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Literaturforum: Der Tunnel unter dem Friedhof


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Forum > Sonstiges > Der Tunnel unter dem Friedhof
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 Thema: Der Tunnel unter dem Friedhof
ArnoAbendschoen
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Eröffnungsbeitrag Abgeschickt am: 03.01.2021 um 13:29 Uhr

"Mach Licht, Frau", sagte mein Großvater oft in der Abenddämmerung, "wir können noch lange genug da oben im Dunkeln liegen." Mit oben war nicht das himmlische Jerusalem gemeint, an das sie beide nicht glaubten, sondern unser hochgelegener Friedhof.

Den besten Blick auf den Friedhof hatte man vom Bahnhof aus. War das Jenseits nur per Reise ohne Wiederkehr zu erreichen? Wenn man vom Bahnsteig nach Norden blickte, sah man in den schwarzen Mund einer Tunnelöffnung wie in das Ofenloch eines Krematoriums. Davon löste sich der Blick und glitt den steil ansteigenden Hang aufwärts. Er war mit Dornengebüsch bewachsen, unzugänglich und von der weiß verputzten Leichenhalle im neoromanischen Stil gekrönt. Ein Aussichtscafé konnte nicht schöner liegen. Die Kuppe, die die Eisenbahn im Tunnel unterfuhr, war ein einziges Gräberfeld. Seit fünf Generationen bestatteten die Einwohner da ihre Toten. Meine Großeltern hatten mir wiederholt gesagt, sie würden auch einmal dort liegen. Der Gedanke war mir unbegreiflich. Ich war noch niemals durch den Tunnel gefahren …

… und träumte immer wieder denselben Angsttraum. Darin spazierte ich vom Bahnhof zum Haus der Großeltern. In Höhe des Tunnelmundes, gerade unterhalb der Feierhalle, näherte sich mir ein von zwei braunen Pferden gezogener Leichenwagen. Es war ein einfacher Pritschenwagen ohne Verdeck, wie ihn die Bauern zum Transport von Rüben benutzen. Wie mich die Pferde sahen, fielen sie gleich in scharfen Galopp. Der Leichenwagen holperte und schlingerte, der Sarg sprang auf und nieder. Ich wich zurück, voll Entsetzen, zu spät: Die Pferde bäumten sich auf und setzten an, mich niederzutrampeln. Schon spürte ich ihre Hufe - und erwachte, von tiefem Schrecken erfüllt …

Beim Aufwachen stürzte ich eines Nachts aus dem Bett und renkte mir das Schultergelenk aus. Danach trat meine Großmutter mit mir die Reise zu einer Wunderheilerin an. Sie hatte einen sagenhaften Ruf und war doch nur eine geschickte Heilpraktikerin. Rasch und schmerzlos wurde das Gelenk von ihr eingerenkt. Meine Großmutter jedoch spürte die geheimnisvolle Kraft, die von jener Schamanin ausging, als sie mich berührte. Jahrelang noch pries sie die wundersame Heilung in bewegten Worten. (Auch Atheisten neigen manchmal zum Wunderglauben.)

Auf dieser Fahrt nach Norden hatte ich erstmals den Tunnel unter dem Friedhof durchfahren - und ich war zurückgekehrt! Ich war also genesen, wenigstens was die Schulter betraf. Und der Traum mit dem Leichenwagen kehrte auch nicht wieder. Dafür träumte ich nun andere Angstträume.

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