Mit diesem Werk, erschienen 1951, erhielt auch die spanische Literatur ihren modernen Großstadtroman, etwas verspätet z. B. gegenüber der angelsächsischen („Manhattan Transfer“ von 1925) oder der deutschen („Berlin Alexanderplatz“ von 1929). Dafür erinnert sich der literaturkundige Leser bei der Lektüre von Celas Roman vielleicht an den frühesten europäischen Großstadtroman überhaupt, der gleichfalls in Madrid spielt: „Der hinkende Teufel“ des Franzosen Alain-René Lesage von 1707. In beiden Werken wird eine ganze Stadt transparent, die Häuserwände, die Dächer, die Köpfe und Herzen der Bewohner.
Celas Personal umfasst Hunderte von Madrileños, fast nur aus den unteren und mittleren Schichten. Alle haben fortlaufend kurze Auftritte, verschwinden, kommen wieder. Mal sind sie allein, mal begegnen sie uns schon bekannten Personen oder es werden neue eingeführt. Die Schauplätze sind fast so zahlreich wie die Figuren. Das ergibt ein verwirrendes Kaleidoskop. Kann man nach einmaligem Lesen zu annähernd präziser Nacherzählung imstande sein? Eher nicht. Darauf kommt es auch nicht an – es ist das Bild der Stadt in ihrer problematischen Vitalität, das der Text heraufbeschwören will.
Diese vielen Einzelszenen spielen zu Beginn des Winters 1943/44. Es ist kalt in Madrid, die Menschen frieren, manche hungern. Sie verfolgen die Nachrichten von den Fronten des Weltkriegs. Die Deutschen werden ihn also verlieren … Die Stadt leidet noch unter den Nachwirkungen des Bürgerkriegs, sie leidet auch unter Spaniens erzwungener Autarkie. Wer überlebt hat, richtet sich mit seinen Mitteln in der Gegenwart ein. Dazu gehören auch die überkommenen Ideen und Gewohnheiten, die allerdings nicht mehr unerschütterlich zu sein scheinen. Eher erinnern sie an lose in den Angeln hängende Tür- oder Fensterflügel …
Vor diesem historischen Hintergrund ist Celas Madrid jedoch zugleich eine beinahe überzeitliche Großstadt, mit Armut und Reichtum, Geiz und Verschwendung, Übelwollen und Güte, mit klugen und weniger klugen Zeitgenossen. Zwei Schauplätze vor allem lassen einen bedeutenden Teil der Romanfiguren zusammenkommen: ein Café und ein Stundenhotel. Wer da verkehrt, hat Verwandte oder Freunde, die in anderen Häusern der Stadt leben - wir begegnen ihnen dort - und die wiederum andere kennen, über deren Schicksale und Wesenszüge uns der Autor gleichfalls unterrichtet. So erweitert sich der Kreis über Madrid hinaus auf ganz Spanien.
Celas Sprache und Stil sind zwischen dem Elegischen und dem Sarkastischen angesiedelt. Immer wieder blitzt Kritik an den Zuständen in Staat und Gesellschaft auf, etwa an Bigotterie und Vetternwirtschaft. Der Roman erschien aufgrund dieser Tendenz zunächst nur in Argentinien. Heute gilt er als das Hauptwerk des Autors, der 1989 den Nobelpreis für Literatur bekam. 1982 wurde "Der Bienenkorb" von Mario Camus hervorragend verfilmt (Goldener Bär in Berlin 1983).
[*] Diese Rezension schrieb: Arno Abendschön (2011-01-31)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.