Biographien Rezensionen Diskutieren im versalia-Forum Das versalia.de-Rundschreiben abonnieren Service für Netzmeister Lesen im Archiv klassischer Werke Ihre kostenlose Netzbibliothek

 



Save Ukraine!
Save Ukraine!


Love all Animals

Literaturforum: Gustav Meyrink - Des deutschen Spießers Wunderhorn


Aktuelle Zeit: 21.11.2024 - 23:37:51
Hallo Gast, Sie sind nicht eingeloggt!
Suche | Mitglieder | Neu | Statistik

Forum > Rezensionen > Gustav Meyrink - Des deutschen Spießers Wunderhorn
Seite: 1
[ - Beantworten - ] [ - Drucken - ]
 Autor
 Thema: Gustav Meyrink - Des deutschen Spießers Wunderhorn
ArnoAbendschoen
Mitglied

718 Forenbeiträge
seit dem 02.05.2010

Das ist ArnoAbendschoen

Profil      
Eröffnungsbeitrag Abgeschickt am: 21.07.2015 um 21:42 Uhr

Vor Jahrzehnten besaß ich Meyrinks Gesammelte Werke. „Der Golem“, sein erfolgreichster Roman, war zwangsläufig dabei. Ich nahm das Buch mit respektvollem Befremden zur Kenntnis. Mit den folgenden Romanen konnte ich noch weniger anfangen. „Das grüne Gesicht“, „Walpurgisnacht“, „Der weiße Dominikaner“, „Der Engel vom westlichen Fenster“ wurden als esoterisch-unbrauchbarer Quark beim nächsten Umzug kurzerhand entsorgt, „Der Golem“ mit leichtem Bedauern auch. Nur „Des deutschen Spießers Wunderhorn“ behielt ich …

… und las es dieser Tage mit großem Vergnügen noch einmal. Das erstmals 1913 erschienene Buch ist eine Sammlung von Texten, die Gustav Meyrink seit 1901 hauptsächlich für den Münchner „Simplicissimus“ geschrieben hat. „Novellen“ nennt er sie, doch erwarte man nichts à la Conrad Ferdinand Meyer. Meyrinks Texte sind eher relativ kurze Kurzgeschichten, sind Grotesken, Tierfabeln, Parodien, Reiseeindrücke und vor allem Satiren. Der Mann war ein gottbegnadeter Satiriker. Seine witzigen Einfälle wie scharfen Angriffe haben auch nach gut hundert Jahren nichts von ihrem fulminant Zündendem verloren. Dabei existiert die Gesellschaft, gegen die sie sich richteten, so längst nicht mehr. Seine Lieblingsfeinde waren die Militärs der Habsburger wie anderer Monarchien, weltfremd-verbohrte Wissenschaftler, grundlos eingebildete Adlige, flach denkende Bürger – eben die dankbaren Hassobjekte, an denen sich das deutsche Satire-Magazin mit großem Erfolg damals rieb.

Von den 53 Geschichten empfehle ich besonders, falls man zunächst nur Kostproben nehmen will: Die Erstürmung von Serajewo, Schöpsoglobin, Tschitrakarna – das vornehme Kamel, Hilligenlei, Der heiße Soldat, Prag, Die Geschichte vom Löwen Alois.

Zu Meyrinks Eigentümlichkeiten gehört, dass er Gesellschaftskritik mit phantastischen Einfällen effektvoll verbindet. Von Anfang an gibt es bei ihm ein starkes Interesse an Übersinnlichem, das er gern für groteske, frappierende Schlüsse seiner Storys einsetzt. Wenn er den damaligen Bestsellerautor Gustav Frenssen parodiert, macht er sich auch über die entmythologisierende Tendenz des Ex-Pfarrers Frenssen lustig. Im weiteren Verlauf von Meyrinks Leben wie Werk gewinnt das Interesse am Okkulten immer mehr das Übergewicht. Damit erreicht er einen neuen Kreis von Lesern, Esoteriker, die ernsthaft bei der Sache sind – und enttäuscht seine Anhänger von vor 1914.

Tucholsky war einer von diesen. Noch sein „Riviera“-Text von 1928 lässt den Einfluss von Meyrinks satirischer Abrechnung mit „Montreux“ (und dem Genfer See wie der Schweiz überhaupt) erkennen. Aber schon 1917 rezensiert Tucholsky in der „Schaubühne“ Meyrinks „Das grüne Gesicht“ höchst ungnädig. Tucholsky wusste die antimaterialistische Stoßrichtung wie die Textqualität des früheren Meyrink zu schätzen, das hohe Niveau von Sprache und Stil. Jetzt wirft er ihm vor, das „Idiom der Masse“ zu benutzen. Seine Romane seien „ein Abstieg, weil die Erkenntnis des Weisen die Kraft des Schaffenden weit übersteigt.“ Das war wohl so. Nicht dass Tucholsky die ganze Richtung nicht gepasst hätte - Meyrink entwickelte sich zu einem E.T.A Hoffmann des Industriezeitalters, das war es, was Männer mit fein ausgeprägtem Empfinden für literarische Qualität verdross. Tucholskys nunmehrige Enttäuschung ist der Gradmesser für den Wert von „Des deutschen Spießers Wunderhorn“.

Das billig Spekulative der späteren Meyrink-Prosa muss auch uns nicht daran hindern, der früheren ihren hohen Rang zuzuerkennen. Darin hat Meyrink Prototypen der Dummheit und Gewöhnlichkeit geschaffen, literarisch fast so unsterblich wie die Gestalten Molières.

Nachricht senden Zitat
Seite: 1
[ - Beantworten - ] [ - Drucken - ]
Forum > Rezensionen > Gustav Meyrink - Des deutschen Spießers Wunderhorn


  Ähnliche Beiträge
Gestartet von
Antworten Letzter Beitrag
Ortgerechte Sprache - dem Deutschen einen Lokativ
Kenon
0 28.10.2021 um 00:08 Uhr
von Kenon
Gustav Bürger oder der verhinderte Spießer
raimund-fellner
0 05.03.2014 um 03:50 Uhr
von raimund-fellner
Gustav Schwab - Der Reiter und der Bodensee
Acronym
2 04.03.2009 um 21:51 Uhr
von Der_Stieg
MRR lehnt Deutschen Fernsehpreis ab
LX.C
8 28.10.2008 um 23:22 Uhr
von LX.C
Uwe Tellkamp gewinnt Deutschen Buchpreis
Nachrichten
9 19.10.2008 um 09:11 Uhr
von Matze


Sie möchten hier mitdiskutieren? Dann registrieren Sie sich bitte.


-> Weitere Bücher von Gustav Meyrink



Buch-Rezensionen:
Anmelden
Benutzername

Passwort

Eingeloggt bleiben

Neu registrieren?
Passwort vergessen?

Neues aus dem Forum


Gedichte von Georg Trakl

Verweise
> Gedichtband Dunkelstunden
> Neue Gedichte: fahnenrost
> Kunstportal xarto.com
> New Eastern Europe
> Free Tibet
> Naturschutzbund





Das Fliegende Spaghettimonster

Ukraine | Anti-Literatur | Datenschutz | FAQ | Impressum | Rechtliches | Partnerseiten | Seite empfehlen | RSS

Systementwurf und -programmierung von zerovision.de

© 2001-2024 by Arne-Wigand Baganz

v_v3.53 erstellte diese Seite in 0.022289 sek.