Alle sechs Monate sieht man einen Straßenmusikanten,
Der auf sich zieht die Aufmerksamkeit der Fußgänger.
Zwar in Klamotten, klein, schmächtig, eher abgezehrt,
Jedoch seine Augen strahlen vor Ruhe, Freude, Glück.
Er erscheint mit einer Handharmonika herangetänzelt,
Gibt um sich drehend nostalgische Weisen zum Besten.
Der Tonkünstler bleibt nicht stehen, hoppelt weiter,
Bittet nicht um Almosen, verkauft nicht seine Musik.
Die Vorbeiziehenden werfen einen fragwürdigen Blick auf ihn,
Wenden sich aber bald von ihm ab und gehen ihren Weg hastig.
Die Büroangestellten unterbrechen kurz ihre Öde, Stumpfsinn,
Schauen auf den auffälligen Schifferklavierspieler neugierig.
Das wandelnde Einmann-Konzert dauert knapp zehn Minuten.
Trotzdem zaubert der Virtuose hervor zartfühlende Ständchen,
Die die stählerne Seele der Gehetzten, Gestressten erreichen,
Sie augenblicklich erweichen, verschmelzen, heilen, läutern.
Was veranlasst jenen zu dieser musikalischen Darbietung?
Warum hängt er nun über die Schulter die Ziehharmonika,
Tänzelt spielend durch das Labyrinth der schwülen Stadt,
Zumal er offenkundig kein Interesse an einer Gage hat?
Möchte er die Städter etwas ablenken von steten Spleen?
Ihren zwanghaften Hatz verlangsamen auch minutenlang?
Oder unser asphaltiertes, betoniertes, gekünsteltes Mekka
Mit seinem Wohlklange anhauchen, beleben und beseelen?
Oder ist sein Schätzchen an einem Verkehrsunfall gestorben,
Das er leidenschaftlich, inbrünstig, hingebungsvoll liebte?
Vielleicht von einem skrupellosen Geisterfahrer überfahren,
Der leider Gottes noch nicht verhaftet ist, noch verurteilt?
Deshalb will er ihre jammervolle Seele besänftigen, trösten
Mit ihren Lieblingsliedern zu ihren allzu kurzen Lebzeiten?
Klingt erst dann aus das Requiem für seine selige Geliebte,
Wenn der Sünder hinter Schloss, ihre Seele im Jenseits weilt?
Oder ist der Konzertmeister auf der Such nach der Wahrheit?
Als ein enthaltsamer, zölibatärer Novize jahrelang unterwegs,
Sobald er seine nahen Bezugspersonen, sogar sein Kind, Weib,
Seine liebe Heimat, seinen gutbezahlten Arbeitsplatz verließen?
Nun möchte er dem turbulenten Alltag nicht den Rücken kehren
Und sich als Einsiedler im weltabgewandten Kloster aufhalten,
Sondern inmitten der Geburt der Tragödien, Qualen, Schmerzen,
Den Zweck, Sinn unseres diesseitigen Lebens ausfindig machen?
Oder schon längst ein Heiliger, über alle Lebenstriebe erhaben?
Der Erleuchtete bleibt nicht im paradiesischen Nirwana einsam,
Erbarmt sich unserer, der lebenslang sinnlos leidenden Rohling`,
Möchte unter den ahnungs-, hilflosen Normalsterblichen bleiben,
Macht uns auf den materialistischen Egoismus, zügellose Wollust,
Hinterlistige, ausbeuterische, mitleidlose, grausame Menschheit,
Hedonistische, gewinnsüchtige, klassenbewusste Lebensauffassung
Und unnatürliche, gekünstelte, gottlose Lebensweise aufmerksam?