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Literaturforum: 5. Marlene Häusler (1) (Aus Lange Haare)


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Forum > Prosa > 5. Marlene Häusler (1) (Aus Lange Haare)
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 Thema: 5. Marlene Häusler (1) (Aus Lange Haare)
raimund-fellner
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Eröffnungsbeitrag Abgeschickt am: 22.01.2013 um 14:41 Uhr

5. Marlene Häusler (1)

Raimund trieb weiter im selben Fahrwasser seines Don-Juanismus´; nämlich keine, die mit ihm näher bekannt wurde, wahrhaft lieben zu können, seit er Bea begegnet war, sondern immer nur angereizte Triebe zu verspüren; jedoch das tiefe Gefühl empfand er einzig und allein für Bea. Sein Gewissen war immer bei der jeweiligen Abirrung mit einem sachten Schuldempfinden belastet, als sei es nicht ganz richtig, was er da tat.
Mit jener Marlene Häusler wurde er bekannt über seine Schwester Claudia, indem er sich einfach einer Zusammenkunft der beiden Freundinnen anschloss. Weil Claudias Schulfreundin mit ihren blauen Augen und langen löwenartig krausen braunen Haaren auch von schlankem Wuchs war und ein freundliches gefälliges ungeschminktes Gesicht hatte, sagte sie Raimund zu. Er empfand sie als hübsch, denn sie hatte einen ähnlichen Kleidungsstil wie Bea. Auch zeigte das Gespräch, dass sie in ihren Ansichten über die freie Liebe Bea ähnlich war. So dachte er bei sich, dass nähere Freundschaft mit ihr, ihn über seine einsame Schwermut wegen Bea hinwegtrösten könnte. Darum erbat er sich von Marlene die Erlaubnis, sie künftig alleine besuchen zu dürfen. Ein wenig Vorbehalt hatte Marlene schon mit den Worten, was er denn wolle, was seine Absicht sei. Worauf er antwortete, er sei so allein, habe keine Freunde und wolle mit ihr hin und wieder plaudern, denn ihre Ansichten und ihre Art gefielen ihm. So hatte er sich den Zugang zu dieser selbstbewussten anziehenden jungen Frau erwirkt, was ihn ein wenig beschwingt machte.
Er sah es schicklich angebracht, einige Tage vergehen zu lassen, um dann am Telefon eine Verabredung zu veranlassen. Marlene war aufgeschlossen, zu einem Treffen bereit und schlug vor, er solle sie heute Abend um sieben Uhr besuchen. Das machte Raimund innerlich aufjauchzen, denn er hatte so einen Lichtblick in seinem trostlosen Einerlei. Seine überschwänglichen Gefühle musste er sogleich mit einigen Zigaretten dämpfen. Zu sehr war er in freudiger Bewegung, als dass er es ohne das betäubende Nikotin ausgehalten hätte. Auch trank er eine Tasse Kaffee nach der anderen. Seine Verliebtheit, die sich einstellte, beruhte darauf, beachtet und angenommen zu werden von dieser hübschen jungen Frau. Er würde sich besonders anstrengen, interessant und mitreißend zu plaudern.
Marlene empfing ihn hochaufragend an der Wohnungstür in einem violetten indischen Kleid, ein Kleidungsstil, wie er damals zur Alternativbewegung gehörte. Er musste sich sogleich an Bea erinnern, die er in einem solchen Kleid gesehen hatte, damals an der Straßenbahnhaltestelle von ihr unbemerkt, als er schon keinen Zugang mehr zu ihr hatte. Der Geist, der solchen Kleidungsstil umschwebte, war also auch von Bea bevorzugt. Es war der Geist der indischen Yoga- und Meditationsbewegung, von der sich auch Raimund Befreiung aus seiner Schwermut erhoffte.
Was ihm jetzt aber besonders auffiel, als Marlene ihm gegenüber stand, war ihre aufragende Körpergröße. Sie war genauso groß wie er. Er musste sich unerfreulicher Weise eingestehen, dass sie für ihn eigentlich zu groß war und darum weniger zu ihm passte. Diesen leidlichen Gedanken schob er sogleich beiseite.
