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Hochzeit ohne Trauzeuge
Autor: Michael Felske · Rubrik:
Kurzgeschichten

Küpper musste sterben. Das stand für Peter Schütze fest. Er konnte es nicht mehr länger ertragen. Dabei verstanden sie beide sich wirklich gut. Als Schütze damals bei der Fahrschule angefangen hatte, wurde ihm der alleinstehende Küpper als Liebling der Schülerinnen vorgestellt. Aber auch als geiziger Sonderling. Deshalb ließen die Frauen ziemlich bald wieder von ihm ab.

Aber jetzt ausgerechnet mit seiner Irene. Und das schon seit längerer Zeit. Peter Schütze verstand die Welt nicht mehr. Er dachte daran, dass sie drei gelegentlich etwas gemeinsam unternommen hatten. Theater und so. Aber Küpper war dermaßen knickerig, dass er sich sogar selbst gekochten Kaffee von zu Hause mit an die Arbeit brachte. Dabei stand im Unterrichtsraum ein hypermoderner Getränkeautomat.

Peter Schütze saß allein am Frühstückstisch und schmunzelte. Und genau das war seine Chance, dachte er. In einem unbeobachteten Moment ein kleiner geschmackloser Zusatz in die Thermoskanne. Aus.

Sie stand im Umkleideraum der Fahrschule auf einem kleinen Beistelltisch, als Schütze an diesem Morgen pünktlich seinen Dienst antrat. Er begrüßte kurz seine Kollegen, die leger auf den vorderen Tischen des Unterrichtsraumes saßen und heftig über das Fußballländerspiel von gestern stritten. Er hatte es nicht gesehen, sondern im Bett gelegen und gelesen. Irene war ohne ihn ausgegangen. Angeblich zu einer Freundin. Schütze wusste aber, mit wem sie die lauen Abendstunden verbracht hatte. Er sah Küpper prüfend an. Als Irene am frühen Morgen in das eheliche Schlafzimmer zurückgekehrt war, da hatte sie einen ordentlichen Schwips. „Küpper macht einen unausgeschlafenen Eindruck“, dachte er. Kein Wunder. Er kannte ja Irene.

Schütze ging an seinen Kollegen vorbei und betrat den Umkleideraum. Er sah sie sofort. Es war mit Abstand die hässlichste Thermoskanne, die er jemals zu Gesicht bekommen hatte. Außen Plastik. Oben und unten ein schwarzer Rand. Ansonsten weiß mit einem fürchterlichen Blümchenmuster. Und der Deckel voller alter Kaffeeflecken.

Aber das interessierte Schütze reichlich wenig, als er seine grüne Umhängetasche daneben abstellte. Ein kurzer Blick zur Tür. Es kam keiner - König Fußball regierte noch immer. Jetzt wurde er etwas unruhig. Mit einer heftigen Handbewegung zog Schütze eine unscheinbare, durchsichtige Kunststoffflasche aus der rechten Tasche seiner abgewetzten, hellbraunen Lederjacke. Mit den Fingern der linken Hand Öffnete er den Schnappverschluss. Ein feuchtes, leises „Plopp“ erklang als Schütze den sudeligen Dichtungsstopfen entfernte. Mit leicht verzogenen Mundwinkeln kippte er das Gift in Küppers Thermoskanne. Gurgelnd vermischte es sich mit dem schwarzen Gebräu. „Zur Insektenvernichtung genau das Richtige“, murmelte Schütze hämisch vor sich hin. Nach wenigen Handgriffen stand alles wieder an seinem Platz und Schütze gesellte sich zu den anderen Fahrlehrern. Einsatzbesprechung.

"Mensch Peter, Du bist für heute fein raus!", stöhnte Küpper. Er war wirklich neidisch, denn er hatte drei Erstlingstouren vor sich. Schütze dagegen zwei Autobahnfahrten und eine Trainingsrunde zur Prüfung, die am nächsten Morgen für einige Schüler bevorstand.

"Du wirst es schon überleben", versuchte Schütze ihn aufzumuntern und lachte zum Abschied laut auf. Als er mit seinem ersten Schüler die dicht befahrene Straße in Richtung Fahrschulwagen überquerte, war er über seine letzte Gemeinheit ernsthaft erstaunt. Krämpfe, Erstickungserscheinungen und Sehstörungen. Und das während der Fahrt, dachte Schütze fast genießerisch. Eine belanglose Frage seines Schülers hielt ihn von weiteren Vorstellungen ab und es gelang ihm danach tatsächlich, sich für den Rest des Tages auf seine Arbeit zu konzentrieren.

Zu Hause begrüßte ihn Irene herzlich. "Hallo Schatz! Schön, dass Du schon da bist." Schütze küsste seine Frau sanft auf die rechte Wange.

