Ich liebe Schulerinnerungen. Die sanfte Idiotie jener langen Jahre verschaffte mir ein Gefühl von Geborgenheit, wie ich es später nie wieder empfunden habe. Man döste in überheizten, schlecht gelüfteten Klassenzimmern. Der Singsang der Lehrerstimme. Hallende Schritte vom Flur her. Ein lautes Glucksen in der Heizung. Vor einem gebeugte Rücken. Neben einem ein aufgestützter Ellenbogen.
Susi, acht Jahre alt, soll das auswendig gelernte Gedicht aufsagen. Sie tut es mit Feuereifer, sie leiert es herunter: „Äpfelnüssundmandelkern …“ Sie ist hoch konzentriert, starrt den Lehrer an, hat kleine Schweißperlen auf der Stirn. – „Nicht so rattern! Noch mal von vorn, aber langsam und die Wörter einzeln betonen.“ Susi versteht nur, dass sie noch einmal anfangen soll. Sie hat einen frühkindlichen Hirnschaden. In der Grundschule kommt sie oberflächlich mit und gelangt doch nicht zu wirklichem Verständnis. Sie wird schon wieder schneller, nuschelt und leiert und rattert: „Äpfelnüssundmandelkern …“
„En classe!“ – „En classe …“ Wir lesen im Chor Französisch aus dem Lehrbuch für Anfänger ab. Der Lehrer wirkt immer ein bisschen arrogant und vor allem gelangweilt. Wir halten ihn daher irrtümlich für einen Franzosen, den es über die Grenze verschlagen hat. „J’ai un cra-yon … Nous-a-vons deux cra-yons …“ Hier wird nicht geleiert, sondern wie Kaugummi in die Länge gezogen. „Mein Gott“, sagt der Lehrer, „so einen Chor wünscht man sich, wenn man mal nicht einschlafen kann. Mehr Tempo!“
Wenn ich, selten genug, am Gymnasium vor der Klasse ein Gedicht aufsagen muss, bin ich leicht abzulenken und gerate dann unfehlbar ins Stocken. Fadenriss. Peinlich. Dabei kenne ich den Text gut. Doch etwas in mir sträubt sich gegen dieses Aufsagen. „Das war keine Glanzleistung“, sagt der Lehrer, als ich abtrete.
„Wir lagen vor Ma-da-gas-kar …“ Wir liegen zum dreihundertsten Mal vor Madagaskar und es klingt so schaurig aus den Kehlen stimmbrüchiger Knaben. Dazu die höheren Mädchenstimmen, das hört sich an wie ein gemischter Chor aus Kreissägen und Traktoren, deren Räder sich im Schlammboden festgefahren haben. Wenn wir bei seinen Kompositionsbeispielen einzuschlafen drohen, sagt der Musiklehrer: „Ich will Ihnen hier keine unterhaltsamen Stunden bereiten.“ Wir ihm auch nicht. Madagaskar! Muss eine Sträflingsinsel gewesen sein.
In der letzten Klasse vor dem Abitur sagt die Mathelehrerin: „ Auch ein fauler Apfel, der vom Stamm fällt, ist reif.“ Das ist auf uns gemünzt. Dreizehn Jahre sind um, das Ziel ist nahe, wenn auch immer noch sehr undeutlich, verschwommen.
Susi, acht Jahre alt, soll das auswendig gelernte Gedicht aufsagen. Sie tut es mit Feuereifer, sie leiert es herunter: „Äpfelnüssundmandelkern …“ Sie ist hoch konzentriert, starrt den Lehrer an, hat kleine Schweißperlen auf der Stirn. – „Nicht so rattern! Noch mal von vorn, aber langsam und die Wörter einzeln betonen.“ Susi versteht nur, dass sie noch einmal anfangen soll. Sie hat einen frühkindlichen Hirnschaden. In der Grundschule kommt sie oberflächlich mit und gelangt doch nicht zu wirklichem Verständnis. Sie wird schon wieder schneller, nuschelt und leiert und rattert: „Äpfelnüssundmandelkern …“
„En classe!“ – „En classe …“ Wir lesen im Chor Französisch aus dem Lehrbuch für Anfänger ab. Der Lehrer wirkt immer ein bisschen arrogant und vor allem gelangweilt. Wir halten ihn daher irrtümlich für einen Franzosen, den es über die Grenze verschlagen hat. „J’ai un cra-yon … Nous-a-vons deux cra-yons …“ Hier wird nicht geleiert, sondern wie Kaugummi in die Länge gezogen. „Mein Gott“, sagt der Lehrer, „so einen Chor wünscht man sich, wenn man mal nicht einschlafen kann. Mehr Tempo!“
Wenn ich, selten genug, am Gymnasium vor der Klasse ein Gedicht aufsagen muss, bin ich leicht abzulenken und gerate dann unfehlbar ins Stocken. Fadenriss. Peinlich. Dabei kenne ich den Text gut. Doch etwas in mir sträubt sich gegen dieses Aufsagen. „Das war keine Glanzleistung“, sagt der Lehrer, als ich abtrete.
„Wir lagen vor Ma-da-gas-kar …“ Wir liegen zum dreihundertsten Mal vor Madagaskar und es klingt so schaurig aus den Kehlen stimmbrüchiger Knaben. Dazu die höheren Mädchenstimmen, das hört sich an wie ein gemischter Chor aus Kreissägen und Traktoren, deren Räder sich im Schlammboden festgefahren haben. Wenn wir bei seinen Kompositionsbeispielen einzuschlafen drohen, sagt der Musiklehrer: „Ich will Ihnen hier keine unterhaltsamen Stunden bereiten.“ Wir ihm auch nicht. Madagaskar! Muss eine Sträflingsinsel gewesen sein.
In der letzten Klasse vor dem Abitur sagt die Mathelehrerin: „ Auch ein fauler Apfel, der vom Stamm fällt, ist reif.“ Das ist auf uns gemünzt. Dreizehn Jahre sind um, das Ziel ist nahe, wenn auch immer noch sehr undeutlich, verschwommen.