„Auch für mich ist es sehr angenehm Sie kennen zu lernen, Anne. Was für ein schöner deutscher Name. Vielleicht könnte ich Sie Anja nennen? Und wie gern würde ich einmal Turgenjews Deutschland sehen, Assja, … äh ich meine Anja. Blumengeschmückte Balkone, spitze Dächer, und ein durchdringender Blick aus grauen Augen… Sie haben übrigens bemerkenswerte graue Augen, Anja. So tief, sprichwörtlich wie der Himmel über Berlin…Haben Sie eigentlich Turgenjew gelesen?“
Nicht alle russischen Lautkombinationen sind für den Bewunderer russischer Prosa leicht auszusprechen. Er war abgelenkt durch eine schwierige Koordination seiner linken Hand, die eine Saftpackung zusammendrückte, aus welcher der Saft irgendwie nicht in Annes Glas fließen wollte. Die Finger der rechten Hand hielten vergessenerweise einen Becher, in den schon vor langer Zeit Wodka eingegossen wurde. In diesen goss nun von Zeit zu Zeit ein echter Weinschenk aus den Reihen der Gäste etwas von einem entzückenden bulgarischen Cabernet hinzu.
„Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag Stijn!“ – ließ sich vernehmen, und in dem Zimmer von der Größe einer Besenkammer wurde es still.
„Es lebe Belgien, das dich hervorgebracht hat.“
Geschirr klang aneinander und man begann das Geburtstagskind mit Küssen zu beglückwünschen. Annes neuer Bekannter spülte seinen Artikulationsapparat nun mit einer unerwartet starken Getränkemischung. Die Holländerinnen setzten ihre lebhafte Unterhaltung mit den Iren fort, und zwei Iraker fingen an zu ihrer Volksmusik zu tanzen, sofern das Platzangebot das möglich machte. Eingeklemmt zwischen noch jemandem und dem Schrank in der Ecke des Bettes erzählte ein lockiger Deutscher mit Brille lachend seinem Gegenüber, dass er schwul sei. Jemand anders forderte Torte. Und an dieser Stelle ließ der Organismus vaterländischer Produktion den Kenner der großen klassischen Literatur im Stich. Anne schaffte es gerade noch so zur Seite zu springen, als der 80 Kilogramm schwere russische Körper von seinem Hocker vorbei an ihren Knien zusammenbrach, und den Platz des Scheiterns in reichlicher Fülle besudelte.
Das Durcheinander ging über in ein Stadium des Elends. Eine Arabische Melodie polterte mit Pauken und Trommeln daher, Hirtenflöten krächzten wütend. Die Leute zogen sich eilig zum Rauchen zurück, Anne und einige andere verschwanden, nachdem sie sich von Stijn verabschiedet hatten, in den Katakomben des Wohnheims, jemand begann sich erregt in einen Schwall von Worten zu ergießen, und nur zwei Leute wahrten die vorher dagewesene Atmosphäre. Der lockige Schwule und derjenige, dem der Deutsche sein homosexuelles Wesen eröffnete. Ich. Die Lage mit Witzen über Russen zu entspannen versuchend, hievte ich meinen Landsmann in eine Sitzposition. Sich überstürzend vor Lachen schrie der Deutsche mit dem Eifer eines echten Musterschülers heraus: „Ich weiß wie man das auf Russisch nennt. Kotzen! Haha! Abreiern! Ja! Alkonavty! Kotzen! Haha!“
In diesem Moment fing ich an ihn zu respektieren. Nicht nur wegen der exakten Widergabe der Situation, sondern auch, weil er von sich aus mithalf den Körper in die Dusche zu transportieren. Zu dieser nicht ganz leichten Expedition gehörten noch ich und das Geburtstagskind in der Chefrolle. Jan, so hieß der Deutsche, war bis zum Ende dabei, und half uns den russischen Gentleman zu waschen, hinzulegen, noch mal zu waschen, und noch mal hinzulegen.
