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Istanbul - Brücke zwischen Orient und Okzident
Autor: Jürgen Weber · Rubrik:
Reiseberichte

„Geht ein Mann nach Pera, weiß man, was er dort sucht“, heißt es in einem alten türkischen Sprichwort. Das „Gehen” war aber gar nicht immer so leicht, denn es gab fast 500 Jahre gar keine Brücke zwischen Pera und Sultanahmet, dem eigentlichen historischen Zentrum Istanbuls. Die Stadt selbst galt zwar immer schon als eine symbolische Brücke zwischen Okzident und Orient, aber eine wirkliche Brücke zwischen West und Ost musste erst gebaut werden, nämlich die Galata-Brücke. Selbst Leonardo habe einst einen Entwurf für die Brücke an den Hof des Sultans gesandt, nur sei dieser nie angekommen. „Wie ich höre, planen Sie, eine Brücke zu bauen, von Istanbul nach Galata“, schreibt der Italiener 1503 an Bayezid leicht spöttisch, „aber Sie kommen nicht weiter, weil Sie niemand mit den nötigen Fähigkeiten finden.“ Statt Leonardo wurde aber dann Michelangelo Buonarrotti eingeladen, doch dieser fürchtete sich vor der Exkommunikation. Es sollte noch mehrere Jahrhunderte vergehen, bis die Brücke zwischen Galata und Istanbul tatsächlich gebaut wurde und heute ist sie nicht nur wegen den vielen Anglern auf der Brücke eine touristische Attraktion, sondern vor allem auch wegen den vielen Fischbuden im Bauch der Brücke: noch nie hat ein Fischsandwich so gut geschmeckt, mit Blick auf Sultanahment, Pera oder Topkapi Seraye.



Kapali Carsi - Gratis Tee trinken
Wer bei seinem Istanbul-Besuch an seine Gesundheit denken will, dem sei in Erinnerung gerufen, dass auch die moderne Sauna in der Türkei erfunden wurde. Zu einer Zeit als sich in Europa nicht einmal fürstliche Oberhäupter wuschen, hatte das Osmanische Reich bereits eine ausgeklügelte Hygienekultur entwickelt, der man auch heute noch in diversen Hamams frönen kann, so auch im Kapali Carsi, dem gedecketen Basar, wo sich das Cemberlitas-Hamam schon seit 1584 befindet und seither – der Legende nach - durchgehend in Betrieb ist. Waschen ist in der Türkei immer noch ein spiritueller Akt, da sich Moslems auch vor jedem Gebet waschen, also dreimal täglich, das kann man sich in Mitteleuropa nur wünschen. Und wenn es wirklich einen Ort gibt, wo das Wünschen hilft, dann gehört Istanbul sicherlich an die erste Stelle dafür. „Der Kaffee“, sagt nämlich ein arabisches Sprichwort, „muss so heiß sein wie die Küsse eines Mädchens am ersten Tag, so süß wie die Nächte in ihren Armen und schwarz wie die Flüche der Mutter, wenn sie es erfährt“. Die hierzulande als Entdecker des Kaffees gepriesenen Türken trinken allerdings viel lieber ihren Apfeltee und verzichten wohl auch gerne auf die heißen Küsse, denn der Tee ist schon gesüßt genug. Nicht nur eine afghanische Straße mit Seidenstoffen und Stammesschmuck findet man auf dem größten Basar Istanbuls, der mit 3.400 Quadratmetern wohl auch einer der größten der Welt ist. 20 Tore lassen täglich eine halbe Million Menschen passieren, die die 3.500 Läden aufsuchen, die sich wiederum auf 61 Straßen verteilen. Einzelne Straßenzüge widmen sich dem Gold, den Antiquitäten, dem Leder, Metall, den Fälschungen (sic!), der Keramik und natürlich den Teppichen, wo Tee trinken und eine Kaufberatung immer noch gratis sind.



