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Messe-Events
Autor: jhaus · Rubrik:
Kurzgeschichten

Messe-Events

Man kann es kaum glauben, aber was ich als Messehostess erlebe, gleicht der Freizügigkeit zur Karnevalszeit.

Damit hier keine wilden Phantasien über meinen Job aufkommen - nein, man kann mich nicht als „Messe-Begleitung“ mieten. Dieses wünschen sich bestimmt einige der Messeaussteller oder Besucher und im Grunde ist es sogar eine großartige Geschäftsidee. Denn so müssen die Geschäftstüchtigen gar nicht erst lange nach Ihrem Messe-Flirt Ausschau halten.

Zuerst war es nur ein Job, um mein Studium in Hannover zu finanzieren. Jetzt arbeite ich Vollzeit und ich muss sagen, die Arbeit macht extrem viel Spaß. Ich reise dadurch häufig, übernachte überwiegend in schönen Hotels und ich lerne sehr viele Leute kennen. Meine Lieblingsmesse ist die ITB in Berlin. Das ist, so meine ich, die größte Tourismusmesse in Europa. Letztes Jahr habe ich eine Woche am Mexiko-Stand gearbeitet. Als Hostess serviere ich am Vormittag den Standbesuchern kleine Appetithäppchen. Gegen Nachmittag startet dann an den entsprechenden Ständen die Happy-Hour. Heiß begehrt und wirklich nur schwer zu bekommen, sind die glamourösen Partyeinladungen der großen Reiseveranstalter, Mietwagenfirmen oder Fluggesellschaften. Hier hilft nur ein einträgliches Netzwerken und das habe ich inzwischen verdammt gut drauf. Somit mache ich die Nacht zum Tage und habe am Abend jede Menge Partyspaß. Wer mich kennt, weiß, dass ich eine „Partymaus“ bin.

Am Tage ist alles noch sehr geschäftlich, die Männer starten bereits morgens beim Frühstück mit den Business-Gesprächen und machen mal wieder so richtig gute „Abschlüsse“. Sie leben während der Messezeiten in einer anderen Welt. Ob es uns Frauen auch so geht?! Kommt mit Sicherheit auf den Typ Frau drauf an. Die Männer vergessen bereits mit Ihrer Abreise ihr vertrautes Heim. Viele scheinen auch bei all dem Stress ihrer Ehering zu Hause liegen zu lassen oder besser gesagt, er wird sicher im Hotelsafe deponiert.

So trifft man auf Messen und vor allem auf den Messe-Partys unglaublich viele attraktive „Singles“. Wir Frauen haben an diesen Abenden die freie Auswahl. Perfekt, wenn man tatsächlich ein „Single“ ist oder sich mit der Herde auch mal auf einen Messe-Flirt einlassen möchte. Am Abend startet auf den Partys die Fleischbeschauung - von Frischfleisch kann hier häufig nicht die Rede sein, es sei denn, man geht auf die Online-Marketing-Messe in Düsseldorf kurz OMD genannt. Hier trifft man überwiegend die junge und hippe IT-Generation und die sind allesamt sehr lecker! Mit einer ganz kleinen Einschränkung, sie sind noch recht unerfahren und damit verbunden ein wenig zu steif. Deshalb auch gern bei uns Hostessen als „Start-ups“ betitelt. Die ITB dagegen ist „Urlaubsfeeling“ pur. Die Reisebranche ist sehr quirlig und sie was das Feiern angeht einfach unschlagbar.

Natürlich schmeichelt es uns Frauen, wenn ein Kompliment dem nächsten folgt.
Die Männer holen alles aus ihrem geringen und oft sehr einsilbigen Wortschatz hervor. Es sind Worte und Phrasen wie z.B. „Du machst bestimmt Sport, du hast so schöne Brüste und einen sexy Hintern“. Diese Art von Komplimenten bekommt man als Ehefrau nicht oft oder nie zu hören – auf jeden Fall nicht von vom Ehemann. Mit den entsprechenden Komplimenten blühen wir Frauen auf.

Mein Messe-Outfit, der kurze Rock, die halterlosen Strümpfe und meine High-Heels tragen zur Leichtsinnigkeit des Abends bei. Ich bin objektiv gesehen, wenn ich ganz ehrlich zu mir bin, leider nur eine Durchschnittsblondine. Auf mich treffen die Stellenanzeigen der Fluggesellschaften zu – groß genug, um die Taschen zu verstauen und schmal wie der „Servierwagen“. Flugbegleiterin war mal mein Traumberuf, aber welches Mädchen hatte den nicht! Eines fasziniert aber fast jeden Mann an mir, ich habe - wie Sven immer so schön sagt - die Traumbrüste eines jeden Mannes. Sven ist mein schwuler Freund und seine treffenden Kommentare finde ich überwiegend sehr amüsant.