So habe ich einen Freund gefunden. Jan machte mich mit den Holländerinnen Duka und Monika bekannt. Ein halbes Jahr lang sind wir durch Moskau gestreift, haben in der Küche gesessen und getrunken, neue Leute kennengelernt. Ohne Hintergedanken habe ich mit Duka in einem Bett geschlafen, und als ihr Freund zu Besuch kam, habe ich mir ganz schön Gedanken gemacht. Aber Duka hat gesagt, dass alles geregelt ist. Als alle wie gewöhnlich am Trinken waren, kam Niels völlig gleichgültig meiner Person gegenüber zu mir und fragte: „Jegor, sag mir eins ehrlich. Stimmt es wirklich, dass es eine russische Tradition ist, mit seinen Freunden zu schlafen?“
Autor: J.Krementzov
Nicht alle russischen Lautkombinationen sind für den Bewunderer russischer Prosa leicht auszusprechen. Er war abgelenkt durch eine schwierige Koordination seiner linken Hand, die eine Saftpackung zusammendrückte, aus welcher der Saft irgendwie nicht in Annes Glas fließen wollte. Die Finger der rechten Hand hielten vergessenerweise einen Becher, in den schon vor langer Zeit Wodka eingegossen wurde. In diesen goss nun von Zeit zu Zeit ein echter Weinschenk aus den Reihen der Gäste etwas von einem entzückenden bulgarischen Cabernet hinzu.
„Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag Stijn!“ – ließ sich vernehmen, und in dem Zimmer von der Größe einer Besenkammer wurde es still.
„Es lebe Belgien, das dich hervorgebracht hat.“
Geschirr klang aneinander und man begann das Geburtstagskind mit Küssen zu beglückwünschen. Annes neuer Bekannter spülte seinen Artikulationsapparat nun mit einer unerwartet starken Getränkemischung. Die Holländerinnen setzten ihre lebhafte Unterhaltung mit den Iren fort, und zwei Iraker fingen an zu ihrer Volksmusik zu tanzen, sofern das Platzangebot das möglich machte. Eingeklemmt zwischen noch jemandem und dem Schrank in der Ecke des Bettes erzählte ein lockiger Deutscher mit Brille lachend seinem Gegenüber, dass er schwul sei. Jemand anders forderte Torte. Und an dieser Stelle ließ der Organismus vaterländischer Produktion den Kenner der großen klassischen Literatur im Stich. Anne schaffte es gerade noch so zur Seite zu springen, als der 80 Kilogramm schwere russische Körper von seinem Hocker vorbei an ihren Knien zusammenbrach, und den Platz des Scheiterns in reichlicher Fülle besudelte.
Das Durcheinander ging über in ein Stadium des Elends. Eine Arabische Melodie polterte mit Pauken und Trommeln daher, Hirtenflöten krächzten wütend. Die Leute zogen sich eilig zum Rauchen zurück, Anne und einige andere verschwanden, nachdem sie sich von Stijn verabschiedet hatten, in den Katakomben des Wohnheims, jemand begann sich erregt in einen Schwall von Worten zu ergießen, und nur zwei Leute wahrten die vorher dagewesene Atmosphäre. Der lockige Schwule und derjenige, dem der Deutsche sein homosexuelles Wesen eröffnete. Ich. Die Lage mit Witzen über Russen zu entspannen versuchend, hievte ich meinen Landsmann in eine Sitzposition. Sich überstürzend vor Lachen schrie der Deutsche mit dem Eifer eines echten Musterschülers heraus: „Ich weiß wie man das auf Russisch nennt. Kotzen! Haha! Abreiern! Ja! Alkonavty! Kotzen! Haha!“
In diesem Moment fing ich an ihn zu respektieren. Nicht nur wegen der exakten Widergabe der Situation, sondern auch, weil er von sich aus mithalf den Körper in die Dusche zu transportieren. Zu dieser nicht ganz leichten Expedition gehörten noch ich und das Geburtstagskind in der Chefrolle. Jan, so hieß der Deutsche, war bis zum Ende dabei, und half uns den russischen Gentleman zu waschen, hinzulegen, noch mal zu waschen, und noch mal hinzulegen.
So habe ich einen Freund gefunden. Jan machte mich mit den Holländerinnen Duka und Monika bekannt. Ein halbes Jahr lang sind wir durch Moskau gestreift, haben in der Küche gesessen und getrunken, neue Leute kennengelernt. Ohne Hintergedanken habe ich mit Duka in einem Bett geschlafen, und als ihr Freund zu Besuch kam, habe ich mir ganz schön Gedanken gemacht. Aber Duka hat gesagt, dass alles geregelt ist. Als alle wie gewöhnlich am Trinken waren, kam Niels völlig gleichgültig meiner Person gegenüber zu mir und fragte: „Jegor, sag mir eins ehrlich. Stimmt es wirklich, dass es eine russische Tradition ist, mit seinen Freunden zu schlafen?“
Autor: J.Krementzov