Eine Woche Vollpension
Sie lud mich nach Italien ein, genauer nach Turin. Sie sagte mir aber nicht, wie ich dort hinkommen sollte.
„Nimm doch den Zug“, schrieb sie mir, „das ist romantisch.“
Deshalb klapperte ich ein paar Reisebüros ab, und dann hatte ich ein Flugticket in den Händen, das fand ich romantischer, vor allen Dingen schneller.
Sie hatte mir auch geschrieben, dass ich nichts mitzubringen brauche, eventuell Unterwäsche und eine Zahnbürste, um den Rest würde sie sich kümmern. Ich schrieb zurück, sie müsste sich um Getränke, also Wein, Bier, Whiskey, ums Essen und um Zigaretten und Joints kümmern.
Die Stewardess servierte Drinks und das Flugzeug geriet über den Alpen in ein paar Turbulenzen. Jeder hatte seine Aufgabe, jeder sein Ziel. Der Pilot verriet uns seinen Namen, er sagte die Flughöhe durch und wie das Wetter in Turin voraussichtlich sein würde, auf jeden Fall sehr heiß. Vor dem Start hatten uns zwei Stewardessen gezeigt, was wir im Notfall tun müssten und wo sich die Rettungswesten befanden.
Nach den Drinks wollte ich ein bisschen schlafen, aber da landeten wir schon. Ich brauchte weder mein Uhr umzustellen, noch musste ich am Gepäckband Schlange stehen, ich ging durch den Zoll und hielt nach Ingrid Ausschau.
Sie winkte mit einem weißen Taschentuch. Sie trug ein langes weites Kleid und ihr langes Haar offen. Ich erkannte sie sofort, obwohl ich sie nur von einer blassen Photographie in Erinnerung hatte. Na ja, mich musste man einfach erkennen ohne mich vorher gesehen zu haben, ich wurde zum Ausgang gedrängt, geschubst und gab mir keine Mühe vorwärts zu kommen, will sagen, ich sah aus wie ein Ping-Pong-Ball und ich benahm mich so, wie ich es ihr vorher in den Briefen beschrieben hatte: dauernd angeschlagen und Null Interesse.
Dann stand ich vor ihr. Ingrid war gut 5 Zentimeter größer als ich. Wir sagten fast gleichzeitig Hallo und lachten. Dann wollte ich sie küssen, aber sie reichte mir die Hand. Also küsste ich ihre Hand. Sie führte mich zum Taxistand. Ich blieb einen Schritt hinter ihr. Das mache ich fast immer, wenn ich nicht gerade alleine unterwegs bin. Damit verschaffe ich mir einen Überblick über die Person, mit der ich einen Weg gehe. Besonders bei Frauen achte ich auf die Bewegungen des Hinterns, Frauen können das viel besser als Männer, sie verlagern den Rhythmus in die Hüften, Männer stolzieren mehr.
Nun, Ingrids Hintern war nicht ohne, als Lehrerin war sie es gewohnt betrachtet und gemustert zu werden. Meistens finde ich schon bei der ersten Begegnung mit einer Frau ein winziges Detail was mich stört. Bei Ingrid störte mich, auf dem Weg zum Taxistand, nichts. Ihr Haar roch nach Aprikose. Es war lang und braun und sah aus, als habe sie erst kürzlich versucht Locken reinzumachen. Schon im Taxi überkam mich das Gefühl von einer Menge Frau umgeben und beschützt zu sein. Ich lehnte mich leicht an sie und spürte, wie sich ihr großer Körper und ihre großen Brüste bei jedem Atemzug bewegten.