Luxus mit Nostalgie
Am 4. Oktober 1889 erreichte der erste Orient Express von Paris kommend den Bahnhof Sirkeci in Istanbul. Die französische Kultur war aber schon viel früher in Istanbul angekommen. Längst war der Stadtteil „Pera“ nicht mehr nur rein orientalisch, sondern stark an Paris orientiert und so entstanden auch viele Luxushotels europäischer Prägung gerade in diesem Stadtteil, darunter auch das weltberühmte Pera Palas Hotel, in dem abgesehen von dem Republiksgründer Mustafa Kemal Atatürk (Zimmer 101, heute als Museum eingerichtet) oder Sultan Abduelhamid II. auch Edward II. oder Agatha Christie („Mord im Orient-Express“) und Sarah Bernhardt genächtigt haben. In der dazugehörigen Orient Bar erhoben übrigens des Öfteren Spione ihre Gläser zum „chin-chin“, darunter die berüchtigte Mata Hari oder Kim Philby. Das blühende und prunkvolle 19. Jahrhundert ist auch heute noch in Istanbul, gerade im Pera Palas Hotel repräsentiert. Aber auch Ernest Hemingway, Alfred Hitchcock, Greta Garbo, Zsa Zsa Gabor, King Edward VIII und viele andere mehr, genossen den Ausblick des Pera Palace Hotel, das 2008 renoviert wurde und heute zur arabischen Jumeirah Gruppe (Stichwort: Burj Al Arab) gehört. Das Hotel hat sich seinen 19. Jahrhundert Charme weitgehend erhalten, technologisch aber deutlich aufgerüstet. Als Symbol für die Tradition des Fortschrittsgedankens steht auch der alte schmiedeiserne Lift im Zentrum des Hotels, der der erste elektrische Lift überhaupt in der Türkei war. Das Pera Palace ist zwar selbst quasi ein Museum, aber es beherbergt sogar auch eines: im Raum 101, dem Lieblingsraum des Republikgründers, werden nicht nur seine Bücher, sondern auch viele andere Antiquitäten ausgestellt. Neben original Carrara Marmor und exquisitem Murano Glasslustern erwartet den Besucher auch eine imposante Architektur. Die Renovierung zwischen 2008 und 2010 wurde in Zusammenarbeit mit dem Turkish Superior Council for the Conservation of Cultural and Natural Property realisiert. Die meisten Räume haben einen Balkon, das Hotel verfügt über 5 Restaurants und Bars und ein Spa(380m2) mit Swimming Pool. Besonders beeindruckend ist aber auch der Empfangsraum, der sog. Kubbeli Salon, eigentlich ein Tee-Salon, der durch sein sechs Kuppeln und exklusive Ausstattung ein unvergessliches Erlebnis bietet. Luxus mit Nostalgie verbunden trifft das Pera Palace in zwei Worten am besten, aber natürlich ist auch die Lage des Hotels ein eindeutiges usp.

