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Literaturforum:
Februar 2011
Forum > Lektüregespräche > Februar 2011
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Autor
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Thema: Februar 2011
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Hermes
Mitglied
447 Forenbeiträge seit dem 23.01.2006
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Eröffnungsbeitrag |
Abgeschickt am: 19.02.2011 um 09:01 Uhr |
Am Dienstag, den 15. Februar 2011, befand ich mich zum Zwecke einer Dienstreise in die Schweiz in meinem Fahrzeug und durchfuhr die Gegend um Wiesbaden/Darmstadt, demnach im Empfangsbereich des Hessischen Rundfunks. Bei der Senderauswahl stieß ich unvermittelt auf eine der Kunst des Vorlesens aufs angenehmste befähigte Stimme, die dem Zuhörer den Text eines bis dahin unbekannten Autors näher brachte, der mich von Anfang an fesselte.
Da erzählte jemand aus seinen Kindheitserinnerungen aus der Zeit des II. Weltkrieges im oberbayerischen Traunstein, seinem schwierigen Verhältnis zur Mutter, dem Vertrautsein mit dem Großvater, furchtbaren Schulerlebnissen und dem Trauma seiner Zeit im thüringischen "Kindererholungsheim".
Immer tiefer versank ich im Zuhören der Stimme des Vorlesers, in die Welt des Verfassers eintauchend, und dennoch auf den dichten Autobahnverkehr achten müssend. Als der Vorleser geendet hatte, riß mich just in dem Moment, als der Hessische Rundfunk den Verfasser jenes Werkes bekannt zu geben gedachte, das vermaledeite Mobiltelefon aus meinen Gedanken...und somit der Möglichkeit, den gehörten Textauszug zuordnen zu können!
Jemandem mir Nahestehenden ist es zu verdanken, daß meinen noch während der Fahrt telefonisch übermittelnden Schilderungen die Bestimmung des Erwähnten erfolgen konnte!
Aus der Schweiz ins heimische Rheinland heimkehrend, fand ich auf dem Wohnzimmertisch bereits das im dtv-Verlag erschienene Taschenbuch des Werkes von
Thomas Bernhard - Ein Kind
vor, das ich binnen zwei Tagen vollkommen und mit dem gleichen Gefühl las, das mich beim Lauschen der Vorleserstimme beseelt hatte.
Diffuses Halbwissen.
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Gast33
Mitglied
Forenbeitrag seit dem 23.01.2006
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1. Antwort - Permalink - |
Abgeschickt am: 12.03.2011 um 11:54 Uhr |
Diese Nachricht wurde von Max um 12:02:36 am 12.03.2011 editiert
Jugenderinnerungen
Ich wurde in jener unheilvollen Zeit geboren, in denen die Machthaber sich anschickten die Welt zu erobern.. Trotzdem war meine Jugendzeit - sieht man einmal von den Kriegswirren und seinen verheerenden Auswirkungen ab - eigentlich sehr schön.
Meine Mutter hielt mich für etwas "Besonderes". Ständig war sie besorgt, sich um mein "Outfit" zu kümmern. Das sah so aus, dass sie mir den Scheitel zog, mir ständig die laufende Nase putzte und bemüht war, mich mit hübschen Klamotten auszustatten, was mir aber nicht sonderlich behagte. Sollte ich mich wirklich mal beim Spielen dreckig gemacht haben, dann gab es ein fürchterliches Donnerwetter.
Mutter konnte es einfach nicht vertragen ! Eigentlich hatte sich bei ihr die Meinung durchgesetzt, dass ich steril sein müsse. Nun kam mir dieser "Umstand" nicht sonderlich entgegen. Dreck war für mich ein Lebenselexier. Und ich machte davon reichlich Gebrauch, selbst auf die Gefahr hin, dass ich dafür Schelte, oder ein Paar hinter die "Löffel" bekam. Doch mit der Zeit kam ich auf die fixe Idee, den ständigen Vorhaltungen meiner Mutter zu entgehen, in dem ich mich von der Oma meines besten Spielkameraden intensiv säubern ließ, bevor ich die "Heimreise" antrat. Dieser Reinigungsprozeß ist mir heute noch in bester Erinnerung geblieben.
1938 kam ich in die Schule. Aufmerksamkeit war nicht gerade eine Eigenschaft die mich glänzen ließ. Die Folge war, dass meine Lehrerin des öfteren bei meiner Mutter vorstellig wurde und sie um Unterstützung bat. Das ging auch eine Weile gut, wenn ich reumütig gelobte mich zu bessern. Nur hielt dieses "feierliche Gelöbnis" nicht lange an. Eigentümlich war nur die Tatsache, dass ich trotz meiner Geschwätzigkeit und Dummheiten gute Noten (außer Betragen) nach hause brachte, die dazu beitrugen, dass meine Mutter mir gegenüber Milde walten ließ.