Bis ins Stadtgebiet von Turin redete keiner von uns ein Wort. Erst als wir in die Nähe der Via Roasio kamen, sprudelte es aus ihr hervor:
„Da drüben ist meine Schule, siehst du, hier ist ein Supermarkt, daneben ein Spirituosenladen, das Lokal da vorne ist nicht schlecht, die machen herrliche Pastagerichte, ah, schau, der Laden hat bis 24 Uhr offen, hier kriegst du immer was zu trinken“, und zum Taxifahrer sagte sie auf italienisch, „ fahren Sie gleich rechts rein und machen Sie keinen Umweg...“
Sie bezahlte den Fahrer und ich ging wieder einen Schritt hinter ihr her. Wie gesagt, sie hatte einen breiten Rücken, langes Haar und einen prächtigen Arsch und große Brüste und Beine, zwischen die ich wollte. Deswegen war ich hier. Ich wollte mich ein paar Tage an sie lehnen und mit ihrer Hilfe Turin kennenlernen, und ihr Bett und sie selbst, und mich auch.
Ingrids Wohnung war auf das Alleinsein eingerichtet, auf Funktionalität und nicht darauf, sie anderen Menschen herzuzeigen. Ich fühlte mich augenblicklich wohl. Wir setzten uns am Küchentisch gegenüber.
Vier Stunden und fünf Flaschen Wein später, also kurz nach 17 Uhr Ortszeit Turin, verstand sie nicht mehr was ich sagen wollte, ich war groggy und legte einen Arm um sie und sie führte mich ins Schlafzimmer. Ich schlief ein, bevor sie mich ganz ausgezogen hatte.
Ich weiß nicht, wo ich bin. Die letzten Tage ohne Schlaf, der Flug, der Wein haben mir zugesetzt. Die Wände rings herum sind violett. Das Bett ist sonderbar weich und ich drehe mich, um in die Mulde zu kippen, die ein Doppelbett bei Beanspruchung für gewöhnlich aufweist. Aber ich falle nicht, die Matratze ist so eben wie ein vertikaler Strich. Die Bettwäsche duftet ebenfalls nach Aprikose. Das Schlafzimmerfenster ist auf Kipp. Italienische Stimmen dringen herein. Es muss der Hinterhof sein, von dem mir Ingrid schrieb. Draußen ist es dunkel. Hier drinnen auch. Ich fühle mich gut in diesem Bett obwohl ich weiß, dass ich nicht der erste Mann bin. Nichts hält ewig, alles ist im Fluss, Männer und Frauen kommen und gehen, schon im dritten Jahrhundert vor Christi entstanden die ersten Ansiedlungen von Tauriskern beim Fluss Po, und unter Augustus, also zwei Jahrhunderte später, wurde Turin zur Kolonie. Folglich hat auch die Via Roasio ihre Geschichte – und das Bett im Schlafzimmer. Ingrid hat ihre Geschichte und ich habe meine Geschichte.
Ich huste ein paar Mal laut und ziehe mir die Unterhose aus. Dann schaue ich zur Tür und warte darauf, dass die Klinke heruntergedrückt wird.
Zum Schluss bat ich sie, sich auf mich zu legen. Ich schlief für ein paar Sekunden ein. Der Vollmond grinste zur Welt. Selbst die Sonne, die wir in diesem Teil der Erdkugel nicht mehr sehen konnten, schien auf uns herab. Irgendwo wurde Tag, in Europa wurde Nacht. Turin ging schlafen. Ich hatte Lust aufzustehen.
„Lass uns mal was essen“, sagte Ingrid lächelnd.
Um Mitternacht Mittag zu essen war mir nicht fremd. Ich hatte noch das Bild ihres nackten Körpers vor mir, aber unter der Tischdecke war meine Erektion gut versteckt. Sie sprach in einem ruhigen Ton, manchmal italienisch schnell, manchmal abwartet. Erst nach dem Essen baute meine Erektion ab und ich beteiligte mich am Gespräch. Zumal sie einen guten Weißwein öffnete. Anschließend dachte ich darüber nach, dass ich mir wegen meiner dauernden Erektionen etwas einfallen lassen müsste.