Was nun folgte, diente Raimund in Gedanken dazu, auf Beas Lebenswelt zu schließen, zu der er ja keinen Zugang hatte. Wie mochte Bea leben? Wie war sie eingerichtet? Was war ihr Lebensstil? Über all das hatte er nur vage Ahndungen. Von Marlene konnte er auf Bea analog schließen, denn ein ähnlicher Geist und Stil umschwebte das Zusammensein.
Marlene verfertigte schwarzen Tee, den sie auf ein schmuckes Stövchen stellte, und setzte eigene Teeschalen dafür bereit. Im folgenden Gespräch wurde deutlich, dass sie eine „alternative“ Lebensweise für gut hieß. Das war die Fortentwicklung der 1968er Ideale. Beide stimmten darüber miteinander überein, dass sie nicht heiraten wollten, sondern wenn, dann eine freie Beziehung anstrebten, so grundsätzlich ohne jetzt damit miteinander eine solche begründen zu wollen. Das blieb offen, in der Schwebe. Auch zum Lebensunterhalt war das „Alternative“ angezielt, wobei beide überhaupt keine Perspektive sahen, wie „alternativ“ der Lebensunterhalt erlangt werden sollte. Beide waren mit der Arbeitswelt noch kaum in Berührung gekommen. Anschauung und Erfahrung fehlten ihnen. So rätselten sie über ihre berufliche Zukunft. Sie nahmen sich nur fest vor, auf keinen Fall verspießern zu wollen.
Raimund erzählte von seiner Psychiatrieerfahrung und ließ sich breit aus über die jenseitige bessere Welt, von der er in seiner inneren Offenbarung einen Abglanz geschaut hatte. Er sprach vom absoluten Erfühlen und Verstehen in der Zweisamkeit, dass echt Liebende immer dasselbe spürten, wenn sie für einander empfanden. So wie er es unter Cannabis geschaut hatte. Raimund meinte, dass Zen-Meditation auf lange Sicht zur immerwährenden bleibenden Lust und Freude führen würde auch in Abwesenheit des Reziprok-Korrelats, wenn man sich nur fleißig übe. Er sprach von seiner Schwermut, die er eines Tages auf diesem Weg aufzulösen erhoffe. Er erwähnte aber Bea, seine femme fatale niemals namentlich, sondern blieb immer im Unbestimmten, wenn er seinem idealen Reziprok-Korrelat sprach, der Partnerin mit der er immer wonnig zusammen sein wollte. So malte er in reichen Worten ein Gemälde idealer Partnerschaft, das Marlene unwidersprochen zusagte. Das Rauchen unterließ er dieses Mal, wie auch die künftigen Zusammenkünfte, weil er meinte, dass es die schöne gemütvolle Zweisamkeit mit Marlene störe. Er wollte sich unabgelenkt diesem weiblichen Wesen, Marlene, aussetzen, das ihm Ahndungen auf Bea gewährte.