Dann begann der Krieg! An die Erfolgsfanfaren, die aus dem Volksempfänger tönten, kann ich mich noch gut erinnern. Die Euphorie im Lande war groß. Das sollte sich aber schnell ändern, als die Fliegerangriffe der Alliierten begannen, und wir ständig den Luftschutzkeller aufsuchen mussten. Wenn ein Bombenteppich nieder ging und das Haus erbebte, dann nahm mich meine Mutter in den Arm, wobei sich die Lippen zu einem stillen Gebet bewegten. Diese Luftangriffe auf meine Heimatstadt ESSEN waren so furchtbar, dass die Zivilbevölkerung in erster Linie darunter zu leiden hatte, obwohl das eigentlich Ziel der Luftangriffe der Waffenschmiede KRUPP galten.br /
Am 13. März 1943 dann das große Inferno! Einer der schwersten Bombenangriffe auf unsere Stadt. Ringsherum um unser Haus . einer Kruppschen Siedlung brannte es lichlerloh. In unserem Keller schlug eine Luftmine ein, mit einem Zeitzünder versehen, der uns allen das Leben retten sollte. Die Rauchentwicklung der brennenden Nachbarhäuser machte uns das Atmen trotz angelegter Gasmasken unerträglich. Einweckgläser wurden geöffnet, um uns trinkend mit dem Saft der Früchte Erleichterung für unsere trockenen Kehlen zu verschaffen. Es war fürchterlich! Durch die Feuersbrunst, begleitet von einem Sturm, flogen die Stücke der berstenden Dachziegel umher, die uns - wenn wir nicht aufpaßten, noch im Nachhinein h uns hätten töten können. Die Leichen aus den zerstörten Häusern lagen kreuz und quer in den Trümmern. Ein Anblick, den ich damals alsl 11 - jähriger Junge noch heute nicht vergessen habe. An den zerbombten Häusern liefen wir mit den wenigen Habseligkeiten in der Hand, zu meiner im selben Stadtteil wohnenden Tante, die sich glücklich schätzte. noch einmal davon gekommen zu sein und uns eine vorläufige Bleibe gewährte. Am darauf folgendem Tag begaben sich meine Eltern, trotz Absperrung und Warnung aufgrund der in unserem Keller eingeschlagenden Zeitbombe, in die dritte Etage unserer Wohnung, um sich noch einiger Wertgegenstände zu bemächtigen. Ein "Bemühen" das lebensgefährlich, um nicht zu sagen unverantwortlich war - und das mich vorzeitig zu einem Vollwaisen hätte machen können.
Eine Stunde nach Verlassen des Hauses detonierte die Zeitbombe und riß das Gebäude in Stücke, Ich erinnere mich noch sehr gut, daß ich beim Anblick der Ruine in Tränen ausbrach. Meine Eltern nahmen mich in ihre Mitte und weinten ebenfalls. Und so begann für uns alle ein neuer und ungewohnter Lebensabschnitt.
Wir wurden nach Oberbayern evakuiert, wo wir in einem kleinen Bauerndorf in der Nähe des Tegernsee`s Schutz vor den Wirren des Krieges fanden. Aber für uns kam nunmehr eine neue Erfahrung hinzu, nämlich die, des Fremdseins - und das im eigenen Land! Wir waren die ersten "Preußen" und man ließ uns das auch deutlich spüren. Das fing zunächst damit an, dass ich mich in der Dorfschule zur Wehr setzen musste, wenn man mich als "windiger Saupreiß" titulierte. Großartig konnte ich mich nicht bei den darauffolgenden Raufereien verteidigen, da ich den gut im "Futter" stehenden Bauernburschen schon rein körperlich nicht gewachsen war. Dieses Handicap musste ich auch in aller Deutlichkeit am eigenen Körper spüren.
Meine Mutter die ich um "Hilfe" bat, erreichte auch nach intensivem Bemühen beim Lehrer und den Schülern so gut wie nichts. Es dauerte somit lange bis ein Kompromiß geschlossen wurde und zwar dergestalt, dass ich zukünftig die bayerischen Kraftausdrücke annahm, meine ironische Spitzfindigkeit einschränkte, den Dialekt so gut ich konnte nachahmte, und damit die Chance bekam in der weiß-blauen Region - zunächst unter Vorbehalt . von meinen Mitschülern akzeptiert zu werden.
