ArnoAbendschoen
Mitglied 718 Forenbeiträge seit dem 02.05.2010
Eröffnungsbeitrag
Abgeschickt am: 09.11.2018 um 01:02 Uhr
Das Folgende soll keine Filmkritik sein, sondern nur ein soziokultureller Querverweis. Für eine Rezension des Films wäre ein wenig mehr Sachkenntnis vonnöten als der Rezensent besitzt. Er war nie in Los Angeles, er weiß wenig vom Filmgeschäft, er konsumiert nur selten Hollywoods Produkte. Doch springt für ihn jetzt die Aktualität des Films „Skin & Bone“ ins Auge. Everett Lewis hat ihn schon 1996 gedreht und man kann den Streifen daher als Vorläufer und zugleich Kronzeugen der MeToo-Bewegung betrachten. Lewis widmet sich darin arbeitslosen Schauspielern (oder solchen, die es sein oder werden möchten), den Verbindungen zur Pornoindustrie und dem Abgleiten in die Prostitution. Von den drei jungen Männern Harry, Dean und Billy ist der erste hetero- und der letzte vermutlich homosexuell, während Deans sexuelle Identität offen bleibt. Alle drei sind Angestellte einer Firma, die Callboys vermittelt, sowohl an Frauen als auch - und im Film hauptsächlich - an Männer. In ihren seitenlangen Verkaufs- und Buchungslisten werden alle denkbaren Variationen sexueller, von der Norm abweichender Bedürfnisse erfasst und bei Vertragsabschluss auch befriedigt. Der Kunde hat in diesem Fall immer Recht. Dem angestellten Stricher – denn das ist er natürlich – bleibt neben dem Broterwerb die Illusion, mit seiner Schauspielkunst Phantasien für die gebuchte Zeit real werden zu lassen.
Diese Illusion zerplatzt in jenen Szenen, in denen Harry sich um eine echte Filmrolle bemüht. Hier prostituiert er sich vor den Filmgewaltigen, ganz ohne Kunst, nur als attraktives männliches Individuum, das seinen Körper verkauft. Und genau darin liegt die Parallele zu den Bekenntnissen US-amerikanischer Schauspielerinnen seit 2017. Er ist insofern ein beweiskräftiges Dokument, das schon sehr früh Missbräuche in der US-Filmindustrie anzusprechen gewagt hat.
Nur ein kurzer Seitenblick auf den Independent-Film selbst. Man kann seine Details - bis hin zur Leichenschändung - schockierend oder reißerisch finden. Und Ghislaine, die diabolische Chefin der Callboy-Firma, ist eine wahrlich erschreckende Figur, sozusagen die kaufmännisch emanzipierte Femme fatale früherer Zeiten. Die professionelle Kritik war gespalten, als der Film herauskam. Lassen wir es offen, „Skin & Bone“ ist auf jeden Fall ein Fundstück von zeitgeschichtlichem Wert.