Ingrid machte es sehr souverän. Sie hatte einen gewissen Trick, einen Schlenker ihrer Hüften, eine Art Muskelspiel ihrer Schenkel, und wenn ich meinen Schlenker dazugab, war der Orgasmus perfekt.
Am nächsten Morgen ging sie zur Schule und unterrichtete die kleinen Gigolos, die deutsch lernen wollten. Ich holte mir um 11 Uhr einen runter und schaute, was Ingrid mir zum Frühstück hinterlassen hatte. Nach dem Frühstück probierte ich den Rotwein. Dann den Sekt.
Nachdem ich geduscht hatte, hörte ich den Schlüssel im Schloss.
Sie sah abgespannt aus.
„Lad uns zum Essen ein“, sagte ich.
Aber sie wollte nicht. Stattdessen machte sie es wieder sehr souverän. Danach war sie völlig fertig, sie wollte nur noch schlafen. Ich wartete bis ihre Augen zuklappten, und eine Stunde später war ich abermals bei ihr drin. Ich passte gut rein. Überhaupt passte alles. Deshalb fickten wir bis 3 Uhr morgens und gingen noch draußen spazieren, wo uns der kühlende Wind der Nacht entgegenkam, anstatt der fast tropischen Hitze des Tages.
Ich schwitze schnell – beim Ficken wie beim Trinken, aber das ist mir nicht unangenehm. Erst wenn ich beim Arbeiten schwitze, frage ich nach dem Sinn. Ich mag Frauen, die sich ihrer Qualitäten bewusst sind. Ich mag Frauen, die Qualitäten haben. Ingrid hatte alles: Qualitäten, Intellekt, Figur und Sex. Was sie an mir fand, blieb schleierhaft. Ich hätte ihr ohne weiteres ein Kind gemacht, ich hätte sie sogar geheiratet.
Kurz darauf pendelten wir uns ein: Sie zeigte mir Turin, ich zeigte ihr, was mir andere Frauen vorher gezeigt hatten.
Auch Turin hat seine Denkmäler, Kirchen und Kulturstätten, die Stadt ist der Vergangenheit zugänglich. Wir fuhren mit einer kleinen roten Zahnradbahn zu der auf einem Hügel gelegenen Basilica di Superga. Gleich hinter der Einfriedungsmauer deutete Ingrid auf einen Gedenkstein, das war die Stelle, wo im Mai 1949 das Flugzeug zerschellte, in dem sich die gesamte Fußballmanschaft Turins befand. Am liebsten waren mir der Piazza della Repubblica wegen seiner Wochenmärkte und der Parco del Valentino, eines der bekanntesten Gärten Italiens, der sich über gut 550 000 qm erstreckt.
Sobald ich betrunken war, bildete ich ein Problem. Ich meine, Ingrid sah mein Trinkverhalten als Problem. Sie sagte es mir nicht ins Gesicht, sie kritisierte mich, indem sie minutenlang schwieg. Während solcher Minuten dachte ich darüber nach, warum ich ohne Alkohol, Sex, Valium oder Marihuana nicht schlafen konnte. Vermutlich waren die körpereigenen chemischen Reaktionen daran schuld. Oder das Wetter. Oder der Blick in eine nebulöse Zukunft.
Zwei Straßen von Ingrids Wohnung entfernt lag ein kleines Restaurant, draußen standen drei Tische und es war nie so überfüllt, dass man zuerst auf einen Platz und dann stundenlang auf einen Kellner warten musste. Selbst für Norditalien war es in diesem Sommer besonders heiß. Das Thermometer tippte täglich an die 40-Grad-Marke. Ingrid trug luftige, lange ärmellose Kleider. Ich blieb öfter abrupt stehen und bat sie, ihre Arme um mich zu legen. Wenn sie morgens zur Schule ging, setzte ich mich in den Hinterhof und schaute den beiden Katzen beim Spielen zu, oder dem Wein beim Wachsen, der sich über die alten Mauern gelegt hatte. Gegen Mittag wurde es den Katzen zu heiß, sie dösten im Schatten der Treppe. Dann stellte ich Bier und Wein für den Abend kalt und latschte rüber zum Restaurant, und der Besitzer
fragte jedes Mal, ob die Signora auch kommen würde. Wenn sie kam, brachte er ihr ein kühles Mineralwasser mit einer Scheibe Zitrone drin. Aber sie kannten sich ja. Bei mir war er nie sicher, ob ich Bier oder Wein wollte, ich entschied es täglich neu, und die beiden wichtigsten italienischen Vokabeln, nämlich birra und vino, waren mir geläufig. Ansonsten hatten der Besitzer und die beiden Kellner ihre Schwierigkeiten eine Konversation mit mir anzufangen.
