Faulheit auf Arbeit und in Einsamkeit zu Hause zu leben? Alle Weiber zu begehren, außer der Ehefrau und den Tuberkulosekranken? Das Kreuz des Lebens mit einer bösen dicken Frau auf dich zu laden und ihre Gemeinheit mit Gleichgültigkeit zu vergelten bis ans Ende deiner Tage? Verschwinden im Abgrund der Sehnsucht und der Verzweiflung in der familiären Müllgrube?“
„Ja.“ – antworteten sie Gott.
„Ich erkläre euch zu Mann und Frau.“
Anstatt des Marsches von Mendelsson erklang eine Orgelmelodie. „YESTERDAY“ BEATLES. Ein Lied darüber wie schön es gestern war, und wie schlecht es heute ist. Einfach wunderbar…Alle standen. Neben mir war eine Frau aus La Paz, die ich für eine Verwandte des Mannes hielt, weil ich mit ihr fast kein Wort redete: eine schon schmerzhaft schreckliche Frau. Ein garstiges Gesicht, Hängetitten, einen Hintern wie Sülze in einen Lappen eingewickelt. Sie war jedoch die einzige, die Englisch sprach. Und als sie es übernahm meine Hemden und Hosen zu bügeln, ging die Abscheu weg, und es wurde klar, dass sie hier niemand war, nur eine Bekannte, wie ich.
Also, wo sie schon mit mir auf einer Bank in der Kirche saß, nahm sie meine Hand! WHAT THE FUCK??? – sah ich sie mit fragenden Augen an und erfuhr von ihr, dass man sich beim Gebet an die Hände faßt, um Einheit zu schaffen. Ich fand mich ab mit ihrer warmen Handfläche und schaute mich um. Einige Leute setzen sich, wie ich sah, absichtlich an die Seite, damit sie nicht mit Unbekannten Händchen halten müssen. Und sowieso wird sich nicht überall an den Händen gehalten, nur in bestimmten Bereichen. In Reih und Glied. Schlimmer war, dass man sich danach noch umarmen und küssen muss. Es ist schon schlimm, nicht denjenigen zu umarmen oder irgendwohin zu küssen. Mit Hängen und Würgen war es aber machbar. Der traurige Mann und das Mannsweib gingen aus der Kirche heraus, ich bestreute neben ihnen die Luft mit zerschnittenem Papier und ergötzte mich an komikhaften Männern mit Sombrero und Pfeife. Sie spielten lustige Musik, freuten sich aber irgendwie nicht. Ich dachte nach und beschloss, nicht weiter in der Reihe der Gratulanten zu stehen, sondern abzuwarten. Ich fotografierte dafür bettelnde Kinder und feierlich gekleidete Frauen.
Zum Restaurant gingen wir zu fuß, und unterwegs sah ich einen auf der Straße liegenden obdachlosen Jungen. Fabri sagte, dass wenn man ihn anspricht und fotografiert, er Rasierklingen ins Gesicht spucken kann. Er saugt sich die Rasierklingen hinter die Wange, und speit sie Feinden entgegen.
Der Bankettsaal im Restaurant war noch in Vorbereitung. Alle setzten sich an die Tische, und Bedienstete brachten Chips. Ein Lifeensemble stimmte seine Instrumente. Uns sagte man, dass es in zwei Stunden Essen geben würde. Fabri und ich beschlossen nicht zu warten und gingen ins Cafe für Arme. Das ist eine Räumlichkeit mit herunterhängendem Putz, trübem Licht, schmutzigen Tischen. An einer zerrissenen, ekelerregenden Gardine stand eine fettige Herdplatte, an der eine Alte bestimmt schon 50 Jahre Speisen zubereitet. Am Telefon schaltete ich russische Musik ein, wir aßen das schlechte Essen, und kehrten auf die Hochzeit zurück.
