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Opernsaison in Italien 2010 / 2011
Autor: Jürgen Weber · Rubrik:
Kolumne

„Alles was glüht, ist zum Verglühen verurteilt.“ (Tristan & Isolde, Richard Wagner)

Nieder mit dem Popsong. Auf in die Oper!

Warum heute, im Zeitalter des Drei-Minuten-Popsongs in dem anscheinend alles gesagt werden könne und der damit verbundenen Austauschbarkeit und Permissivität, überhaupt noch von der amour courtois, der Minne, sprechen, wie sie etwa von der Oper immer noch verkörpert und von der sogenannten Hochkultur so gerne gepflegt wird? Sexualität finde heute ohnehin nur mehr in einer dunklen Büroecke als Drei-Minuten-Quickie statt und entbehre jeglicher Romantik, werde reduziert auf einen physiologischen Akt wie Essen und Trinken. Dennoch sei die gute alte höfische Liebe, die Minne, immer noch der bestimmende Faktor für die Beziehung der Geschlechter zueinander und definiere - wie der slowenische Philosoph Slavoj Zizek in seinen „Metastasen des Genießens“ schreibt - auch immer noch die Parameter des gesellschaftlichen Verhaltens im 21. Jahrhundert. Die „frouwe“ werde in der Minne als eine Art geistige Führerin in die höhere Sphäre religiöser Ekstase gehoben, sinnliche Begierde werde vergeistigt und die Frau zu einem „abstrakten Ideal“ erhöht. Für einen Quickie eigne sich die unverbindliche Beziehung zur Arbeitskollegin ohnehin besser, als die zur Minne. Ein Mann stehe eben immer zwischen Huren und einer Heiligen, zwischen seinen Geliebten und seiner Mutter/Frau. Anders in der Oper.

Oper als Ort der wahren (höfischen) Liebe

Hier wird noch geliebt und nicht wie im Popsong ganz einfach im Drei-Minuten-Takt herumgehurt. Kann man denn überhaupt alle drei Minuten einen Orgasmus haben und auch zum Orgasmus kommen? Ist das nicht inflationär und vor allen Dingen eigentlich auch viel zu anstrengend? Hat der Popsong als Mittel des Genusses nicht längst ausgedient? Allenthalben wird von der Rückkehr zum Müßiggang gesprochen, aber wann nimmt man sich endlich wieder Zeit für die wahre Liebe? Die Oper! Der Nachteil der Oper ist natürlich genau der: man braucht Zeit für sie. Der Vorteil der Oper: wenn man sich Zeit für sie nimmt, geht es mehr als nur um eine schnöde, schnelle Ejakulation, wie im Popsong, sondern um ein Wechselbad der Gefühle, dessen Spektrum in seiner Vielfältigkeit an Tantrayoga erinnert. Denn nur wer sich Zeit nimmt für etwas, wird auch entsprechend belohnt. Je mehr Input, desto mehr Output, so lautet die kartesianische Losung des 21. Jahrhunderts. Nieder also mit dem Popsong, das Zeitalter des Ready-made-Orgasmus ist vorbei. Man will wieder etwas erleben. Man will wieder etwas fühlen. Also auf in die Oper!

Vom rechten Weg zur Liebe

Das Teatro Verdi in Trieste (http://www.teatroverdi-trieste.com) eröffnet seine herbstliche Opernsaison 2010 mit einer der wohl berühmtesten Opern, „La Traviata“ von Giuseppe Verdi. Die unmögliche Liebe zwischen einer Prostituierten und einem aus dem Landadel stammenden Edelmann ist das Thema dieser Oper. „La Traviata“ (deutsch: die vom rechten Weg Abgekommene) ist nicht nur durch die Hymne auf die Vergänglichkeit der Liebe und gleichzeitig die Schönheit des Moments („…e´il gaudio dell’amore,/e´un fior che nasce e muore,/ne più si può goder./Godiam c´invita un fervido/accento lusighier./Godiam, la tazza e il cantico/la notte abbella e il riso;/in questo paradise/ne sopra il nuovo dì.…“) zu einer der meistgespielten und bekanntesten Opern Italiens und der Welt geworden, sondern auch wegen des tragischen Liebestodes der Prostituierten Violetta, die aus Liebe auf ihren Geliebten verzichtet, weil sie ihm nicht schaden will und sein gesellschaftliches Ansehen nicht zerstören will. Am Ende darf sie dafür auch in seinen Armen sterben. Die Liebe geht über den Tod hinaus und überdauert ihn sogar. „Liebe und Tod“ war eigentlich auch der ursprüngliche Originaltitel von der Opernversion der Kameliendame (die Vorlage stammt von Alexandre Dumas` Roman). Im Teatro Verdi in Triest wird die Oper in diesem Zyklus bis 23. November gespielt, darauf folgen „Romeo e Giulietta“ von Tschaikowsky und „I due Foscari“, ebenfalls von Giuseppe Verdi. Aber auch „Salome“ mit der Musik von Richard Strauss mit dem „Maestro concertatore e Direttore“ Stefan Anton Reck sowie „La Bayadère“ mit der Musik von Leon Aloysius Minkus folgen noch in dieser Opernsaison des schönsten Theaters von Triest, im Herzen der Stadt.

