Eine Geschichte von Tobias Lampe, garantiert ohne Ghostwriter verfasst und nach keiner wahren Begebenheit!
Ich widme mein Buch: Matt Groening, Terry Pratchett, den Ärzten, Wolfgang Petry, den lustigen Begebenheiten des Alltags, meinen Eltern, Verwandten und Freunden und den Predigtgespannbrüdern.
1.Zum Verstehen dieser Geschichte gedacht
Wernigerode, das Verbrechermilieu schlechthin! Hier bin ich aufgewachsen, in den schmutzigen Straßen dieser nostalgischen Stadt, an deren ehemaligen Glanz nur die Fachwerkhäuser erinnern. Dass hier mal etwas Aufregendes passierte (oder will man einen Höppner-Besuch als aufregend bezeichnen?), war so unwahrscheinlich wie, dass Elbingerode durch einen Vulkanausbruch für immer verschwindet. In meiner Phantasie löste ich die kniffligsten Kriminalfälle, leider musste ich in meinem jugendlichen Eifer feststellen, dass man von Phantasie allein schlecht leben konnte. Ich wollte das Verbrechen bekämpfen, allerdings gab es bei der Polizei nur ein sehr geringes Gehalt und über die Position eines Wachmanns wäre ich wohl nie gekommen bei meinen beschränkten Möglichkeiten. Welchen Beruf sollte ich dann ergreifen, dachte ich mit 18 Jahren. Ich hatte meinen Hauptschulabschluss in der Tasche, obwohl ich zweimal sitzen geblieben war, und fühlte mich ganz groß. Mein Notendurchschnitt bleibt aber besser geheim... Da ich keine Lust auf Bewerbungen schreiben hatte, eine schlechte Vorraussetzung für das Berufsleben, und mir meine Eltern keine große Hilfe waren, eine noch viel schlechtere Vorraussetzung für Bewerbungen schreiben, entschloss ich mich einen Beruf auszuüben, den noch kein Carl meiner Sippe ergriffen hatte: Privatdetektiv. Eine auf den ersten Blick vernünftige Entscheidung, allerdings hatte ich keine Ahnung, in welch missliche Lage mich diese Wahl bringen würde...
Zuallererst möchte ich die Frage ein für alle mal klären: Was macht ein Privatdetektiv überhaupt? Tja, eigentlich sieht das so aus: ich schnüffle für viel Kohle anderen Leuten hinterher, mache Verbrecher dingfest und meine Freizeit verbringe ich in der Kneipe mit zwielichtigen Personen. Nebenbei mache ich allen möglichen Leuten Ärger, inklusive mir selbst. Man darf dabei jedoch nicht vergessen, dass es sich hierbei um eine Idealvorstellung handelt. In Wahrheit sahen die Dinge nämlich anders aus, wie so oft. Viel Kohle hatte ich noch nie gemacht, ich war froh, wenn ich keine Sozialhilfe beantragen musste, dass ich Verbrecher dingfest machte, war mehr ein guter Witz als dass es wahr war und es ist übrigens ein Gerücht, wenn man sagt, wer alle Sherlock Holmes Bände auswendig kann, der kann auch selbst Verbrecher aufschnappen. In meinem Fall, der wirklich alle Bände mindestens fünfmal gelesen hatte, traf das leider nicht zu. Aber immerhin stimmte es, dass ich meine Freizeit in der Kneipe verbrachte, jedoch ist hier schon wieder ein entscheidender Haken verborgen: nicht mal zwielichtige Personen hätten sich bei meinem Alkoholkonsum in meine Nähe gewagt. Und das war wahrscheinlich auch besser so, für meine Psyche und ihre Gesundheit. Ärger hatte ich oft mit Mahnungen und Rechnungen, aber als Privatdetektiv eher weniger. Es war ein Wunder, dass ich überhaupt genug Geld hatte, um die Miete zu zahlen und in Kneipen mich vollaufen zu lassen, aber wo ein Wille ist, da ist auch ein Weg. In meinem Falle war es so, dass ich nebenbei anonymer Samenspender war und mir somit genug Geld einbrachte, um mir das leisten zu können. Irgendwo auf der Welt hatte ich also mehrere Kinder, unglaublich bei so einem Kinderfeind wie mir, oder? Wie auch immer, das Geld war wichtig für mich und mit Frauen hatte ich fast nichts am Hut, die rochen sowas auf einen Kilometer, wenn jemand seit mehr als einen Monat nicht geduscht hat, was in meinem Fall auf mich zutraf. Wasser war teuer geworden und, unter uns, ich hatte bereits seit drei Monaten nicht mehr geduscht. Aber nicht weitersagen, bitte! Meine Mutter hatte immer gesagt, Junge, nutze jeden ersichtlichen Vorteil aus, und das tat ich durch diese Tätigkeit mehr als gut. Der Vorschlag stammte übrigens von einem Barkeeper, der Mitleid mit mir hatte, als ich mal wieder zahlungsunfähig war. Er hatte das in jungen Jahren auch so gemacht, um seine Lehre abschließen zu können. Im Gegensatz zu mir war er aber keine gescheiterte Existenz, sondern der beste Barkeeper in ganz Wernigerode und Umgebung. So unerbittlich schlägt das Schicksal zu, dachte ich mir. Aber das Schicksal hielt noch ganz andere Überraschungen für mich parat...
So musste ich feststellen, dass die Grenzen zwischen Gutem und Bösem gar nicht so unverrückbar waren, wie es schien. Es gab nicht nur Schwarz und Weiß, sondern auch viele, viele, sehr viele Grautöne. Wie ihr euch vorstellen könnt, machte diese Erkenntnis meine Ermittlungen nicht gerade einfacher. Apropos Ermittlungen, bevor ich euch mit meinem Fall konfrontiere, fange ich erstmal damit an, wie unsere Welt aufgebaut ist. Nun, viele Unterschiede gibt es eigentlich nicht, es gibt gute Menschen, schlechte Menschen und viele, die irgendwo dazwischen liegen, wie ich zum Beispiel. Jetzt gibt es aber doch einen gravierenden Unterschied: bei uns gibt es als „intelligente“ Lebensformen, oder wie auch immer das Pseudowissenschaftler bezeichnen, nicht nur Menschen, sondern auch viele andere wie Trolle, Zwerge, Kobolde, Feen, Elfen, Mutanten, Bayern etc. Das Letztere war ein kleiner Scherz am Rande, ich liebe Bayern, vor allem die Brezeln. Leider kann ich mir Brezeln kaum leisten, da ich mein Geld ja schon für andere Dinge verprasse... Aber zurück zum Thema! Nun, vor 1995 war alles genauso wie bei euch, es herrschte Friede, Freude, Eierkuchen, oder wie eine sehr bekannte Rockband sagen würde: „Hip hip Hurra, alles ist super, alles ist wunderbar“. Tatsache, bei uns gab es die selben Bands. Nur die Castingshows und künstliche Boygroups gab es nicht mehr, da eine Umfrage gestartet wurde und die meisten angaben, dass diese sie tödlich langweilen würden. Ich konnte leider nicht teilnehmen, 10 Cent für so ein Stück Papier, bin ich Krösus? Aber auch so waren 99% überzeugend genug, um sie abzuschaffen. Natürlich mussten die entlassenen Boygroupteilnehmer und sonstige Konsorten entschädigt werden, das wurden sie auch, indem sie 50€ bekamen, die Sozialschmarotzer! So, jetzt aber WIRKLICH, versprochen, zurück zum Thema. Also, bis 1995 war alles genauso, bis der amerikanische Präsident, der hier mit Namen nicht genannt werden und ich keine Klage am Hals haben will, auf die Idee kam einen Atomtest durchführen zu lassen. Dummerweise hatte er sich um 10000km in der Breite verschätzt und die Atombombe landete mitten auf der Yucatan-Halbinsel in Mexiko. Dass es die nicht mehr gibt, versteht sich wohl von selbst... Nun, dadurch entstand eine solch globale Katastrophe, ihr könnt euch das gar nicht vorstellen. Südamerika und Mittelamerika sind auf der Weltkarte verschwunden, man hat keinen blassen Schimmer, wo diese Teile Amerikas sind, sie könnten ins All geschleudert worden sein, oder einfach nur weggesprengt... Fest steht nur, dass dieses Massaker wohl keiner überlebt hat. Mal wieder ein trauriges Kapitel in der Menschheitsgeschichte, aber es soll hier nicht um Sentimentalitäten gehen. Das hört sich hart an, aber selbst Greenpeace war machtlos. Und das heißt Einiges, was ich aber nicht näher ausbreiten möchte, mit Politik kenne ich mich nicht aus. Zuerst dachten wir, dass auch Nordamerika dieses traurige Schicksal ereilt hat, aber es kam anders. Hier hatten sich nämlich menschenähnliche, atomverseuchte Mutanten gebildet. Ihre Zahl wird auf 100000 geschätzt, allerdings kann man das nicht genau sagen. Wir wissen auch nur sehr wenig über sie, da sich kaum einer zu ihnen traut und Flughäfen haben sie auch keine, sodass nur die Wagehalsigsten nach Nordamerika gehen. Ich habe bisher keinen zurückkehren sehen...ups, ich habe ja auch noch keinen wegfahren sehen, mein Fehler! Ich meinte natürlich, dass ich noch nie gehört habe, dass jemand zurückgekehrt ist. In Europa, Afrika und Australien ging ein sehr merkwürdiger Prozess vor sich. Zuerst schien sich nicht allzu viel zu verändern, doch die Probleme in den internationalen Allianzen wurden immer größer, besonders, da mit den USA der bedeutendste Markt weggefallen war. Schließlich lösten sich alle Allianzen auf und gingen ihre eigenen Wege, mehr schlecht als recht. Deutschland war einer der wenigen Staaten, in der die Demokratie erhalten blieb. Viele andere verfielen der Anarchie wie Frankreich, Großbritannien und Spanien. Diktatoren hatten z.B. Polen oder die Türkei. Die merkwürdigsten Wesen erschienen und wir können uns bis heute nicht erklären, woher sie eigentlich stammen. Wahrscheinlich wissen es diese Wesen selber nicht... Wir vermuten, dass es etwas mit diesem Atomabwurf zu tun hat, aber woher soll man das wissen? Vielleicht waren sie schon immer da und wir konnten sie nicht sehen? Ist ja auch eigentlich egal, sie sind da und Punkt. Über Australien kann man nicht viel sagen, da es das wahrscheinlich auch nicht mehr gibt. Zumindest haben wir keine Kunde von Australien seit dem verhängnisvollen Datum. Wahrscheinlich wurde es vom Hochwasser des Indischen Ozeans weggespült, da die Gletscher der Antarktis unter der enormen Hitze, die nach dem Atomabwurf entstand, wie Butter zerschmolzen und alles unter sich begruben, was ihnen in den Weg kam. Deshalb ist auch der südliche Teil von Afrika nur noch schwer zu erreichen. In Asien und Afrika entstanden ähnliche Bedingungen wie in Europa, Anarchie war die verbreitetste Staatsform der Welt! Logisch, ohne Regierung keine Allianzen, außerdem hatte jedes Land genug eigene Sorgen. Eines muss aber noch erwähnt werden: das Leben hier ist fast so wie bei euch, es gibt Discos, Kneipen, Freizeitparks, Restaurants und weiß der Kuckuck was noch
alles. Nicht, dass ihr denkt, wir leben hier wie im 10.Jahrhundert. So, ich denke, der Grundriss ist klar, im Laufe meiner Geschichte, die ich euch gleich erzähle, werdet ihr noch einiges Interessantes mehr über diese unterschiedlichen Völker hören. Also: ordentlich hinlegen/hinsetzen, Taschenlampe bereit legen, falls du länger lesen willst, Taschentücher für die Gefühlsausbrüche und schon kann es los gehen. Entspann und traue dich in eine dir fremde Welt einzusteigen. Willkommen! Als kleines Quiz könnt ihr ja mal nach dem Genuss meines Buches versuchen herauszukriegen, wann ich geboren bin. Jetzt aber los!