Dort klammerten Standesbeamte an die unglücklichen Verliebten das Gesetzesjoch der bürgerlichen Sklaverei. Danach fing man an, Essen und Getränke auszugeben. Anstelle von Champagner in Gläsern plätscherte ein gelbes alkoholisches Getränk, dazu gab es trockenes Brot. Dann tanzten Braut und Bräutigam einen Tanz. Dann mit den Eltern. Dann noch mit irgendjemandem. Insgesamt wurde 40 Minuten getanzt, und alle gerieten in eine stille Entrüstung darüber, weil man eigentlich schon lange was fressen wollte. Endlich wurde heiß aufgetragen: Reis, Huhn, ein Stückchen Tomate, eine Gurkenscheibe, … ich aß ein Scheibchen und verstand nicht gleich, dass es sich um den Hinterteil des berühmten Chillipfeffers handelte. Ich weinte, hustete, errötete, versuchte etwas hinterherzuessen und zu trinken. Alle schauten, lachten, rieten mir Reis zu essen. Es war richtig schlecht und das ziemlich lange. Dann, als ich mir die Teller der anderen ansah, verstand ich, dass ich echt Pech gehabt hatte. Sie beißen vom Pfeffer nur ein kleines Stückchen ab oder lassen ihn ganz liegen. Ich hatte den ganzen auf einmal gefressen.
Der Pfeffer war der krasseste Eindruck bis die Tänze anfingen. Ganz plötzlich polterte und pfiff das Orchester los, die Leute befüllten die Tanzfläche. Sie tanzten im Kolonialstil, in zwei Reihen: Jungen und Mädchen gegenüber. Die Musik eher langsam, Schritt vor, Schritt zurück. Danach zu urteilen, wie sie mich anschauten, sind europäische Bewegungen hier eine wunderbare Seltenheit. Übrigens versaue ich unfehlbar jeden beliebigen Tanz. Meine Tänze, das sind die Tänze von Gollum. Und das Volk verstreute sich, und es begannen Tänze mit Servietten anstelle von Tüchern im Stil: wir säen, wir mähen. Es roch nach russischem Geist. Ich mähte und säte mit äußerstem Eifer – die Heimat immerhin… Es wurde viel getrunken, es gab rote und weiße Spirituosen und auch Bier. Rotes wurde mit Cola verdünnt, Weißes mit Sprite. Und weiter wurde getanzt. Eijeijei! Es kam ein riesiger Indio, größer als ich, und ich taufte ihn sofort Häuptling. Der Häuptling mähte nicht so kindermäßig, warf die Knie durch die Luft, drehte sich wie ein Kreisel, hantierte mit Messern mit unglaublicher Behändigkeit. Besonders erhitzten sein Gemüt solche hier selten vorkommenden Melodien wie YMCA und Rocknroll. Zum Abschluß einer solchen, die er unverkennbar sehr liebgewonnen hatte, sprang er auf einen Tisch und fiel mit diesem zusammen um.
Die Hochzeit dröhnte… niemand johlte, dafür warf man den Hochzeitsstrauß und fing das Strumpfband. Das Strumpfband wollte ich auch fangen, was mir nicht gelang, aber ich unterhielt mich in der Gruppe der Fänger mit irgendeinem Weißhäutigem. Das Strumpfband flog sowieso nicht bis zu mir, und ich ging auf die Toilette, wo mein Nachbar an der Pißrinne mich fragte, ob ich nicht Deutscher sei. Was hat nur diese Vermutung in ihm hervorgerufen? Wahrscheinlich meine Methodenhaftigkeit.
Die Band wurde abgelöst von MARIATSCHI: traurige Leute in großen Sombreros und bunten Kostümen. Mit bedrückten Gesichtern spielten sie lustige Musik, und die Hitze hielt ziemlich lange an. Ich bestellte mir einen Kringel und befeuchtete erneut meine Kehle, bevor Fabri nicht zum Abzug blies. An dieser Stelle tauchte der Häuptling auf, schüttelte mir die Hand, und tätschelte mir ein paar Mal mit seinen hühnehaften, rauhen Handflächen meine Wangen. Ich war geschmeichelt. Am Ende stellte man mich dem Brautpaar vor, wir ließen uns fotografieren, küssten und verabschiedeten uns, setzten uns in ein Taxi und fuhren in die schon genannte Klinik zurück. Dort wartete auf Fabri und mich ein Zimmer mit zwei hohen Krankenbetten, in deren einem ich am nächsten Morgen aufwachte.
