ArnoAbendschoen
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718 Forenbeiträge seit dem 02.05.2010
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Eröffnungsbeitrag |
Abgeschickt am: 30.01.2016 um 00:09 Uhr |
Wenn Ihnen Tage und Nächte zu eintönig verlaufen, gibt es ein bewährtes Gegenmittel: Alpträume. Sie bereichern eine sonst blasse, ereignisarme Existenz mit grellen Farben, lauten Geräuschen, starken Gefühlen, Dramatik. Traumforscher haben herausgefunden, man kann an seinen Träumen arbeiten, sie verändern – warum sie nicht gleich produzieren? Beschäftigen Sie sich mit einem Typ Alptraum, legen Sie sich auf ein Motiv fest, vertiefen Sie sich darin, vor dem Zubettgehen, beim Einschlafen. Das Verfahren kann auch bei Schlaflosigkeit oder vor kurzem Nickerchen tagsüber versucht werden. Was haben wir denn anzubieten?
1. DIE ZÄHNE FALLEN AUS – Hier sind garantiert: erst ungläubiges Erstaunen, dann tiefes Erschrecken. Sie spüren: Da verabschiedet sich ein Vorderzahn, nun folgt ihm die gesamte Vorderfront, die Eckzähne ruckeln ein wenig, bevor sie sich auf die Reise begeben. Die Backenzähne wackeln auch schon, und Sie verspüren Ekel und Scham – wie sehe ich denn nur aus - und das gruselige Vorgefühl mümmelnder Hochbetagtheit. Das ist ein Generalangriff auf die Integrität. Nicht die Welt geht in Stücke – das würde Sie weniger berühren -, sondern Ihre teure Person. Wenn Sie erwachen, werden Sie sich sogleich überzeugen, dass noch alles da ist, und sich froh und erleichtert finden.
2. NACKT IN DER ÖFFENTLICHKEIT – Nur geeignet, wenn Sie nicht FKK-Anhänger sind, die kennen das schon, es hat sich für sie verbraucht. Alle Übrigen empfinden zunächst große, ungewohnte Lust am hüllenlosen Durchstreifen von Fußgängerzonen, Museen und anderen öffentlichen Orten. Sie gleiten geradezu dahin – bis ihnen Blicke begegnen, deren Skala von amüsiert über skeptisch bis offen ablehnend reicht. Leise meldet sich hier die Scham, die klar erkennbar sekundärer Natur ist. Als Hotelgast will man jetzt schnell mit dem Lift hinauf, um sich etwas überzuziehen. Die Lifttür öffnet sich, die Menschen im Aufzug lachen, entrüsten sich. Man versucht vergeblich, sich zu bedecken – und erwacht. Falls Sie nackt schlafen, werden Sie sich jetzt seltsam fühlen, vielleicht an sich hinabschauen.
3. IN FREMDE WOHNUNGEN EINDRINGEN – Auch hier verwandelt sich anfängliche Lust in zunehmendes Unbehagen, schließlich in Angst. Erst sind Sie ein Entdecker in Räumen, die Ihnen sonst unzugänglich. Wie viele Geheimnisse liegen jetzt offen vor Ihnen ausgebreitet … Man findet jedoch nie mehr hinaus. Der legitime Nutzer der Wohnung kommt unverhofft zurück und Sie Eindringling flüchten vor ihm auf den Balkon. Das Appartement liegt im dreizehnten Stock. In die Tiefe springen, an der Fassade hinabklettern? Ihr Schrei reißt Sie aus Traum wie Schlaf, und erwacht brauchen Sie einige Minuten, um sich vom Schrecken zu erholen. Kathartische Wirkung garantiert.
4. REISEN OHNE WIEDERKEHR – Obwohl die Ausgangssituation dafür immer dieselbe ist, bietet dieser Typ Alptraum die größte Variabilität. So fängt es jeweils an: Sie müssen eine Heimreise antreten und zu diesem Zweck zum Bahnhof oder zum Flughafen. Doch Sie kommen dort entweder nie an oder zu spät. Zunächst vertrödeln Sie kostbare Zeit mit Packen. Der verdammte Koffer will sich nicht schließen lassen. An der Rezeption folgen lange Streitereien ums Geld. Und was kann unterwegs nicht noch alles passieren: in die falsche U-Bahn steigen, ein Streik der Busfahrer … Dann platzt der Koffer und sein Inhalt entleert sich auf einer Rolltreppe. Diese Träume können sich gefühlt sehr lange hinziehen. Das Ziel erreicht man dennoch, wie gesagt, nie. Erschöpfung scheint zum Erwachen zu führen. Danach fühlen Sie sich ausgelaugt, wie nach einer langen, frustrierenden Reise. Denken Sie dann lieber nicht an Jean Paul, der gesagt hat: "Nur Reisen ist Leben, wie umgekehrt Leben Reisen ist." Vermeiden Sie diese Analogie jetzt lieber.
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