2.Der harte Brotaufstrich
Nun, da wären wir nun bei meiner kleinen Geschichte. Alles fing an, als ich gerade 28 Jahre alt war. Es war ein kalter, trüber Herbsttag und es stand mal wieder nichts an. Kein Auftrag, die Kneipe war geschlossen, meine kümmerliche Katze schlief selig auf der Couch. Ich erinnerte mich, wie ich am Nachmittag in der Stadt war und dort von einer Gina Wild nicht unähnlich aussehenden Person spannenden Sexualkontakt für einen kleinen Teil von meinem Zaster angeboten bekam. Selbstredend lehnte ich ab, aber nicht aus Gründen der Impotenz, sondern eher aufgrund des finanziellen Aspekts. Nun, ich schaltete den Fernseher ein, in Erwartung eines spannenden Spielfilms. Doch ich wurde enttäuscht, halblustige Komiker wechselten sich mit langweiligen B-Movies ab. Das erfüllte meine TV-Seele nicht gerade mit Begeisterung. Ein dumpfes Geräusch ließ mich aufschrecken, ich dachte an Rohrbruch oder sowas in der Art. Das Geräusch verschärfte sich noch, als gerade Dieter Bohlens neuer Song „Boring Day“ über die Mattscheibe lief. Das konnte man ja noch irgendwie verstehen, aber seit wann campieren Dieter Bohlen Fans um mein Haus? Nun, mich dünkte, dass es vielleicht besser wäre nach dem Rechten zu sehen. Auf seltsame Art und Weise fühlte ich mich sogar bedroht, während ich die Treppe herunterging. Eine geradezu gespenstische Atmosphäre umgab mich und ich schaute hinaus zum Fenster. Die Nacht zog mich immer wieder an, sie war mir viel näher als der Tag. Ob das meine Lebenseinstellung widerspiegelt, weiß ich nicht, aber ich glaube nicht an einen solchen Unfug, dass man an allen möglichen Sachen erkennen kann, was für ein Typ Mensch man ist. Das ist mir einfach zu pauschal!
Jetzt sah ich auch, was das Geräusch verursacht hatte, oder glaubte es zu wissen. Ein umgeworfener Stuhl lag auf dem Boden. Aber wie war dann das zweite Geräusch entstanden? Wer ist schon so unterbelichtet und wirft einen Stuhl zweimal um? Ich sah zur Tür. Ein Schatten näherte sich, langsam, bedächtig. Ich bekam Angst, furchtbare Angst. Mir brach der Schweiß aus. Dann klingelte es in diesem nervigen Ton. Ganz vorsichtig ging ich zur Tür, immer darauf bedacht, dass ich in der nächsten Sekunde angegriffen werden könnte. Ich öffnete und ich sah einen merkwürdigen Besucher. Sein Gesicht war verhüllt, er trug einen blauen Umhang und eine lose, braune Hose. Am ulkigsten waren die Schuhe, die eine Art Bommeln besaßen. Ich sprach kein Wort, so fasziniert und gleichzeitig verunsichert war ich von dem Anblick. Der Fremde durchbrach die spannungsgeladene Stille.
„Sind Sie Detektiv Carl? Ich hätte da einen Auftrag für sie.“ Mir fiel auf, dass der Fremde, besser gesagt Auftraggeber, mit verstellter Stimme sprach. Aber andererseits zeigte mir das etwas ganz Elementares an ihm: er war ein ausgefuchster Mensch, der sein Handwerk verstand.
„Auftrag?“, fragte ich. Dieses Wort klang wie Musik in meinen Ohren. Es musste schon so lange her sein, dass ich einen Auftrag hatte, ich konnte mich nur schwach daran erinnern.
„Ja, genau. Darf ich hereinkommen? Es ist ziemlich kalt hier draußen.“
Für Auftraggeber tat ich doch alles und so antwortete ich: „Seien Sie mein Gast und fühlen sie sich wie zu Hause!“, worauf mein Gegenüber zynisch und belustigend reagierte: „Das kann ich mir kaum vorstellen.“ Ich nahm ihm diese ehrliche Bemerkung aber nicht übel, es war eh nur ein Spruch, der mir gerade eingefallen war.
Nachdem ich ihm einen Stuhl geholt hatte und wir uns um meinen Schreibtisch gesessen hatten, ging das Gespräch los. Du meine Güte, vor einer halben Stunde hatte ich einen verdammt langweiligen Abend erwartet und nun verfügte ich über meinen ersten Auftraggeber seit zwei Jahren! Es war nicht zu fassen, wie das Schicksal manchmal zuschlägt. Doch ich beendete meine Überlegungen, der Fremde begann von Neuem zu sprechen.
„Sie wirken nervös, Herr Detektiv. Entspannen sie sich, wir haben jede Menge Zeit, um alles zur vollsten Zufriedenheit auf beiden Seiten zu besprechen.“
„Jaja, Sie haben Recht, es ist nur so“, ich wollte tatsächlich sagen, dass ich schon lange keinen Fall mehr hatte, ging davon aber ab und erfand eine Notlüge, „dass ich nicht mit dem Kommen eines neuen meiner zahlreichen Auftraggeber zu dieser späten Stunde gerechnet hatte.“
„Quatschen Sie bitte nicht mit dieser Werbesprache, ich weiß, wie schlecht es um ihre Detektei steht.“ Mist, woher nur? Und warum hat er dann mich genommen? Auf die zweite Frage sollte ich bald eine Antwort bekommen.
„Ähm, darf ich Ihnen Kekse anbieten? Oder einen Kaffee?“
„Nein, danke, wir haben Wichtigeres zu tun als Kekse zu essen.“ Ich war froh über seine Antwort, denn erstens hatte ich auch keine richtige Lust auf Kekse und zweitens waren auch Kekse für mich teuer genug.
„Nun, Sie fragen sich bestimmt, warum ich sie ausgewählt habe als meinen Detektiv. Das kommt nicht von ungefähr. Ich habe alle Detekteien dieser Stadt untersucht und bin zu dem Schluss gekommen, dass ihre Detektei die beste für meinen Auftrag ist.“
„Nur die beste für ihren Auftrag? Oder auch insgesamt?“
„Das spielt keine Rolle.“, erwiderte der Fremde weise. Mich überraschte seine Cleverness, damit hatte ich nicht gerechnet.
„Ich brauche einen Detektiv, der absolut loyal zu seinen Auftraggebern steht und Dinge tut, die nicht unbedingt der konventionellen Arbeitsweise entsprechen. Und Sie sind der Einzige, der mir für solche Aktionen geeignet scheint. Sie können das als Ehrung ansehen.“
„Danke sehr.“ Mehr fiel mir nicht ein, ich musste auf ein neues Thema hinleiten. Mir kam ein Gedanke.
„Wie sieht eigentlich der Auftrag aus? Was soll ich für Sie tun?“
„Nun, bevor ich Ihnen dies anvertraue, müssen sie wissen: haben sie einmal diesen Auftrag angenommen, gibt es kein Zurück. Er wird gefährlicher, wahnwitziger und kurioser als alles, was Sie sich ausmalen können. Ich rede hier nicht von aufwendigen Tatortanalysen oder Fingerabdrücken, sondern von Aufgaben, die nur ein richtiger Detektiv ausführen kann. Sind sie sich ganz sicher, dass Sie mitmachen wollen?“
„Ja, warum sollte ich nicht einsteigen? Geld ist Geld und ein Auftrag ist besser als kein Auftrag!“
„Wohl wahr, wohl wahr, aber vergesst nicht: eventuell könnte Euch irgendwann bei diesem Auftrag der Gedanke kommen, es wäre doch besser keinen Auftrag zu haben.“
„Und wie sieht nun der Auftrag aus?“ Ich war sauer und wollte endlich ins Bett, solche philosophischen Überlegungen passten mir überhaupt nicht.
„Ihr müsst einen Mann für mich finden und eindeutig identifizieren. Dieser Mann darf nicht weiterleben. Er hat etwas getan, wofür man in meinem Land früher mit dem Tode bestraft wurde und ich möchte, dass Sie diesen Job übernehmen.“
„Töten? Ich soll töten? Wie viel bekomme ich für diese Mordaktion?“ Die Fragen sprudelten aus mir hervor. „Wie sieht der Mann aus? Wie heißt er? Wo kommt er her?“
„Schwer zu sagen, wie er heute aus sieht. Als ich ihn das letzte Mal sah, trug er kurzes, schwarzes Haar und war braun gebrannt. An mehr erinnere ich mich nicht. Leider kann ich nicht genau bestimmen, wo seine Herkunft liegt, da er in unser Land immigriert ist.“
Na toll, ich suchte also nach der Nadel im Heuhaufen. Zwei Fragen hatte ich noch...