Im Haus von Onkel Viktor gab es für uns zum Frühstück eine einfache Suppe: Kartoffeln, ein Stück Huhn, Streifen von irgendeinem Fleisch. Das Fleisch machte mich stutzig und ich gab es unbemerkt zu Fabrizio hinüber. Das Gespräch drehte sich um irgendeine Pflanze, deren ganzer Familienstammbaum von Ärzten untersucht wird. Sie hat die Fähigkeit, alle Krankheiten zu heilen und ist unikat. Der dickliche Onkel Viktor fliegt durch die ganze Welt, besucht Konferenzen, und hält Vorträge über sein Wunderkraut. Mitgerissen durch die Erzählungen, brachte er Fotos der Arznei der Zukunft. Sanddorn. Onkel Viktor freute sich sehr über mein Wissen, bat mich, dieses schwierige Wort sowohl in kyrillischer als auch in lateinischer Schrift aufzuschrieben, und war im Gegenzug so freundlich, sich meinen Rachen anzuschauen. Es ist ein komisches Gefühl als der Pfannkuchen Onkel Viktor sein fetttriefendes Süppchen aufißt, auf den Hof seiner Behausung hinausgeht, sein anderes Haus betritt … Und schon ist er der Chefarzt im schneeweißen Kittel, ein lieber und mächtiger Äskulap in Wolkenschlössern. Er stellte mir eine Überweisung aus, wir gaben uns die Hände, und ich machte mich mit Fabri auf den Weg zurück in unser Haus. Schon bald versammelten sich dort die zu erwartenden Leute, aber schon mit dem Bräutigam an der Spitze. Wir tauschten unsere Kostüme gegen legere Kleidung, um dann irgendwohin zu gehen und, wie man uns sagte, zu saufen.
Die Sonne brannte uns wie Ameisen unter der Lupe. Durch die staubige ländliche Ortschaft kamen wir zu einer Viehkoppel, aus der auch gleich zwei gefleckte Kühe herauskamen. Zu meinem Erstaunen gingen wir in die Koppel und setzten uns an einen Stuhl. Bald darauf brauchte man uns zwei Wischeimer mit dreckigem Wasser und kleinen Schöpfkellen aus Kokos. Ich dachte schon, dass wir uns die Füße waschen werden, doch es stellte sich heraus, dass das das Maisgetränk TSCHITSCHA ist, 12 Prozent stark. Wie man sehen sollte, war es wirklich gut. Getrunken wird aus Kokosnüssen: man schöpft aus dem Eimer für seinen Nachbarn, der mit den Worten PATSCHA MAMA ein bißchen davon auf den Boden verkippt. Er gibt der Mutter Erde ein bisschen Tschitscha ab… Trinken muss man, glaube ich, bis der Eimer leer ist. Es wurde Essen bestellt, und mir gefiel die Aufmachung nicht so sehr. Es gab zerbrochene Schweinerippe in gebratener Schweinehaut mit abstehenden Borsten. Ich zweifelte daran, dass das essbar ist. Fabri riß mühsam ein Stück ab und stecke es demonstrativ in den Mund. Mir persönlich kam es so vor, als dass er es ohne besonderes Vergnügen kaute. Inmitten der Küche, in einer Wiege, hing in bunte Stoffe eingehüllt ein Kind. Daneben am Tisch tranken Männer Bier, ab und zu kam eine Frau, um das Lumpenbündel zu schaukeln. Auf dem Hof gab es zwei Toiletten: Holzhäuschen mit Keramikschüsseln. Zusätzliche Pikantheit lag im Nichtvorhandensein einer Handspülung. Alles zu ertragen Patscha Mama…
Während der Feierlichkeiten fing der Ehemann zu weinen an. Wie sich heraustellt, kennt er die Ehefrau schon lange, hat diese Hochzeit schon zweimal innerhalb längerer Zeitspannen abgesagt, die Frau ist älter als er, und sie haben eine 9jährige Tochter. Dann zog er sich aus der Patsche und sagte, dass er mit allen Mädchen weint, die er nicht bekommen hat. Er erzählte, dass er bis zur Hochzeit viel gesoffen hat und oft neben Unbekannten aufgewacht ist, die alle total hässlich waren. Doch einmal lag neben ihm im Bett ein schöne Frau. Er war angenehm überrascht. Als sie die Augen öffnete sagte sie:“Mein Gott, was bist du schrecklich.“ Ich fing an zu lachen, und über Fabri bat er mich um die Erlaubnis, mich PRIMO(Vetter) nennen zu dürfen. Ich stimmte zu, und mit Vergnügen küssten wir uns ab zu den Worten: „BRAT?“ „BRAT!“ Schön angesoffen schleppten wir uns nach Hause und die Sonne brannte so stark, dass der Schädel schmerzte.