Sie hatten sich mittlerweile in ein anderes Zimmer begeben, wo sie sich auf dem Sofa niederließen, das Marlene auch als Bett für die Nacht diente. Hier saß es sich bequemer. Auch war so die Möglichkeit zu Tändeleien gegeben, wie Raimund insgeheim denken musste. Noch immer sprach er über seine jenseitigen erotischen Phantasien, was wohl Stimmung machte, ebenso jetzt dergleichen zu erleben. Marlene neben ihm. Sollte er oder sollte er nicht? Wäre Marlene darüber verärgert, wenn er sie nun sanft anfassen würde? Wäre ihr das willkommen? dachte sich Raimund innerlich. Marlene lächelte ihn an, schloss die Augen, als wolle sie so besser innerlich nachspüren, sie öffnete die Augen wieder, lächelte ihn an, der nun zum Schweigen gekommen war. Was folgte jetzt? Sollte er oder sollte er nicht? Er hatte es eigentlich nicht vorgehabt. Musste nicht Marlene vielleicht glauben, dass er sein Ansinnen, sie zu besuchen, um mit ihr zu plaudern, mit dem Hintergedanken getan hatte, sich an sie heranzumachen? Wollte sie oder wollte sie nicht? Er fasste nach ihrer Hand. Das war noch verhältnismäßig unverfänglich. Sie konnte diese ja zurückziehen, wenn ihr eine Berührung nicht angenehm wäre. Sie schien nichts dagegen zu haben, denn sie ließ sie in der Seinen ruhen. Nun war aber Händchen halten auf Dauer langweilig, zumal Raimunds Phantasie zu Tollerem drängte. Er berührte ihr Knie. Auch das ließ sie gewähren. Und so ging es immer gewagter fort. Sie schien alles zu genießen, ohne ihrerseits Raimund nur die geringste Zärtlichkeit zukommen zu lassen, was ihn auch gar nicht störte, denn seine Phantasie befriedigte voll seine Gelüste, wenn er sie nur an immer intimeren Stellen streicheln durfte. So wurde Marlene merklich erregt, sie genoss es, und obgleich sie auch weiterhin ihm keinerlei Zärtlichkeiten zukommen ließ, geriet seine Männlichkeit in mächtigen Aufstand und er genoss über den Weg der Phantasie, was er Marlene zukommen ließ. Er war voll zufrieden mit diesem Geschehen und äußerte ehrlich, dass er dergleichen gar nicht erwartet hatte. Allerdings, während so die Zeit in vergnüglichem Beisammensein verstrich, meldete sich bei Raimund die Sucht. Er brauchte wieder Abstand, um eine Zigarette zu rauchen. Darum verabschiedete er sich endlich aus dem lustvollen Treiben. Er sei müde, wolle nach Hause. Er werde sie, wenn sie nichts dagegen habe, wieder besuchen.
Die Nacht war voll hereingebrochen, als er sich auf der Straße, halb verhungert nach Nikotin, eine reinzog. Er war voll jauchzender Freude in der Rückerinnerung an das Genossene. Doch sogleich meldete sich bei ihm die Frage an, wie es mit der Liebe zu Marlene bestellt sei. Konnte er wahrhaftig mit uneingeschränktem Gefühl sagen: Ich liebe dich. Er musste es verneinen, denn so hübsch Marlene auch war, es gab bei ihr Züge in der Miene, die ihm missfielen, die er als unschön bezeichnen musste. Vielleicht deswegen, weil die Charakterzüge, die dahinter rührten, ihm nicht zusagten. Also gänzlich konnte er Marlene deswegen nicht lieben, so wie Bea, deren Gesichtszüge, wie auch immer sie waren, er als uneingeschränkt schön empfand, wahrscheinlich deswegen, weil er alle Regungen in Bea liebte, verstand und als interessant empfand. Denn vollkommene Schönheit ist etwas Reziprok-korrelatives, etwas, das nur intersubjektiv vom reziprok-korrelativen Gegenüber so empfunden wird, weil es in ihm eine angenehme Gefühlsschwingung erzeugt. Menschen, die sich stimmig schwingend gegenseitig als vollkommen schön empfinden, sind auch vollkommen kompatibel (zusammenpassend). Diese Allgemeingültigkeit über die Schönheit musste der Philosoph aus dem eben Erlebten mit Susanne in Ahndung auf Bea folgern. Denn Raimunds Anspruch war, dass er eine Maid, mit der er für immer zusammen sein wollte, als uneingeschränkt schön empfinden musste, so wie Bea. Somit war er wieder auf seine unverwüstliche Liebe zurückgeworfen, mit der sich alle weiblichen Wesen, die ihm begegneten, messen lassen mussten. Denn es war so. Seitdem er Bea begegnet war, konnte er keine andere mehr lieben, obgleich er von Bea für jetzt abgelehnt war. Also war er von der Grundstimmung her traurig, wenn nicht sogar depressiv, denn er litt daran, dass er in seiner Torheit Bea so verletzt hatte, dass sie ihn ablehnen musste. Ohne Bea würde er den Frohsinn nie wieder finden. Mit diesen Gedanken schlief er ein.


Raimund Fellner
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