„Ich suche also nach der Nadel im Heuhaufen, richtig?“
„Wenn Sie so wollen, ja. Aber ich bin mir ganz sicher, dass Sie es schaffen werden diesen Mann zu finden.“
„Wie groß sind denn meine Chancen Ihrer Meinung nach?“
„Nicht sehr groß, ehrlich gesagt. Aber lassen Sie sich nicht entmutigen, hier, 100 Dollar gibt es als Vorschuss. Wenn sie diesen Bastard gefunden haben, gibt es 900. Das macht insgesamt 1000 Dollar.“
Es war mir egal, wie der Mann wissen wollte, dass ich den Richtigen gefunden habe. Es war mir egal, dass ich ziemlich gegen meine moralischen Vorstellungen verstieß und den Mann nicht versuchte umzustimmen. Es war mir gar nicht erst aufgefallen, dass er zum ersten Mal ein Schimpfwort verwendet hatte. Ich sah das Geld und alles war vergessen.
Der Mann verabschiedete sich recht schnell und ich ging ins Bett. Der nächste Morgen brachte mich nochmal zum Grübeln. War es die richtige Entscheidung? Konnte ich einfach von einem Fremden einen solchen Auftrag annehmen? Sollte ich wirklich töten? Aber es gab noch Überlegungen in die andere Richtung. Woher hatte dieser Mann so viel Geld? Warum sprach er mit verstellter Stimme? War ich einem solchen Auftrag, abgesehen von der moralischen Perspektive, überhaupt gewachsen? Und noch ganz andere Dinge, über die ich nachdachte. Woher kamen die zwei dumpfen Geräusche? Warum war er zu so später Stunde gekommen? Wieso war sein Gesicht verhüllt gewesen? War wirklich nur ich für diesen Fall geeignet? Ich spürte, dass er in manchen Dingen wie zum Beispiel das Aussehen meines Opfers oder dem Grund, warum er mich genommen hatte, nicht ganz ehrlich gewesen war. Während ich diese Überlegungen anstellte, merkte ich, wie hart die Butter war, die ich da auf mein Brot verstrich. Sie weigerte sich auf das Brot zu kommen und gegessen zu werden wie ich innerlich von einem Fremden einen Auftrag anzunehmen und dann eventuell nur Hohn und Spott zu ernten. Eine solche Verbundenheit hatte ich noch nie mit einem Brotaufstrich gefühlt. So beschloss ich am Abend
zu dem Ort zu gehen, der mir am ehesten einfiel: zur Kneipe ...
3.Ich wollte doch nur abschalten
Es war schon spät, als ich mich fertig machte. Den Tag hatte ich damit verbracht die Tageszeitung zu lesen und mir den Kopf darüber zu zerbrechen, wie ich diesen Auftrag lösen wollte. Gedanken machte ich mir auch darüber, ob es überhaupt vernünftig war in einer solch prekären Situation zur Kneipe zu gehen. Aber jetzt, wo ich mich schnell kämmte und mein Gesicht wusch, waren diese Bedenken wie weggeblasen. Ich freute mich ganz einfach endlich mal wieder die alten Kameraden wiederzusehen, Ronny, den Barkeeper... In gewisser Weise war die Kneipe mein zweites Zuhause, immer, wenn ich niedergeschlagen war, kehrte ich dort ein. Ich nahm mein Jacket, das man seine Jährchen schon ansah, aus dem Schrank, packte ein paar Habseligkeiten in die vielen Seitentaschen und zählte mein Geld, zugegeben wenig. Aber jetzt war für mich nicht gerade der Augenblick, um darüber nachzudenken, ob ich auch noch mein letztes Geld verprassen sollte. Ich wollte nur abschalten, wollte mir Unterstützung für den Auftrag sichern. Plötzlich klingelte das Telefon. Es war die Samenspendenagentur, für die ich „arbeitete“. In zwei Wochen war der nächste Termin. Ich sagte schnell mein Kommen zu und legte sodann auf. Nun war ich noch mehr entschlossen zur Kneipe zu gehen, denn Samenspenden waren gleichzusetzen mit Geld. Ich schaltete das Licht aus, machte die Tür auf und schloss sie mit einem leichten Knarren. Gerade rechtzeitig zum Sonnenuntergang war ich vor die Türe getreten, ein atemberaubender Anblick. Ich fühlte ein großes Selbstbewusstsein in mir aufsteigen. Hatte der Fremde nicht gesagt, ich wäre der einzig geeignete Mann für diesen Fall? Ich war entschlossen allen zu zeigen, dass ich es wirklich war. Während des Weges war ich immer darauf bedacht im nächsten Moment angegriffen werden zu können. Aber natürlich bewahrheitete sich diese Befürchtung nicht. Warum auch? Noch machte ich keinem Ärger, also gab es auch keinen für mich.
Dunkles Flutlicht erhellte die Treppe, die man zur Kneipe hinaufsteigen musste, eine meiner wenigen sportlichen Betätigungen übrigens. In der Kneipe war alles wie immer, umgeworfene Stühle, pöbelnde Besoffene, der Barkeeper brüllte... Mir ging Goethe durch den Kopf: „Hier bin ich Mensch, hier darf ich´s sein.“ Jawoll, genauso verhielt es sich. Ich setzte mich auf einen der freien Hocker vor dem Tresen und wollte mich gerade dem Barkeeper zuwenden, als mir ein Mann in der Ecke besonders auffiel. Er besaß ein braun gebranntes Gesicht, geradezu südländisch anmutende Züge. Er schien gar nicht in die Szenerie der Kneipe hineinzupassen, man konnte meinen, ein Vakuum schirmte ihn von der Außenwelt ab. Er regte sich nicht ein einziges Mal. Merkwürdiger Vogel, dachte ich nur. Dann sprach mich der Barkeeper an.
„Was darf´s sein?“ Als ich mich umdrehte, erkannte er mein Gesicht.
„Ach, du bist es, Carl. Lange nicht mehr hier gewesen.“
„Ja, Can, freue mich auch wieder hier zu sein.“
„Was waren denn die Gründe für deine Abwesenheit? Wir haben uns alle schon Sorgen gemacht, ich musste Ronny jeden Tag zwei Bier ausgeben, damit er überhaupt ansprechbar war. Bist du etwa Anti-Alkoholiker geworden?“
„Wenn es so wäre, würde ich wohl kaum hierher kommen, oder?“
Der Barkeeper dachte einen Moment nach, er war nicht immer der Hellste bei logischen Aussagen. „Nunja, du kannst natürlich auch warme Milch haben, obwohl, nein, warte. Die hat ja schon Oma Brunhilde vor 15 Minuten ausgetrunken.“
Manchmal war Can nicht zu helfen. „Ok, in aller Deutlichkeit. Ich bin hier, um alkoholische Getränke zu mir zu nehmen.“
Das Gesicht des Barkeepers hellte sich auf. „Oh, sehr schön, kennst mich ja, Carl, manchmal überforderst du mein Gehirn. Hast du etwa eine neue Vaterschaftsklage am Hals?“
„Eine?“, erwiderte ich zynisch. „Ach, weißt du, die sind mir mittlerweile völlig egal, ich bin mittlerweile sozusagen Profi im Verwalten von Anklagen.“ Ich überlegte kurz und beschloss dann die Karten offen auf den Tisch zu legen. „Es ist so, Can, ich habe einen Auftrag.“
Es war nicht genau zu bestimmen, was im Gesicht des Barkeepers überwog, der Spott oder die Überraschung. Ich kann mich nur erinnern, dass er in Sekundenbruchteilen anfing zu lachen. „Hört her, hört her, unser Meisterdetektiv Carl hat einen Auftrag!“
Die Menge drehte sich kurz zu mir und brach ebenfalls in schallendes Gelächter aus. Ich hätte mich am liebsten vor Scham im Boden verkrochen. Genauso schnell, wie das Lachen gekommen war, war es verschwunden. Der Barkeeper hatte sich ebenfalls wieder beruhigt.
„Nein, im Ernst, Carl, finde ich große Klasse. Wie viel hast du denn dem Auftraggeber an Schwarzgeld gegeben?“, feixte er nochmal, wurde dann aber ernst. „Hier, ein Glas von meinem besten Bier, geht auf´s Haus.“ Er zwinkerte mir zu und ging dann zu einem anderen Kunden. Egal, was man sich von Can erzählte, egal, wie rau er manchmal war, eines war er mit Sicherheit: ein herzensguter und geselliger Mensch, dem viel am Wohle seiner Freunde lag. Ich war ihm so dankbar, dass ich kein Wort hervorbrachte. Das war aber auch gar nicht nötig, denn Can und ich waren uns auch ohne viele Worte bewusst, wie viel wir einander bedeuteten. Ein Leben ohne Can wäre wie eine Suppe ohne Salz, um es mal philosophisch auszudrücken. Ich sog die verräucherte Luft in mich ein, beobachtete, wie ein Chinese in der Nase popelte und spürte, dass ich nirgends lieber gewesen wäre als hier. Aber Can blieb nicht mein einziger Gesprächspartner. Ronny umarmte mich stürmisch, als er mich entdeckt hatte.
„Carl, du bist es wirklich! Ich kann es nicht glauben. Ich habe dich so vermisst, das Saufen war ohne dich so langweilig.“
„Hey Ronny, Mensch, du siehst ja noch schlimmer aus als ich. Kann ich auch kaum glauben. Schön dich wieder zu sehen.“
„Wo hast du bloß gesteckt? 4 Wochen Abwesenheit, sag mal, hast du eine neue Frau zuhause?“
„Ich wünschte, es wäre so. Aber ich habe etwas am Hals, was man viel schwieriger wieder los wird.“
„Hmm, lass mich raten, eine Klage?“
„Ganz falsch, das wäre auch leicht zu ertragen. Nein, ich habe einen Auftrag.“
Ronny war jedoch nicht so überrascht von der Nachricht wie der Barkeeper. „Na dann herzlichen Glückwunsch, wurde ja auch mal wieder Zeit dafür. Worum geht es denn?“ Jetzt erst fiel mir auf, dass der Barkeeper gar nicht gefragt hatte, was genau ich für den Fremden erledigen sollte. Das lag wahrscheinlich aber auch in seiner Natur begründet, der Barkeeper hatte gelernt sich nicht zu sehr in die Angelegenheiten anderer einzumischen, während Ronny gar nicht genug über solche Dinge erfahren konnte.
„Na komm schon, Carl, spann mich nicht so auf die Folter!“
„Nunja, wie soll ich dir das erklären? Es geht prinzipiell darum einen Mann zu finden und diesem die letzte Ehre zu erweisen.“
„Hä? Sollst du einen toten Mann finden und vor dessen Grab niederknien?“
Jetzt musste ich lachen. Worauf dieser Ronny im Suff alles kam, war schon sensationell.
„Nein, Ronny. Ich soll einen lebenden Mann finden und ihn töten.“
Ronny war schockiert. „Oh mein Gott, Carl, das kannst du doch nicht machen! Tue es nicht, ich bitte dich als Freund.“ Ronny arbeitete ehrenamtlich für die UNO und war sogar gegen das Töten von Hühnern für Geflügelprodukte. Gegen das Töten von Menschen hatte er dementsprechend noch mehr.