Lange saßen wir dann noch im Saal, aßen, und unterhielten uns. Da kam die Braut des Franzosen an: Bolivianerin, in Frankreich lebend. Es begann eine Familienzusammenkunft in der Küche, Leute sagten einander Worte der Dankbarkeit und weinten. Der Ehemann wollte nicht nach Hause gehen, seine Augen füllten sich angesichts dessen mit Tränen, und er verbarg sein Gesicht im Rock seiner Mutter.
Der Plan war, den Ehemann per Auto zum Haus der Ehefrau zu fahren, wo der zweite Teil der Hochzeit stattfinden sollte: das Überreichen der Geschenke. Von da aus sollte es für uns gleich schnurstracks weiter zum Bahnhof gehen, weshalb wir unsere Koffer packten und zu acht in den Jeep kletterten. Zu guter Letzt bat mich mein frischgebackener Cousin, mich mit seiner Tochter fotografieren zu lassen. Als ob ich ein wichtiger Mensch in seinem Leben wäre. Oder sie.
Der Jeep hielt neben einem unauffälligen Bau an der nächsten Landstraße. Die in Bolivien lebende Russin N. hatte Recht als sie sagte, dass Cochabamba ein riesengroßes Dorf ist. Ein einstöckiges Amerika, jedoch auf eine lateinische, verdreckte, und staubige Art. Ein kränklicher, rasender Köter riß sich los vom Hof auf die Straße. Das Haus, das sich lediglich im Gebrauch von meinem neuen Cousin Antonio befand, erinnerte an eine weitere Kommunalwohnung, oder besser gleich an ein Gemeinschaftsgefängnis: ein nach allen vier Seiten führender, enger Flur, kahle, schäbige Wände, in den kleinen Zimmern Stücke von Staub bedeckten Gerümpels. In einem davon lief ein Fernseher, und wir fingen an zu trinken was auffindbar war, und uns zu unterhalten. Ich lernte das Verb chupar(saufen), und nannte hier meine Freundin aus der Kirche, die schrecklichste unserer Reisegefährtinnen, Tschupaka anstatt ihres richtigen Namens, der, wie ich danach erfuhr, überhaupt nicht ähnlich klingt. Chovanka. Chovanka verstand die Anspielung auf Chewbacca aus Krieg der Sterne, und ich kam nicht drum herum mich zu entschuldigen und zu lügen, dass ich mich einfach geirrt hätte. Mich rettete, dass Tschupaka „Säuferin“ bedeutet. „Also sind wir alle hier Tschupaks.“ – sagte Fabri versöhnend und ging hinaus. Der von Sehnsucht erschlagene Neuvermählte wusch sich in dieser Zeit grausamerweise mit Wasser aus dem Bottich über dem Klobecken.
Ich lobte den Aufzug des Ehemanns und alle stiegen ins Auto. Im Gefühl der Vorfreude auf ein Saufgelage lachten und quatschten wir, aber in irgendeinem Moment, alle immer zwanghafter schwatzend, drehte Antonio das Lenkrad herum und sah, dass an seinem Finger kein Ring war.
Wir kehrten zurück und fingen an zu acht, inklusive der Tochter, den Ring zu suchen. Einer krempelte die Taschen der dreckigen Wäsche um, durchkramte Aschenbecher, Seifendosen, Tassen … ihm folgte ein anderer, der das Gleiche noch mal machte. Und wieder, wieder, immer wieder. Den zweiten Hochzeitsfeiertag gibt die Verwandschaft der Ehefrau, und der Ehemann erscheint mit frischer Fahne und ohne Ring … am Ende einigten wir uns darauf, dass er während seiner Wäsche ins Klobecken gespült wurde. Grande schlug sogar eine kleine Luke in den Boden, offensichtlich wollte er die Rohre aufschneiden. Plötzlich rief Fabri mich nach draußen.
