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Literaturforum: Ich und die Baustelle in meinem Kopf - Kapitel 1


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Forum > Prosa > Ich und die Baustelle in meinem Kopf - Kapitel 1
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 Thema: Ich und die Baustelle in meinem Kopf - Kapitel 1
Raya
Mitglied

1 Forenbeitrag
seit dem 17.07.2013

     
Eröffnungsbeitrag Abgeschickt am: 17.07.2013 um 18:09 Uhr

Kurzbeschreibung der Geschichte:

Mia, mit vollem Namen Mia Alexandra, hat ein Problem. Seit drei Tagen kippt sie immer mal wieder ohne dass sie es will um und ist danach nachdem sie wieder zu sich kommt zu nichts mehr zu gebrauchen. Ihre Mutter hält dies für nichts besonderes sondern nur für Sonnenstiche. Mia hat zwar den Verdacht das dies nicht der Fall ist aber zum Arzt will sie trotzdem erst einmal nicht gehen. Stattdessen fängt sie an Tagebuch zu schreiben und alles haarklein zu notieren was ihr so passiert.

(Die Geschichte beruht zum Teil auf persönlichen Erfahrungen von mir)



Tagebucheintrag 1

Liebes Tagebuch,
heute am vierzehnten Juli 2008, noch dazu an meinem Geburtstag, ist es mir wieder passiert: Ich bin wieder umgekippt. Das ist jetzt schon das dritte Mal und mit Grauen erinnere ich mich an Montag. Es war zirka dreißig Grad warm (oder besser heiß) und da passierte es mir zum ersten Mal im Einkaufsladen um die Ecke. Danach in der Schule und schließlich heute im Chor. Zum Glück war Leo so nett und hat mich nach Hause gefahren. Mutter behauptet ja immer noch hartnäckig, dass es ein Sonnenstich ist was ich da habe. Aber mal ehrlich liebes Tagebuch, kriegt man einen Sonnenstich bei bewölktem Himmel und zirka zehn Grad im Schatten? (Denn so war das Wetter heute!) Leo hat mir geraten ins Krankenhaus zu gehen und mich dort untersuchen zu lassen. Ich hasse Krankenhäuser. Überall riecht es steril und überall herrscht gedrückte Stimmung. Dazu noch dieses nervige Gepiepse der Geräte. Damals als ich mir das Bein gebrochen habe hat mir das schon gereicht. Vielleicht will ich diesmal aber auch gar nicht wissen was mit mir los ist. (Ein Sonnenstich ist es nicht denke ich!) Weil ich feige bin. Weil ich Angst habe. Ja, liebes Tagebuch das bin also ich. Mein Name ist Mia Alexandra hübsch. Ich bin achtzehn Jahre alt, feige und kippe von Zeit zu Zeit um.


Mit einem lauten Seufzen klappte ich das Tagebuch zu. Vor zwei Jahren hatte meine Tante Emma es mir geschenkt, doch erst jetzt verspürte ich das Bedürfnis hinein zu schreiben. Natürlich, ich hatte wie jedes andere normale Mädchen in meinem Alter beste Freunde, mit denen ich über alles reden konnte. Da waren zum Beispiel Ellie, die eigentlich Eleonore heißt den Namen aber nicht mag, und ihr Bruder Leonard, der meistens Leo genannt wurde. Ich war mir allerdings nicht sicher ob und was bringen würde mit ihnen darüber reden. Mit meiner Familie würde ich das Thema ganz sicher nicht noch einmal anschneiden. Am besten dachte ich gar nicht erst dran. Diese Sonnenstiche wie Mutter es nannte, habe ich schließlich erst dreimal gehabt und viel ist das ja nun wirklich nicht. Auch wenn das alles natürlich furchtbar nervte und ich die Chorprobe für heute vergessen konnte. Vielleicht lag es tatsächlich auch nur am Wetter. Wie viele Menschen konnten schließlich nicht schlafen wenn Vollmond ist? Dazu zählte ich zwar bisher nicht aber trotzdem musste es deshalb kein Ausschlusskriterium sein, oder? Diese Antwort war schließlich sinnvoller als Mas Sonnenstich.


Ich nickte zufrieden mit mir selbst. Sobald ich mich an dieses merkwürdige Wetter gewöhnt hatte würde wieder alles beim Alten sein. „Mia! Essen fertig!“, hörte ich meine Mutter die Treppe hinauf rufen. „Ja, ich komme schon!“, rief ich zurück, stand von meinem Bett auf dem ich bisher gesessen hatte auf. Dann ging ich an den Schreibtisch und verstaute das Tagebuch darin.