„Sorry, ich habe keine andere Wahl. Er hat mir 900 Dollar dafür versprochen, 100 Dollar gab es schon als Vorschuss.“
„900 Dollar, so viel ist dir also ein Menschenleben wert? Ich bin schwer enttäuscht von dir, Carl.“
So ein Mist, mein bester Freund war sauer auf mich, das fing ja gut an mit dem Auftrag.
„Hör mal, Ronny, bitte überlasse es mir, ob ich die Sache durchziehe oder nicht, ok?“ Ronny nickte, aber ich spürte, dass ich in seiner Achtung gesunken war. Das traf mich tief. „Nun gut, Ronny, ich komme wieder, wenn du dich beruhigt hast. Ich spreche mal mit dem Typen in der Ecke.“
„Dem Spanier? Na dann Waidmannsheil, aus dem hat noch keiner ein Wort herausbekommen. Ich glaube, er würde noch nicht mal etwas sagen, wenn du ihm ein Glas an den Kopf schmeißt.“ Daraufhin ging Ronny, sichtlich schwermütig, aus der Kneipe.
Ronny hatte Recht. Ich konnte versuchen, was ich wollte, der Ausländer rührte sich überhaupt nicht. Was sollte das? War er ein Alien, der sich zu einem Menschen transformiert hatte und nun Informationen über die Menschheit sammelte? Was auch immer, ich ging nochmal zum Barkeeper.
„Ronny ist sauer auf mich, weißt du, wie ich ihn wieder aufheitern könnte?“
„Ach, lass ihn, Carl, er ist derzeit in einer sehr depressiven Stimmung. So ziemlich alles bringt ihn aus der Fassung.“
„Na gut, wie du meinst. Und weißt du, was es mit dem Spanier auf sich hat?“
„Dem in der Ecke? Ich weiß auch nicht viel über ihn, außer, dass er hierher immigriert ist und mal dem spanischen Heer angehörte. Ein sehr schweigsamer Typ, ich würde seine Nähe meiden.“
Ich trank schnell noch das spendierte Bier aus (lecker!) und bedankte mich beim Barkeeper für seine guten Ratschläge.
Auf dem Nachhauseweg stellte ich mich unter eine Laterne, um Licht zu haben. Ich machte mir ein paar Notizen, die wie folgt aussahen:
- schweigsamer Spanier: spanisches Heer, immigriert
- mit Ronny aussprechen
- dem Barkeeper eine Freude für Bier bereiten.
Zugegeben, nicht gerade die nützlichsten Notizen, aber immerhin etwas. Während ich zu Bett ging und den Tag Revue passieren ließ, hörte ich das Schnarchen von Oma Brunhilde im oberen Stockwerk. Ich versuchte mich auf etwas Anderes zu konzentrieren und schlief dann irgendwann um Mitternacht ein.
4. Die Natur ruft
Während ich am nächsten Morgen meine Notizzettel durchblätterte, fiel mir auf, dass ich außer diesen 3 Notizen vom Vortag noch gar nichts aufgeschrieben hatte. Es war
zum Verzweifeln, ich hatte keine Anhaltspunkte, keine Motivation, keine Ideen. Wer denkt sich auch solche Aufträge aus? Sicherlich, der Spanier in der Ecke könnte auch der Mann sein, den ich töten sollte, aber das fand ich ein wenig vorschnell. Ich wusste ja noch nicht mal, wo dieser Mann eigentlich lebte. Er konnte überall sein. Meine Güte, was hatte ich mir mit diesem Fall nur wieder eingebrockt? Der Fremde hatte mir gesagt, dass dieser Auftrag total aufregend wäre oder zumindest wahnwitzig, und was musste ich nun feststellen? Nichts von alledem war eingetreten, ich saß hier vor meiner Tasse Kaffee und rührte lustlos im heißen Gebräu. Wie viel Geld für diese Kaffeepackung wohl drauf gegangen ist, dachte ich trübselig. Ich verspürte keine große Lust hier untätig in der Wohnung zu bleiben und ließ einen Entschluss in mir reifen: morgen würde ich einen Ausflug in die Natur machen. Natürlich war das nicht ganz ungefährlich, es ging das Gerücht, dass um diese Jahreszeit die Zahl der Rotrüsselameisen drastisch zugenommen hatte. Für den gewieften Leser stellt sich natürlich nun die Frage: was zum Teufel sind Rotrüsselameisen? Nun, kleine Tierkunde. Wie man aus dem Namen entnehmen kann, ist besonders charakteristisch für diese Ameisenart, dass sie einen Rüssel haben und der nicht irgendwie aussieht, sondern rot gefärbt ist. Das würde ja nicht großartig stören, der große negative Punkt ist, dass ihr Chitin hochgradig giftig ist. Vermutlich sind sie auch eine Mutation aus dem Atombombencrash und aus der roten Waldameise entstanden. Biologie war schon immer mein Lieblingsfach, das einzige, wo ich besser als 3 stand. Ups, verraten... Achja, falls ihr euch noch fragt: Hui, wie macht der das dann mit der Rechtschreibung? Dazu kann ich nur eine Gegenfrage stellen: Wozu hat man einen Freund namens Ronny? So, nun zurück zu meinen Ausflugsplänen...
Ich schmierte mir zwei super leckere Brote, Putenbrustfilet mit Ketchup und dazu flankiert von zwei Käsescheiben. Außerdem verbrauchte ich noch meine letzte Halbfettmargarine (*seufz*), um das ganze, leckere Gebäck abzurunden. Kurze Pause, damit ihr zum Kühlschrank gehen könnt, wenn ihr es selbst ausprobieren wollt... Ok, dann kann es weiter gehen. Diese beiden Brote packte ich also in meine grüne Brotbüchse, nahm noch zwei Apfelschorlen, das war das billigste, was gleichzeitig auch noch gut schmeckte, und das alles ging dann in meinen Rucksack. Bevor ich endgültig fertig war, musste natürlich mein Stock auch noch mit auf die Reise, ein Erbe meines alten Opas. Mensch, morgen konnte ja nur ein super Tag werden, wenn ich Stück für Stück das schwer verdiente Geld in Form der Brote verzehrte. Ich schaute auf meinen Terminkalender: nein, heute stand nichts weiter an, der Termin bei der Samenspendenagentur war erst in 13 Tagen und der beim Friseur erst in einer Woche. Bei dem musste ich mich extra anmelden, damit er vorher sich eine Klammer auf die Nase setzen konnte und Zeit hatte, um Desinfektionsmittel zu kaufen. Ich fand diese Aktionen zwar übertrieben, aber ich sage es mal so: wer kann es ihm verübeln? Jetzt war ich zufrieden mit mir und konnte den Tag besinnlich gestalten. Ich hörte ein wenig Heavy Metal, kaufte Katzenfutter für meinen fast nur schlafenden Kater und sah zum Abschluss des Tages fern. Man kann diesen Tag auch als langweilig bezeichnen, für mich war es ganz gewöhnlichter Alltag. Nachdem ich genug gesehen hatte von Dieter Bohlen und Co., ging ich zu Bett. Kurz bevor ich das Licht ausschalten wollte, hörte ich ein krächzendes Geräusch und so beschloss ich besser das Fenster zuzumachen, obwohl ich natürlich auch meinen Kater beim Revierkampf hätte unterstützen können. Aber letztes Mal hatte ein krächzendes Geräusch den Fremden herbei beschworen und ich wollte meine Ruhe.
Der nächste Morgen begann für mich mit einem ausgesprochen großen Gähnen, denn diesmal hatte ich mir den Wecker gestellt, um auch pünktlich aufbrechen zu können. Schließlich wollte ich schauen, ob der Tau noch liegt, ich hatte eine gewisse Schwäche für solche Naturphänomene. Ich zog schnell meine Stiefel ein, sattelte den Rucksack auf meine Schultern und wollte gerade losgehen, als mir einfiel, dass ich den Kater ja nochmal schnell verabschieden könnte. Irgendwie war mir der kleine Racker ans Herz gewachsen, aber jetzt entdeckte ich ihn nicht. Hm, wahrscheinlich noch erschöpft von seinem nächtlichen Duell, dachte ich mir. Es war das einzige Lebewesen, wofür ich Verantwortung verspürte und auch eine Form von Liebe. Nun musste ich aber los, es war schon 9.00 Uhr. Etwas geknickt machte ich mich auf den Weg, in meiner Schusseligkeit übersah ich eine rote Ampel und wäre beinahe von einem roten Cabriolet niedergewalzt worden. Die Frau stieg verstört aus dem Wagen, aber ich beruhigte sie schnell. Nebenbei fiel mir ein, dass ich ja mal meinen Stock aus dem Rucksack packen könnte, vielleicht machte das Eindruck...
„Ist Ihnen auch nichts passiert? Sind Sie nicht verletzt?“
„Machen Sie sich um mich keine Sorgen, ich komme zurecht. Es war ja meine Schuld. Und von einem Cabriolet tot gefahren zu werden, nun, das ist sicher eine bessere Art zu sterben“, meinte ich gut gelaunt.
Die Frau schaute mich ungläubig an. „Sie sind ja verrückt, es ist nicht schön zu sterben, egal wie.“
Hui, meine Aussage hatte ihre Gemüter erregt... „War neulich ein Todesfall in Ihrer Familie, wenn ich fragen darf?“
„Ja, ich komme gerade von der Beerdigung meines Opas. Er starb an Krebs.“
Die Frau holte ein Taschentuch aus ihrer rosa Tasche. Sie besaß sehr autoritäre, aber auch feine Züge. Besonders ihr langes, rotes Haar stach mir sofort ins Auge. Sie gefiel mir, da sie nicht auf den Boden gefallen war.
„Das tut mir Leid, ich kann da leider kaum helfen, weil ich nur wenig Erfahrung in solchen Sachen habe“, antwortete ich stotternd.
„Wie süß, nein, Sie brauchen mir nicht helfen, ich komme auch zurecht.“ Sie lächelte mich an und erst dann fiel es mir ein. Hey, sie hatte meine Aussage von vorhin verwendet, na, wenn das nichts Gutes bedeutete...
„Nun, wir können hier nicht ewig den öffentlichen Verkehr behindern, was halten Sie davon, wenn wir uns mal auf einen Cafe treffen?“, fragte ich erwartungsvoll.