Das europäische und orientalische Istanbul
„Pera“, eigentlich „das Gegenüberliegende“, wurde dann mit dem alten Stadtteil „Sultanahmet” erstmals durch die erste Galata-Brücke unter Sultan Abdülmecid (1823-1861) verbunden, die noch eine Pontonbrücke war. Natürlich besteht sie heute längst aus Stahlbeton und befördert täglich mehrere Millionen Menschen zwischen dem europäischen und dem alten Istanbul. Dabei ist eigentlich Sultanahmet der Stadtteil, der einst unter Konstantin als römische Hauptstadt ausgebaut worden war. Inmitten seines Zentrums steht heute noch die Konstantinsäule (Cemberlitas) vor dem Basar und der Obelisk (Dikilitas) inmitten des einstigen Hippodroms. Besonders beeindruckend ist aber auch der Überrest des Million Steines, der das einstige Zentrum des Imperiums markierte. Alle Entfernungen des Römischen Reiches wurden von diesem Punkt aus gemessen und Kaiser Konstantin hatte ihn im 4. Jahrhundert von Rom aus kommen lassen, um von nun an, das Imperium neu zu vermessen und die Richtung vorzugeben: der Osten. Unter der Herrschaft von Flavius Valerius Aurelius Constantinus (ca. 272-374), dem ersten christlichen Kaiser, hatte das Imperium nämlich noch längst nicht seine größte Ausdehnung erreicht. Das heutige Istanbul ebenso wenig, denn die als europäische Stadt größte und siebentgrößte Stadt der Welt, wird jährlich von 2,3 TouristInnen besucht. Die geschätzten 10 Millionen BewohnerInnen Istanbuls sorgen für eine weitere Ausdehnung der Stadt, denen natürlich auch immer mehr Kulturdenkmäler zum Opfer fallen. Denn natürlich woollen Bewohner und Touristen gut und sicher transportiert und versorgt werden und so stellt die Schaffung einer öffentlichen Infrastruktur, die das riesige Verkehrsaufkommen verdauen kann, eine große Herausforderung für die Stadtverwaltung Istanbuls dar. Den Katzen Istanbuls dürfte das ziemlich egal sein, sie liegen faul in der Februarsonne und wälzen sich von einer auf die andere Seite. Bei einem Stadtspaziergang durchschnittler Länge zählt man leicht 42 Katzen, denn sie tummeln sich wirklich an allen Orten, wie man auch auf dem einen Foto sehen kann.



Hüzün, die türkische Antwort auf den Blues
Das türkische Wort “Hüzün”, dem bei der Konzeption von Orhan Pamuks Buch über Istanbul eine tragende Rolle zukommt, wurde sogar schon im Koran erwähnt. Die Bezeichnung des Todesjahres der Frau von Mohammed wird als “senetul huzun", also als "Hüzün-Jahr" bezeichnet und macht deutlich, dass ein schmerzlicher Verlust den Begriff kennzeichnet. Pamuk betont aber, dass es heute vor allem zwei Sinnvarianten dieses Wortes gibt. Die erste führe das Auftreten von "hüzün", also Melancholie, auf unverhältnismäßige Hinwendung zu Profitstreben und diesseitigen Genüssen zurück. Der Verlust dieser, würde das Gefühl des Hüzün verursachen. Die zweite Interpretation leitet Pamuk vom Sufismus her: es bedeute das Gefühl der Unzulänglichkeit, Gott nicht nahe genug zu sein und hienieden für Gott nicht genügend tun zu können. In den Worten Pamuks: “Das seit 150 Jahren auf der Stadt lastende Gefühl permanenten Scheiterns". Schilderungen und Vergleiche mit der französischen "Tristesse", der italienischen "tristezza" oder eben der griechischen "Melancholie" (von griech. für: schwarze Galle) gehören sicherlich zu den Höhepunkten Pamuks Literatur und er beweist, wie belesen und feingeistig er ist. Für ihn ist die Melancholie kein bloß individuelles Gefühl, sondern geradezu "das" Gefühl der Stadt. Er begründet dies u.a. mit dem Untergang des Osmanischen Reiches, das auf der Stadt laste, wie ein Fluch. Der “Zwang zur Moderne”, der sich nach dem Ersten Weltkrieg in der türkischen Bourgeoisie (zu der auch seine Familie gehörte) festsetzte, wird von Pamuk fast mit Spott bedacht, denn es gibt eigentlich ja keinen Grund sich für die (osmanische) Vergangenheit zu schämen.

