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Literaturforum: Lebensreform in Brandenburg - Ausstellung


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 Thema: Lebensreform in Brandenburg - Ausstellung
ArnoAbendschoen
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Eröffnungsbeitrag Abgeschickt am: 25.08.2015 um 21:34 Uhr

Pardon, erst noch der volle Titel der Ausstellung: „Einfach. Natürlich. Leben. – Lebensreform in Brandenburg 1890 – 1939“. Das Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte in Potsdam präsentiert in ihr die zahlreich erhaltenen Zeugnisse der Lebensreform-Bewegung in seinem Bundesland, stellt kurz die Menschen dar, die sie geschaffen, und welche Verbindungen zu anderen Phänomenen materieller oder geistiger Art bestanden haben.

Diese Gegenbewegung zu Industrialisierung und Urbanisierung war im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert in der expandierenden Metropole Berlin besonders stark und strahlte als Fluchtbewegung oder auf der Suche nach Möglichkeiten, Alternatives zu realisieren, intensiv auf das umliegende Land aus, eben Brandenburg, eine Provinz Preußens, in der Berlin damals nicht mehr als eine Stadtgemeinde war.

Der Besucher erfährt beim Durchschreiten der Räume wenig über die tieferen Ursachen jener Bewegung. Wer insoweit mehr wissen möchte, sei vorab auf den dicken und informativen Ausstellungskatalog hingewiesen – er liegt im oberen Geschoss aus. Die Ausstellung selbst orientiert sich an den wichtigsten Orten und Vertretern, zeigt, was in Brandenburg konkret gewesen und was erhalten ist. Dies leistet sie in anschaulich überzeugender Weise, so dass man nach dem Besuch ein recht detailliertes Bild von dem im Kopf hat, was Lebensreform im Einzelnen war.

So machen wir Bekanntschaft mit der Kunsthandwerker-Kolonie Gildenhall am Rand von Neuruppin, mit der völkisch inspirierten Landbau-Gartenstadt Heimland bei Rheinsberg, mit der Obstbau-Siedlung Eden (Oranienburg, noch heute produzierend), mit der von verschiedenen Vereinen getragenen Nacktkulturszene am Motzener See, mit der Wandervogel-Bewegung (in Berlin-Steglitz gegründet, mit Brandenburg als Stammland), mit Marienhöhe bei Bad Saarow (erster deutscher Demeter-Hof), mit dem Friedrichshagener Dichterkreis oder den Aussteigern im Roten Luch.

Unter die herausragenden, zum Teil bis heute bekannten Persönlichkeiten gehören: der Maler und Illustrator Fidus (Villa in Woltersdorf), der Fotograf und Verleger Karl Vanselow (Villa Schönheit in Werder), der Chirurg und Förster August Bier (Gut Sauen), der Reformpädagoge Adolf Reichwein (war lange Lehrer in Tiefensee), der Staudenzüchter und Gartenschriftsteller Karl Förster (Haus und Garten in Potsdam) – oder Gustaf Nagel, jener Wanderprediger aus Arendsee, das allerdings in der Altmark liegt. Nicht zu kurz kommen die Frauen ihrer Umgebung, die oft selbst kreativ waren. Auch nicht zu vergessen: Gustav Gräser und die „Inflationsheiligen“.

So vielfältig die Anwendungsgebiete, so verschieden die Charaktere und Biografien – z.B. Bier war NSDAP-Anhänger, Reichwein wurde 1944 in Plötzensee hingerichtet – die Ausstellung kann einen in nachdenklicher Stimmung entlassen. Man fragt sich dann, inwieweit der hohe Anspruch auf Reform der Gesellschaft insgesamt, und zwar durch fundamentale Erneuerung einzelner Lebensbereiche, realisiert wurde. So viel Reform war nie: Reformkost, Reformhaus, Reformkleid, Reformarchitektur, Vegetarismus, Nudismus, neue Landbebauung, neue Forstwirtschaft usw. Nur welchen Einfluss hat all das auf den katastrophalen Gang der deutschen Geschichte seinerzeit gehabt? Es erweist sich wieder einmal, dass Reformbestrebungen, die in die Breite wirken und erfolgreich sein wollen, sich der zu reformierenden Gesellschaft so sehr anpassen, dass sie sie im Kern nicht mehr verändern können – und im schlimmsten Fall mit ihr untergehen. Die Ausstellung zeigt einen Werbefilm der Freikörperkultur am Motzener See aus den 1920er Jahren. Darin herrscht bereits das „Ornament der Masse“ (Kracauer). Ohne Vorgefühl für das Kommende macht man sich paradiesisch nackt mit Gymnastik und Kunstturnen gemeinsam fit fürs Dritte Reich und den Krieg.

Die Aktualität der Ausstellung? Wer will, mag untersuchen, inwiefern heutige Moden, auf Veränderung von Konsum und Stil abzielend und dabei die Welt angeblich verbessernd, wenn nicht rettend, jenen Tendenzen von damals verwandt sind.

Ort der Ausstellung: Am Neuen Markt 9, 14467 Potsdam, Haltestelle Alter Markt. Noch bis 22.11.15.

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