„Gerne, wie wäre es am jetzigen Wochenende?“ Sie schaute in ihren Terminkalender. „Samstag um 17 Uhr im Alten Cafe an der Straße?“
„Ich werde da sein!“ Gerade wollte ich ein Liedchen trällern, da fragte sie mich noch eins:
„Wollen Sie wandern gehen? Schöner Stock übrigens.“
„Danke sehr, ist ein Erbstück. Ja, ich wollte noch wandern, ich muss mal ein wenig entspannen, habe viel am Hals.“
„Oh, das verstehe ich. Na dann, viel Spaß und bis dann!“ Sie winkte mir noch einmal zu und fuhr dann weiter.
Ich weiß nicht, aber Amors Pfeil musste mich getroffen haben, so sehnsüchtig erwartete ich den Samstag. Mit ihr war Small Talk so einfach. Noch froher gelaunt als zuvor ging ich weiter. Nach einer halben Stunde des enthusiastischen Spazierensgehens erreichte ich das Schild mit der Aufschrift „Vorsicht! Für Unfälle mit Tieren übernehmen wir keine Verantwortung!“ Darunter stand in Kleinbuchstaben „Kreis Wernigerode“. Aha, dachte ich und ging in den gar düsteren Wald. Es hätte ein geruhsamer Spaziergang werden können, aber diese Rotrüsselameisen bekam ich nicht aus meinem Kopf. Wie würde ich reagieren, wenn eine auf mich zukäme? Ok, in den Heldenkampf stürzen schied von vornherein aus, ich hatte keine Pestizide dabei und wenn Ronny erfahren würde, dass ich ein Insekt getötet und dabei gleichzeitig der Natur geschadet habe, würde er nie mehr ein Wort mit mir reden. Na gut, außer vielleicht im Suff, um mich nach einem Euro zu fragen. Ich versuchte so viel wie möglich zu entspannen, mich locker zu machen. Ich versuchte mich auf die Umgebung zu konzentrieren, auf die Gegebenheiten der Natur. Man musste hier gewaltig aufpassen, denn diese vielen Sträucher und Äste waren nicht ganz ungefährlich. Ich schaute auf die Karte, die an einer Weggabelung lag. Ich musste so ziemlich in der Mitte des Waldes sein, hatte aber schon in meiner Kindheit immer wieder Orientierungsprobleme gehabt, so z.B. als ich fünf Jahre alt war und mich meine Mutter vom Bäcker abholen musste, weil ich nicht wusste, ob ich den rechten oder linken Weg gehen soll. Meine Mutter meinte darauf, ich hätte eine unvoreingenommene politische Sichtweise. Jaja, den Zynismus habe ich von meiner Mutter geerbt. Auch fiel mir das Schild ein. Im nächsten Busch konnte also ein Fuchs sein und mich zerfleischen ohne dass es jemanden interessiert? Da hatte ich ja nichts zu befürchten, Tiere nahmen von meinem Gestank Abstand. Ich erreichte eine kleine Raststelle, auf der ich meine zwei super leckeren Brote essen wollte. Und was entdeckte ich? Nein, das durfte nicht sein. Sie waren doch unter der Apfelschorle! Verschwunden waren sie, kein Lebenszeichen war von ihnen auszumachen. Was ist das bloß für eine Welt, in der selbst dem ärmsten Detektiv sein Brot weggenommen wird? Daran hat auch der Atomcrash nichts geändert. Wenn ich den in die Finger kriege, der mir das Brot gestohlen hat! Der kann was erleben. Mein Magen meldete sich ebenfalls mit einem ausschweifenden Knurren zu Wort. Ja, Magen, du verstehst mein Seelenleid. Oder hatte ich doch vergessen sie einzupacken? Nein, das konnte nicht sein, mein Vater war in Preußen geboren, dementsprechend hatte ich den Ordnungssinn von ihm gelernt. Wenn ich es doch vergessen haben sollte...oh mein Gott, darüber durfte ich gar nicht nachdenken! Vor Wut zertrampelte ich die Spinne, die aus irgendeinem der Büsche hervorgekrochen war. Ich entschuldigte mich bei ihr, indem ich ihr eine letzte kleine Ruhestätte mit meinen Händen schaufelte. Das war nebenbei auch eine ganz angenehme Art mir die Zeit zu vertreiben. Ich sagte am Ende meiner kleinen Predigt noch „Ich folge dir, kleine Spinne, ob in die Hölle oder in den Himmel, wird sich herausstellen.
Amen!“ Dann kauerte ich mich deprimiert auf dem harten Stein, auf dem ich saß. Ich hatte eine Spinne umgebracht und mein Brot war verschwunden. Derzeit läuft aber auch alles falsch, da war der Status Quo noch tausendmal besser! Erst jetzt merkte ich, dass ich nicht der einzige war, der schlechte Stimmung hatte...
5. Wie ich dem Kobold begegnete
Was sah ich da an meinem Bein hängen? Ja genau, eines dieser kleinen nervigen Ding...äh, Lebewesen, genannt Kobold. Vor Angst hatte es meine Hose halb aufgerissen, was ich ihm äußerst übel nahm, wie sollte ich die Reparatur bezahlen? Achja, ich hatte ja bald meinen Termin bei der Samenspendenagentur, vielleicht kann ich davon etwas für die Reparatur zurücklegen. Meine Gedankengänge schienen Höhenflüge zu machen, ich hatte ja noch 20 Cent (seit der Euro-Einführung 1999 offizielle Währung...achja, das ist ja bei euch auch so, sorry!) in der Tasche. Die sollten eigentlich für einen Gina Wild Porno draufgehen...ach, Schwamm drüber, ich hatte zu Hause eine genügend große Auswahl. Zudem konnten mir solche Frauen nicht widerstehen, da war das Geld völlig egal. Trotzdem bekam ich keine ab, was, wie gesagt, an meiner hygienischen Pflege liegt. Wenn ihr da einen Widerspruch entdeckt habt, muss ich euch enttäuschen, lest das nochmal ganz in Ruhe! Aber nun, in diesem einen Augenblick, hing ein Kobold winselnd an meiner Hose, Hilfe suchend. Das musste mein Herz milde gestimmt haben. Ich kniete zu ihm hin und versuchte ihn zu streicheln. Doch dann biss der Gnom mir in den rechten Zeigefinger. Verdammt, am liebsten hätte ich dem kleinen Rabauken ordentlich die Leviten gelesen, aber diesmal überkam mich ein wenig Mitleid...Mitleid mit mir! Ein Riesentroll stand hinter mir, ohne dass ich es gemerkt hatte. Erst war das Brot weg, jetzt musste ich mit einem ausgewachsenen Bergtroll zurecht kommen. Der Tag konnte gar nicht schlimmer werden. Meine Zauberkräfte hatten sich verflüchtigt, seit ich aus dem Kleinkindalter heraus war, und Superman machte wahrscheinlich gerade Urlaub...was konnte mich jetzt noch retten? Ganz einfach, ein noch größerer Troll! Der tauchte plötzlich hinter dem Riesen auf und schlug den mit einem satten Volltreffer zu Boden. Natürlich ließ ich mir diese Gelegenheit nicht entgehen und versteckte mich im Busch. Die Dornen rissen meine Hose endgültig auseinander, aber das war mir so etwas von egal, es ging ums nackte nicht platt getreten werden! Da kam schon wieder Oma Brunhilde vorbei, entdeckte mich unglücklicherweise im Busch und sie fragte mich, ob ich zum Fasching gehen würde. Ich schüttelte nur entnervt den Kopf. Auf einmal ging der Troll ganz seelenruhig auf sie los. Sollte ich mich dem Kampf stellen? Nein, dazu war ich dann doch ein zu großer Feigling. Aber was war das? Der Troll schien Oma Brunhilde zuzulächeln, obwohl mir das eher nach einer unkoordinierten Mundbewegung aussah. Oma Brunhilde winkte ihm zu. „Na du kleiner, lieber, willst du mich begleiten?“ Tatsächlich, das tat er dann auch. Mal gut, dass Oma Brunhilde ihre Brille nicht auf hatte, dann hätte sie sich vielleicht anders entschieden. Ich grinste in mich hinein, wie die Nachbarn wohl reagieren würden, wenn sie sie mit einem Troll sehen würden. Aber dennoch, sie hatte mein Leben gerettet. Dafür werde ich mich revanchieren, wie auch immer das geschieht, beschloss ich. Trolle hatten wie gesagt eine Schwäche für alte Omas und so begleitete der Riesenklotz sie auf ihren alltäglichen einödischen Spaziergang. Dann fiel mir ein, was ich schon die ganze Zeit im Hinterkopf hatte, dieser Atomcrash hat wirklich alles verändert, Trolle sind auch nicht mehr das, was sie waren. Obwohl, Moment, wir kannten sie doch vorher gar nicht? Aber wie waren dann diese ganzen Comics entstanden? Eine beängstigende Gewissheit machte sich in mir breit, wie wenig Ahnung ich doch hatte. Langsam kam ich aus meinem Busch hervor und setzte mich zitternd auf einen Baumstamm. Doch den Kobold wurde ich nicht los. Das war mir aber auch in diesem Moment ziemlich egal, mein Leben war gerettet! Als der Riesentroll mit Oma Brunhilde gegangen war, besah ich mir den anderen näher und ging auf Sicherheitsabstand zu ihm. Der roch noch schlimmer als ich, könnt ihr euch das vorstellen? Und wow, eine solche Beule hatte ich in meinem ganzen Leben noch nicht gesehen, sie war größer als mein ganzes Gesicht! Und erst seine Zähne...an ihnen hingen Algen! Er schien aus dem Sumpf gekommen zu sein, sogenannte Sumpftrolle, die zweithäufigste Art nach den Bergtrollen... Sumpftrolle und Bergtrolle waren verfeindet, somit schien der zweite Troll ein Bergtroll zu sein. Irgendwie haben auch Bandenkriege ihren Vorteil, dachte ich listig. Jetzt merkte ich erst die riesenhaften Abdrücke auf dem Boden, Trollfußstapfen. Eine große Furcht stieg in mir auf, hey, die Ameise dort hätte ich sein können...
