„Fünf Jahre im November. Fünf Jahre.“ Der große Gatsby spielt im New York des Jahres 1922. Also vor gut 100 Jahren. Anlass genug, sich endlich dieses Meisterwerk der amerikanischen Literatur, den Jahrhundertroman oder als was er noch alles bezeichnet wurde neu zu lesen und sich näher damit auseinanderzusetzen, was daran denn so prägend für seine Zeit war. Erschienen ist das Buch erstmals 1925.
Trimalchio in East Egg
Ernüchternd sind die Angaben die Paul Ingendaay in seinem wie immer lesenswerten Nachwort macht. Denn bei Erscheinen des Buches wurde es zum größten Flop von Fitzgeralds schriftstellerischer Karriere, der zuvor mit „Diesseits vom Paradies“, also schon mit 24 Jahren seinen Durchbruch hatte. Beim Erscheinen des Romans mit dem er in die Literaturgeschichte einging, The Great Gatsby, war Fitzgerald allerdings auch erst 27 Jahre alt und hatte noch gute 13 Jahre schriftstellerisches Schaffen vor sich. Er starb 1940 in Hollywood an seinem dritten Herzinfarkt. Als Verkörperung des „Jazz Age“ wurde der Gatsby, der eigentlich „Under the Red, White and Blue“ heißen hätte sollen, gerne gefeiert. Aber: „Schon im Winter 1925/26 war das Buch kommerziell tot“, schreibt Ingendaay. Doch keine Sorge, Fitzgerald verdiente hauptsächlich an seinen Kurzgeschichten und steigerte sein Einkommen pro Geschichte bis ins Jahr der Wirtschaftskrise auf bis zu 4000 Dollar. Er musste also noch lange nicht verhungern, denn es gehen allein 160 Kurzgeschichten auf sein Konto. Der große Gatsby schlug mit gerade einmal 5,10 Dollar zu Buche während er im selben Zeitraum für acht Erzählungen 30.000 Dollar von der Saturday Evening Post bezahlt bekam. Aber vielleicht waren die Zwanziger einfach nicht das Zeitalter des Romans, denn die Leute hatten gerade einmal für Kurzgeschichten genug Zeit und das nur oberflächlich. Aber ganz abgesehen von kommerziellen Aspekten, was machte diesen Roman denn nun so berühmt, dass er unzählige Male verfilmt wurde und immer noch als stilbildend für seine Epoche gilt?
Der Plot des Jazz Age
Der Plot ist schnell zusammengefasst und ich glaube, dass es kein Spoiler ist, wenn ich das hier erwähne, denn jede/r kennt die Story. Sie wird von Nick Carraway erzählt, der neben dem Luxushaus von James/Jay/Jimmy Gatsby (eigentlich: James Gatz) in einem kleinen Anwesen einzieht. Die ausschweifenden Partys, die sein Nachbar feiert, dienen vor allem dem Zweck, die inzwischen mit Tom Buchanan verheiratete Jugendliebe, Daisy, in sein Anwesen zu locken. Aber als dies nicht gelingt, muss Nick sein Häuschen für ein Stelldichein zur Verfügung stellen, quasi als neutrales Territorium. Bald stellt sich heraus, dass auch der Ehemann von Daisy, Tom, eine Freundin hat, Myrtle Wilson, die wiederum selbst mit George Wilson verheiratet ist. Dass im Roman ausgiebig gefeiert wird und dementsprechend Alkohol fließt, obwohl von 17. Januar 1920 bis 5. Dezember 1933 in den USA ja die Prohibition herrschte, braucht nicht extra erwähnt zu werden. Auch Zigaretten und Zigarren spielen eine große Rolle, Spritztouren mit den Automobilen und allerlei Beziehungskram natürlich, der schließlich zur eigentlichen Katastrophe am Ende des Romans führt. Denn bei einer dieser Spritztouren nach downtown NewYorkkommt es zu dem unvermeidlichen Dialog zwischen Gatsby und Tom, der ihm seine Liebe zu Daisy gesteht und sogar behauptet, dass Daisy ihn, Tom, nie geliebt habe. Dieses Geständnis ist Daisy gar nicht so recht und so bricht die muntere Truppe in zwei Automobilen wieder nach Long Island/East Egg auf, um dem eigentlichen Drama zu entkommen. Doch genau dieses Drama geschieht am Rückweg, als Myrtle Wilson in einem Streit mit ihrem Ehemann George auf die Autostraße flieht und dort von einem Auto erfasst wird – dem Auto von Gatsby. Aber nicht Gatsby ist gefahren, sondern Daisy und so hat sie unwissentlich ihre Rivalin bei Tom getötet. Ein tragischer Unfall also, der ein noch viel größeres Drama auslöst, weil Tom George später informiert, dass das gesuchte gelbe Auto Gatsby gehöre. Der Showdown wird hier nicht verraten, sondern wir brechen ab und kommen endlich zu einer Interpretation des Geschehens.