Meine Dummheiten und ideenreiche Jugendstreiche ließen mich sogar später zu ihrem Anführer avanchieren, sehr zum Verdruß meiner leidgeprüften Mutter. Ich dagegen genoß die "Lederhosen-Kameradschaft" sehr,in dem ich mich für die bayerische "Weißwurstmentalität" durch Privatstunden in Mathe und Deutsch revanchierte.
Im Herbst 1943 machte ich die Aufnahmeprüfung am Gymnasium in Bad.Tölz, das zu jener Zeit noch Oberschule hieß. Der Schulweg dort hin, war ein sehr umständlicher. Ich glaube kaum, dasss sich ein Schüler in der heutigen Zeit unter jenen Voraussetzungen sich bereit erklärt hätte, sich diesen Strapazen zu unterziehen. Zunächst musste ich bei Wind und Wetter zur 2 Km entfernten Bahnstation gehen. Der Zug brachte mich nach Bad Tölz, wo ich ebenfalls noch einen Kilometer zur Schule gehen musste. Das waren für hin und zurück täglich 6 Km. Im Winter fuhr ich mit den Skiern, bevor ein Schneepflug die Straßen geräumt hatte durch Schneeverwehungen über Felder hinweg. Die Schneeverhältnisse waren damals nicht mit den heutigen zu vergleichen. Es war keine Seltenheit, wenn man nach der Räumung mit einem Schneepflug nicht von einer zur anderen Straßenseite sehen konnte, weil die gewaltigen Schneemassen, einem die Sicht versperrten.. Dazu kam noch, dass man dementsprechen gekleidet sein musste, um sich vor der eisigen Kälte zu schützen. Also, ein tägliches Unterfangen, das bei allem Lerneifer doch sehr kräftezehrend sich an meiner zarten körperlichen Konstitution bemerkbar machte. Trotzdem fand ich aber noch Zeit, mich nach kurzen Erholungspausen dem Sport und Spiel zu widmen. meine Mitschüler kamen aus allen umliegenden Ortschaften des Voralpenlandes. Zum Beispiel wurde eigens ein Schülerzug eingesetzt, um priveligierte Kinder von Nazi-Größen, die rund um den Tegernsee wohnten zur Oberschule nach Bad - Tölz zu bringen
Eines Tages bekamen wir in der Schule Besuch von einer "braunen Prominenz", der sich nach Einsicht der Zeugnisse 2 Schüler der Klasse heraus pickte und uns mitteilte, dass wir uns zur weiteren Schulung bereit halten sollten, die nach einem erfolgreichen Abschluß zur Aufnahme in die NAPOlA in Sonthofen zur Folge haben würde. Als junger Bengel - von nichts Ahnung - war ich natürlich begeistert und teilte das auch meinem Dorfpfarrer mit, zu dem ich ein gutes Verhältnis hatte. Nicht zuletzt auch deshalb, weil ich für einige Wochen als Ministrant bei ihm ausfiel. Den Blick werde ich nie vergessen, Erschrocken und traurig zugleich! Erst viel später habe ich erfahren, dass er zu jenem Zeitpunkt bereits durch eine kontroverse Äußerung, was das derzeitige Regime anbelangte, strafversetzt war.Er hatte Glück nicht im KZ gelandet zu sein. Meiner Mutter hatte er daraufhin erklärt,ob sie das überhaupt zulassen wolle, worauf ihm meine Mutter erwiderte, dass ihr doch alle Hände gebunden seien.
Die erwähnte Begeisterung, die ich durch diese "Auslese" erfuhr, sollte sich doch bald ins Gegenteil verkehren. Es war für mich die Hölle. Mit diesem Stoff der Unterrichtsmethode und vormilitärischem Drill konnte ich mich nicht anfreunden.Hier mussten wir u.a, lernen mit Panzerfäusten umzugehen. Da in jener zeit schon die Invasion der Alliierten in der Normandie begonnen hatte, wurde ich in meiner vorgefassten Meinung nur noch bestärkt. Ich kann mich noch gut erinnern,, als mein Vater mir einen Atlas aufschlug, in dem er mir den Vielfrontenkrieg vor Augen hielt und als Relation auf das kleine Deutschland verwies, das sich erdreistete die ganze Welt zu erobern. Mein Vater, in der Weimarer Republik der Zentrumspartei nahe stehend, war ein Pazifist reinster Sorte. Er hatte ungemeines Glück nicht zur Wehrmacht eingezogen worden zu sein, weil die Firma KRUPP ihn - der im Lokomotivbau eine wichtige Funktion zu erfüllen hatte ihn immer als "unabkömmlich" erklärte und ihn somit dadurch vom Dienst an der Waffe befreite . Wie hieß doch der damalige Slogan: "Räder müssen rollen für den Sieg"
Und die Räder rollten. Es waren auch nicht mehr die deutschen Lokomotiven, die für den Nachschub sorgten, sondern die Ketten der alliierten Panzerverbände die immer näher rückten. Am 3. Mai 1945 stattete uns ein amerikanischer Panzer einen "Besuch" ab. Nun geschah das Unvermeidliche. Die versprengten Soldaten, die sich noch in den Wäldern verschanzt hatten und glaubten den Krieg noch gewinnen zu müssen,, schossen auf die Amerikaner, wobei der Kommandant des Panzers einen Streifschuß am Kopf erhielt. Die Folge davon war, dass binnen einer halben Stunde eine ganze Panzerkolonne in unser Dorf einfuhr, einen Bauernhof in Brand schoß und schwere Verwüstungen anrichtete.