"Küpper hat gerade angerufen. Vielleicht vor fünf Minuten. Ob Du mal bei ihm vorbeikommen kannst?" Schütze durchfuhr ein kalter Schauer. "Wann denn?", schrie er sie fast an. Ohne eine Antwort abzuwarten machte er auf dem Absatz kehrt und rannte die Stufen des Treppenhauses hinunter. Als Irene mit ihren hellrot geschminkten Lippen das Wörtchen "Sofort" modellierte, saß er bereits am Steuer seines Vans und startete den Motor. Ächzend schoss der schwere Wagen widerwillig nach vorne. Küpper hat Lunte gerochen. Vielleicht doch zu wenig Süßstoff? Schütze war klar, dass das Insektenvertilgungsmittel fürchterlich bitter schmecken musste. Deshalb hatte er alles mit viel Wasser und Diabetikersüße angerührt. Aber scheinbar doch nicht genug. Schütze befürchtete das Schlimmste. Noch zwei Kreuzungen, dann die erste rechts. Er überfuhr eine Ampel bei Rot und stoppte mit blockierenden Reifen in einer Seitenstraße direkt vor Küppers Reihenhaus. Motor aus. Er sprang aus dem Wagen und rannte zur Haustür. Wenige Sekunden später stand er vor ihm. "Toll Peter, dass Du so schnell kommen konntest. Weißt Du, ich möchte etwas Wichtiges mit Dir besprechen. Aber los, erst einmal rein mit Dir." Mit einer einladenden Geste deutete Küpper auf das Innere des Hauses. Sein Lächeln dabei war fast übertrieben freundlich.

"Heute Morgen warst Du so komisch, da wollte ich Dich nicht ...?“ Küpper hielt inne. Seine schnarrende Stimme klang merkwürdig belegt.

Schütze zog die Tür hinter sich zu, folgte seinem Kollegen reichlich verunsichert durch den nur spärlich möblierten Flur in das Wohnzimmer. „Der lässt sich ja überhaupt nichts anmerken“, dachte er und sah sich in dem halb abgedunkelten Raum um. "Bitte setz Dich doch schon mal, ich organisiere uns etwas zu trinken. Möchtest Du ein Bier oder lieber ...?" Schütze schüttelte langsam den Kopf. Er hockte sich schwerfällig auf ein monströses, durchgesessenes, tabakfarbenes Sofa. Jetzt war ihm richtig schlecht. Ein stechender Schmerz in der Magengegend.

"Mensch Junge, und da dachte ich schon, mein Tag war stressig. Aber so, wie Du aussiehst." Küpper sah ihn besorgt an. "Na ja, die fahren vor dem Prüfungstermin meistens schlimmer, als vor der ersten Übungsstunde. Ist bei mir auch nicht anders" versuchte er Schütze aufzumuntern. „Pass auf, ich hol´ uns einen starken Kaffee. Der wirkt Wunder.“ Küpper verschwand wieselflink in der Küche und stand einen Moment später wieder neben Schütze am Tisch. „Hier, halt mal!“ Schütze zitterte nicht schlecht. Die blaugemusterte Tasse klapperte leise auf dem Teller. Küpper goss den Kaffee ein. Randvoll. Danach setzte er sich in einen der riesigen Sessel, kippte drei Löffel Zucker in seine Tasse und rührte um.

Küpper atmete hörbar tief durch und sah Schütze fest in die Augen. „Peter, ich möchte Dich um einen Gefallen bitten.“ Schütze nickte unbeholfen, nahm einen kräftigen Schluck Kaffee und hielt sich danach an der Tasse fest. „Lange Zeit hatte ich Probleme mit Frauen. Wenn man alleine lebt, dann fällt es sehr schwer, sich auf andere einzustellen. Aber vor zwei Monaten habe ich Gabi kennengelernt und wir wollen in vier Wochen heiraten ...“ Seine Stimme bebte verlegen. Spürbar leiser fragte er „... und ... willst Du nicht mein Trauzeuge sein?“ Erleichtert griff Küpper zur Tasse und sah seinen Gegenüber gespannt an. Plötzlich zuckte Schütze zusammen, sein Gesicht lief tiefblau an. Er kippte laut stöhnend zur Seite, schnappte nach Luft. „Peter!“ Küpper schrie es, sprang auf. „Was ist ...?“ „Der Kaffee ...!“, presste Schütze qualvoll hervor, „... was ist das ... Kaff ... Thermos ...?“ Den Rest der Frage verschluckte er kraftlos und sackte in sich zusammen. Küpper packte ihn an den Schultern, riss ihn hin und her, seine Stimme überschlug sich. „Den von heute Morgen habe ich mit in die Kanne getan, vor lauter Stress bin ich nicht zur Pause gekommen. Es wäre doch schade drum. Aber was soll denn damit sein?“ Peter Schütze aber konnte ihn nicht mehr verstehen. Zuletzt dachte er an seine Irene.


Einstell-Datum: 2008-09-04

Hinweis: Dieser Artikel spiegelt die Meinung seines Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung der Betreiber von versalia.de übereinstimmen.

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