Das Museum der Unschuld
Der Besuch des Museums der Unschuld am besten mit der Buchausgabe selbst in der Hand, macht jeden Istanbul-Besuch zu einem unvergesslichen Erlebnis. (Kleiner Tipp: Wer das Buch auf der richtigen Seite aufschlägt, bekommt sogar einen Gratis-Eintritt!) Denn aus der fiktiven Buchvorlage wurde tatsächlich ein reales Museum, ganz in der Nähe des Galataturmes. Viele Objekte, die im Buch beschrieben werden, manifestieren sich im Museum der Unschuld in reale Materie, darunter auch eine Wand mit 4213 Tschickstummeln seiner geliebten Füsun und andere Fiktionen. Ein Museum über Dinge, die in einem Roman geschehen, ist schon als Idee so schön, dass man dabei mehr als nur in Schwärmen kommt. Die Belegschaft des Museums gehört noch dazu zur freundlichsten aller mir bekannten Museen der Welt und der Ort selbst, auch das Stadtviertel in dem sich viele Antiquitätengeschäfte befinden und Aufschluß darüber geben, woher das Inventar des Museums wohl stammen könnte, gehören zu den wohl schönsten Plätzen dieser ach so wunderbaren Welt, die sich am besten zwischen Orient und Okzident, in Istanbul, genießen läßt. Weitere Ausflüge in die nähere Umgebung können etwa ans Meer zu den Prinzeninseln führen (auf Büyukada gibt es ein tolles Hotel, das Splendid Palas) oder auch nur zum Abendessen auf die Insel, die man auch auf dem Foto sieht: die Leanderturminsel. Denn die eigentlichen Stadttaxis sind in Istanbul die Boote, die regelmäßig alle 15 Minuten verkehren und einen von einem Stadtteil in den andern bringen.

Museum der Unschuld: http://www.masumiyetmuzesi.org/
Für Ferienwohnungen: http://www.manzara-istanbul.com
Hotel: Pera Palacae Hotel: http://www.jumeirah.com
Hotel Prinzeninsel Büyukada: http://www.splendidhotel.net
Soundtrack: Crossing the bridge – The Sound of Istanbul
Weiterführende Filme und Literatur:

Fatih Akin: Gegen die Wand (2004), Crossing the Bridge (2005), Auf der anderen Seite (2007)

Fatih Akin (Hg): Crossing the bridge – The Sound of Istanbul, dreisprachig (deutsch-englisch-türkisch), 2005, 100 Seiten Fotos von Herve Dieu (S/W) und Andreas Thiel (Farbe) und 4 CDs mit klassischer und moderner türkischer Musik, erschienen bei Earbooks

Barbara Yurtdas: Istanbul, Insel, 2008, 311 Seiten

Orhan Pamuk: “Das Museum der Unschuld”, Hanser, 2008, übersetzt von Gerhard Meier, 571 Seiten. Außerdem sind im Hanser Verlag von Orhan Pamuk erschienen: “Istanbul. Erinnerungen an eine Stadt” (2006), “Das schwarze Buch” (1995), “Das neue Leben” (1998), "Rot ist mein Name" (2001) und "Schnee" (2005).

Istanbul, Christian Verlag, 2006, übersetzt von Tracey J. Evans, 192 Seiten

Andrea Gorys: ISTANBUL, Mit Bosporus-Tour und Prinzeninseln, Du Mont Reiseverlag
2005, 240 Seiten

Wilhelm Genazino: ISTANBUL. Hardcover, Fadenheftung, 160 Seiten, durchgängig 4-farbig und Duotone auf zwei Papieren. Format 22 × 30 cm

Laura Salm-Reifferscheidt/Isabel Böcking: Basare Istanbuls. Mosaik einer sinnlichen Welt. Mit 30 Rezepten und vielen Fotografien von Moritz Stipsicz. 2008, Christian Brandstätter Verlag, 224 Seiten 300 Farbabbildungen, Format 24x 30,

Martin Seger/Friedrich Palencsar: Istanbul. Metropole zwischen den Kontinenten.
Borntraeger, 2006, 358 Seiten

Nazim Hikmet: Die Namen der Sehnsucht/Hasretlerin Adi. Gedichte. Türkisch und deutsch. Ausgewählt, nachgedichtet und mit einem Nachwort versehen von Gisela Kraft, Ammann Verlag, 360 Seiten. Rezension: http://www.versalia.de/Rezension.Hikmet_Nazim.295.html


Einstell-Datum: 2013-05-23

Hinweis: Dieser Artikel spiegelt die Meinung seines Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung der Betreiber von versalia.de übereinstimmen.

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