Ingrids Art mich zu belehren, gefiel mir.
„Doppelkonsonanten“, sagte sie, „werden durch einen Bindestrich getrennt, um auszudrücken, dass sie wie zwei Konsonaten gesprochen werden. Hör zu: raf-fred-da:re!“
„Abkühlen?“, fragte ich.
„Bezahl du, dann gehen wir.“
Selbst im Bett wies sie mich darauf hin, dass im Italienischen die Betonung auf der letzten, vorletzten, drittletzten oder viertletzten Silbe liegen kann, häufig aber die vorletzte Silbe betont wird. Ich setzte die Akzente bis zum Orgasmus, und wenn wir gekommen waren, schliefen wir für kurze Zeit ein.
Glück dauert niemals lange, und Unglück ist mit Alkohol besser zu ertragen.
Eine Woche später saß ich wieder im Flugzeug – wegen der Romantik. Kurz nachdem der Flieger abgehoben hatte, erzählte uns der Co-Pilot etwas von technischen Schwierigkeiten. Er kreiste ein paar Warteschleifen, ließ Benzin ab und landete wieder. Wir wurden alle in eine Ersatzmaschine verfrachtet und ich hätte es nicht für schlimm befunden, wenn ich den Rest meiner Tage in Turin verbleiben müsste.
Sie lud mich nach Italien ein, genauer nach Turin. Sie sagte mir aber nicht, wie ich dort hinkommen sollte.
„Nimm doch den Zug“, schrieb sie mir, „das ist romantisch.“
Deshalb klapperte ich ein paar Reisebüros ab, und dann hatte ich ein Flugticket in den Händen, das fand ich romantischer, vor allen Dingen schneller.
Sie hatte mir auch geschrieben, dass ich nichts mitzubringen brauche, eventuell Unterwäsche und eine Zahnbürste, um den Rest würde sie sich kümmern. Ich schrieb zurück, sie müsste sich um Getränke, also Wein, Bier, Whiskey, ums Essen und um Zigaretten und Joints kümmern.
Die Stewardess servierte Drinks und das Flugzeug geriet über den Alpen in ein paar Turbulenzen. Jeder hatte seine Aufgabe, jeder sein Ziel. Der Pilot verriet uns seinen Namen, er sagte die Flughöhe durch und wie das Wetter in Turin voraussichtlich sein würde, auf jeden Fall sehr heiß. Vor dem Start hatten uns zwei Stewardessen gezeigt, was wir im Notfall tun müssten und wo sich die Rettungswesten befanden.
Nach den Drinks wollte ich ein bisschen schlafen, aber da landeten wir schon. Ich brauchte weder mein Uhr umzustellen, noch musste ich am Gepäckband Schlange stehen, ich ging durch den Zoll und hielt nach Ingrid Ausschau.
Sie winkte mit einem weißen Taschentuch. Sie trug ein langes weites Kleid und ihr langes Haar offen. Ich erkannte sie sofort, obwohl ich sie nur von einer blassen Photographie in Erinnerung hatte. Na ja, mich musste man einfach erkennen ohne mich vorher gesehen zu haben, ich wurde zum Ausgang gedrängt, geschubst und gab mir keine Mühe vorwärts zu kommen, will sagen, ich sah aus wie ein Ping-Pong-Ball und ich benahm mich so, wie ich es ihr vorher in den Briefen beschrieben hatte: dauernd angeschlagen und Null Interesse.