Heben wir die Gläser

„La Traviata“ von Giuseppe Verdi gilt gemeinhin sicherlich als die Oper und erfuhr ihre Premiere am weltberühmten Teatro La Fenice von Venedig (http://www.teatrolafenice.it ), das seine diesjährige Herbstsaison, seine „Spettacoli di Opera“ (Opernaufführungen) bereits am 4. November 2010 mit „L`Elisir d`Amore“ von Gaetano Donizetti unter der Leitung des „Direttore“ Matteo Beltrami eröffnet hat. Besonderes Aufsehen wird wohl „Il killer di Parole“ (Andrea Molino) am 16. Dezember erregen. Es ist ein sogenanntes „ludodramma“ (Spieldrama) in zwei Akten, geschrieben von Daniel Pennac und Claudio Ambrosini, das libretto und die Musik stammen von Claudio Ambrosini. Aber keinesfalls sollte man das Neujahrskonzert im Fenice versäumen für das es dieses Jahr wieder drei Termine gibt: am 30. und 31. Dezember und natürlich am eigentlich „capodanno“ (Ersten des Jahres), dem 1. Januar 2011. Dieses Jahr finden die Neujahrskonzerte unter der Leitung von Daniel Harding statt. In der Programmvorankündigung steht, dass im ersten Teil vor allem das Orchester zum Zug kommt, im zweiten Solisten und der Chor und am Ende der Chor mit „Va’ pensiero“ aus Nabucco und natürlich das Trinklied „Libiam ne’ lieti calici“ (Heben wir die Gläser!) aus der „Traviata“ von Giuseppe Verdi, das oben schon angesprochen wurde und 1853 im Fenice seine Premiere hatte. Wenn das Jahr 2011 im Fenice mit so einem schönen „Brindisi“ (Prosit) beginnt, kann es wohl nur besser werden. Heben wir also jetzt schon die Gläser!

Das Wunder der Liebe

In der Scala in Mailand http://www.teatroallascala.org wurde die Herbstsaison zwar ebenso wie im Fenice auch schon eröffnet und das “Ballett Onegin”, sowie die Oper “Carmen” (Georges Bizet) gespielt, die eigentlichen Höhepunkte erwarten den geschätzten Opernliebhaber des berühmtesten Opernhauses Italiens aber wohl im Dezember mit den “Walküren” von Richard Wagner, die bis Januar als Programmschwerpunkt fortgesetzt werden. Daneben spielt die Scala aber auch den “Schwanensee” und die “Cavelleria Rusticana”. Im Februar und März folgen die “Tosca” (Puccini) aber auch Benjamin Brittens “Death in Venice”. Eine ganz besondere Inszenierung darf man sich von der Scala für Mozarts “Zauberflöte” erwarten, die im März/April 2011 gleich sieben Mal auf dem Programm steht. Hier werden wohl nicht nur “Lass Deine Glöckchen klingen” oder das Falsetto der Königin der Nacht ertönen, sondern auch den Wundern der Liebe in einem bombastischen Bühnenbild gehuldigt werden. Der Mailänder Scala kann so schnell kein anderes Opernhaus das Wasser reichen, nicht nur was Personal, sondern auch was Ausstattung und Bühnenbild betrifft. Giacomo Puccini bildet dann mit “Turandot” den würdigen Abschluss der Opernsaison 2010/2011 und wird bis Mai 2011 an zwölf Terminen gespielt werden.

„Man wird beim Zuhören selbst zum Meisterwerk“

Das Teatro die San Carlo in Neapel http://www.teatrosancarlo.it ist eines der ältesten Opernhäuser Italiens und sicherlich das größte Opernhaus Süditaliens. Es wurde 1735 von den Architekten Giovanni Antonio Medrano und Angelo Carasale für den Bourbonenkönig Karl IV von Neapel konzipiert und errichtet und war jahrelang mit 3.300 Plätzen sogar noch größer als die Mailänder Scala. Zahlreiche Uraufführungen wie etwa von Vincenzo Bellini, Gaetano Donizetti, Gioachino Rossini machten es sowohl international als auch beim italienischen Publikum bekannt und beliebt. Neben dem wohl berühmtesten Tenor, Enrico Caruso, gehörten auch andere wie Franco Corelli, Galliano Masini, Mario del Monaco oder Benjamino Gigli zu den Künstlern dieses berühmten Opernhauses. Ähnlich wie das Fenice in Venedig wurde aber auch das Teatro San Carlo durch einen Brand, im Februar 1816, zerstört. Für die Instandsetzung und Restaurierung zeichnete der Architekt Antonio Niccolini verantwortlich. Bereits Ende August desselben Jahres konnte dieser auch das Theater - mit klassizistischer Modernisierung - wieder der Öffentlichkeit übergeben, allerdings war es in der Zwischenzeit nicht mehr das größte Theater Italiens. Der Schüler des deutschen Komponisten Johann Simon Mayr, Gaetano Donizetti durfte hier selbst, im San Carlo, am 26. September 1835 die Uraufführung seiner Oper "Lucia di Lammermoor" erleben. Die Herbstsaison 2010/2011 wird am 5. Dezember mit Giacomo Puccinis “Tosca” unter dem Dirigenten Maurizio Benini und der Regie von Luca de Fusco eröffnet. Neben zwei Werken von Giovan Battista Pergolesi folgt im Frühjahr 2011 Georges Bizets “Carmen”.Wahre Liebe kennt auch in dieser Oper von Georges Bizet keine Grenzen. „Man wird beim Zuhören selbst zum Meisterwerk“ soll kein Geringerer als Friedrich Nietzsche beim Lauschen derselben Oper geäußert haben: „Die Musik scheint mir vollkommen.“Im April darf man sich dann auf Mozarts “Cosi fan Tutte” freuen. Die Saison wird im Mai mit Giuseppe Verdi “Siziliansicher Vesper” unter dem Dirigenten Gianluigi Gelmetti und der Regie von Guido De Monticelli abgeschlossen.

