Kann es Bedrückenderes geben als die Erkenntnis: Ich habe andere töten wollen, da ich mich selbst nicht annehmen konnte?
Ein krasses Beispiel dafür sehen wir in Everett Lewis’ Film „FAQs“. Zwei junge Männer, Quentin und Guy, können nicht anerkennen, dass sie sich lieben – sie machen stattdessen Jagd auf andere Homosexuelle, bereit, auch zu töten. Guy, der Mitläufer, steigt aus und konfrontiert den bis dahin dominierenden Quentin mit der Wahrheit hinter ihren Hetzjagden. Quentins dramatischer Lernprozess bringt noch einmal andere und jetzt auch ihn selbst in Lebensgefahr. Am Ende ist er ein seelischer Pflegefall.
Wie realistisch ist ein solcher Ablauf? Dass Homosexuelle sich ihrer speziellen Neigungen erst spät bewusst werden, oft erst um die dreißig, kann häufig beobachtet werden. Ich kann es zwar nicht nachvollziehen, doch ich habe selbst Beispiele dafür vor Augen. Was aber ist dran an der Theorie von der verborgenen Homosexualität vieler Homophober? Dazu gibt es eine aufschlussreiche Studie von Prof. Henry E. Adams, University of Georgia, aus 1996. Er bildete aus 64 sich selbst als heterosexuell bezeichnenden Probanden zwei Gruppen, die eine homophob und die andere ohne solche Einstellung. Er zeigte ihnen einschlägige Videos und stellte in der ersten Gruppe bei 54,3% der Probanden eindeutige Zeichen sexueller Erregung fest. In der Kontrollgruppe ohne feindselige Einstellung waren es nur 24,1%.
Die Entstehung von Hass aus Selbsthass ist weit über die Sexualität hinaus von Bedeutung, z.B. im Rassenhass. Besonders anfällig für Aggression aufgrund fehlgeschlagener Identitätsbildung können Individuen sein, deren ethnische Herkunft gemischt oder unklar ist oder deren kulturelle Zugehörigkeit unter Zwang verändert wurde. Beispiel aus jüngerer Zeit: das damalige Jugoslawien, in dem der Rassenhass bezeichnenderweise im ethnisch zerklüfteten Bosnien-Herzegowina am verheerendsten tobte. Denken wir auch an die Janitscharen. Um zuverlässigere Soldaten zu bekommen, bedienten sich die osmanischen Sultane zwangsrekrutierter und zum Islam zwangsbekehrter Knaben christlicher Untertanen.
Gelegentlich ist vom jüdischen Selbsthass die Rede, manchmal zu Unrecht. Ich suche Beispiele und finde sie bei Personen mit nur teilweise jüdischer Herkunft. So kannte ich eine Frau mit einem jüdischen Großvater, sie selbst geboren bald nach dem 1. Weltkrieg und im Dritten Reich zur Schule gegangen. Zeit ihres Lebens befreite sie sich nicht von den antisemitischen Stereotypen ihrer Jugend. Sie heftete sie vor allem ihrer eigenen ungeliebten Mutter und deren Schwestern an, obgleich diese mental und in ihren Biographien höchst unterschiedliche Persönlichkeiten waren. Sie tat alles, um ihrer eigenen mater semita unähnlich zu sein – und wurde ihr mit jedem Jahrzehnt ähnlicher.
In der älteren Schönen Literatur finden wir oft eine ambivalente Haltung zum Judentum, vermischt mit Anzeichen von Antisemitismus, sogar in einem so bedeutenden Werk wie dem von Proust, dessen Mutter selbst jüdisch war. Das jüdische Personal seines Romans erscheint zumeist in Verbindung mit den Klischees des 19. und frühen 20. Jahrhunderts. Bloch, der Schulfreund des Erzählers, ist ein intelligenter Streber, unkultiviert, aufdringlich und geistlos. Blochs Familie kommt ebenfalls schlecht weg, sein Onkel ist überdies ein zu Ausschweifungen neigender Liebhaber junger Männer, eine sowohl Mitleid erregende als auch lächerliche Figur. Die gleiche Vorstellung vom sittenlosen Orientalen vermittelt auch Léa, die jüdisch-lesbische Freundin von Mademoiselle Vinteuil. Und Swann? Er hat neben positiven Eigenschaften einen großen Fehler: Snobismus.
Bei Dostojewski stoßen wir auf eine besondere Variante des Musters misslungener Identitätsbildung, ich will sie die passive, selbstzerstörerische nennen. In seiner Biographie wie in seinen Werken taucht gelegentlich die Figur des Rivalen um eine geliebte Frau auf. Autor wie Held fixieren sich auf ihn, und zwar in der Weise, dass sie sich dem Konkurrenten verstehend, liebend unterordnen. Das eigene Glück wird fremdem geopfert. In „Der Idiot“ findet dieser innere Konflikt seinen abschließenden Höhepunkt darin, dass Myschkin aus Passivität die geliebte Nastassja Filippowna an Rogoshin verliert, der sie im Affekt tötet. Am Ende warten die beiden Männer gemeinsam am Tatort neben der Leiche darauf, von der intervenierenden Außenwelt abgeholt zu werden – Rogoshin als Mörder, Myschkin als hoffnungsloser Idiot. Große Literatur – und Visconti hat das Thema in „Rocco und seine Brüder“ noch einmal cineastisch aufgegriffen. Doch auch im Realen kann das lebensgefährlich sein: sich selbst zu hassen und diesen Hass auf andere zu projizieren.
