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Pier Paolo Pasolini - Ausstellung in Berlin
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Thema: Pier Paolo Pasolini - Ausstellung in Berlin
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ArnoAbendschoen
Mitglied
718 Forenbeiträge seit dem 02.05.2010
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Eröffnungsbeitrag |
Abgeschickt am: 01.10.2014 um 21:44 Uhr |
Nicht speziell für Berlin und ein deutsches Publikum wurde die Ausstellung konzipiert, sie war zuvor schon in Barcelona und Paris zu sehen. Ihr Ansatz ist rein dokumentarisch. Pasolini wird nicht interpretierend vorgestellt, auch wird sein Werk nicht in Beziehung gesetzt zu dem anderer Zeitgenossen – Fehlanzeige auch zu Nachwirkung und Aktualität. Pasolini wird ausschließlich präsentiert als die Erscheinung, die er bei Lebzeiten war: ein oft irritierender und zumeist kompromissloser Künstler von hohem Rang. Es fehlen also weitgehend erst heute verfasste Texte über ihn. Dafür sieht sich der Besucher konfrontiert mit wahren Massen von Dokumenten: Fotos, Briefe, Bücher, sonstige Originaltexte, Filmsequenzen, Interviews, Zeichnungen, Gemälde. Ja, gemalt und gezeichnet hat er auch, nicht nur getextet, gedichtet, gesammelt und gefilmt. Als Kreativer war Pasolini sehr produktiv, dabei diszipliniert und konsequent.
Die Ausstellung ist streng chronologisch aufgebaut, orientiert sich vor allem an den wechselnden Wohnungen Pasolinis in Rom oder außerhalb der Hauptstadt (doch immer in Italien). Später treten neben die Wohnadressen sozusagen als Kapitelüberschriften die Titel seiner Filme. Die Rückschau beginnt mit der Flucht aus dem Friaul 1950 und ihren Hintergründen, es folgen die ärmliche Lehrerexistenz in Rom, das Drehbuchschreiben für Fellini und andere, Pasolini als Autor eigener Bücher und vor allem als Filmemacher. Seine Reisen (u. a. nach Afrika, Indien und New York) werden nur gestreift. Fast zu akribisch sind die Stationen seines Lebens und Wirkens immer wieder auf alten Stadtplänen und Landkarten eingetragen. Wenig überzeugend ist der Versuch, mit über die Wände flimmernden Videoaufnahmen von heute dem Geist Pasolinis an den Originalschauplätzen nachzuspüren. Italienischkenntnisse könnten dem Besucher von Nutzen sein – viele Originaltexte werden sehr ausführlich zitiert, doch oft nur ihre Schlüsselstellen ins Deutsche und Englische übertragen.
Ein großes Sonderkapitel bilden die zahlreichen Gerichtsverfahren, in die Pasolini über Jahrzehnte fast ohne Unterbrechung verwickelt war. Er hat diese Prüfungen durchweg gut bestanden. Sein Tod dagegen, die Ermordung am Strand von Ostia 1975, wird allzu knapp behandelt. Der tote Pasolini scheint sogleich nicht mehr von allgemeinem Interesse gewesen zu sein. Aber gerade so war es doch nicht …
Für die, die Pasolinis Werk gut kennen, mag die Ausstellung ein Fest sein. Die Übrigen haben eine gewisse Anstrengung vor sich und hinterher einen Anlass, sich auf andere Weise noch gründlicher mit seinen Filmen, seinen Büchern, seiner Biographie vertraut zu machen.
Die Ausstellung im Martin-Gropius-Bau ist noch bis zum 5.1.2015 zu sehen (Niederkirchner Straße 8, Nähe Potsdamer Platz).
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KlausMattes
Mitglied
15 Forenbeiträge seit dem 28.09.2014
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1. Antwort - Permalink - |
Abgeschickt am: 12.02.2015 um 14:30 Uhr |
Mir scheint, insofern er das deutsche Publikum beschäftigt hat, hat es eigentlich immer zwei Pasolinis gegeben: 1. den schwulen, den Strichbubenverehrer und dann auch den "tabubrechenden" Sexfilmer in seinen Verfilmungen legendärer erotischer Erzählungen der Weltliteratur - sowie 2. den linken Publizisten, der die Konsumgesellschaft und den römischen Filz angreift, seine speziellen Ecken und Kanten aber gerade dadurch gewinnt, dass er ebenso die Achtundsechziger-Studenten verurteilt (feine Pinkel, die nie gearbeitet haben) - welche doch, Stichwort: Wagenbach-Generation, sein eigentliches deutsches Publikum bildete. Irgendwie muss man sich damals Pasolini als das Salz des Urtümlichen in der Suppe der Moderne gegeben haben. Dann gehen auch so Dinger wie "Accattone" und "Das zweite Evangelium nach Markus". In etwa so: "Er will verhindern, dass die Moderne die raue Schönheit der archaischen Epochen platt macht." (An den letzten Orten, wo es sie noch gibt: römische Stadtrandsiedlungen (wie es dort wohl jetzt gerade aussehen mag?), Süditalien, Afrika, Jemen.)