Mit dem ersten After-Work-Drink fühle ich mich stets unwiderstehlich sexy. Hostess und Mr. Messe kommen sich somit langsam näher. Beide wissen, am nächsten Tag ist Messetag und ich weiß, wir haben nur diesen einen Abend. Ich kenne keine Veranstaltung, auf der Männer so zahlreich in der Überzahl sind wie auf den Messe-Partys. So schnappe ich mir den, der am meisten Sexapeal und ein besonders schönes Hotelzimmer hat. Die häufigste Frage an den Messeabenden ist „Wo seid ihr untergebracht?“. Na klar, man will sich nur das Taxi teilen. Man teilt sich dann auch meist das Taxi. Im Hotel angekommen checke ich noch die schon teils sehr angeschlagenen Nachtschwärmer an der Hotelbar ab. Erst dann mit dem letzten Absacker entscheide ich mich auf welchem Zimmer ich diese, leider nur noch sehr kurze Nacht, verbringen werde. Schade, dass man am nächsten Tag wieder absolut präsent sein muss. Aber wie gesagt, die Stimmung und vor allem das Durchhaltevermögen zu Messezeiten ist mit dem Karnevalsspaß zu vergleichen

Doch diese Messe ist anders. Es ist die Auto- und Caravan-Messe und die geht gar nicht.
Der Durchschnitts-Messebesucher und die Messeverantwortlichen sind ein Volk für sich. Ihr Aussehen muss man sich wie folgt vorstellen: klein, schlecht angezogen, Schnauzer, Brille, die Figur – Sven, würde sagen: „Die haben schon verdammt lange ihren Schwanz nicht mehr gesehen“. Meine Antwort: „Den will auch keiner mehr sehen“. Aber grad diese Männer sind furchtbar gierig und haben gar keinen Anstand mehr. Ein gemeinsamer Drink an der Hotelbar und sie fangen an zu grapschen. Ein bestimmt nett gemeintes Kompliment ist: „Du bist ja eine Süße, komm doch rüber zu mir, ich bin jetzt vier Tage auf der Messe und hatte noch keine Frau“. Es ist genau einer dieser Antitypen, somit verberge ich meinen Ekel, lächle und denke: „Du kleiner, fetter, garstiger Hobbit - hast du mich mal angesehen – und wirst du je so eine Frau rumkriegen – nein, Träum weiter!“ Eins muss ich aber zugeben, wenn sie grapschen, dann haben sie einen festen männlichen Griff und sie wissen, wie die Frau gern gepackt werden möchte. Sie sind so derbe Mann und für eine Nacht auch mal eine ganz neue Erfahrung. Man könnte es auch mit dem Sex in der Waschanlage oder in der Autowerkstatt vergleichen. Allerdings ist der Caravan viel bequemer. Und auch nur hier kommen sie so richtig in Fahrt. Aber das Erlebnis hatte ich mir bereits letztes Jahr gegönnt.

Es war spät, so gegen zwei Uhr morgens. Wir, die Kollegen und ich nahmen in der Hotelbar noch einen letzten Drink. Ich wollte mich grad von den Kollegen verabschieden als „Er“ an die Bar kommt und einen meiner Kollegen begrüßt. Ich sehe ihn – groß und dunkelhaarig, durch sein T-Shirt zeichnet sich sein muskulöser Oberkörper ab. Ich bin so angetan von seiner Erscheinung, dass ich den Namen gar nicht mitbekomme. Ich schwebe sozusagen auf Wolke sieben und als er mich begrüßt, hänge ich an seinen Lippen. Die Stimme männlich, die strahlend weißen Zähne mit perfekter Zahnstellung – ein Mund, den man einfach küssen muss. Seine Hand fühlt sich kräftig und groß an. Ein Kribbeln gleitet durch meinen Körper – er ist genau nach meinem Geschmack!

