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Literaturforum: Eine bedenkliche Lektüre: Ihara Saikaku


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 Thema: Eine bedenkliche Lektüre: Ihara Saikaku
ArnoAbendschoen
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Das ist ArnoAbendschoen

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Eröffnungsbeitrag Abgeschickt am: 23.06.2015 um 21:51 Uhr

Wendet man die scherzhafte Methode vom „Ring des Nibelungen im Lichte des deutschen Strafrechtes“ auf „Der Liebespfad der Samurai“ von Ihara Saikaku an, kommt gewiss auch ein gerüttelt Maß an Strafjahren heraus. Da gibt es vor allem massenhafte Verführung Minderjähriger männlichen Geschlechts – die meisten Liebesobjekte in den dreizehn ausgewählten Erzählungen des Sammelbandes sind noch im besten „Odenwald“-Schulalter. Und dann wahrlich überbordende Gewalt: Mord, Mordversuch, Anstiftung zum Selbstmord, niedrige Beweggründe gratis … Soll man ein solches Buch vorstellen, muss man nicht wie André Gide seinerzeit vorhersehen, wie sehr man sich damit schadet?

Nun ist Ihara Saikaku (1642 -1693) einer der ganz Großen der japanischen Literaturgeschichte. Er galt schon als Meister des Haiku, bevor er in seinem letzten Lebensabschnitt anfing, ein umfangreiches Prosawerk zu schaffen, das gern mit dem von Boccaccio verglichen wird. „Yonosuke, der dreitausendfache Liebhaber“ und weitere Bücher, in denen die heterosexuelle Liebe durchaus im Vordergrund steht, waren bereits zu seinen Lebzeiten in Japan sehr erfolgreich. Ihara entwickelte seinen persönlichen realistischen Stil, in dem er, oft satirisch, unterschiedliche Aspekte der frühen Tokugawa-Zeit behandelt. Was macht diesen Stil noch heute so anziehend? Es ist gerade die Verbindung aus scharfer Beobachtung und humoristischem Vergleich, etwa wenn er die Gefühlslage zweier alter Männer so zeichnet: „ … so verriegelten sie die Tür und verstummten, niedergeschlagen wie zehn Tage alte Chrysanthemen in der Vase.“

Die Samurai-Liebesgeschichten hier sind weniger erotisch als vielmehr kulturgeschichtlich interessant. Sie stellen jeweils eine Annäherung dar und stellen ihr Ergebnis dann lakonisch fest, ohne im Mindesten in Details zu schwelgen. Freunde des Pikanten wie des Deftigen werden nicht auf ihre Kosten kommen. Dafür rufen die Beziehungsmuster und ihre Entwicklungen im heutigen westlichen Leser leicht ein Gefühl großer Fremdheit hervor. Wie sehr unterscheidet sich die Gesellschaft jener Zeit von unserer und wie eng ist die Verbindung zwischen dem vorherrschenden Geist der Zeit und dem individuellen Empfinden … Japan war faktisch eine konfuzianisch geprägte, feudalistisch geordnete erbliche Militärdiktatur, unter der sich eine breite bürgerliche Kultur der Wohlhabenheit und des Lebensgenusses entwickeln konnte. Dadurch dass die adlige Samurai-Schicht das Instrument des staatlichen Gewaltmonopols blieb, ohne am ökonomischen Fortschritt wirklich teilzuhaben, entwickelte sich eine Schieflage, die nach zweieinhalb Jahrhunderten mit zum Untergang dieses politischen Systems führte.

In den Texten des Sammelbandes findet sich recht häufig der Begriff des „herrenlosen Samurai“. Er verkörpert als Individuum den inneren Widerspruch der Tokugawa-Ära: Sie garantierte mit ihrer eisernen Hand jene ruhige Entwicklung, die zunehmend die Finger der Hand selbst verkümmern ließ. Für diese befriedete Basis gab es einfach zu viele Samurai. Der „herrenlose Samurai“ entschädigt sich mit einem Gefühlsleben größter Innigkeit wie Konsequenz. Unbedingte Treue, Ehre, Gewalt, Seppuku, das ist das unheimliche magische Viereck dieser Gefühlswelt. Auf den zehn Seiten, nicht gerade eng bedruckt, von „Sie starben gemeinsam, wie die Kirschblüten fallen“ werden uns zum Beispiel nicht weniger als fünf unnatürliche Todesfälle präsentiert: ein Mord, begangen vom Mörder, nur um der eigenen Ermordung zuvorzukommen – sie wäre aus verletztem Ehrgefühl erfolgt – und viermal Seppuku. Nur eine Minderheit der Texte kommt ohne diesen rituellen Selbstmord per Bauchaufschlitzen aus. In „Einer wurde nass, obwohl er einen Schirm besaß“ findet man an einem Selbstmörder heraus, „dass er sich den Leib nach dem Muster einer Raute mit drei Querbalken aufgeschlitzt hatte“ – das Familienwappen des Freundes, der vor ihm von eigener Hand gestorben. Doppel-Seppukus sind häufig und provozieren ihrerseits nicht selten weitere Suizide. In einer anderen Geschichte lieben sich ein Heranwachsender und der Mörder von dessen Vater und sterben, indem der Jüngere beider Oberkörper mit dem Schwert zusammennagelt. Und sogleich folgt ihnen die Mutter des einen …

Eher nachvollziehbar für uns sind die Konflikte in jenen Erzählungen, die sich nicht mit der Knaben-, sondern der Männerliebe beschäftigen. In der Geschichte vom alten Feuersteinverkäufer hat Edo, das heutige Tokio, bereits eine Art Obdachlosenszene. Ein populärer Schauspieler, der die Prostitution im Nebenberuf ausübt, entdeckt unter den Deklassierten dort eine frühe große Liebe. Er verbringt noch einmal eine Nacht mit dem Heruntergekommenen – aber der entzieht sich am nächsten Morgen und denkt: „Welch ein unsinniger Besuch! Ihm geht es ja allein um das eigene Vergnügen.“ Literarisch besonders modern mutet an diesem Text der Umstand an, dass beide, der vermutlich syphilitische Schauspieler wie der weltflüchtige Penner, ihre Erfahrungen, wie Ihara selbst, literarisch verarbeitet haben.

Die letzte Erzählung („Zwei Bäume, die noch im hohen Alter blühten“) könnte eine Diskussion darüber anregen, inwiefern sich bereits im Japan des 17. Jahrhunderts eine homosexuelle Identität herausbilden konnte, unabhängig von der Entwicklung im Westen, dessen alleinige Errungenschaft (oder „Konstrukt“) jene Identität angeblich ja sein soll.

(Zitiert wurde nach der Übersetzung von Siegfried Schaarschmidt.)

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