Ein krasses Beispiel dafür sehen wir in Everett Lewis’ Film „FAQs“. Zwei junge Männer, Quentin und Guy, können nicht anerkennen, dass sie sich lieben – sie machen stattdessen Jagd auf andere Homosexuelle, bereit, auch zu töten. Guy, der Mitläufer, steigt aus und konfrontiert den bis dahin dominierenden Quentin mit der Wahrheit hinter ihren Hetzjagden. Quentins dramatischer Lernprozess bringt noch einmal andere und jetzt auch ihn selbst in Lebensgefahr. Am Ende ist er ein seelischer Pflegefall.
Wie realistisch ist ein solcher Ablauf? Dass Homosexuelle sich ihrer speziellen Neigungen erst spät bewusst werden, oft erst um die dreißig, kann häufig beobachtet werden. Ich kann es zwar nicht nachvollziehen, doch ich habe selbst Beispiele dafür vor Augen. Was aber ist dran an der Theorie von der verborgenen Homosexualität vieler Homophober? Dazu gibt es eine aufschlussreiche Studie von Prof. Henry E. Adams, University of Georgia, aus 1996. Er bildete aus 64 sich selbst als heterosexuell bezeichnenden Probanden zwei Gruppen, die eine homophob und die andere ohne solche Einstellung. Er zeigte ihnen einschlägige Videos und stellte in der ersten Gruppe bei 54,3% der Probanden eindeutige Zeichen sexueller Erregung fest. In der Kontrollgruppe ohne feindselige Einstellung waren es nur 24,1%.
Die Entstehung von Hass aus Selbsthass ist weit über die Sexualität hinaus von Bedeutung, z.B. im Rassenhass. Besonders anfällig für Aggression aufgrund fehlgeschlagener Identitätsbildung können Individuen sein, deren ethnische Herkunft gemischt oder unklar ist oder deren kulturelle Zugehörigkeit unter Zwang verändert wurde. Beispiel aus jüngerer Zeit: das damalige Jugoslawien, in dem der Rassenhass bezeichnenderweise im ethnisch zerklüfteten Bosnien-Herzegowina am verheerendsten tobte. Denken wir auch an die Janitscharen. Um zuverlässigere Soldaten zu bekommen, bedienten sich die osmanischen Sultane zwangsrekrutierter und zum Islam zwangsbekehrter Knaben christlicher Untertanen.
Gelegentlich ist vom jüdischen Selbsthass die Rede, manchmal zu Unrecht. Ich suche Beispiele und finde sie bei Personen mit nur teilweise jüdischer Herkunft. So kannte ich eine Frau mit einem jüdischen Großvater, sie selbst geboren bald nach dem 1. Weltkrieg und im Dritten Reich zur Schule gegangen. Zeit ihres Lebens befreite sie sich nicht von den antisemitischen Stereotypen ihrer Jugend. Sie heftete sie vor allem ihrer eigenen ungeliebten Mutter und deren Schwestern an, obgleich diese mental und in ihren Biographien höchst unterschiedliche Persönlichkeiten waren. Sie tat alles, um ihrer eigenen mater semita unähnlich zu sein – und wurde ihr mit jedem Jahrzehnt ähnlicher.
In der älteren Schönen Literatur finden wir oft eine ambivalente Haltung zum Judentum, vermischt mit Anzeichen von Antisemitismus, sogar in einem so bedeutenden Werk wie dem von Proust, dessen Mutter selbst jüdisch war. Das jüdische Personal seines Romans erscheint zumeist in Verbindung mit den Klischees des 19. und frühen 20. Jahrhunderts. Bloch, der Schulfreund des Erzählers, ist ein intelligenter Streber, unkultiviert, aufdringlich und geistlos. Blochs Familie kommt ebenfalls schlecht weg, sein Onkel ist überdies ein zu Ausschweifungen neigender Liebhaber junger Männer, eine sowohl Mitleid erregende als auch lächerliche Figur. Die gleiche Vorstellung vom sittenlosen Orientalen vermittelt auch Léa, die jüdisch-lesbische Freundin von Mademoiselle Vinteuil. Und Swann? Er hat neben positiven Eigenschaften einen großen Fehler: Snobismus.
Bei Dostojewski stoßen wir auf eine besondere Variante des Musters misslungener Identitätsbildung, ich will sie die passive, selbstzerstörerische nennen. In seiner Biographie wie in seinen Werken taucht gelegentlich die Figur des Rivalen um eine geliebte Frau auf. Autor wie Held fixieren sich auf ihn, und zwar in der Weise, dass sie sich dem Konkurrenten verstehend, liebend unterordnen. Das eigene Glück wird fremdem geopfert. In „Der Idiot“ findet dieser innere Konflikt seinen abschließenden Höhepunkt darin, dass Myschkin aus Passivität die geliebte Nastassja Filippowna an Rogoshin verliert, der sie im Affekt tötet. Am Ende warten die beiden Männer gemeinsam am Tatort neben der Leiche darauf, von der intervenierenden Außenwelt abgeholt zu werden – Rogoshin als Mörder, Myschkin als hoffnungsloser Idiot. Große Literatur – und Visconti hat das Thema in „Rocco und seine Brüder“ noch einmal cineastisch aufgegriffen. Doch auch im Realen kann das lebensgefährlich sein: sich selbst zu hassen und diesen Hass auf andere zu projizieren.