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Literaturforum: Vor der Leinwand - Kino ist immer live


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Forum > Sonstiges > Vor der Leinwand - Kino ist immer live
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 Thema: Vor der Leinwand - Kino ist immer live
ArnoAbendschoen
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Das ist ArnoAbendschoen

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Eröffnungsbeitrag Abgeschickt am: 07.08.2012 um 22:01 Uhr

Hier soll es nicht um gute Filme gehen, nicht um das, was einer der Großen unserer Schauspielerzunft einmal auf seine charmante Art „Kunstkacke“ genannt hat. Reden wir auch nicht von der Werbung. Beginnen wir mit diesem Moment, wenn das Licht noch einmal angeht, damit man zu Eiskrem und Knabberzeug kommt. Ich liebe ihn, er ersetzt uns die Pause in der Oper. Wie voll ist es, wer ist denn noch da, kenne ich jemand? Warum sehen sich so viele junge Frauen „Brokeback Mountain“ an? Der Verkaufswagen bleibt immer irgendwo hängen.

Es ist wieder dunkel. Tüten werden aufgerissen. Es knistert und raschelt. Nun gut. Einige fangen an zu reden. Es ist natürlich nur ein dummes Vorurteil, dass Frauen schwatzhafter sind als Männer. Und wenn sie doch einmal zwei solche … hm … Ratschkatheln ganz in Ihrer Nähe haben, so verrate ich Ihnen ein Rezept: Wiegen Sie die beiden zuerst in Sicherheit – scheinbar ignorieren. Dann schnellen Sie vor wie eine Schlange und zischen die zwei an: Wenn Sie sich unterhalten wollen, dann gehen Sie doch in ein Café! Wirkt meistens.

Manche müssen ja nach Beginn des Hauptfilms ihren Platz wechseln. In einem Programmkino waren die Eintrittspreise nach Reihen gestaffelt. Ein junger Mann setzte sportlich über zwei Stuhlreihen hinweg. Woraufhin das Licht anging und sich folgender lautstarker Dialog bei laufendem Film entwickelte: Sie, zeigen Sie mal Ihre Karte … Da dürfen Sie aber nicht sitzen. – Ich sitz hier besser. Zahl Ihnen auch die fünfzig Pfennige … - Nein, so geht das nicht, Sie müssen zurück … Nein, warum denn? – Sie verhandelten noch eine Weile. Die Platzanweiserin setzte sich durch, es war in Berlin.

In Berlin veranstalten sie, wie jeder weiß, jedes Jahr die Berlinale, eine wirklich weltstädtische Angelegenheit. Im Forum des Jungen Films lief einmal im Beiprogramm ein Streifen über das Ruhrgebiet. Lange Kamerafahrten über grau-grüne Halden, dazu Musik eher experimenteller Art. Ich dachte: Es hat was. Allmählich kam Unruhe auf. Langweilten sich einige? Einer schrie durchdringend: FILM HÖRT NIE AUF! Die Vox populi hatte sich Gehör verschafft.

Ganz anders die Verhältnisse in Fulda. Hier kam ich einmal in den Genuss einer Privatkinovorstellung. War es nicht ein Film von Robert Altman, vielleicht „Therapie zwecklos?“ Ich kaufte eine Eintrittskarte und betrat den mittelgroßen Vorführraum. O, wir sind nur zu zweit hier, sagte ich mir, gleich fängt es an. Aber bevor es dunkel wurde, kam noch der Geschäftsführer und verschaffte sich einen Überblick. Er sagte zu mir: Ein sehr guter, ein toller Film, aber für Fulda völlig ungeeignet. Hier mögen sie nur Baller-Baller-Filme … Mein Mitzuschauer blieb zwanzig Minuten, dann verschwand er.

Dagegen wird in Hamburg Filmkunst seit jeher hoch geschätzt. Ich sah einmal im Abaton-Kino diesen wunderbar poetischen spanischen Film „Der Bienenkorb“. Ging noch einmal rein, um den Eindruck zu vertiefen. Und hatte Pech. Alle Plätze um mich herum besetzt und auf einem ein Alkoholiker im Endstadium. Und es war nicht nur dieser spezifische Fuselgeruch, da drang noch etwas in die Nase. Kann man Leberzirrhose riechen? Armer Kerl. Dabei blieb unklar, wo er genau saß. Köpfe drehten sich spähend in der Dunkelheit. Schultern, straff hoch gezogen, drückten aus: Von mir kommt es nicht. Ja, Kino spricht alle Sinne an.

Damals, in den alten Zeiten, kannte ich den Filmvorführer im Berliner Delphi-Palast. „Kunst-Kacke“ gab es seinerzeit dort nur am Sonntagmittag zu sehen, in der Sondervorstellung für die griechischen Gastarbeiter. Ansonsten das damals Übliche: Schulmädchen und Jungfrauen, die es nicht mehr sein wollten. Der Filmvorführer nahm mich mit in den Projektorraum. Er eröffnete mir ganz neue Perspektiven. Über den vielen Köpfen da unten flimmerten Busen, Hüften, Beine, alles wie durch einen langen, breiten Schlitz gesehen. Dazu das Stöhnen vorgetäuschter Ekstase, dröhnend wie die primitiv stampfende oder schleimig süßliche Musik, Heute funktioniert die Technik natürlich ganz anders, ich verstehe davon fast nichts. Der Vorführer sagte: Wenn ich es eilig hab, kürz ich den Film ein bisschen beim Vorführen. Die merken das gar nicht. Zehn Minuten sind da schon mal drin … War er besonders guter Laune, erlaubte er sich einen Jux. Er schob zwischen die Werbedias für Zeitungen, Rasierwasser oder Möbel einen von ihm mit folgender Beschriftung versehenen Karton: Das *** ist nur gegen eine Schmutzgebühr von 50 Pfennig erlaubt. Diese Art Humor (lat. ‚Feuchtigkeit’, ‚Saft’) kam gut an. Die Männer da unten stampften, sie johlten.

Das waren herrliche Zeiten. Sie kehren nicht wieder.

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