3dermisch5
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17 Forenbeiträge seit dem 13.09.2004
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Eröffnungsbeitrag |
Abgeschickt am: 19.09.2004 um 15:13 Uhr |
Auf der Ziegenhaut der Djemba waren die Spermatropfen längst zu taubengrauen Flecken getrocknet. Sie wusste es. Sie kannte ihn schon lange, vor allem kannte sie ihn ziemlich genau. Sie wusste, dass er in einem gewissen Stadium des Rausches zu einigem Ungewöhnlichen fähig war, eben auch dazu, sich mit schlanksteifem Glied unter Handführung in einem Stakkato zu verlieren, an dessen Ende seine Erlösung stand, bevor es wieder zu einer schamhaften Vergeblichkeit zusammenschrumpfte. Dennoch hatte sie sich bis dahin niemals die Frage gestellt, ob sie sich der Gefahr einer Schwangerschaft auslieferte, wenn sie sich ohne Höschen unter dem Kleid auf das kühlende Mitbringsel aus St.Louis, der zerfallenden Kolonialbaustätte im Norden Senegals, wo sie drei Wochen lang lernen musste, was es hieß, weiß zu sein, hockte, um beispielsweise mit übereinandergeschlagenen Beinen und in die Hände gestütztem Kinn, den Tag und dessen ruhmlose Geräusche an sich vorüberziehen zu lassen. Sie hatte ihn schließlich einmal geliebt. Zumindest vertrat sie sogar vor sich selbst diese Ansicht. Geliebt, so wie sie es eben konnte. Auch das hatte sie irgendwann gelernt; ein jeder besitzt sein eigenes Maß an Liebe, dieses große Wort existierte, wenn überhaupt, nur in den Maschendrahtcarrées der Individualität, ganz gleich ob grober oder feiner Struktur.
Vergangenheit. Und doch machten die ausgepressten, fossilhaften Spuren einer ihr bekannten Gefühlswallung einen Sinn, der allgegenwärtig blieb.
Doch an diesem Tag war es anders. Nicht dass sich in ihr eine Angst entwickelte, tatsächlich schwanger zu werden, vielmehr erwachte in ihr ein bis dahin noch nicht dagewesenes Verlangen danach, ein Wunsch, begattet zu werden, geschwemmt zu werden mit den Ausläufern eines Stromes, der aus dem Unbekannten kommt und sich nur nach Morgen wendet, ahnungsvoll und unsicher, zuversichtlich und sich doch, der Unvoraussehbarkeit anvertrauend, ihren lauernden Gefahren entgegenwirft. - "Eine Kraft--" hauchte sie in Richtung der Fotoecke, an der ihr Blick hing, der über die vielen verschiedenen Gesichter tastete, die Narben und Knutschflecken ihres Lebens, wie sie sie selbst bezeichnete, als das Ertönen des Telefons sie an die reale Oberfläche eines nachmittäglichen Donnerstags zurückrief.
