ArnoAbendschoen
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Eröffnungsbeitrag |
Abgeschickt am: 08.01.2022 um 18:05 Uhr |
Hausmanns 1930 erschienener Reisebericht „Kleine Liebe zu Amerika“ nähert sich dem Genre Reiseerzählung an. Insbesondere geschieht dies durch vier Passagen, in denen das Alter Ego des Autors, immer nur „der junge Mann“ genannt, in kleine erotische Abenteuer verwickelt ist. Dabei verwendet Hausmann für jeden dieser Abschnitte einen jeweils anderen vorgegebenen Typus von Frau, den er sowohl verlebendigt als auch literarisiert. Betrachtet man die vier Gestalten, hat man ein charakteristisches Quartett vor sich. Es sind Figuren, die einem sonst einzeln in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts in Literatur, Malerei und Film häufig begegnen.
Da ist zuerst die Exotin. Der junge Mann entdeckt sie, als er im Schwarzenghetto Harlem das Menschengewühl vor einem Trauerhaus studiert. Die junge Frau erregt seine Neugierde, da sie für eine Schwarze ungewöhnlich hellhäutig ist. Zwar findet er sie auch hübsch, aber die Frage ihrer ethnischen Zugehörigkeit beschäftigt ihn mehr. Er versucht, ihre Aufmerksamkeit zu erregen, und folgt ihr, als sie fortgeht. Sie besucht den Gottesdienst in einer Baptistenkirche, an dem ausschließlich Schwarze teilnehmen. Der junge Mann placiert sich in ihrer Nähe und arbeitet sich dann zu ihr vor. Während der Feier beobachtet er sowohl die übrigen Gemeindemitglieder, die ihn durch extrovertierte Spiritualität stark befremden, als auch die junge Frau. Ihr gegenüber verspürt er ambivalente Gefühle. Einerseits assoziiert er sinnliche Eindrücke von ihr mit rein Animalischem, andererseits verspürt er durchaus auch Sympathie für ihre Person. Er unternimmt eindeutige Annäherungsversuche und kann ihre Reaktion darauf nicht klar einschätzen. Auf dem Höhepunkt des Gottesdienstes findet eine Art Erweckungsritual für eine begrenzte Zahl von Besuchern statt. Die junge Frau verlässt ihren Platz und schließt sich der Gruppe frisch Bekehrter an. Der junge Mann kann fortgehen. Die Frage, wohin die Frau gehört, ist für ihn jetzt eindeutig geklärt.
Dann die temperamentvolle Südländerin, deren Gefühlstiefe vielleicht nicht ganz der stürmischen Bewegung an der Oberfläche entspricht. Unser Reisender beobachtet sie, als beider Schiff nach Havanna in Key West ablegt. Sie nimmt hochdramatisch von einem anderen Mann Abschied. Aus ihrer Exaltiertheit und der Tönung ihrer Hautfarbe schließt unser junger Mann, dass sie eine Kreolin aus Kuba sein müsse. Zu Beginn der Überfahrt scheint sie untröstlich, weint an Deck längere Zeit heftig. Er findet sie hübsch und sympathisch, nutzt eine unverfängliche Gelegenheit, sich ihr zu nähern – und muss feststellen, dass sie schon wieder Konversation mit einem anderen machen kann. Um sie doch näher kennenzulernen, klettert er vor ihrer Kabine herum. Sie erweist sich als recht zugänglich – er soll durchs Kabinenfenster hereinkommen. Allerdings bleibt er dann in der Luke stecken, wird von einem Schiffsoffizier herausgezogen … Danach kommt der Flirt nicht wieder in Gang. Am Pier in Havanna wird die Kreolin von einem Ramón erwartet. Stürmische Begrüßung und unser junger Mann registriert das als „die heiße Liebe des Südens“.
Ganz anders Miss Kelly. Die US-Amerikanerin in seinem Alter ist Reporterin für eine Zeitung in Havanna, Sparte: aus dem Gesellschaftsleben. Sie interviewt ihn erst routiniert. Anschließend lädt sie ihn zum Abendessen in ihre Wohnung ein und chauffiert ihn später in ihrem Kabrio durch die Stadt. Das Sightseeing mit Miss Kelly ist so perfekt wie alles an ihrer Person. Sie ist schön, klug, smart, erfolgreich, selbstbewusst, zielstrebig, ganz der Girl-Typ der 1920er Jahre. Und so wie zu Beginn sie ihn aufgesucht hat, so ergreift sie auch am Schluss die Initiative für das Unvermeidliche. Worauf der Vorhang verschämt niedergeht.
Und dann als Epilog insoweit die Femme fatale. Die Faszination des Weiblichen schlägt um in Gefahr, der ein Mann gerade noch entkommt. In Florida ist er einmal als Anhalter im Wagen eines Paares unterwegs. Dabei flirtet die Frau, die chauffiert, im Rückspiegel mit ihm und gibt ihm beim Aussteigen in Palm Beach zu verstehen, der Wagen sei geparkt leicht zu öffnen, stehe zu seiner Verfügung. Als er darin auf sie wartet, kommt stattdessen ihr Gefährte und warnt ihn: Die Frau habe die Polizei verständigt, er solle sich in Sicherheit bringen …
Ob die Episoden vom Autor selbst so erlebt worden sind? Vielleicht ist man nicht immer verantwortlich für das, was einem begegnet, aber doch wohl für das, was man aus der Fülle von Erlebtem für einen Bericht auswählt. Hier ist es unter ideologiekritischem Aspekt eine Kollektion von Klischees (wenn sie zusammen auch ein gelungenes Arrangement ergeben). Dennoch wird der Leser durch diese vier Kapitel nicht unbedingt abgestoßen, dafür sind sie zu gut geschrieben, die weiblichen Figuren voller Leben. Nur in Harlem (Kapitel „Halleluja“) bleibt einiges auch so gesehen anstößig. Es ist die Denkweise des Autors damals, die hier ihre Verachtung für eine ihm fremde Welt offenbart. Relativieren lässt sich indessen auch die unveränderte Neuauflage nach dem Krieg. Was Rowohlt damals mit Thomas Wolfe recht war, durfte S. Fischer mit Hausmann billig sein. In Wolfes Romanen und veröffentlichten Briefen finden sich ungleich bösartigere Stellen, gegen Schwarze und Vertreter „lateinischer Rassen“ und am krassesten gegen Juden.
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