Der Blick aus dem Fenster des Wohnzimmers war trostlos. Schräg rechts lag ein großer Parkplatz für die Arbeiter und Angestellten des Chemiewerks. Das Chemie¬werk selbst sah man nur, wenn man sich ganz links an den Fensterrahmen quetschte und nach rechts schielte. Dann sah man Schornsteine, Lagerhallen, graue Fenster, Rohre, ein Rohrsystem, das in den nahe liegenden Fluss führte.
Aber das wollten wir nicht sehen.
Der Ausblick wurde eigentlich von einem Spiegelbild des eigenen Hauses be¬herrscht. Ein Wohnturm mit zwanzig Stockwerken. Direkt gegenüber lag die 16. Eta¬ge. Fünf Fenster an dieser Hausseite, ein Balkon an jeder rechten Ecke. Die Miete in den Balkonwohnungen war teurer. Trotzdem sah man nie jemanden auf einem der Balkone, noch nicht ein mal Blumen. Nur Wäsche oder Gerümpel.
Der Blick wanderte die Fassade hinauf. Bald stieß er an den Himmel. Himmel, unendliches Blau, das die Seele zum Schwingen bringt, unbegrenzt, grenzenlos. Kleine weiße Wolken, auf dem Weg ins Nirgendwo? Ziellos?
Aber hier? Na, ja. Eine milchige Masse, erdrückend.
Der Blick wanderte hinunter. Langsam, lange. Dann die Straße. Ein graues Band, das sich von links nach rechts durch das Blickfeld schob. Zu dieser Zeit, an diesem Tag sah man keine Autos. Auch keine Menschen, keine Kinder mit Eltern und Hund. Die Hunde sind hier sowieso verboten.
Der Blick wandert wieder die Fassade hinauf. Kein Grün fing ihn auf. Kein freundli¬ches Gesicht.
Der plötzliche Wunsch, das eigene Haus von der anderen Seite zu sehen. Aus dem gegenüberliegenden Fenster.
Dann läge der Parkplatz links, das Chemiewerk auch. Aber im eigenen Haus gäbe es Grün. Menschen auf den Balkonen, an den Fenstern, Kinder auf dem Bürger¬steig. Das eigene Haus war frisch gestrichen, saubere Fenster und Gardinen.
- Wirklich?
Um ehrlich zu sein, warum??
Die eigenen Fenster waren lange nicht geputzt worden, zu lange. Ist ein Kaktus auf der Fensterbank schon Grün? Aber dieses Haus kannte man ja auch noch von in¬nen. Alle Leute, alle Familien.
Familien? - Aber wo sind die Kinder. Waren sie wirklich alle bekannt?
Vom Sehen, Grüßen, Floskeln.
Guten Morgen! - Wie geht's! - Schönes Wetter heute!
Aber alles mit Nachdruck. Bloß keine Antwort. Man selbst war ja nicht anders. Nur nicht zu viel Nähe, man wohnt sich nämlich schon zu nah. Wirklich?
Aber warum dann die Annahme, aus der Ferne wäre alles besser. Sehnsucht, Ein¬samkeit, fehlende Nähe.
Denn wenn ein Kaktus schon kein Grün ist, dann ist er erst recht kein Ersatz für Nä¬he. Er antwortete ja nicht ein mal.
Allein der Fernseher redete. Er redete eine Welt schön, die niemand hatte.
Aber das Wetter war wirklich schön. Die vereinzelten Wolken hoben sich sogar vom Himmel ab. Das richtige Wetter für einen Spaziergang. 16 Stockwerke, 32 halbe Etagen. Der Aufzug war natürlich kaputt. Warum ist Treppensteigen eigentlich so langweilig? Weil alle Etagen, Flure, Türen, Klingelknöpfe gleich aussahen.