Ich will ihn, nur ihn, jetzt sofort, ohne noch lange rum zu tänzeln. Was sollte ich machen? Mein Standardsatz „ich möchte jetzt mit Dir auf dein Zimmer gehen“? Bei diesem Mann zu plump. Die Nacht ist schon fast vorbei und nach und nach verabschiedet sich der harte Kern. Wir „Er“ dessen Namen ich leider nicht mitbekommen habe, und meine Wenigkeit, bleiben übrig. Wir sitzen schon eine Weile enger zusammen. Ich fühle seine Muskeln an meinen Beinen. Meine von Wein verschwommenen Worte hauche ich sein Ohr. Ich ignoriere, ob er mich überhaupt begehrt. Gibt es überhaupt noch Männer die nicht wollen?. Ich finde ihn unglaublich erotisch und möchte durch ihn meinen Körper spüren. Die Bar schließt und als wir zusammen in den Fahrstuhl steigen, ist für mich der Zeitpunkt gekommen. Mein Blick, dem Rotwein und der Zeit angemessen, reduziert sich jetzt nur noch auf das Wesentliche, der lange schlanke Hals, die Brust und sein sexy Po. Meine Hand streift grad über diesen verdammt süßen Hintern als der Fahrstuhl stoppt.

Er dreht sich zu mir und ich kann es kaum glauben, er verabschiedet sich mit den Worten „man sieht sich“. Wie ich diese Worte hasse „man sieht sich“ oder auch gern von Männer benutzt „ich ruf Dich an“. Das sind Aussagen, die keine Frau jemals hören möchte. Und was sollen diese Worte auch, denn wir wissen doch beide wie sie gemeint sind. Ich, die wirklich selten sprachlos ist, stehe wie versteinert im Fahrstuhl und „Er“ verlässt mich, ohne sich überhaupt noch einmal nach mir umzudrehen. Verdammt, waren meine Zeichen nicht deutlich genug?! Total gefrustet schleiche ich in mein Zimmer. Als ich mich auf mein Bett lege, dreht sich alles. Mir ist so richtig übel und ich denke es war wohl doch ein Glas Wein zu viel.

Nach drei Stunden Schlaf und zwei Asperin sitze ich beim Frühstück und trinke Kaffee. Essen mag ich noch nicht so richtig, aber der Messetag wird hart und mein Magen muss irgendwie beruhigt werden. Ich stehe unschlüssig am Büfett und vernehme ein freundliches „Guten Morgen, gut geschlafen?“ War ich gemeint? Ich bin ein totaler Morgenmuffel und meide jegliche Art von Konversation vor 10.00 Uhr. Ich richte mich auf, zaubere mein Messelächeln hervor und drehe mich zur Seite. „Mr. Fahrstuhl“ lächelt mich an und ich bin doch tatsächlich schon wieder sprachlos. Zu so früher Stunde macht er sich doch nicht etwa lustig über mich?. Ich überlege, ob ich in meiner Rotweinlaune irgendwas Peinliches gesagt oder getan habe. Aber der gestrige Abend ist im Nichts verschwunden. Was sollte ich sagen? Ich wollte cool und witzig sein, mir war nach „Hey, du hast den Sex deines Lebens verpasst...“ aber in dieser Umgebung, morgens beim Frühstück ein wenig unpassend. So kommen aus meinen rot geschminkten voluminösen Lippen grad mal die Höflichkeitsfloskeln hervor. Er verlässt das Büfett mit den Worten „Man sieht sich“. Was für ein arroganter, jetzt nüchtern betrachtet, smarter Mann er doch ist. Schade, dass ich heute abreise.

Die Aussteller schlafen meist in den Hotels, die rund um das Messegelände liegen. So laufen morgens Hunderte von Ausstellern in ihren schicken Outfits rüber zur Messe. Am meinem Stand angekommen, trifft mich fast der Schlag als ich sehe, dass „Mr. Fahrstuhl“ am Stand gegenüber arbeitet. Der gesamte Stand ist in den Regenbogenfarben, welches als Symbol der Lesben und Schwulenbewegung ist, gestaltet. „Er“ sieht mich an und lächelt. Die rote Schleife, ein Solidaritätssymbol, die am Revers steckt, sehe ich jetzt erst. Verdammt, wie konnte grad mir das passieren. Ich die sich doch, so meine ich, mich mit der „Schwulenszene“ auskennt. Sven wird sich über diese Geschichte prächtig amüsieren. Ich sitze in der Hotelbar mit zig Männern und vergucke mich in einen Schwulen. Wie sagt man so schön „aufs falsche Pferd gesetzt“. Ein Trost bleibt mir – in der nächsten Woche beginnt die CEBIT in Hannover.

© jhaus


Einstell-Datum: 2008-06-15

Hinweis: Dieser Artikel spiegelt die Meinung seines Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung der Betreiber von versalia.de übereinstimmen.

Bewertung: 333 (2 Stimmen)

 

Kommentare


Das ist jhaus
Kommentar # 1: Treffend
Autor: jhaus, 15.06.2008 um 11:22 Uhr


Die Geschichte ist sehr treffend und amüsant geschrieben.


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