Dann stand ich vor ihr. Ingrid war gut 5 Zentimeter größer als ich. Wir sagten fast gleichzeitig Hallo und lachten. Dann wollte ich sie küssen, aber sie reichte mir die Hand. Also küsste ich ihre Hand. Sie führte mich zum Taxistand. Ich blieb einen Schritt hinter ihr. Das mache ich fast immer, wenn ich nicht gerade alleine unterwegs bin. Damit verschaffe ich mir einen Überblick über die Person, mit der ich einen Weg gehe. Besonders bei Frauen achte ich auf die Bewegungen des Hinterns, Frauen können das viel besser als Männer, sie verlagern den Rhythmus in die Hüften, Männer stolzieren mehr.
Nun, Ingrids Hintern war nicht ohne, als Lehrerin war sie es gewohnt betrachtet und gemustert zu werden. Meistens finde ich schon bei der ersten Begegnung mit einer Frau ein winziges Detail was mich stört. Bei Ingrid störte mich, auf dem Weg zum Taxistand, nichts. Ihr Haar roch nach Aprikose. Es war lang und braun und sah aus, als habe sie erst kürzlich versucht Locken reinzumachen. Schon im Taxi überkam mich das Gefühl von einer Menge Frau umgeben und beschützt zu sein. Ich lehnte mich leicht an sie und spürte, wie sich ihr großer Körper und ihre großen Brüste bei jedem Atemzug bewegten.
Bis ins Stadtgebiet von Turin redete keiner von uns ein Wort. Erst als wir in die Nähe der Via Roasio kamen, sprudelte es aus ihr hervor:
„Da drüben ist meine Schule, siehst du, hier ist ein Supermarkt, daneben ein Spirituosenladen, das Lokal da vorne ist nicht schlecht, die machen herrliche Pastagerichte, ah, schau, der Laden hat bis 24 Uhr offen, hier kriegst du immer was zu trinken“, und zum Taxifahrer sagte sie auf italienisch, „ fahren Sie gleich rechts rein und machen Sie keinen Umweg...“
Sie bezahlte den Fahrer und ich ging wieder einen Schritt hinter ihr her. Wie gesagt, sie hatte einen breiten Rücken, langes Haar und einen prächtigen Arsch und große Brüste und Beine, zwischen die ich wollte. Deswegen war ich hier. Ich wollte mich ein paar Tage an sie lehnen und mit ihrer Hilfe Turin kennenlernen, und ihr Bett und sie selbst, und mich auch.
Ingrids Wohnung war auf das Alleinsein eingerichtet, auf Funktionalität und nicht darauf, sie anderen Menschen herzuzeigen. Ich fühlte mich augenblicklich wohl. Wir setzten uns am Küchentisch gegenüber.
Vier Stunden und fünf Flaschen Wein später, also kurz nach 17 Uhr Ortszeit Turin, verstand sie nicht mehr was ich sagen wollte, ich war groggy und legte einen Arm um sie und sie führte mich ins Schlafzimmer. Ich schlief ein, bevor sie mich ganz ausgezogen hatte.
Ich weiß nicht, wo ich bin. Die letzten Tage ohne Schlaf, der Flug, der Wein haben mir zugesetzt. Die Wände rings herum sind violett. Das Bett ist sonderbar weich und ich drehe mich, um in die Mulde zu kippen, die ein Doppelbett bei Beanspruchung für gewöhnlich aufweist. Aber ich falle nicht, die Matratze ist so eben wie ein vertikaler Strich. Die Bettwäsche duftet ebenfalls nach Aprikose. Das Schlafzimmerfenster ist auf Kipp. Italienische Stimmen dringen herein. Es muss der Hinterhof sein, von dem mir Ingrid schrieb. Draußen ist es dunkel. Hier drinnen auch. Ich fühle mich gut in diesem Bett obwohl ich weiß, dass ich nicht der erste Mann bin. Nichts hält ewig, alles ist im Fluss, Männer und Frauen kommen und gehen, schon im dritten Jahrhundert vor Christi entstanden die ersten Ansiedlungen von Tauriskern beim Fluss Po, und unter Augustus, also zwei Jahrhunderte später, wurde Turin zur Kolonie. Folglich hat auch die Via Roasio ihre Geschichte – und das Bett im Schlafzimmer. Ingrid hat ihre Geschichte und ich habe meine Geschichte.
