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Literaturforum:
Uelzen, Farinastraße
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Autor
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Thema: Uelzen, Farinastraße
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ArnoAbendschoen
Mitglied
718 Forenbeiträge seit dem 02.05.2010
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Eröffnungsbeitrag |
Abgeschickt am: 14.02.2011 um 17:13 Uhr |
In der niedersächsischen Kreisstadt Uelzen wurden jüngst zwei Straßen umbenannt. In beiden Fällen war nachträglich eine besondere Nähe der jahrzehntelang Geehrten zur nationalsozialistischen Herrschaft bekannt geworden. Der eine ist Hans-Christoph Seebohm, Bundesminister für Verkehr von 1949 – 1966, seinerzeit auch Bundestagsabgeordneter für den Wahlkreis Harburg-Soltau. Im Fall Seebohm stieß man sich jetzt vor allem an Details aus den Archiven der Dresdner Bank. Daraus geht hervor, dass Seebohm maßgeblich an der „Arisierung“ enteigneten Vermögens jüdischer Bergwerksbesitzer im okkupierten Sudetenland beteiligt war.
Bei dem anderen, Johann Farina, riecht es nicht nach Kölnisch Wasser - unser Farina war von 1913 – 1946 Bürgermeister von Uelzen, eine beachtliche Leistung, sollte man meinen, vier verschiedenen Systemen gedient zu haben. Die jetzige Kritik an seiner Person bezieht sich auf seine Rolle als allzu willfähriges Werkzeug der braunen Mächtigen. Unter anderem belegen Dokumente, dass er sich wiederholt von sich aus dafür aussprach, politische Gefangene nach Verbüßung ihrer regulären Strafhaft in Schutzhaft zu nehmen – auf Deutsch: Ab ins KZ mit ihnen!
Der Stadtrat entschloss sich 2010 trotz Rumorens unter den unmittelbar betroffenen Anwohnern und Firmen zur Straßenumbenennung. Damit fing der Ärger erst recht an. Inzwischen hat ein CDU-Ratsherr namens Lücke ein Bürgerbegehren zur Rückumbenennung gestartet. Die Farinastraße soll wieder wie früher heißen. Er sammelt Unterschriften, offenbar mit Erfolg, und die Lokalzeitung ist voll von Artikeln und Kommentaren zum Thema.
Nüchtern betrachtet ist eine solche radikale Entnazifizierung unserer Straßennamen nicht unbedingt zwingend, scheint mir, sofern es sich nicht um große Fische handelt. Andererseits hat der Stadtrat in Kenntnis und Abwägung der historischen Fakten die Umbenennung hier für ratsam gehalten. Worum geht es also bei dem Bestreben, diesen Beschluss zu kippen? Hier ist die Lektüre der zahlreichen Leseräußerungen in der lokalen „Allgemeinen Zeitung“ aufschlussreich. Die ganz Bauernschlauen wollen den Namen Farina nicht mehr auf den bräunlichen Bürgermeister bezogen wissen, sondern auf die Farinas in Köln. Die anderen, soweit sie auch für Rückumbenennung sind, argumentieren höchst fatal: Es müsse einmal Schluss sein mit dem Schuldkomplex, Farina habe – wennschon nicht die Autobahn gebaut – doch viel Gutes für die Stadt bewirkt. Und überhaupt handele es sich jetzt um Machenschaften der ewig Linken, der Gutmenschen … Natürlich fällt irgendwann auch der Name Sarrazin. Thilo S. hat sich zwar gar nicht zur Sache Farina geäußert, aber sie haben ihn schon richtig verstanden: Man darf sich wieder was trauen, es muss Schluss sein mit Pietät und Gefühlsduselei. Es riecht auf diesen Seiten nach Tea Party und Geert Wilders. Und einer macht ungeniert Reklame für die Hassseite PI-News (Stefan Niggemeier in der FAZ über deren Nutzer: „unverhohlen rassistischer Mob“).
Sollte es tatsächlich zur erneuten Umbenennung kommen, dürfte dieser Fall bisher einmalig in der deutschen Geschichte seit 1945 sein. Schon deshalb verdient er überregionale Aufmerksamkeit, am besten auch über unsere Grenzen hinaus. Was mögen Menschen in Prag, Warschau oder Tel Aviv empfinden, wenn ihnen diese Vorgänge bekannt werden? Zeigt sich hier ein neues altes Deutschland? Ihr Völker der Welt, schaut auf diese Stadt …
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