Es war eine der gefürchteten Rotrüsselameisen. Das Gerücht von ihrer Vermehrung stimmte also und ich war nun noch vorsichtiger als schon zuvor. Jetzt bekam ich einen kleinen Schreck, wo war der Kobold eigentlich gewesen, als ich mich im Gebüsch versteckt hatte? Ich hatte auch mal gehört, dass Kobolde Formenwandler sind! Sie konnten sich also auch als Oma Brunhilde ausgeben. Oh Schreck, war das vorhin nicht Oma Brunhilde? Dann fiel mir ein, dass Kobolde nicht ordentlich artikulieren können und nur Piep-Geräusche von sich geben. Was war ich beruhigt! Was mir auch noch auffiel: Oma Brunhilde trägt immer eine weiße Schürze mit blauen Punkten, doch diesmal hatte sie eine weiße Jogginghose mit roten Streifen. Sehr merkwürdig! Mehr Gedanken machte ich mir nicht, auch alte Omas können sich ändern. Ich werde sie mal nachher darauf einsprechen, beschloss ich. Vielleicht wollte sie auch einfach trendy aussehen, obwohl ich sie mit ihrer Schürze in besserer Erinnerung hatte. Da konnte ich sie wenigstens von meinen Ex-Geliebten unterscheiden... Wie ich mir so eine Verbindung zwischen Rotrüsselameise, Kobold und Oma Brunhilde zusammenschmiedete, fiel mir gar nicht auf, dass der Kobold auf den Baum geklettert war. Von dort aus bewarf mich der kleine Wicht feige mit ein paar gepflückten Äpfeln. Na warte, das kriegst du zurück, dachte ich kriegslüstern. An irgendwen musste ich nun meine Aggressionen loswerden und Kobolde standen nicht unter Artenschutz, beruhigte ich mich in Gedanken an Ronny. Es begann eine wilde Verfolgungsjagd, in der der Gewinner schon vorher feststand: richtig, der Kobold. Nun, ich nutzte ein ganz einfaches Prinzip der Natur, schließlich mussten auch Kobolde mal schlafen. Ich wartete auf den Einbruch der Nacht, dann schlug ich zu. Mit zwei satten Sprüngen war ich beim Kobold und packte ihn mir am Kragen. Kaum hatte er gemerkt, was los war, da schrie er auch schon wie am Spieß. Als perfekter Organisator ließ mich das allerdings kalt, notdürftig hatte ich mir aus gefundenen Seilresten ein Netz geflickt, in das ich den winzigen Unhold einsperrte. Haha, jetzt triumphierte ich! In meinem Gehirn arbeitete es: wo sollte ich denn nun schlafen? Ich beschloss nach einigen Überlegungen, eine sinnloser als die andere, mir eine Art Baumhaus einzurichten. Natürlich nur für begrenzte Zeit, bis ich den Kobold wieder los war und wusste, wie ich wieder nach Hause komme. Es war selbstverständlich nicht gerade einfach in völliger Dunkelheit ein Nachtlager zu errichten, zumal mit einem nervigen Kobold, der mich höhnisch auszulachen schien oder was auch immer diese Bewegung in seinem Gesicht ausdrücken sollte. Als er meine Nerven zum Tausendsten Mal überspannt hatte, müde und überarbeitet wie ich war, begann es auch noch zu regnen und mein Bauwerk drohte regelrecht zu verfließen. Jetzt reichte es mir! Gerade wollte ich mir diese Ausgeburt der Hölle greifen, da schrie er auf einmal etwas, das sich in etwa so anhörte wie „Nein, tue es nicht“. Ich blieb hart. Dieser Aussage folgte nun überdeutlich: „Ich mache dich reicher als alle Menschen auf dieser Welt!“ Er hatte meinen einzigen Mitleidsnerv tief getroffen. Was war nun besser, Autorität oder Reichtum? Ach, was soll´s, ich hatte schon immer moralische Bedenken gegen die Todesstrafe und fing an mit dem Kobold zu verhandeln...
„Sag mal, wie hast du denn das Sprechen gelernt? Ich denke, Kobolde können nur Piep-Geräusche?“
Ängstlich, aber stolz blickte mich das kleine Wesen an: „Dazu kann ich nur sagen: reines Vorurteil! Ihr hört uns nur nie zu, das ist alles.“ Ganz schön temperamentvoller Zwerg, äh, Gnom, schmunzelte ich.
„Ah, gut, ist ja auch nicht so wichtig, Herr...?“
„Gottfried ist mein menschlicher Name. Meinen Namen auf koboldisch verrate ich nicht.“
„Habe ich kein Problem mit, es geht mir ja auch vorwiegend um dein Angebot“, antwortete ich begierig.
„Noch nie was von der Sage der reichen Kobolde gehört? Das ist alles wahr, auch wenn wir keinen dämlichen Regenbogen brauchen.“
„Was? Ach tu meine Güte, los, erzähl mir von dir und deinem Volk, dann verschone ich dich vielleicht.“
„Das wirst du...“ Ich setzte meine grimmigste Miene auf. „Ist ja schon gut, mach´s dir bequem.“ Einen leichten Akzent hörte man raus, er schien die Sprache gelernt zu haben. Dumm oder faul war er also nicht, ich musste vorsichtig sein.
Er begann tief Luft zu holen und fing an zu sprechen: „Die Geschichte der Kobolde ist eine Geschichte voller Missverständnisse. Und wenn wir auf etwas stolz sind, dann ist es die Tatsache, dass es uns schon vor dem Atomcrash gab.“
Ich runzelte die Stirn: „Atomcrash? Woher wisst ihr davon?“
„Auch wir haben Ohren zum Hören, Mensch. Glaubst du wirklich, all diese Geschichten über Kobolde wären reine Einbildung?“
„Nein, ich habe ja einen vor mir. Aber was mich schon die ganze Zeit frage: Kobolde sind doch Formenwandler, du könntest dich doch einfach als Fliege ausgeben und fliehen!“
„Um dann vom nächstbesten Frosch aufgegessen zu werden? Oder von einem anderen Troll verfolgt zu werden?“
Er schaute in die Richtung des k.o.-geschlagenen Trolls. Man konnte seine Angst förmlich spüren. „Nein, da bleibe ich lieber hier und erzähle dir die Geschichte der Kobolde, das ist nicht so risikoreich.“ Eine Bitte fügte er noch hinzu: „Unterbrich mich diesmal nicht, ansonsten werde ich nie fertig.“ Ich nickte mit dem Kopf. Der Regen wurde immer schlimmer, aber noch hielt mein kleines Gebilde tapfer stand.
„Kobolde sind sehr stolze und reiche Wesen, musst du wissen. Sie sind sehr fleißig und listig, wenn sie es wirklich wollen. Ein guter Rat von mir: mach Kobolde nicht zu deinen Feinden, wir wissen uns zu wehren.“ Er grinste über das ganze Gesicht: „Oh ja, bitter mussten sie leiden, die uns verspotteten und uns nicht ernst nahmen.“ Etwas mulmig wurde mir schon, zumal der plötzlich neben dem Baum einschlagende Blitz den Effekt noch verstärkte. Ich musste hoffentlich keine Rachegelüste über mich ergehen lassen. Da ich versprochen hatte ihn nicht zu unterbrechen, notierte ich mir ein paar Fragen auf meine Notizzettel, wo zugegeben nicht sehr viel stand, noch nicht.
6. Der Kobold und meine Wenigkeit
Während ich meinen Notizblock beiseite legte, merkte ich erst, wie sehr meine Hände zitterten. Gut, das konnte auch an der unbeschreiblichen Kälte liegen, aber diesmal war es doch mehr etwas Anderes. Der Kobold machte auf mich einen gewaltigen Eindruck, besonders, wenn er mit seinen Händen fuchtelte oder wie ein Besessener aufschrie. Da konnte er einem richtig Angst machen! Ich musste mich ablenken, wenn ich Schwäche zeigte, würde er sofort machen, was er wollte. Und wenn er floh, hatte ich ein großes Problem: man stelle sich vor eine ganze Horde Kobolde würde über mich herfallen. Oh mein Gott, einer war ja schon schwer zu ertragen, eine ganze Horde musste ja unmenschliche Mühen abverlangen. Was sollte ich auch als Verteidigungsmittel einsetzen? Pestizide waren verboten worden und eine Schrotflinte hätte ich mein Leben lang mit hoher Zinsrate zurückzahlen müssen. Nein, ich musste stark bleiben und den Kobold bei Laune halten. Ich hatte auch schon einen Plan...
„Hey, Kobold, hörst du dahinten das Gewitter?“
„Natürlich, Mensch, ich bin doch nicht taub!“
„Gut, aber nenne mich bitte Carl...“
„Ich nenne dich, wie ich will.“ Ich musste mich gewaltig beherrschen, doch die Rachegene der Kobolde mahnten mich einzuhalten.
„Weißt du, ich habe gehört, wenn Gewitter ist, kommen Trolle besonders gern in den Wald und zertrampeln alles, was ihnen in den Weg kommt...“
„Ach was, das sagst du doch nur so.“ Der Kobold wurde schon ängstlicher, mein Plan schien aufzugehen.
„Nunja, das dürfte dich noch nicht weiter stören, aber dabei haben sie es besonders auf Kobolde und andere kleine Lebewesen abgesehen. Bei meinem Spaziergang habe ich auch einen toten Kobold gefunden, kein schöner Anblick, wie er da platt getreten lag.“ Ich log wie gedruckt, denn eigentlich hatte ich eine Spinne gesehen und tot getreten, aber irgendetwas musste ich mir einfallen lassen.
„Wirklich, Mensch? Hast du irgendwelche Beweise?“
So ein Mist, was sollte ich bloß antworten. Ich wollte keine Utensilien für das Koboldgericht fälschen? Mir lag nichts daran einen verwesenden Kobold in der Tasche zu haben? Schließlich hatte ich eine Idee... „Willst du wirklich deinen toten Kameraden sehen? Ich meine, ist es nicht besser ihn tot zu wissen als ihn tot zu sehen?“
„Du hättest auch seinen Hut mitnehmen können!“ Der Kleine war gerissen, aber ich hatte schon viele unheimliche Begegnungen der dritten Art, soll heißen, ich war noch gerissener.
„Er hatte ja gar keinen, der Wind nahm den Hut fort, bevor ich ihm ihn abnehmen konnte. Und seine Hosen wollte ich nicht abnehmen, das gebietet mein Schamgefühl.“
„Ok, ok, ich glaube dir. Ich hatte eh nicht vor abzuhauen.“ Das sagen sie alle, dachte ich nur düster.
Immerhin, eine Schlacht war gewonnen, ich brauchte mir vorerst keine Sorgen machen. Zur absoluten Sicherheit verpflichteten sich der Kobold und ich einen Vertrag zu unterschreiben, der in etwa wie folgt lautete:
„Hiermit erklären die beiden Parteien, Gottfried, der Kobold, und Carl, der Detektiv, so lange unter einem Dach zu wohnen, bis beide zustimmen wieder getrennte Wege zu gehen. Dieser Vertrag ist vom Tag der Unterzeichnung gültig.“ Nun gut, Dach konnte man das wirklich nicht nennen, aber ein wenig Form sollte der Vertrag schon haben. Der Kobold unterzeichnete mit seinem Stift, der merkwürdigerweise völlig trocken war, in seiner Mini-Unterschrift, die ich gar nicht erkennen konnte, und ich mit meinem völlig durchnässten Stift, schön fett und deutlich. Puh, was für eine schwere Geburt zum Anfang!
