Charlotte sitzt wie jeden Tag am Fenster. Heute ist es trübe draußen und nur wenige Menschen sind unterwegs. Mühsam greift sie zur Teetasse. Die Beweglichkeit ihrer Arme und Hände ist seit dem letzten Schub sehr eingeschränkt. Dafür ist ihr Rollstuhl jetzt elektrisch. Nicht wirklich ein Trost.
Seit die Krankheit sie an den Rollstuhl gefesselt hat, kultiviert sie ein neues Hobby. Sie sammelt Menschen. Am Anfang war es etwas mühsam, aber mittlerweile hat sie schon einige Exemplare zusammen.
Den Postboten natürlich, der ihr schon zuwinkt, wenn er auf das Haus zugeht. Die Mutter mit den Zwillingen, die ihr ein wenig leid tut, weil der Kinderwagen so sperrig ist. Die Müllmänner, die einmal pro Woche ihren Dienst tun. Diverse Hausfrauen, die ihr wohlwollend zuwinken und er. Wenn Charlotte an ihn denkt, wird sie immer ein wenig rosig im Gesicht. Die Frau vom Pflegedienst zieht sie gerne mit ihm auf, wenn sie gute Laune hat.
Er wohnt gegenüber im Haus. Seine Wohnung hat große Fenster ohne Gardinen. Sie kann ihn also gut beobachten. Am Anfang hat sie sich ein wenig geschämt dafür. Aber sie hat es einfach nicht geschafft, ihre Blicke woanders hinzurichten, wenn er seine Wohnung betrat. Es scheint ihn auch nicht zu stören, dass sie ihm zusieht. Manchmal geht er ans Fenster und winkt zu ihr herüber. Manchmal scheint er vergessen zu haben, dass es sie gibt. Sie findet ihn so schön. So männlich. Und dann hadert sie wieder mit dem Schicksal. Ausgerechnet jetzt, da ihre Krankheit so weit fortgeschritten ist und sie, wie sie glaubt, jegliche Schönheit und Attraktivität verloren hat, jetzt begegnet sie einem solchen Mann. Das ist schon fast zynisch.
Ärgerlich wendet sie ihren Rollstuhl, um sich in der Küche neuen Tee zu brühen. Es fällt ihr wirklich immer schwerer, aber sie kämpft mit ihrem Körper, weil sie wenigstens die kleinen Dinge des Alltags noch selbst erledigen möchte. Ein Blick auf die Uhr zeigt ihr, dass der Pflegedienst gleich kommen wird, um ihr das Mittagessen zuzubereiten. Sie zahlt das für teures Geld extra, aber sie kann sich nicht überwinden, die Fertigkost von „Essen auf Rädern“ zu sich zu nehmen.
Der Schlüssel raschelt im Schloss und Carola vom Pflegedienst betritt die Wohnung. Seltsam beschwingt. Charlotte wundert sich ein wenig. Carola kommt auf sie zu und flüstert „Er ist da draußen vor der Tür“. Charlottes Herz bleibt einen Moment stehen. „Er will Dich ausführen zum Essen, weil Du doch heute Geburtstag hast. Das muss er sich wohl vom letzten Jahr gemerkt haben, als soviel Besuch da war.“ Charlotte glaubt zu träumen. „Er hat einen riesigen Strauß Blumen dabei. Darf ich ihn reinlassen?“
„Natürlich!“ sagt Charlotte.
S. Steinebach 2009
Seit die Krankheit sie an den Rollstuhl gefesselt hat, kultiviert sie ein neues Hobby. Sie sammelt Menschen. Am Anfang war es etwas mühsam, aber mittlerweile hat sie schon einige Exemplare zusammen.
Den Postboten natürlich, der ihr schon zuwinkt, wenn er auf das Haus zugeht. Die Mutter mit den Zwillingen, die ihr ein wenig leid tut, weil der Kinderwagen so sperrig ist. Die Müllmänner, die einmal pro Woche ihren Dienst tun. Diverse Hausfrauen, die ihr wohlwollend zuwinken und er. Wenn Charlotte an ihn denkt, wird sie immer ein wenig rosig im Gesicht. Die Frau vom Pflegedienst zieht sie gerne mit ihm auf, wenn sie gute Laune hat.
Er wohnt gegenüber im Haus. Seine Wohnung hat große Fenster ohne Gardinen. Sie kann ihn also gut beobachten. Am Anfang hat sie sich ein wenig geschämt dafür. Aber sie hat es einfach nicht geschafft, ihre Blicke woanders hinzurichten, wenn er seine Wohnung betrat. Es scheint ihn auch nicht zu stören, dass sie ihm zusieht. Manchmal geht er ans Fenster und winkt zu ihr herüber. Manchmal scheint er vergessen zu haben, dass es sie gibt. Sie findet ihn so schön. So männlich. Und dann hadert sie wieder mit dem Schicksal. Ausgerechnet jetzt, da ihre Krankheit so weit fortgeschritten ist und sie, wie sie glaubt, jegliche Schönheit und Attraktivität verloren hat, jetzt begegnet sie einem solchen Mann. Das ist schon fast zynisch.
Ärgerlich wendet sie ihren Rollstuhl, um sich in der Küche neuen Tee zu brühen. Es fällt ihr wirklich immer schwerer, aber sie kämpft mit ihrem Körper, weil sie wenigstens die kleinen Dinge des Alltags noch selbst erledigen möchte. Ein Blick auf die Uhr zeigt ihr, dass der Pflegedienst gleich kommen wird, um ihr das Mittagessen zuzubereiten. Sie zahlt das für teures Geld extra, aber sie kann sich nicht überwinden, die Fertigkost von „Essen auf Rädern“ zu sich zu nehmen.
Der Schlüssel raschelt im Schloss und Carola vom Pflegedienst betritt die Wohnung. Seltsam beschwingt. Charlotte wundert sich ein wenig. Carola kommt auf sie zu und flüstert „Er ist da draußen vor der Tür“. Charlottes Herz bleibt einen Moment stehen. „Er will Dich ausführen zum Essen, weil Du doch heute Geburtstag hast. Das muss er sich wohl vom letzten Jahr gemerkt haben, als soviel Besuch da war.“ Charlotte glaubt zu träumen. „Er hat einen riesigen Strauß Blumen dabei. Darf ich ihn reinlassen?“
„Natürlich!“ sagt Charlotte.
S. Steinebach 2009