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Literaturforum: Johannes Urzidil - Die letzte Tombola


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 Thema: Johannes Urzidil - Die letzte Tombola
ArnoAbendschoen
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Eröffnungsbeitrag Abgeschickt am: 20.03.2016 um 21:20 Uhr

Johannes Urzidil (1896 – 1970) fand, sehr jung noch, Anschluss an den Prager Kreis und hielt 1924 die Totenrede auf Franz Kafka. Während für Kafka das Schreiben Berufung war, doch nie zum Beruf wurde, schlug Urzidil früh den Weg eines professionellen Schriftstellers ein. Tatsächlich ist die Zahl seiner veröffentlichten Bücher sehr viel größer als die der Werke Kafkas. Urzidils Erstling, ein Lyrikband, erschien 1919. In der Zwischenkriegszeit war er vor allem journalistisch, essayistisch und als Mitarbeiter der deutschen Botschaft in Prag tätig. Sein Hauptwerk in dieser Zeit: „Goethe in Böhmen“. Im US-Exil hielt er sich zeitweise mit dem Anfertigen von Lederkunsthandwerk über Wasser. Nach dem Krieg arbeitete er für die „Stimme Amerikas“ und schrieb vor allem Erzählungen, die in einer Reihe von Sammelbänden herauskamen. Damals viel beachtet, schwand das Interesse für ihn im deutschen Sprachraum nach seinem Tod rasch dahin. In Tschechien wird die Erinnerung an ihn in jüngerer Zeit wieder stärker gepflegt.

Soll man ihn heute erneut lesen? Eine schwierige Frage. Urzidils Herkunft war vom Vater her deutsch-westböhmisch-katholisch, die Mutter war eine konvertierte Jüdin. Er hat gut die Hälfte seines Lebens im alten Prag verbracht, danach das Amerika des zweiten Drittels des 20. Jahrhunderts miterlebt. Er war ein scharfer Beobachter und ein Mann von großer literarischer Bildung. Die Welt, die sich in seinem Werk widerspiegelt, reicht vom altösterreichischen Biedermeier über die Krise der untergehenden Donaumonarchie bis in die 1960er Jahre in der Neuen Welt. Er hatte also interessante Stoffe und war als Schriftsteller ohne Zweifel begabt. Er schrieb in einem persönlichen Stil flüssig und differenziert, zumeist geistreich. Und doch … Sagen wir es so: Urzidil blieb ein allenfalls zweitrangiger Schriftsteller, dem die hohe Literatur stets vor Augen stand. Die Vorbilder sind deutlich und mächtig, aber sie tun ihm nicht gut. Wo er den Anschluss an sie sucht, misslingt es ihm.

„Die letzte Tombola“, 1971 posthum herausgekommen, enthält fünf späte Erzählungen, nach des Autors Vorbemerkung allesamt gestaltete Wiedergabe non-fiktiver Stoffe, zumeist wohl autobiographischen Charakters. Die Titelgeschichte zeichnet nach: Urzidils problematisches Verhältnis zum Vater, die Prager Atmosphäre um 1910, den Untergang eines Eisenbahninspektors. Letzterer begeht Selbstmord, da ihm die leichtfertige Ehefrau untreu ist – und Urzidil setzt das private Drama am Schluss mit der Zeitgeschichte in eins. Jene Ehebrecherin muss den tödlichen Unernst der europäischen Gesellschaft im Sommer 1914 personifizieren. Bis dahin liest sich der Text wie ein trivialisierter Kafka, aus kindlicher Perspektive und durchaus amüsant, doch den Aufschwung auf die hohe Bedeutungsebene schafft der Text nicht.

"Das Gold von Caramablu“, Text Nr. 2, erzählt eine Episode aus dem französischen Baskenland während des Bürgerkriegs in Spanien. Das wirkt wie eine fatale Melange aus Hemingway und Ernst Jünger. „Die große Finsternis von New York“ beobachtet den Stromausfall vom November 1965 und seine Auswirkungen aus einer Randperspektive. Der Erzähler verlässt seine Wohnstraße in Brooklyn nicht und zeichnet umständlich nach, wie ein Siebenjähriger das alles erlebt haben könnte – Thema verschenkt. „Von Odkolek zu Odradek“ gibt ein plastisches, sehr lesenswertes Bild der Kindheit des Autors, der familiären Problematik und des damaligen Lebens in Prag überhaupt. Abschließend versucht der Autor vergeblich, hier den Bogen zu Kafkas „Die Sorge des Hausvaters“ zu schlagen. „Die Frau mit den Handschuhen“ schließlich enthält die erschröckliche Lebensgeschichte der Großmutter des Autors, einer Art mannstoller Werwölfin, später von Reue zerfressen. Das ist skandalisierter Stifter und so wenig geglückt wie - spannend zu lesen.

Klassische Perlen großer Literatur entdeckt man in diesem Erzählband nicht. Für literaturgeschichtlich Interessierte bietet er dennoch genug anregende Lektüre.

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