Ich huste ein paar Mal laut und ziehe mir die Unterhose aus. Dann schaue ich zur Tür und warte darauf, dass die Klinke heruntergedrückt wird.
Zum Schluss bat ich sie, sich auf mich zu legen. Ich schlief für ein paar Sekunden ein. Der Vollmond grinste zur Welt. Selbst die Sonne, die wir in diesem Teil der Erdkugel nicht mehr sehen konnten, schien auf uns herab. Irgendwo wurde Tag, in Europa wurde Nacht. Turin ging schlafen. Ich hatte Lust aufzustehen.
„Lass uns mal was essen“, sagte Ingrid lächelnd.
Um Mitternacht Mittag zu essen war mir nicht fremd. Ich hatte noch das Bild ihres nackten Körpers vor mir, aber unter der Tischdecke war meine Erektion gut versteckt. Sie sprach in einem ruhigen Ton, manchmal italienisch schnell, manchmal abwartet. Erst nach dem Essen baute meine Erektion ab und ich beteiligte mich am Gespräch. Zumal sie einen guten Weißwein öffnete. Anschließend dachte ich darüber nach, dass ich mir wegen meiner dauernden Erektionen etwas einfallen lassen müsste.
Ingrid machte es sehr souverän. Sie hatte einen gewissen Trick, einen Schlenker ihrer Hüften, eine Art Muskelspiel ihrer Schenkel, und wenn ich meinen Schlenker dazugab, war der Orgasmus perfekt.
Am nächsten Morgen ging sie zur Schule und unterrichtete die kleinen Gigolos, die deutsch lernen wollten. Ich holte mir um 11 Uhr einen runter und schaute, was Ingrid mir zum Frühstück hinterlassen hatte. Nach dem Frühstück probierte ich den Rotwein. Dann den Sekt.
Nachdem ich geduscht hatte, hörte ich den Schlüssel im Schloss.
Sie sah abgespannt aus.
„Lad uns zum Essen ein“, sagte ich.
Aber sie wollte nicht. Stattdessen machte sie es wieder sehr souverän. Danach war sie völlig fertig, sie wollte nur noch schlafen. Ich wartete bis ihre Augen zuklappten, und eine Stunde später war ich abermals bei ihr drin. Ich passte gut rein. Überhaupt passte alles. Deshalb fickten wir bis 3 Uhr morgens und gingen noch draußen spazieren, wo uns der kühlende Wind der Nacht entgegenkam, anstatt der fast tropischen Hitze des Tages.
Ich schwitze schnell – beim Ficken wie beim Trinken, aber das ist mir nicht unangenehm. Erst wenn ich beim Arbeiten schwitze, frage ich nach dem Sinn. Ich mag Frauen, die sich ihrer Qualitäten bewusst sind. Ich mag Frauen, die Qualitäten haben. Ingrid hatte alles: Qualitäten, Intellekt, Figur und Sex. Was sie an mir fand, blieb schleierhaft. Ich hätte ihr ohne weiteres ein Kind gemacht, ich hätte sie sogar geheiratet.
Kurz darauf pendelten wir uns ein: Sie zeigte mir Turin, ich zeigte ihr, was mir andere Frauen vorher gezeigt hatten.