"Ja, Ines?" -- "Hi, Ines, ich bins, des Totengräbers Enkel!", sagte ich. -- "Michel, Du? Gerade eben habe ich Dich noch wo ganz anders vermisst!" -- "Hör zu, es ist wichtig!" , brachte ich schnell heraus, ohne auf ihre Bemerkung einzugehen, "Hast Du Zeit? - Ich bin hier bei Freddy und ihm geht es nicht gut, und ich weiß nicht, wie ich ihm helfen kann - hast Du Zeit, vorbeizukommen?" -- "Freddy?!" -- Ich vernahm deutlich den Schrecken in ihrer Stimme, der mich verwunderte, was ich wiederum gewohnt war, da es ihr immer wieder gelang, mich zu verwundern. -- "Ja, Freddy! - Ist was mit Dir? - Ines, ich brauch Deine Hilfe! - Ist mit Dir alles in Ordnung?" --
Ein kurzes Schweigen eroberte die Verbindung, dann klang ihre Stimme plötzlich weit entfernt, als wäre sie dabei, in den Keller zu gehen, während der Hörer neben dem Apparat liegengeblieben war, - "Wo? -
in Ordnung? - im [Zensiert] - im Eisprung - im Strom -- im Strom!" -- Ich war erschrocken, denn die letzten beiden Worte hatte sie unvermittelt in die Muschel gebrüllt, und dann aufgelegt. -- "Ines?", rief ich in die abgewürgte Leitung, "Ines, lass mich doch jetzt nicht--- ach, Mist!" - Nebenan saß Freddy in sich zusammengesunken auf der Kloschüssel und schlummerte wie ein misshandelter Rhododendron. "Abschied -" murmelte ich vor mich hin, schrieb das Wort schließlich auf ein Gedichtfragment, das von Weitem besehen wegen der unterschiedlich eingeprägten Glasränder auch als Landschaftsskizze hätte gelten können, und wunderte mich über mich selbst, als ich merkte, wie ich bestätigend nickte.
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"Was ist das für eine Welt, in der wir leben? Was ist aus ihr geworden? Jawoll, was? - Die Dinosaurier hat man sterben lassen, die Indianer, die ganzen Soldaten sowieso, und bald sind die Außerirdischen dran, was? Jawoll, was? -- Pfff, und was machen wir? Autofahren, Fensterputzen, und - und -was? Jawoll, was? - Kindermachen und keinen Schnaps ausschenken, ihr Bastarde! - Die Erde ist rund, na und? Der Mond auch! - Hoppla! -- Jawoll, was? -- Die Dinosaurier hat man schon sterben lassen, einfach so, so - die mit den kleinen Hirnen, die Dinosaurier -- aber die Hirne leben noch, jawoll, die klitzekleinen Hirne, was? - Politiker! Jawoll, was? -- Die kleinen Hirne leben jetzt in kleinen Politikern und den großen, vor allem in den großen -- in den großen überall da - da - jawoll, was? -- Kleine Hirne und bloß kein Schnaps mehr, was? - Was ist das für eine Welt, in der-" --
"Mach das Radio aus!" befahl ein düsterer Schall aus dem Klo. -- "Ist nicht das Radio, da steht einer auf der Straße neben Deinem Türchen." -- "Dann mach halt den aus, verdammt!" war während eines Stöhnens zu hören. Ich schloss das Fenster. "Fühlst Du Dich besser?" -- "Besser -- besser als was, als tot? - Kann ich Dir noch nicht sagen, aber ich bezweifle es!" -- "Hör auf, Mann, was redest Du da!" -- Ich wurde ärgerlich. Ich musste mir vorkommen wie jemand, der nach jahrelanger, mühevoller Arbeit seinem Papagei das Sprechen beigebracht hatte , welcher seinem Lehrer nun klipp und klar auf den Kopf zusagte, welche Charakterschwächen er hätte und wie unwichtig er wirklich sei. Geistesabwesend spuckte ich vor dem Heizkörper auf den Teppich. - "Was war das?" stöhnte Freddy. - "Weiß nicht, vielleicht ein Papagei.", behauptete ich angesäuert. Ich ging auf die angelehnte Tür zu, lauschte seinen Leidensgeräuschen, und sagte dann versöhnlich durch das Holz: "Willst Du nicht rauskommen? - Ich mach Dir einen Tee. Oder Du legst Dich ins Bett. Ist doch besser, oder?" -- "Du weißt wohl immer, was besser ist, was? Wenn Du so Deine Freundschaft bezahlt haben willst, dann kannst Du auch den Neandertaler wieder anmachen!" -- "Du besoffener Sack!" schrie ich fast völlig verärgert, "Willst Du wissen, was Du mich mal kannst?" -- "Nein!" kam es deutlich zurück, und nach erneutem Stöhnen, "-aber was es auch ist, bestimmt nicht so gut wie Du!"
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