Vor dem Haus erschien alles ganz irreal. Die hohen Häuser, die engen Straßen, das Grau. Lange erschien der Weg zum nächsten Grün. Ein kleiner Wald, ein Wäld¬chen. Davor ein großer Parkplatz für die Autos der Erholungssüchtigen. Bei schö¬nem Wetter musste man hier lange auf einen solchen Platz für den Wagen warten. Absurd.
Heute war es leer. Die Imbißbude, das Cafe, die Autorennbahn für die Kleinen. Es war wohl noch zu kalt. Die Bäume waren noch nicht richtig grün, man sah noch zu viel Himmel durch die Äste. Der Boden war matschig, das Herbstlaub lag noch her¬um, als sei es gerade gefallen. Vogelstimmen kamen aus den Ästen, gelegentlich ein Knacken. Eine ruhige Atmosphäre, so anders, so angenehm. Doch der kleine Rundgang war beendet. Der Rückweg. Die ersten Meter sind noch geschottert, die Randbepflanzung grün. Vor einem liegt noch lange Zeit nichts. Die Realität wartete hinter der nächsten Straßenbiegung. Bis dahin konnte man sich umdrehen und sah den Wald. Irgend etwas zog in mir. Wollte zurück, wollte in den Wald. Doch der Verstand kannte den Weg zu genau, als dass er sich beirren ließe. Wer wird schon ein Träumer sein, das Ziel aus den Augen verlieren.
Ein Fuß vor den nächsten kehrte man zurück in die künstliche Umwelt. Noch immer war nichts zu sehen. Da warfen sich Parallelen zur Ursprungsgeschichte auf. Das eine sah man langsam näher kommen, das andere war urplötzlich da. Von einem Schritt auf den nächsten, von einem Blick zum nächsten, von einer Sekunde auf die andere war man wieder in seiner angepassten Welt, die ja so auf unsere Bedürfnisse zugeschnitten war. Doch was sollte jetzt diese Melancholie. Die Haustür ging auf und die Nachbarin stand da.
- Ach, Sie waren spazieren. Schönes Wetter heute!
Vom einen Moment auf den nächsten war die Realität wieder da. Genauso, wie sie vorher war.
Auf dem Weg zur Arbeit wurden die Beobachtungen fortgesetzt. Guten Morgen! Schönes Wetter heute! - Frau Nachbarin.
Dabei war es nicht schöner als gestern und vorgestern, aber es regnete nicht. Auf der Straße herrscht Berufsverkehr. Belebt wird die Straße dadurch nicht. Menschen hasten, eilen. Den Aktenkoffer in der Hand. In Erwartung eines herbstlichen Regen¬schauers den grauen Einheitsschirm in der anderen Hand.
Heute Abend, wenn sie zurückkommen, tragen sie noch die Einkaufstaschen be¬kannter Kaufhausketten in der Hand. Doch die Hast, die Eile war die gleiche wie am Morgen. Nur die Gesichter sind anders.
Am Morgen waren sie müde, vom Schlaf zerknautscht. Doch am Abend sind sie er¬schöpft, genervt.
Der Berufsalltag hatte alles andere verdrängt. Der Tag ist ausgefüllt und doch leer. Die Stunden vergingen, doch der Geist trat auf der Stelle. Einkaufen, arbeiten, Haushalt und der Tag ist um. Keine Abwechslung. Jeden Abend die Rückkehr in die Wohnsilos. Da steigt die Stimmung nicht.
Aber am schlimmsten waren die Wochenenden. Die sonst so lästige Beschäftigung fehlte. Man traf niemanden auf dem Flur. Der wochentägliche Ablauf war gestört. Das Sitzen am Fenster wurde öde.
Grau und grau, niemals ein Grün. Es fehlte sogar das Schönes Wetter heute! der Nachbarin.
Was machten die anderen an diesen Tagen. Hinter ihren Vorhängen sitzen und das gegenüberliegende Haus beobachten? Vielleicht saß man sich gegenüber und starrte doch aneinander vorbei.