Auch Turin hat seine Denkmäler, Kirchen und Kulturstätten, die Stadt ist der Vergangenheit zugänglich. Wir fuhren mit einer kleinen roten Zahnradbahn zu der auf einem Hügel gelegenen Basilica di Superga. Gleich hinter der Einfriedungsmauer deutete Ingrid auf einen Gedenkstein, das war die Stelle, wo im Mai 1949 das Flugzeug zerschellte, in dem sich die gesamte Fußballmanschaft Turins befand. Am liebsten waren mir der Piazza della Repubblica wegen seiner Wochenmärkte und der Parco del Valentino, eines der bekanntesten Gärten Italiens, der sich über gut 550 000 qm erstreckt.
Sobald ich betrunken war, bildete ich ein Problem. Ich meine, Ingrid sah mein Trinkverhalten als Problem. Sie sagte es mir nicht ins Gesicht, sie kritisierte mich, indem sie minutenlang schwieg. Während solcher Minuten dachte ich darüber nach, warum ich ohne Alkohol, Sex, Valium oder Marihuana nicht schlafen konnte. Vermutlich waren die körpereigenen chemischen Reaktionen daran schuld. Oder das Wetter. Oder der Blick in eine nebulöse Zukunft.
Zwei Straßen von Ingrids Wohnung entfernt lag ein kleines Restaurant, draußen standen drei Tische und es war nie so überfüllt, dass man zuerst auf einen Platz und dann stundenlang auf einen Kellner warten musste. Selbst für Norditalien war es in diesem Sommer besonders heiß. Das Thermometer tippte täglich an die 40-Grad-Marke. Ingrid trug luftige, lange ärmellose Kleider. Ich blieb öfter abrupt stehen und bat sie, ihre Arme um mich zu legen. Wenn sie morgens zur Schule ging, setzte ich mich in den Hinterhof und schaute den beiden Katzen beim Spielen zu, oder dem Wein beim Wachsen, der sich über die alten Mauern gelegt hatte. Gegen Mittag wurde es den Katzen zu heiß, sie dösten im Schatten der Treppe. Dann stellte ich Bier und Wein für den Abend kalt und latschte rüber zum Restaurant, und der Besitzer
fragte jedes Mal, ob die Signora auch kommen würde. Wenn sie kam, brachte er ihr ein kühles Mineralwasser mit einer Scheibe Zitrone drin. Aber sie kannten sich ja. Bei mir war er nie sicher, ob ich Bier oder Wein wollte, ich entschied es täglich neu, und die beiden wichtigsten italienischen Vokabeln, nämlich birra und vino, waren mir geläufig. Ansonsten hatten der Besitzer und die beiden Kellner ihre Schwierigkeiten eine Konversation mit mir anzufangen.
Ingrids Art mich zu belehren, gefiel mir.
„Doppelkonsonanten“, sagte sie, „werden durch einen Bindestrich getrennt, um auszudrücken, dass sie wie zwei Konsonaten gesprochen werden. Hör zu: raf-fred-da:re!“
„Abkühlen?“, fragte ich.
„Bezahl du, dann gehen wir.“
Selbst im Bett wies sie mich darauf hin, dass im Italienischen die Betonung auf der letzten, vorletzten, drittletzten oder viertletzten Silbe liegen kann, häufig aber die vorletzte Silbe betont wird. Ich setzte die Akzente bis zum Orgasmus, und wenn wir gekommen waren, schliefen wir für kurze Zeit ein.
Glück dauert niemals lange, und Unglück ist mit Alkohol besser zu ertragen.
Eine Woche später saß ich wieder im Flugzeug – wegen der Romantik. Kurz nachdem der Flieger abgehoben hatte, erzählte uns der Co-Pilot etwas von technischen Schwierigkeiten. Er kreiste ein paar Warteschleifen, ließ Benzin ab und landete wieder. Wir wurden alle in eine Ersatzmaschine verfrachtet und ich hätte es nicht für schlimm befunden, wenn ich den Rest meiner Tage in Turin verbleiben müsste.