Nicht zuletzt durch seinen Tod (bei dem man ja ständig von einer Exekution, einer Verschwörung irgendwelcher "Dienste" und "kreise" raunen hörte) ist er schließlich zum Märtyrer-Heiligen geworden. So was macht sich einfach toll für den Nachruhm. Siehe Che, Martin Luther, JFK, John Lennon, Andreas Baader, Johnny Rotten ... (Was soll uns dagegen ein Dylan oder Wondratschek oder Wenders heute? Guckt sie euch nur an!)
Die Frage ist aber doch, ob sich hier der Ruhm nicht schon von Person und Werk abgetrennt und verselbständigt hat. Er bekommt die Ausstellung, weil er mal so ein Heiliger war, dafür legendär ist?
Denn man sieht eigentlich nicht, zumindest in Deutschland nicht, dass irgendwer sich noch sehr um das kümmern würde, für das er gestanden hat. Seine Themen scheinen überholt. Das sexuelle Tabu-Brechen ist in Zeiten von "50 Shades of Grey"-Massenhype zu Limonade heruntergestreckt. Auch natürlich von und bei den Schwulen, die sich keine Strichergloriensagas mehr erzählen, sondern sich anschauen, wie in einer Familiensoap die beiden Schwulen das verlässlichste Ehepaar von allen darstellen. Und die Archaik des mittelmeerischen Bauern ist uns solange total wurscht, bis er die Schulden zurückgezahlt und das Sozialwesen austerisiert hat.
Die ganze Pasolini-Verehrung scheint mir definitiv Romantik gewesen zu sein und die Romantik ist heute woanders hingegangen. Den Stadtteilgarten für Gemüseerzeugung in Berlin? Das Cocktailschlürfen in den obersten Hochhausetagen von Shanghai?
Die Frage wäre, ob die Ausstellung hierzu was beigetragen hat. Deiner Beschreibung nach, fürchte ich, eher nein. Also eine ziemlich entbehrliche Ausstellung über einen offenbar ziemlich entbehrlichen Heros.
(Das war eine literarische Rezension von Klaus Mattes.)
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ArnoAbendschoen
Mitglied
718 Forenbeiträge seit dem 02.05.2010
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2. Antwort - Permalink - |
Abgeschickt am: 12.02.2015 um 16:37 Uhr |
Danke, Klaus, für deinen ernüchternden Rückblick auf den Pasolini-Ruhm von damals. Im Wesentlichen sehe ich das auch so. In der Tat erschien mir die jetzige Ausstellung als ein nur äußerlich beeindruckender Akt der Denkmalpflege. Danach habe ich noch einmal "Teorema" gelesen und einzelne Szenen aus dem gleichnamigen Film angesehen und war von beidem enttäuscht. Da ist weder eine die Zeiten überdauernde mitreißende Ästhetik noch analytische Schärfe zu finden. Pasolinis starke Wirkung beruhte vielleicht auf einer geschickten Mixtur von Motiven, die damals als Gesamtkunstwerk viele Intellektuelle unmittelbar ansprach, es aber in einer total veränderten Welt nicht mehr kann: Hochkultur mit frühem Verfallsdatum.
Wozu also an Pasolini erinnern? Vielleicht um jene Zeit, als wir noch sehr jung waren, besser zu verstehen, und die Veränderungen seitdem. Aber gerade das leistete die Ausstellung nicht. In einem Punkt profitierte ich doch von ihr: Die Filmmusik von "Accatone" ist z.T. dieselbe wie in dem mir bekannten Julian Hernandez-Film "Mil Nubes". Jetzt weiß ich endlich, dass es sich um Bachs "Wir setzen uns mit Tränen nieder" aus der Matthäus-Passion handelt. Bei Hernandez wie etwa auch bei Ira Sachs mit "The Delta" finden wir in der Filmsprache deutliche Anklänge an den frühen Pasolini, allerdings eher wie markante Zitate, effektvoll eingesetzt. Typisches Klassikerschicksal.
Freundlichen Gruß
Arno Abendschön
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