-KURZGESCHICHTEN-
Leseprobe:
.........
Grossmutter erzählt: "Was hatte ich für eine Wut, damals als das Bild geknipst wurde. Es war in der Zeit der grossen Krise. Jeder Pfennig musste dreimal umgedreht werden. Da kaufte dein Grossvater einen ganzen Stapel Bücher. Und weil er Gewissensbisse bekam, versteckte er die Bücher, eingeschlagen in Packpapier im Garten unter dem Johannisbeerstrauch."
Nachts zog ein Gewitter auf.
Grossvater schlich sich aus dem Schlafzimmer, ging auf Zehenspitzen in den Garten und zog das Buchpaket vorsichtig aus seinem Versteck. Da bricht das Gewitter über Grossvater herein. Grossmutter steht hinter ihm. Grossmutter ist ihm nachgeschlichen. Grossmutter ist das Gewitter.
Grossvater sitzt nicht mehr am Tisch beim Schachspiel. Grossvater hat kein Buch in der Hand. Grossvaters Rollstuhl steht unbenutzt in der Ecke. Grossvater ist tot.
Vielleicht ist der Mann auf dem Foto doch Grossvater. Grossmutter erzählt gern: "Wir mussten jeden Pfennig dreimal umdrehen. Grossvater war arbeitslos. Lange Jahre arbeitslos." Während der Nazizeit. Als die Nazis an die Macht kamen, wurde Grossvater arbeitslos. Er weigerte sich, Mitglied der NSDAP zu werden. Im Hause, in dem Grossvater wohnte, wohnten die Nazis.
Im Treppenhaus immer die gleiche Szene. Jeden Tag. Heil Hitler. Der erhobene ausgestreckte Arm.
Grüß Gott, die Antwort. Jeden Tag.
Eines Tages wurde Grossvater von der Gestapo abgeholt. Vorladung hiess es höflich. Er hat nie etwas darüber erzählt. Grossvater redete wenig.
Ich stellte mir die Gespräche in der Küche vor, abends beim Kartenspiel. "Denk an deine Familie", sagt Grossmutter. "Wovon sollen wir leben?"
"Nein", sagt Grossvater.
"Denk an deine Kinder. Tritt ein."
Grossvater schüttelt den Kopf.
Vielleicht war es auch anders. Vielleicht hat Grossmutter Grossvater in den Arm genommen. Vielleicht hat sie gesagt: "Lass dich nicht unterkriegenä" Vielleicht hat sie gesagt: "Das schaffen wir schon."
Vielleicht. Ich weiss es nicht.
Grossvater ist tot.
Als Grossvater lebte, schwieg ich mit ihm beim Schachspiel. Grossvater war für mich ein Buch mit sieben Siegeln.
Heute habe ich einige Seiten verstanden.
Als Grossvater noch lebte, kannte ich ihn kaum.
Leseprobe:
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Grossmutter erzählt: "Was hatte ich für eine Wut, damals als das Bild geknipst wurde. Es war in der Zeit der grossen Krise. Jeder Pfennig musste dreimal umgedreht werden. Da kaufte dein Grossvater einen ganzen Stapel Bücher. Und weil er Gewissensbisse bekam, versteckte er die Bücher, eingeschlagen in Packpapier im Garten unter dem Johannisbeerstrauch."
Nachts zog ein Gewitter auf.
Grossvater schlich sich aus dem Schlafzimmer, ging auf Zehenspitzen in den Garten und zog das Buchpaket vorsichtig aus seinem Versteck. Da bricht das Gewitter über Grossvater herein. Grossmutter steht hinter ihm. Grossmutter ist ihm nachgeschlichen. Grossmutter ist das Gewitter.
Grossvater sitzt nicht mehr am Tisch beim Schachspiel. Grossvater hat kein Buch in der Hand. Grossvaters Rollstuhl steht unbenutzt in der Ecke. Grossvater ist tot.
Vielleicht ist der Mann auf dem Foto doch Grossvater. Grossmutter erzählt gern: "Wir mussten jeden Pfennig dreimal umdrehen. Grossvater war arbeitslos. Lange Jahre arbeitslos." Während der Nazizeit. Als die Nazis an die Macht kamen, wurde Grossvater arbeitslos. Er weigerte sich, Mitglied der NSDAP zu werden. Im Hause, in dem Grossvater wohnte, wohnten die Nazis.
Im Treppenhaus immer die gleiche Szene. Jeden Tag. Heil Hitler. Der erhobene ausgestreckte Arm.
Grüß Gott, die Antwort. Jeden Tag.
Eines Tages wurde Grossvater von der Gestapo abgeholt. Vorladung hiess es höflich. Er hat nie etwas darüber erzählt. Grossvater redete wenig.
Ich stellte mir die Gespräche in der Küche vor, abends beim Kartenspiel. "Denk an deine Familie", sagt Grossmutter. "Wovon sollen wir leben?"
"Nein", sagt Grossvater.
"Denk an deine Kinder. Tritt ein."
Grossvater schüttelt den Kopf.
Vielleicht war es auch anders. Vielleicht hat Grossmutter Grossvater in den Arm genommen. Vielleicht hat sie gesagt: "Lass dich nicht unterkriegenä" Vielleicht hat sie gesagt: "Das schaffen wir schon."
Vielleicht. Ich weiss es nicht.
Grossvater ist tot.
Als Grossvater lebte, schwieg ich mit ihm beim Schachspiel. Grossvater war für mich ein Buch mit sieben Siegeln.
Heute habe ich einige Seiten verstanden.
Als Grossvater noch lebte, kannte ich ihn kaum.