Dort, er hatte entdeckt, dass beim Jeep die Handbremse nicht angezogen war, drückte er eine Hebestange nach oben, die sich just verkantet hatte. Es gelang uns nicht, den wie versteinerten Stiel herauszuzerren, so dass wir auf Antonio die arme Sau warten mussten. Und als alle ins Auto stiegen, und der schweigsame Marten, wartend bis er an die Reihe kam, sich direkt auf den Weg ergoß, rückten wir damit heraus, dass die Handbremse nicht funktioniert. Die Motorhaube musste geöffnet und etwas festgezogen werden. Es war unbequem, aber alles konnte repariert werden, wir fuhren los, und Antonio glich die Unannehmlichkeiten mit Erzählungen über seine drei Autos aus, die er bis dahin alle verloren hatte. Das heißt, er hatte sich so betrunken, dass er sich dann nicht mehr erinnern konnte, wo er sie abgestellt hatte, und so nicht mehr fand.
Wir kamen ohne Ring an. Das Haus ist riesig: es gibt sogar eine gemeinschaftliche Herrentoilette mit Gummimatte in der Art wie Waschbecken in Pionierlagern. Im Hof gedeckte Tische und geschäftige Kellner. Eine Familie von Bananenanbauern. Als man mich irgendeiner Indioalten vorstellte als direkt aus Russland, und ich sie küsste, sagte sie nur eines: „Aaaa, ein Gringo….“
Wir saßen im Hof am Tisch, und ich weidete mich daran, wie drei Arbeiter ein riesiges Fass mit Tschitscha nicht vom Fleck bewegen konnten. Die Fütterung schien schon wieder verspätet zu beginnen, und Chewbacca erbot sich, mich zum einem Essenverkaufsstand zu begleiten. Wir gingen raus auf die Straße. Der Sonnenuntergang begann, und an der anderen Seite des Himmels war schon der Mond zu sehen. Ich sagte Chewbacca, dass ich Fotos mache, und versuchte für die Aufnahme eine der Zementmauern zu stürmen. Sie zerbröckelte unter meinen Fingern, und aus dem Foto wurde nichts. Dafür wehte der Wind die Reste des Privateigentums in Sandgestalt wunderschön aus meinen Fingern.
In einer Wohnung am Straßenrand bekam ich für acht Boliviano Hühnchen, Nudeln, und noch irgendetwas. Nachdem ich gegessen hatte wollte ich zur Fortsetzung der Hochzeit. Wir kamen zurück ins Haus. Die Ehefrau lächelte uns an wie ein blitzendes Messer. Ich setzte mich und trank kubanischen Rum mit Marten, der schon schön gegessen hatte und anfing mit mir Englisch zu sprechen. Er erwähnte, dass er an einer Universität studiert hat und deshalb Kommunist ist. Zur Bestätigung schlug er sich mit der Faust auf die Brust und hob den Arm nach oben. Es roch nach Faschismus…
Es war an der Zeit, die Geschenke zu überreichen. Für den Reiskochtopf schenkten sie uns Kokosschnaps ein und streuten Papier auf unsere Köpfe. Das Kokosgesöff gefiel mir, und der Ehemann befahl dem Ausschank, mir so viel aus dem Bottich zu geben wie ich wünsche. Lediglich die von irgendjemand genannte Möglichkeit eines Durchfalls hielt mich auf. Wir kehrten an den Tisch zurück. Wir tranken. Mir wurde langweilig und nach einer Weile schrie ich auf Russisch „Familie Arano, los geht die Party!“ und fing an wie wild zu tanzen. Unsere, des Ehemanns Seite bewahrte die Würde, und ich, mich zierend, aß noch etwas Warmes und schlief ein. Man verfrachtete mich ins Auto, wo ich bis zum Einbruch der Dunkelheit ruhig schlief, bis es an der Zeit war zum Busbahnhof zu fahren. Die Hochzeit war für uns zu Ende.
Auf dem Bahnhof wollte ich zur Toilette, aber es stellte sich heraus, dass das gar kein Bahnhof ist, und es auch keine Toiletten gibt, mit Ausnahme des Plumsklos in der Kassierstube. Meine Begleiter versuchten die dicke Frau darin dazu zu bringen, mir zu erlauben mein Bedürfnis zu verrichten, aber die sträubte sich dagegen wie ein Igel. In die Überredungskünste schaltete auch ich mich ein:
„Senorita, por favor!“
„No.“
„Esta bien, senorita, chao, gracias!“ ergab ich mich erbost, legte auf ihrem Tisch ein Halls Bonbon und ging weg. Doch hinter mit hörte ich:
„Amigo!...“
Als ich mich schon wusch dachte ich, dass ich gar nicht so sehr musste. Aber das Gute siegte über das Böse, und das war angenehm.
Jegor Kremenzov, 2009