Der Kleine Carraway
Seltsam mutet für mich an, dass der Erzähler Nick gleich zu Beginn seine Verachtung gegenüber Gatsby ausdrückt, obwohl diese doch vielmehr seinem rassistischen und Frauenschlagenden „Freund“ Tom Buchanan gelten sollte. Immerhin hatte Gatsby sich durch viel Fleiß emporgearbeitet und kam nicht wie all die anderen „leichtfertigen Personen“ im Roman aus guten Verhältnissen. Denn der Ennui dieser Reichen ist es, der durch die Zeilen des ganzen Romans schleicht und dem die eigentliche Verachtung Nicks gelten sollte. Selbst wenn Gatsby sein Geld durch Alkohol verdient hätte, wäre er immer noch die bessere Figur als dieser Tom, der von der Überlegenheit der weißen Rasse schwafelt und seine Frau blutig schlägt (zumindest einmal). Außerdem hat Gatsby gute „Gondagde“ zur jüdischen Bevölkerung New Yorks, die von Fitzgerald übrigens durchaus antisemitisch und vor allem stereotyp beschrieben wird (Man vergleiche dazu die Person Meyer Wolfshiem) und das macht Gatsby doch eigentlich zu einem Sympathieträger. Ein großes Minus aber für den Erzähler Fitzgerald, nicht Nick, der hier für die leicht antisemitische Tendenz (Stichwort: Nase!) verantwortlich zeichnet. Bleibt noch die Figur Nick Carraway die ja offensichtlich das alter ego Fitzgeralds repräsentiert und auch nicht gerade sympathisch rüberkommt. Störend ist vor allem seine Distanziertheit und Reserviertheit, die sich auch dadurch ausdrückt, dass er zwar mit einer gewissen Jordan "flirtet", aber ihr nie wirklich seine eigentlichen Sympathien zeigt. Nick ist einer, der nirgends involviert werden oder anecken will und dann am Ende doch die Verantwortung übernehmen muss. Schade für den Großen Gatsby jedenfalls, dass er keine besseren Freunde fand als diesen Nachbarn. Der Roman könnte also auch den Titel tragen: Der Kleine Carraway.
Fazit und Ausblick
Kurzum: The Great Gatsby zeigt einerseits, dass der Aufstieg zum Tycoon dennoch eine Leere in der Seele zurücklässt, denn erst als Gatsby am Zenit seiner wirtschaftlichen Macht ist, besinnt er sich seiner romantischen Illusion, Daisy. Allerdings führt ihn auch genau diese romantische Illusion in den Abgrund und beendet den amerikanischen Traum. Paul Ingendaay erwähnt in seinem Nachwort auch, dass Zelda Fitzgerald, während Fitzgerald an seinem Roman arbeitete, einen Selbstmordversuch unternahm. Sie hätte nach einer Affäre mit einem Franzosen Schlaftabletten genommen. Das wäre also der vielzitierte Glamour auf den so viele Menschen damals, im sog. Jazz Age, neidisch waren? "Die Vergangenheit wiederholen?" "Natürlich kann man die Vergangenheit wiederholen", insistiert Gatsby in einem Gespräch mit Nick über Daisy. Schließlich waren es nur fünf Jahre in denen sie getrennt waren und nahtlos daran anzuschließen, das war es ja, was Gatsby all die Jahre hindurch antrieb. Eine romantische Illusion.
F. Scott Fitzgerald
Der große Gatsby
Aus dem Amerikanischen von Bettina Abarbanell.