In unserem Bauernhaus quartierte sich die Kommandatur ein. Nun kamen mir meine englischen Schulkenntnisse zu gute. Ein amerikanischer Major freundete sich mit mir an und forderte mich auf mich bei etwaigen Fragen als "Übersetzer" zur Verfügung zu stellen. Diese Tätigkeit der Verständigungshilfe wurde mir mit Kaugummi, Schokolade, Zigaretten für meinen Vater großzügig honoriert, was mir allerdings auch sehr gefiel!! Eines Tages sollte ich mich als" Dolmetscher" und Lebensretter hervor tun. Man hatte unseren Dorfpfarrer mit dem ich wie schon erwähnte ein sehr gutes Verhältnis hatte, eines Verhör`s unterzogen. Unser Pfarrer war im 1. Weltkrieg 1914/1918 Divisionspfarrer. In Offiziersuniform hing ein Bild von ihm in voller Montur auf einem Pferd sitzend in seinem Arbeitszimmer. Die Amerikaner waren der Meinung, das dieser ein Priestergewand übergezogen hätte, um sich als Wehrmachtsoffizier zu tarnen. Nun hatte ich die Gelegenheit mich mit Vehemenz für ihn einzusetzen um die Amerikaner davon zu überzeugen, das dieser Mann tatsächlich Priester sei, Unser Pfarrer hat mir das nie vergessen, was aber nicht heißen sollte, dass er mir alle Flegeleien durchgehen ließ. Dazu eine kleine Episode meiner Jugendstreiche anlässlich der sonntäglichen Christenlehre.
Wir saßen in der Kirche, andächtig zum Altar schauend und erwarteten die Ankunft unseres Pfarrers. Durch den intensiven Kontakt mit den Amerikanern, war es für mich neu, das diese - wenn sie sich entspannten - jedesmal die Füße hoch legten. Der bei uns wohnende Major streckte seine Beine af den Tisch, wenn er mit seinem Gegenüber sprach. Das machte auf mich einen saloppen Eindruck, was mich veranlasste meinen Schulkameraden weiszumachen, dass auch die amerikanischen Kirchgänger möglicherweise beim Gottesdienst ihre Beine auf die Betstühle legen würden. Zur besseren Demonstration legte ich meine Beine auf den Betstuhl nichtsahnend dass mein Pfarrer die Kirche betrat und mich in dieser "ungewohnten Haltung" bemerkte. Kein Wunder, dass ihm diese außergewöhnliche Körperhaltung nicht gefiel. Seine Reaktion war, dass er mir die Bibel mit solcher Wucht gegen den Kopf knallte, dass ich der Länge nach durch die Kirchenbank flog. Nicht dass er mich maßregelte - nein keine Spur von Verärgerung war bei ihm zu erkennen, Er setzte seinen Religionsunterricht mit einer stoischen Ruhe fort, ohne mich eines Blickes zu würdigen,
Ich jedenfalls habe mich maßlos geschämt und musste die Schadenfreude meiner Kameraden über mich ergehen lassen. Erst viele Jahre später íst mein Pfarrer bei einem Gespräch mit mir auf die Begebenheit schmunzelnd eingegangen, Bei dieser Gelegenheit habe ich ihm auch "gebeichtet", dass ich ihm aus Verärgerung über die klerikale Watsch`n einige Garten-Edelweiß aus seinem Blumenbeet geklaut hätte. Er verzieh mir alles und ging sogar soweit, mich eines Tages zu fragen, ob ich nicht Priester werden wolle. Ich weiß zwar heute noch nicht welcher "Umstand" ihn veranlasst hat mir diese Frage zu stellen.
Da ich aber zu jener Zeit schon frühreif auf die "kleinen Mädchen" versessen war, erübrigte sich die Frage von selbst. So ist dem Bistum MÜNCHEN-FREISING mit Sicherheit viel Ärger erspart geblieben!
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