„Wieso hat das denn so lange gedauert?“, erkundigte Mutter sich bei mir, während ich mich an den Esstisch setzte. „Hab noch was gelesen und die Zeit vergessen…“, grummelte ich. Meine Mutter sah mich zweifelnd an. „Du warst doch nicht am Computer oder? Ich glaub nicht dass das gut ist wenn man so einen schlimmen Sonnenstich hat wie du“, sagte sie tadelnd. Ich stöhnte laut auf. Na toll. Das war genau das Thema, welches ich hatte vermeiden wollen. „Mir geht es gut“, entgegnete ich deutlich genervt. „Wirklich! Und nein, ich war nicht am Computer!“, beteuerte ich, was ja auch stimmte. „Ben sag doch auch einmal etwas!“, fuhr meine Mutter meinen Vater an, der gerade dabei war sich ein Brot mit Butter zu bestreichen. Er zuckte mit den Schultern. „Mia du hast deine Mutter gehört“, sagte er abwesend. Ich verdrehte die Augen. Wie so oft bekam Vater mal wieder nicht mit was so um ihn herum geschah. Wahrscheinlich lag das an seinem Beruf er war nämlich Literaturprofessor und vom Wesen her konnte man ihn ein wenig mit dem Professor aus Tim und Struppi vergleichen. Das war jedenfalls das Erste was mir beim lesen der Hefte in unserer Bibliothek durch den Kopf gegangen war. Ich kicherte leise. Dann aber räusperte ich mich. „Wo ist eigentlich Marie?“, fragte ich als mir auffiel das meine kleine Schwester nicht da war. „Ich glaub sie übernachtet bei einer Freundin“, meinte Mutter. „Du glaubst?“, echote ich verwirrt. Sehr zu meinem Erstaunen mischte sich nun auch Vater in unser Gespräch. „Ja stimmt, bei einer Freundin. Sie hieß Feli oder so“, sagte Ben. „Ach so“, ich lächelte ihm zu. „Ja schon gut das hatte ich vergessen“, meinte Mutter und sah mich an „aber jetzt nochmal zu deinem Sonnenstich ich finde das solltest du wirklich behandeln lassen. Ich hab jedenfalls keine Ahnung wie man so etwas handhabt“, fing Mutter wieder mit dem Thema von vorhin an. „Ich glaub, ich habe doch keinen Hunger“, grummelte ich. „Mia Alexandra Hübsch! Wage es nicht jetzt einfach aufzustehen und dich in deinem Zimmer zu verkriechen!“, fuhr meine Mutter mich an. Ich biss hart die Zähne aufeinander. Ich hasste es wenn sie mich, vor allen Dingen in diesem Ton, mit meinem vollen Namen ansprach. „Ich gehe jetzt“, zischte ich zwischen den Zähnen und ging ohne mich umzudrehen nach oben in mein Zimmer. Dort angekommen nahm ich das Tagebuch aus der Schreibtischschublade und griff nach meinem Füller.


Noch immer haben wir den vierzehnten Juli. Es ist ungefähr viertel nach neun und ich weiß nicht wie oft ich das Wort Sonnenstich in der letzten Zeit gehört habe. Ich glaube, sollte ich wirklich mal einen haben muss ich dafür ein neues Wort erfinden um nicht verrückt zu werden. Eigentlich wäre jetzt immer noch Abendessen, aber das habe ich nicht ausgehalten. Ich hasse es darüber zu reden. Ich komme mir vor wie jemand der krank ist. Aber das bin ich nicht. Oder ist ein Sonnenstich eine Krankheit? Verdammt, jetzt fange ich auch noch an zu reden wie Ma. Liebes Tagebuch, ich weiß nicht genau wie man Tagebuch führt… Das ist das erste Mal, dass ich das tue. Schreiben beruhigt sagt Tante Emma immer. Ich selber war in Deutsch eher mittelmäßig bin so von einer drei auf ´ne zwei gependelt. Mittlerer Durchschnitt eben. Darf man nur jeden Tag einmal reinschreiben? Oder immer wenn man will? Wenn man glaubt, dass man was zu sagen hat? Nur zu bestimmten Anlässen? Bei was wirklich wichtigem? Keine Ahnung. Aber wahrscheinlich werden das hier sowieso Einträge, wie keine anderen sonst… Du solltest wirklich zu einem Arzt gehen (das hat nun auch Ma gesagt) das klingt irgendwie als wäre ich verrückt. Wäre doch bloß meine kleine Marie hier, ich glaub sie wäre der einzige Mensch der mich vielleicht ein bisschen verstehen würde.

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