ArnoAbendschoen
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Eröffnungsbeitrag |
Abgeschickt am: 03.02.2016 um 21:22 Uhr |
Die posthume Ausgabe dieser vier Texte war eine Nachlese. Nach dem unerwartet raschen und großen Erfolg von „Il Gattopardo“ wurden die Schubladen noch einmal durchgesehen und sie enthielten nur Weniges. Tomasi di Lampedusas erzählerisches Werk ist insgesamt sehr schmal. Der 1896 geborene Sizilianer schrieb seinen einzigen und nur mittellangen Roman erst 1954 und erlebte dessen Triumph nicht mehr. Er starb 1957, bald nach einer definitiven Verlagsabsage. Erst Giorgio Bassani erreichte im Jahr darauf doch eine Veröffentlichung bei Feltrinelli. Im selben Verlag kam 1961 der Erzählband heraus. Bassanis Nachwort zufolge stammen die vier Texte aus den beiden letzten Lebensjahren des Autors.
In der Titelgeschichte „Die Sirene“ sehen wir Tomasi di Lampedusa stilistisch durchaus auf der Höhe von „Il Gattopardo“. Hauptfigur ist ein alter Gräzist, beruflich erfolgreich gewesen, doch sein Privatleben nur von Verzicht bestimmt. Seine Abstinenz, insbesondere im Erotischen, seine Menschenferne, seine Geringschätzung für seine Mitwelt, all das wirkt wie eine Interpretation der lebenslang isolierten Stellung des Verfassers selbst. Hier wird sie auf ein „Wunder“ zurückgeführt – dem jungen Gelehrten hatte sich seinerzeit, aus den Meeresfluten aufgestiegen, eine Sirene zugesellt. Die zwanzig Tage mit ihr hatten ihn unempfänglich für menschliche Reize oder Bindungen gemacht. Die Erzählung funktioniert, so blendend niedergeschrieben sie auch ist, nur sehr bedingt. Das Fabelwesen wird vom alten Gräzisten rückblickend so scharfsinnig beobachtet, so nüchtern detailgetreu vorgestellt wie dieser selbst seinerseits vom Ich-Erzähler, einem viel jüngeren Turiner Journalisten. Das „Wunder“ hat so kaum etwas Mirakulöses, es erweist sich als eine für die Mitte des 20. Jahrhunderts typische, bloß literarische Spielfigur.
„Aufstieg eines Pächters“ stellt ohne jedes Wunder eine kleine exzellente soziologisch-psychologische Studie aus dem Motivumkreis des „Gattopardo“ dar – nur dass der Stoff etwa vierzig Jahre nach dem Risorgimento angesiedelt ist. Dennoch bleibt man am Schluss etwas unbefriedigt zurück und fragt sich, worauf das Werk erzähltechnisch abzielt. Bassani klärt einen im Nachwort darüber auf, dass der Text in den Zusammenhang eines rudimentären zweiten Romans gehört.
Makellos präsentiert sich „Freude und moralisches Gesetz“, eine kurze Novelle im klassischen Stil aus dem Alltagsleben der kleinen Leute im Nachkriegs-Italien. Ein subalterner Angestellter fährt, wohl in Palermo, im überfüllten Bus heim, schwer beladen mit einer Extragratifikation in Gestalt eines monströsen Panettone. Die lakonische, leise ironische Weihnachtsgeschichte hat kein gutes Ende, natürlich nicht. „Freude und moralisches Gesetz“ hätte sich aus heutiger Sicht vielleicht eher als „Die Sirene“ zur Titelgeschichte des kleinen Sammelbandes geeignet.
„Die Stätten meiner frühen Kindheit“ – das ist der bei weitem längste Text hier. Er war kaum zur Veröffentlichung gedacht, man merkt ihm den privaten Charakter an. Es gibt viele längere vorzügliche Passagen, geistvoll geschrieben, oft tiefere Einblicke in eine versunkene Zeit verschaffend. Die Bühne hier, das sind inzwischen zerstörte Adelspaläste, eine Welt für sich, um die hier autobiographisch getrauert wird, durchaus auf meist hohem literarischem Niveau. Gelegentlich gerät die Darstellung allerdings zur bloßen Aufzählung, über die man gern rasch hinwegliest.
Insgesamt bietet der kleine Band vor allem Ergänzendes zum „Gattopardo“, kaum grundlegend Neues und keinesfalls etwas ihn Überbietendes.
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