Mit einem Nachwort von Paul Ingendaay
2012, Taschenbuch deluxe, 328 Seiten
ISBN: 978-3-257-26103-5
€ (D) 12.00 / sFr 16.00* / € (A) 12.40
diogenes Verlag
Trimalchio in East Egg
Ernüchternd sind die Angaben die Paul Ingendaay in seinem wie immer lesenswerten Nachwort macht. Denn bei Erscheinen des Buches wurde es zum größten Flop von Fitzgeralds schriftstellerischer Karriere, der zuvor mit „Diesseits vom Paradies“, also schon mit 24 Jahren seinen Durchbruch hatte. Beim Erscheinen des Romans mit dem er in die Literaturgeschichte einging, The Great Gatsby, war Fitzgerald allerdings auch erst 27 Jahre alt und hatte noch gute 13 Jahre schriftstellerisches Schaffen vor sich. Er starb 1940 in Hollywood an seinem dritten Herzinfarkt. Als Verkörperung des „Jazz Age“ wurde der Gatsby, der eigentlich „Under the Red, White and Blue“ heißen hätte sollen, gerne gefeiert. Aber: „Schon im Winter 1925/26 war das Buch kommerziell tot“, schreibt Ingendaay. Doch keine Sorge, Fitzgerald verdiente hauptsächlich an seinen Kurzgeschichten und steigerte sein Einkommen pro Geschichte bis ins Jahr der Wirtschaftskrise auf bis zu 4000 Dollar. Er musste also noch lange nicht verhungern, denn es gehen allein 160 Kurzgeschichten auf sein Konto. Der große Gatsby schlug mit gerade einmal 5,10 Dollar zu Buche während er im selben Zeitraum für acht Erzählungen 30.000 Dollar von der Saturday Evening Post bezahlt bekam. Aber vielleicht waren die Zwanziger einfach nicht das Zeitalter des Romans, denn die Leute hatten gerade einmal für Kurzgeschichten genug Zeit und das nur oberflächlich. Aber ganz abgesehen von kommerziellen Aspekten, was machte diesen Roman denn nun so berühmt, dass er unzählige Male verfilmt wurde und immer noch als stilbildend für seine Epoche gilt?
Der Plot des Jazz Age
Der Plot ist schnell zusammengefasst und ich glaube, dass es kein Spoiler ist, wenn ich das hier erwähne, denn jede/r kennt die Story. Sie wird von Nick Carraway erzählt, der neben dem Luxushaus von James/Jay/Jimmy Gatsby (eigentlich: James Gatz) in einem kleinen Anwesen einzieht. Die ausschweifenden Partys, die sein Nachbar feiert, dienen vor allem dem Zweck, die inzwischen mit Tom Buchanan verheiratete Jugendliebe, Daisy, in sein Anwesen zu locken. Aber als dies nicht gelingt, muss Nick sein Häuschen für ein Stelldichein zur Verfügung stellen, quasi als neutrales Territorium. Bald stellt sich heraus, dass auch der Ehemann von Daisy, Tom, eine Freundin hat, Myrtle Wilson, die wiederum selbst mit George Wilson verheiratet ist. Dass im Roman ausgiebig gefeiert wird und dementsprechend Alkohol fließt, obwohl von 17. Januar 1920 bis 5. Dezember 1933 in den USA ja die Prohibition herrschte, braucht nicht extra erwähnt zu werden. Auch Zigaretten und Zigarren spielen eine große Rolle, Spritztouren mit den Automobilen und allerlei Beziehungskram natürlich, der schließlich zur eigentlichen Katastrophe am Ende des Romans führt. Denn bei einer dieser Spritztouren nach downtown NewYorkkommt es zu dem unvermeidlichen Dialog zwischen Gatsby und Tom, der ihm seine Liebe zu Daisy gesteht und sogar behauptet, dass Daisy ihn, Tom, nie geliebt habe. Dieses Geständnis ist Daisy gar nicht so recht und so bricht die muntere Truppe in zwei Automobilen wieder nach Long Island/East Egg auf, um dem eigentlichen Drama zu entkommen. Doch genau dieses Drama geschieht am Rückweg, als Myrtle Wilson in einem Streit mit ihrem Ehemann George auf die Autostraße flieht und dort von einem Auto erfasst wird – dem Auto von Gatsby. Aber nicht Gatsby ist gefahren, sondern Daisy und so hat sie unwissentlich ihre Rivalin bei Tom getötet. Ein tragischer Unfall also, der ein noch viel größeres Drama auslöst, weil Tom George später informiert, dass das gesuchte gelbe Auto Gatsby gehöre. Der Showdown wird hier nicht verraten, sondern wir brechen ab und kommen endlich zu einer Interpretation des Geschehens.