„Nun, Gottfried, ich denke, es wäre jetzt erstmal besser, wenn wir uns ein bisschen hinlegen würden, der Tag war für uns beide sicher anstrengend...“
„Wie du meinst, Mensch, Aber diesmal bringt mir meine kleinere Größe einen eindeutigen Vorteil: ich brauche mich nur unter ein paar Blättern zudecken und schon werde ich nicht nass.“ Verdammt, er hatte Recht. Sich jetzt groß darüber aufzuregen, erschien mir aber auch nicht besonders sinnvoll, ein Schrumpfomat war noch in der Entwicklung und außerdem hatte ich keine Kraft mehr mich mit dem Kobold anzulegen. Deshalb beließ ich es bei einem unterwürfigen Nicken und schlief ein. Der nächste Morgen begann ruhig, doch nachdem nun endlich die Fronten in der Wohnungsfrage geklärt waren, kam das zweitwichtigste Thema dran: wie sollten wir Essen beschaffen in diesem gefährlichen Wald? An einigen lichten Stellen wuchsen Sträucher, aber sich die ganze Zeit von irgendwelchen Beeren zu ernähren, schien mir auch nicht ganz das Wahre. Es war wohl doch besser jemanden zu fragen, der mehr Ahnung davon hatte, wie man in der Natur überlebte...
„Hey, Gottfried, sage mal, was esst ihr Kobolde eigentlich so? Ich meine, vielleicht ist das ja auch für mich genießbar.“
„Ah, hat der Mensch Hunger? Nun, wir ernähren uns hauptsächlich von kleinen Fleischstückchen“, er grinste genüsslich, „natürlich roh, und von ein paar Beeren. Zu Festtagen gibt es besondere Speisen, deren Rezepte sind aber absolut geheim. Ich weiß selbst nicht, was da drin ist.“
„Schmeckt das wenigstens?“ Also ich würde mich nicht gerade wohl fühlen, wenn ich etwas zu mir nähme, wo ich nicht mal weiß, aus was das überhaupt besteht.
„Natürlich, Mensch. Jahrhundertlang schon bewahren wir die Rezepte in einer streng bewachten Kammer, nur der beste Koch darf Einblick darin erhalten.“
Wow, diese Kobolde waren viel intelligenter und „zivilisierter“, als ich sie je eingeschätzt hatte. Jahrhundertlang... Das bedeutete also auch, dass sie Meister im Verstecken waren, denn Kobolde traten zwar schon vor dem Atomcrash auf, aber eigentlich nur in irgendwelchen Fantasygeschichten. Eine Frage drängte sich geradezu auf, die ich auch auf meinem Notizzettel vermerkt hatte.
„Etwas wundert mich ja doch, Kobold, wenn ihr schon vor dem Atomcrash da wart, heißt das ja, dass die Geschichten über Kobolde gar keine Hirngespinste oder genialen Vermarktungsideen sind, sondern der puren Wahrheit entsprechen. Wie seid ihr entdeckt worden?“
„Tja, Mensch, das ist uns auch ein Rätsel. Aber sei dir sicher, dass diejenigen, die uns entdeckt haben, nie zugeben werden, dass es uns wirklich gibt. Wir haben mit allen einen lukrativen Pakt geschlossen, so könnte man es ausdrücken.“
„Habe ich dann nicht auch Chancen mit euch einen Pakt zu schließen?“ Ich träumte bereits von einer Villa, einem Swimmingpool und einem Diener, der mich aufrichtig mit den Worten „Oh gotterwählter Meisterdetektiv, welche Speise behagt heute dem Geschmacke seiner Exzellenz?“ empfing.
„Und nur, weil so ein abgewrackter, schlecht riechender Detektiv behauptet, er hätte einen Kobold gesehen, würden ihm alle glauben? Du bist wirklich wirr in deinen Gedankengängen, aber auch sympathisch. Du redest frei und ehrlich, solche Zeitgenossen sind leichter zu ertragen.“
Na gut, aus der Traum vom schnellsten Rennpferd der Welt, zurück zur miserablen Situation.
„Ich mache mich dann mal auf, mache hier ja keinen Blödsinn!“
„Wenn hier einer Blödsinn macht, dann wohl eher du.“ Ein leichtes Lächeln entlockte mir der Kobold, auf den Mund gefallen war er nicht.
Während ich zu der nächsten Kastanie schlenderte, um mir ein paar Maronen zu schnappen, überlegte ich, ob es hier irgendwo einen Plan gab, um wieder aus dem Wald herauszufinden. Aber ich verwarf den Gedanken sofort, ich musste beim Kobold bleiben, ich hatte zuviel Angst davor, dass er sich mit seiner gesamten Koboldschar an mich rächen würde. Auf dem Weg zur Kastanie pflückte ich schon mal ein paar Beeren, die in etwa genießbar aussahen, und steckte sie in eine gefundene Aldi-Tüte. Als ich dann endlich vor dem Baum stand, überkam mich schon ein etwas mulmiges Gefühl. Diesen Baum sollte ich heraufklettern? Meine ersten Versuche scheiterten kläglich, ob jetzt meine Feigheit oder meine zwei linken Hände daran schuld waren, hätte auch ein ausgebildeter Gutachter nicht mit absoluter Genauigkeit bestimmen können. Dass es sinnlos war am Stamm zu rütteln, musste ich mir nicht klar machen, in Biologie hatte ich dazu genügend aufgepasst. Alles Gute kam von oben, und wenn etwas von oben kommt, muss es doch auch gemäß dem Gesetz der Schwerkraft auf dem Boden aufkommen. So dachte ich und wurde auch nach ein paar Sekunden fündig. Überall lagen kleine und große Maronen, auch ganze Äste waren abgefallen. Die Maronen, die am frischesten aussahen und am besten rochen, nahm ich mit. Im schlimmsten Fall soll man ja immer seinem Riechorgan vertrauen und ich wusste nicht, ob diese Lage in ihrer Aussichtslosigkeit noch gesteigert werden konnte. Aber wie auch immer, als ich zurückkehrte, hatte ich einen Beutel voll Essbares vorzuweisen und war mächtig stolz auf mich. Ich hoffte nur nicht, dass die Mücken durch den Geruch angelockt würden. Am Himmel
stand bereits der Mond, es war Vollmond. Zum Glück hörte ich keine Werwölfe heulen. Der Kobold schien zu schlafen und gerade, als ich mich auch etwas ausruhen wollte, ging er auf die Aldi-Tüte zu, ganz still und leise. Ich stoppte den kleinen Wicht per Hechtsprung.
„Gottfried, in solchen Zeiten müssen wir die Nahrung teilen, und zwar so wie früher: die eine Hälfte für mich, die andere für dich. Verstanden?“
„Jaja, schon gut, ich wollte ja nur nachgucken, ob es auch gut ist.“
„Mache dir darum keine Sorgen, was ich esse, kannst auch du essen. Es geht um unser Überleben, da ist keine Zeit für solch alberne Gedanken.“
In seinen Bart grummelnd verkroch er sich wieder in seine Ecke. Ich ging nochmal auf ihn zu.
„Tut mir Leid, hatte es nicht so gemeint, Gottfried“, entschuldigte ich mich für meine Härte.
„Ist schon gut, Mensch. Sage mal, was machst du eigentlich, wenn du nicht gerade Baumhäuser baust?“ Der Kobold schien durch das Essen kommunikativer geworden zu sein.
„Nun, ich löse Fälle. Ich bin Privatdetektiv“, erwiderte ich gelassen.
„Wirklich, Mensch?“ Wenn es für die Kobolde eine Gefühlsregung für Überraschung gab, dann diese.
„Du siehst mir nicht nach einem Detektiv aus“, argwöhnte der Kobold.
„Ach, und wozu würde ich sonst eine Aldi-Tüte mit mir herumschleppen und ein veraltetes Jacket mit vielen Taschen tragen?“
„Gute Frage, Mensch. So gesehen bist du noch verrückter als ich dachte. Im positiven Sinne, meine ich“, fügte der Kobold hinzu, als er meinen Gesichtausdruck sah. So langsam wurde mir der Kobold sympathischer und ich wünschte ihm eine „Gute Nacht“, was er mit „Wünsche dir eine bessere Nacht“ erwiderte. Immerhin, unsere Zwangsgemeinschaft entwickelte sich...
Ich versuchte endlich zu schlafen, doch es rasten mir zu viele Gedanken durch den Kopf. Wie geht es meiner Katze? Was wird aus dem Treffen mit der Frau, wofür ich noch Geld auftreiben musste? Schaffe ich es noch zum Friseur und zur Samenspendenagentur zu gehen? Und, last, but not least, wie sollte ich diesen Fall jemals lösen? Mit diesen Gedanken im Kopf fiel es einem natürlich bemerklich schwerer Schlaf zu finden. Ich bewunderte den Kobold, bisher hatte er noch nicht eine Spur davon gezeigt, dass ihm seine Heimat fehlte. Vielleicht waren Kobolde in solchen Sachen nicht ganz so vernarrt, aber andererseits hatte er ganz stolz von der jahrhundertlangen Tradition des Rezepte Aufhebens erzählt. Kobolde waren schon merkwürdige Wesen, aber waren wir Menschen das nicht auch? Mit diesen fast schon philosophischen Gedanken schlief ich endlich ein. Mir träumte von einem schwarzen Kobold, der mich platt zu treten drohte. Schon am nächsten Morgen hatte ich alles vergessen, denn der Morgengruß fiel nicht sehr berauschend aus...
7. Trolle schlafen nicht auf ewig...
“Carl, wach auf!” Wie ein Rasender zerrte der Kobold an meiner Jacke, die ich schon seit 4 Tagen nicht ausgezogen hatte, ich wollte keinen Schnupfen riskieren. Müde erhob ich mich langsam, mir kam es vor, als hätte ich mich gerade eben hingelegt. An ein Fortsetzen der kurzen Ruhe war aber nun nicht mehr zu denken...
„Was ist denn los? Sind unsere Vorräte verfault?“
„Schlimmer, Carl, schau mal nach unten...“ Mit einer beschwörerischen Stimme wies mich der Kobold auf die unbehagliche Szenerie hin. Was mir dabei auffiel, war, dass er zum ersten Mal meinen Vornamen ohne eine Aufforderung meinerseits benutzte. Der Wicht war manchmal schwer zu ertragen, aber diese Seite an ihm konnte man richtig schätzen lernen. Doch jetzt musste ich meine Gedanken auf das hinlenken, was sich da unten abspielte. Der Troll, der vor zwei Tagen k.o. gegangen war, regte sich langsam und gab ein paar Grunz-Laute von sich. Er schien nicht allzu gut geträumt zu haben...
