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Mein Morgen in der Zulassungsstelle
Autor: Andreas Moll · Rubrik:
Kurzgeschichten

"Mein Morgen in der Zulassungsstelle"

Konnte ja keiner ahnen, dass ich gestern erst einen Drehauftrag und dann auch noch einen Hörfunkauftrag über die Deutschen Fernsehpreis bekam, der den letzten Abend folgendermaßen aussehen ließ: 1 Reportage ("Für Allah in den Tod") und 2 Fernsehfilme über Willy Brandt gucken, transkribieren und dabei alkoholfreies Beck"s trinken. Irgendwann wurde es 2. Um 6:30 war es wieder hell und ich hatte Kopfschmerzen. Blieb liegen und schaffte es erst um 9 zur Zulassungsstelle unten in Hammerbrook. Nur Idioten auf der Straße dahin, 1 Stunde Fahrt durch 20-Fahrer. Dann Anstehen, Warten, Kaffeetrinken in einem Raum voller Mitbürger (und dieses Wort verwendet man nur für bestimmte Mitbürger), die rauchten, sich am Spielautomaten verdingten, "Hürriyet" und "Bild" lasen, während ich mich - prollig, wie ich bin - mit dem Feuilleton der "SZ" in die Ecke stellte und als einziger nicht rauchte (NB: "Bild" und "SZ" - womöglich auch "Hürriyet" - berichteten über die noble Autorin Elfriede Jelinek und beide haben sie vernichtet. Ich gönne ihr den Preis und die Kohle ja sehr. Aber wer bin ich.). Für die "Sport-Bild" reichte mein Bares nicht mehr, als die "SZ" durch war. So stand ich und dachte über Jelineks "Sportstück" und "Wolken.Heim" nach. Und wartete und wartete. Die Kafka-Biografie hab ich in der Tasche gelassen, ich hätte mich geschämt (vor Kafka). Stunden später gewährte die Türsteherin mir Einlass. Ich hatte aber keine ASU-Bescheinigung. "Ich hab aber ASU gemacht", sagte ich in Minimaldeutsch, "steht doch auf der Plakette!" - "Die Plakette hätten Sie ja fälschen können!", sagte die Frau. "Aha", sagte ich, "und jetzt? So 30 Minuten vor Schließung ihrer Zulassungsstelle?" - "ASU machen, aufm Hof!" - Allmählich kam ich mir vor wie in "Neue Vahr Süd", dem neuen Roman von Sven Regener. Ich zog eine neue Nummer und statt zu infarkten, unterhielt ich mich nett mit den Jungs von TÜV Hanse, mit Wörtern Kompetenzen vorgaukelnd, die ich ganz und gar nicht habe. 27 Euro und eine halbe Stunde später stand ich wieder an. 12:30h. Die Türsteherin gewährte mir wieder Einlass und ich musste an Kafkas Parabel denken: "Ich bin nur die unterste Türsteherin, aber hinter mir kommt schon eine, die ist so mächtig, dass selbst ich ihren Anblick nicht ertragen kann." Das endet dann ja bekanntlich mit "Diese Tür war nur für dich bestimmt. Ich gehe jetzt und schließe sie." Doch diese Tür wurde erst verschlossen, als auch ich zwei Warteschlangen später wieder gegangen bin und vor Aggressionen beinahe geplatzt wäre. Ich mag Warten nicht. Dafür mochte ich aber das türkische Pärchen, das hinter mir in der Schlange stand. Er, Typ freundlicher, zwielichtiger und assimilierter Im- und Exporteur, sie Typ Re-Import von zu Hause. Er rempelte mich immer aus Versehen an und entschuldigte sich dann ganz freundlich. Ich sagte freundlich "Macht doch nichts" zurück. Normal bringt mich so etwas zur Weißglut. Er fragte: "Dauert immer so lang?" - Ich antwortete: "Ja. Das ist Deutschland." Nach einer aggressiv klingenden Konversation zwischen ihm und seiner Süßen, begannen die beiden, sich zu küssen. Ich kam an die Reihe und der freundliche Mitarbeiter drückte das Hamburg-Emblem auf meine neuen Nummernschilder. Wer Liebe lebt, wird unsterblich sein.


Einstell-Datum: 2004-10-09

Hinweis: Dieser Artikel spiegelt die Meinung seines Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung der Betreiber von versalia.de übereinstimmen.

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