Die Tristesse wurde immer wieder aufs Neue bewusst, keine Abwechslung, selbst das Fernsehprogramm wiederholte sich. Nur die Wetterkarte war immer wieder neu. Jeden Abend die Erwartung, ob es morgen wieder heißt:
Schönes Wetter heute!
Aber das wollten wir nicht sehen.
Der Ausblick wurde eigentlich von einem Spiegelbild des eigenen Hauses be¬herrscht. Ein Wohnturm mit zwanzig Stockwerken. Direkt gegenüber lag die 16. Eta¬ge. Fünf Fenster an dieser Hausseite, ein Balkon an jeder rechten Ecke. Die Miete in den Balkonwohnungen war teurer. Trotzdem sah man nie jemanden auf einem der Balkone, noch nicht ein mal Blumen. Nur Wäsche oder Gerümpel.
Der Blick wanderte die Fassade hinauf. Bald stieß er an den Himmel. Himmel, unendliches Blau, das die Seele zum Schwingen bringt, unbegrenzt, grenzenlos. Kleine weiße Wolken, auf dem Weg ins Nirgendwo? Ziellos?
Aber hier? Na, ja. Eine milchige Masse, erdrückend.
Der Blick wanderte hinunter. Langsam, lange. Dann die Straße. Ein graues Band, das sich von links nach rechts durch das Blickfeld schob. Zu dieser Zeit, an diesem Tag sah man keine Autos. Auch keine Menschen, keine Kinder mit Eltern und Hund. Die Hunde sind hier sowieso verboten.
Der Blick wandert wieder die Fassade hinauf. Kein Grün fing ihn auf. Kein freundli¬ches Gesicht.
Der plötzliche Wunsch, das eigene Haus von der anderen Seite zu sehen. Aus dem gegenüberliegenden Fenster.
Dann läge der Parkplatz links, das Chemiewerk auch. Aber im eigenen Haus gäbe es Grün. Menschen auf den Balkonen, an den Fenstern, Kinder auf dem Bürger¬steig. Das eigene Haus war frisch gestrichen, saubere Fenster und Gardinen.
- Wirklich?
Um ehrlich zu sein, warum??
Die eigenen Fenster waren lange nicht geputzt worden, zu lange. Ist ein Kaktus auf der Fensterbank schon Grün? Aber dieses Haus kannte man ja auch noch von in¬nen. Alle Leute, alle Familien.
Familien? - Aber wo sind die Kinder. Waren sie wirklich alle bekannt?
Vom Sehen, Grüßen, Floskeln.
Guten Morgen! - Wie geht's! - Schönes Wetter heute!
Aber alles mit Nachdruck. Bloß keine Antwort. Man selbst war ja nicht anders. Nur nicht zu viel Nähe, man wohnt sich nämlich schon zu nah. Wirklich?
Aber warum dann die Annahme, aus der Ferne wäre alles besser. Sehnsucht, Ein¬samkeit, fehlende Nähe.
Denn wenn ein Kaktus schon kein Grün ist, dann ist er erst recht kein Ersatz für Nä¬he. Er antwortete ja nicht ein mal.
Allein der Fernseher redete. Er redete eine Welt schön, die niemand hatte.
Aber das Wetter war wirklich schön. Die vereinzelten Wolken hoben sich sogar vom Himmel ab. Das richtige Wetter für einen Spaziergang. 16 Stockwerke, 32 halbe Etagen. Der Aufzug war natürlich kaputt. Warum ist Treppensteigen eigentlich so langweilig? Weil alle Etagen, Flure, Türen, Klingelknöpfe gleich aussahen.
Vor dem Haus erschien alles ganz irreal. Die hohen Häuser, die engen Straßen, das Grau. Lange erschien der Weg zum nächsten Grün. Ein kleiner Wald, ein Wäld¬chen. Davor ein großer Parkplatz für die Autos der Erholungssüchtigen. Bei schö¬nem Wetter musste man hier lange auf einen solchen Platz für den Wagen warten. Absurd.