Der Stiegenaufgang zum Olymp: die Oper

Das Teatro Massimo http://www.teatromassimo.it/ (Architekt: Giovanni Battista Filippo Basile) in Palermo ist Italiens größtes und Europas drittgrößtes Opernhaus, es hat 3.200 Sitzplätze und wurde erst 1997 wieder eröffnet. Es war in den Neunzigern Schauplatz der letzten Szenen von Francis Ford Coppola Filmtrilogie "Der Pate" (1999) für den das Treppenhaus und der Bühnensaal des Hauses, das zu dieser Zeit immer noch geschlossen war, extra restauriert wurde. Es kann sich nicht erst seit der Wiedereröffnung (1974 war es „wegen dringender Umbau- und Sicherungsarbeiten“ geschlossen worden) mit europäischen Maßstäben messen lassen. Nach mehr als 23 Jahre Bautätigkeit hat das Massimo einiges nachzuholen und kann auf einer bereits 1874 begründeten Tradition aufbauen. Ausgerechnet die Berliner Philharmoniker spielten bei der glanzvollen Eröffnungsgala 1997 unter dem Dirigenten Claudio Abbado. Das zeitweise dem totalen Verfall preisgegebene Haus wirkte lange Jahre wie „eine offene Wunde im Herzen von Palermo“, wie es der Ex-Intendant Francesco Giambrone ausgedrückt hat. Tatsächlich steht das Theater an der Piazza Verdi mitten im Zentrum Palermos fest und präsent wie ein griechischer Tempel und sein langer Stiegenaufgang führt vermeintlich in den musikalischen Olymp. Die "Wiedergeburt" dieses Theaters in Siziliens Metropole kann auch als „ein Zeichen des Wandels“ bewertet werden, da sie eng mit dem Kampf gegen das organisierte Verbrechen verknüpft wurde. Auf dem Spielplan steht im Dezember die bei uns wohl weniger bekannte Oper Verdis „La Fanciulla del West“. 2011 wird die palermitanische Sopran Desirée Rancatore, die Protagonistin in dem Meisterwerk Donizettis “Lucia di Lammermoor” interpretieren und an ihrer Seite, in der Rolle von Edgardo, der sardische Tenor Francesco Demuro glänzen. Das Bühnenbild und die Kostüme von William Orlandi, in den Schattierungen von Schwarz und Weiß wird dem Zuseher eine “Lucia neogotica” bescheren, wie es in der Vorankündigung heißt. Dirigiert wird die Oper von dem Donizetti Spezialisten Stefano Ranzani werden. Als eines der wenigen italiensichen Opernhäuser gibt das Teatro Massimo übrigens auch im Sommer Vorstellungen und zwar vom 12.-17. Juli 2011 Turandotvon Giacomo Puccini. In Der Rolle der Eisprinzession wird Giovanna Casolla auf die Bühne Palermos zurückkehren. Calaf wird vom Tenor Francesco Hong gesungen und Liù von Rachele Stanisci.

Weiterführende Literatur und Tipps:

Andras Batta: Opera. Komponisten, Werke, Interpreten. Könemann 1999
Slavoj Žižek: Der zweite Tod der Oper, Kadmos Verlag 2003
Slavoj Žižek: Die Metstasen des Genießens, Passagen Verlag 1996

http://www.teatromassimo.it/
http://www.teatrosancarlo.it/it/stagione/opera.html
http://www.teatroverdi-trieste.com
http://www.teatroallascala.org
http://www.teatrolafenice.it

Für Verfilmungen von Opern sei an die “Sternstunden der Opern” herausgegeben von Arthaus Musik erinnert: http://www.arthaus-musik.com


Einstell-Datum: 2010-11-17

Hinweis: Dieser Artikel spiegelt die Meinung seines Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung der Betreiber von versalia.de übereinstimmen.

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