Der Kleine Carraway
Seltsam mutet für mich an, dass der Erzähler Nick gleich zu Beginn seine Verachtung gegenüber Gatsby ausdrückt, obwohl diese doch vielmehr seinem rassistischen und Frauenschlagenden „Freund“ Tom Buchanan gelten sollte. Immerhin hatte Gatsby sich durch viel Fleiß emporgearbeitet und kam nicht wie all die anderen „leichtfertigen Personen“ im Roman aus guten Verhältnissen. Denn der Ennui dieser Reichen ist es, der durch die Zeilen des ganzen Romans schleicht und dem die eigentliche Verachtung Nicks gelten sollte. Selbst wenn Gatsby sein Geld durch Alkohol verdient hätte, wäre er immer noch die bessere Figur als dieser Tom, der von der Überlegenheit der weißen Rasse schwafelt und seine Frau blutig schlägt (zumindest einmal). Außerdem hat Gatsby gute „Gondagde“ zur jüdischen Bevölkerung New Yorks, die von Fitzgerald übrigens durchaus antisemitisch und vor allem stereotyp beschrieben wird (Man vergleiche dazu die Person Meyer Wolfshiem) und das macht Gatsby doch eigentlich zu einem Sympathieträger. Ein großes Minus aber für den Erzähler Fitzgerald, nicht Nick, der hier für die leicht antisemitische Tendenz (Stichwort: Nase!) verantwortlich zeichnet. Bleibt noch die Figur Nick Carraway die ja offensichtlich das alter ego Fitzgeralds repräsentiert und auch nicht gerade sympathisch rüberkommt. Störend ist vor allem seine Distanziertheit und Reserviertheit, die sich auch dadurch ausdrückt, dass er zwar mit einer gewissen Jordan "flirtet", aber ihr nie wirklich seine eigentlichen Sympathien zeigt. Nick ist einer, der nirgends involviert werden oder anecken will und dann am Ende doch die Verantwortung übernehmen muss. Schade für den Großen Gatsby jedenfalls, dass er keine besseren Freunde fand als diesen Nachbarn. Der Roman könnte also auch den Titel tragen: Der Kleine Carraway.
Fazit und Ausblick
Kurzum: The Great Gatsby zeigt einerseits, dass der Aufstieg zum Tycoon dennoch eine Leere in der Seele zurücklässt, denn erst als Gatsby am Zenit seiner wirtschaftlichen Macht ist, besinnt er sich seiner romantischen Illusion, Daisy. Allerdings führt ihn auch genau diese romantische Illusion in den Abgrund und beendet den amerikanischen Traum. Paul Ingendaay erwähnt in seinem Nachwort auch, dass Zelda Fitzgerald, während Fitzgerald an seinem Roman arbeitete, einen Selbstmordversuch unternahm. Sie hätte nach einer Affäre mit einem Franzosen Schlaftabletten genommen. Das wäre also der vielzitierte Glamour auf den so viele Menschen damals, im sog. Jazz Age, neidisch waren? "Die Vergangenheit wiederholen?" "Natürlich kann man die Vergangenheit wiederholen", insistiert Gatsby in einem Gespräch mit Nick über Daisy. Schließlich waren es nur fünf Jahre in denen sie getrennt waren und nahtlos daran anzuschließen, das war es ja, was Gatsby all die Jahre hindurch antrieb. Eine romantische Illusion.
F. Scott Fitzgerald
Der große Gatsby
Aus dem Amerikanischen von Bettina Abarbanell.
Mit einem Nachwort von Paul Ingendaay
2012, Taschenbuch deluxe, 328 Seiten
ISBN: 978-3-257-26103-5
€ (D) 12.00 / sFr 16.00* / € (A) 12.40
diogenes Verlag