Heute war es leer. Die Imbißbude, das Cafe, die Autorennbahn für die Kleinen. Es war wohl noch zu kalt. Die Bäume waren noch nicht richtig grün, man sah noch zu viel Himmel durch die Äste. Der Boden war matschig, das Herbstlaub lag noch her¬um, als sei es gerade gefallen. Vogelstimmen kamen aus den Ästen, gelegentlich ein Knacken. Eine ruhige Atmosphäre, so anders, so angenehm. Doch der kleine Rundgang war beendet. Der Rückweg. Die ersten Meter sind noch geschottert, die Randbepflanzung grün. Vor einem liegt noch lange Zeit nichts. Die Realität wartete hinter der nächsten Straßenbiegung. Bis dahin konnte man sich umdrehen und sah den Wald. Irgend etwas zog in mir. Wollte zurück, wollte in den Wald. Doch der Verstand kannte den Weg zu genau, als dass er sich beirren ließe. Wer wird schon ein Träumer sein, das Ziel aus den Augen verlieren.
Ein Fuß vor den nächsten kehrte man zurück in die künstliche Umwelt. Noch immer war nichts zu sehen. Da warfen sich Parallelen zur Ursprungsgeschichte auf. Das eine sah man langsam näher kommen, das andere war urplötzlich da. Von einem Schritt auf den nächsten, von einem Blick zum nächsten, von einer Sekunde auf die andere war man wieder in seiner angepassten Welt, die ja so auf unsere Bedürfnisse zugeschnitten war. Doch was sollte jetzt diese Melancholie. Die Haustür ging auf und die Nachbarin stand da.
- Ach, Sie waren spazieren. Schönes Wetter heute!
Vom einen Moment auf den nächsten war die Realität wieder da. Genauso, wie sie vorher war.
Auf dem Weg zur Arbeit wurden die Beobachtungen fortgesetzt. Guten Morgen! Schönes Wetter heute! - Frau Nachbarin.
Dabei war es nicht schöner als gestern und vorgestern, aber es regnete nicht. Auf der Straße herrscht Berufsverkehr. Belebt wird die Straße dadurch nicht. Menschen hasten, eilen. Den Aktenkoffer in der Hand. In Erwartung eines herbstlichen Regen¬schauers den grauen Einheitsschirm in der anderen Hand.
Heute Abend, wenn sie zurückkommen, tragen sie noch die Einkaufstaschen be¬kannter Kaufhausketten in der Hand. Doch die Hast, die Eile war die gleiche wie am Morgen. Nur die Gesichter sind anders.
Am Morgen waren sie müde, vom Schlaf zerknautscht. Doch am Abend sind sie er¬schöpft, genervt.
Der Berufsalltag hatte alles andere verdrängt. Der Tag ist ausgefüllt und doch leer. Die Stunden vergingen, doch der Geist trat auf der Stelle. Einkaufen, arbeiten, Haushalt und der Tag ist um. Keine Abwechslung. Jeden Abend die Rückkehr in die Wohnsilos. Da steigt die Stimmung nicht.
Aber am schlimmsten waren die Wochenenden. Die sonst so lästige Beschäftigung fehlte. Man traf niemanden auf dem Flur. Der wochentägliche Ablauf war gestört. Das Sitzen am Fenster wurde öde.
Grau und grau, niemals ein Grün. Es fehlte sogar das Schönes Wetter heute! der Nachbarin.
Was machten die anderen an diesen Tagen. Hinter ihren Vorhängen sitzen und das gegenüberliegende Haus beobachten? Vielleicht saß man sich gegenüber und starrte doch aneinander vorbei.
Die Tristesse wurde immer wieder aufs Neue bewusst, keine Abwechslung, selbst das Fernsehprogramm wiederholte sich. Nur die Wetterkarte war immer wieder neu. Jeden Abend die Erwartung, ob es morgen wieder heißt:
Schönes Wetter heute!