„Was machen wir nur, Carl?“ Noch nie hatte ich den Kobold so ängstlich gesehen.
„Nun, wir könnten zum Beispiel wegrennen oder uns heldenmutig in den sicheren Tod stürzen.“ Das schien den Kobold nicht so wirklich zu überzeugen.
„Komm schon, Carl, du musst doch schon öfters solch heikle Situationen überstanden haben.“
„Ähm, nun ja, wenn ich ehrlich bin, war das Gefährlichste, was mir bis zu der Begegnung mit dem Troll passiert ist, dass ich mich mit dem Kopf beinah am Tresen gestoßen hätte...“, meinte ich etwas unsicher. Der Kobold schaute mich ungläubig an. „Ja, ich weiß, als Privatdetektiv hätte ich meine Zeit vielleicht etwas sinnvoller einsetzen sollen, aber, wenn du auch nur ein einmal von diesem leckeren Bier kosten könntest, wüsstest du, wovon ich rede.“ Bei dem Gedanken an Bier wurde ich ganz ohnmächtig vor Sehnsucht. Nur ein einziger Tropfen...
„Ich bin zwar jetzt etwas verwirrt, aber irgendetwas müssen wir unternehmen, Carl. Komm schon, lass dein Gehirn arbeiten, jetzt, da du nüchtern bist.“
„Ich hole Hilfe, warte hier. Allein können wir es niemals mit einem Troll aufnehmen.“ Der Kobold schaute wieder nach unten und nickte daraufhin ängstlich.
„Also ist es abgemacht?“ Die Zeit drängte, wir mussten uns beeilen.
„Ok, geh!“
Kaum hatte ich seine piepsigen Worte vernommen, sprang ich auf und rannte so schnell ich konnte. Eine Bitte rief mir der Kobold noch hinterher, die ich aber nicht mehr verstand. Ich war mir sicher, dass es sich um Essen handelte, aber darüber nachzudenken war jetzt nicht das Richtige. Die ganze Zeit, die ich hier verbracht hatte, fühlte ich mich wie auf einer Robinsonade, nur, dass ich meine Zeit mit einem Kobold verbringen gezwungen und nicht auf einer einsamen Insel gestrandet war. Wäre auch schwierig gewesen, denn seit ich mich mal als Jugendlicher auf einer Kreuzfahrt übergeben hatte, traute ich mich nicht mehr auf ein Schiff zu gehen. Verdammt, warum kommen einem solch schlechte Erinnerungen immer dann, wenn man sie am wenigsten gebrauchen kann? Hastig schüttelte ich mir meinen Kopf, um die Gedanken loszuwerden, als ich etwas erblickte. Es sah aus wie Papier, nur dünner. Ich zog es aus dem Gebüsch und konnte es im ersten Augenblick gar nicht richtig fassen. Ich hatte eine Bild-Zeitung gefunden, meine erste Verbindung zur Außenwelt seit 2 Tagen! Begierig saugte ich die Schlagzeile auf: „Kanzler Schröder beim Haare färben erwischt – SPD verliert Sympathien der konservativen Wähler“. In Windeseile blätterte ich die Zeitung durch, noch nie hatte ich eine Bild-Zeitung so liebgewonnen wie in diesem Moment. Dann fiel mir plötzlich ein, dass ich eigentlich nicht hier war, um nach Zeitungen Ausschau zu halten. Glucksend starrte ich noch einmal die Kastanie an, von der ich gestern Maronen g
Ich widme mein Buch: Matt Groening, Terry Pratchett, den Ärzten, Wolfgang Petry, den lustigen Begebenheiten des Alltags, meinen Eltern, Verwandten und Freunden und den Predigtgespannbrüdern.
1.Zum Verstehen dieser Geschichte gedacht
Wernigerode, das Verbrechermilieu schlechthin! Hier bin ich aufgewachsen, in den schmutzigen Straßen dieser nostalgischen Stadt, an deren ehemaligen Glanz nur die Fachwerkhäuser erinnern. Dass hier mal etwas Aufregendes passierte (oder will man einen Höppner-Besuch als aufregend bezeichnen?), war so unwahrscheinlich wie, dass Elbingerode durch einen Vulkanausbruch für immer verschwindet. In meiner Phantasie löste ich die kniffligsten Kriminalfälle, leider musste ich in meinem jugendlichen Eifer feststellen, dass man von Phantasie allein schlecht leben konnte. Ich wollte das Verbrechen bekämpfen, allerdings gab es bei der Polizei nur ein sehr geringes Gehalt und über die Position eines Wachmanns wäre ich wohl nie gekommen bei meinen beschränkten Möglichkeiten. Welchen Beruf sollte ich dann ergreifen, dachte ich mit 18 Jahren. Ich hatte meinen Hauptschulabschluss in der Tasche, obwohl ich zweimal sitzen geblieben war, und fühlte mich ganz groß. Mein Notendurchschnitt bleibt aber besser geheim... Da ich keine Lust auf Bewerbungen schreiben hatte, eine schlechte Vorraussetzung für das Berufsleben, und mir meine Eltern keine große Hilfe waren, eine noch viel schlechtere Vorraussetzung für Bewerbungen schreiben, entschloss ich mich einen Beruf auszuüben, den noch kein Carl meiner Sippe ergriffen hatte: Privatdetektiv. Eine auf den ersten Blick vernünftige Entscheidung, allerdings hatte ich keine Ahnung, in welch missliche Lage mich diese Wahl bringen würde...
Zuallererst möchte ich die Frage ein für alle mal klären: Was macht ein Privatdetektiv überhaupt? Tja, eigentlich sieht das so aus: ich schnüffle für viel Kohle anderen Leuten hinterher, mache Verbrecher dingfest und meine Freizeit verbringe ich in der Kneipe mit zwielichtigen Personen. Nebenbei mache ich allen möglichen Leuten Ärger, inklusive mir selbst. Man darf dabei jedoch nicht vergessen, dass es sich hierbei um eine Idealvorstellung handelt. In Wahrheit sahen die Dinge nämlich anders aus, wie so oft. Viel Kohle hatte ich noch nie gemacht, ich war froh, wenn ich keine Sozialhilfe beantragen musste, dass ich Verbrecher dingfest machte, war mehr ein guter Witz als dass es wahr war und es ist übrigens ein Gerücht, wenn man sagt, wer alle Sherlock Holmes Bände auswendig kann, der kann auch selbst Verbrecher aufschnappen. In meinem Fall, der wirklich alle Bände mindestens fünfmal gelesen hatte, traf das leider nicht zu. Aber immerhin stimmte es, dass ich meine Freizeit in der Kneipe verbrachte, jedoch ist hier schon wieder ein entscheidender Haken verborgen: nicht mal zwielichtige Personen hätten sich bei meinem Alkoholkonsum in meine Nähe gewagt. Und das war wahrscheinlich auch besser so, für meine Psyche und ihre Gesundheit. Ärger hatte ich oft mit Mahnungen und Rechnungen, aber als Privatdetektiv eher weniger. Es war ein Wunder, dass ich überhaupt genug Geld hatte, um die Miete zu zahlen und in Kneipen mich vollaufen zu lassen, aber wo ein Wille ist, da ist auch ein Weg. In meinem Falle war es so, dass ich nebenbei anonymer Samenspender war und mir somit genug Geld einbrachte, um mir das leisten zu können. Irgendwo auf der Welt hatte ich also mehrere Kinder, unglaublich bei so einem Kinderfeind wie mir, oder? Wie auch immer, das Geld war wichtig für mich und mit Frauen hatte ich fast nichts am Hut, die rochen sowas auf einen Kilometer, wenn jemand seit mehr als einen Monat nicht geduscht hat, was in meinem Fall auf mich zutraf. Wasser war teuer geworden und, unter uns, ich hatte bereits seit drei Monaten nicht mehr geduscht. Aber nicht weitersagen, bitte! Meine Mutter hatte immer gesagt, Junge, nutze jeden ersichtlichen Vorteil aus, und das tat ich durch diese Tätigkeit mehr als gut. Der Vorschlag stammte übrigens von einem Barkeeper, der Mitleid mit mir hatte, als ich mal wieder zahlungsunfähig war. Er hatte das in jungen Jahren auch so gemacht, um seine Lehre abschließen zu können. Im Gegensatz zu mir war er aber keine gescheiterte Existenz, sondern der beste Barkeeper in ganz Wernigerode und Umgebung. So unerbittlich schlägt das Schicksal zu, dachte ich mir. Aber das Schicksal hielt noch ganz andere Überraschungen für mich parat...
So musste ich feststellen, dass die Grenzen zwischen Gutem und Bösem gar nicht so unverrückbar waren, wie es schien. Es gab nicht nur Schwarz und Weiß, sondern auch viele, viele, sehr viele Grautöne. Wie ihr euch vorstellen könnt, machte diese Erkenntnis meine Ermittlungen nicht gerade einfacher. Apropos Ermittlungen, bevor ich euch mit meinem Fall konfrontiere, fange ich erstmal damit an, wie unsere Welt aufgebaut ist. Nun, viele Unterschiede gibt es eigentlich nicht, es gibt gute Menschen, schlechte Menschen und viele, die irgendwo dazwischen liegen, wie ich zum Beispiel. Jetzt gibt es aber doch einen gravierenden Unterschied: bei uns gibt es als „intelligente“ Lebensformen, oder wie auch immer das Pseudowissenschaftler bezeichnen, nicht nur Menschen, sondern auch viele andere wie Trolle, Zwerge, Kobolde, Feen, Elfen, Mutanten, Bayern etc. Das Letztere war ein kleiner Scherz am Rande, ich liebe Bayern, vor allem die Brezeln. Leider kann ich mir Brezeln kaum leisten, da ich mein Geld ja schon für andere Dinge verprasse... Aber zurück zum Thema! Nun, vor 1995 war alles genauso wie bei euch, es herrschte Friede, Freude, Eierkuchen, oder wie eine sehr bekannte Rockband sagen würde: „Hip hip Hurra, alles ist super, alles ist wunderbar“. Tatsache, bei uns gab es die selben Bands. Nur die Castingshows und künstliche Boygroups gab es nicht mehr, da eine Umfrage gestartet wurde und die meisten angaben, dass diese sie tödlich langweilen würden. Ich konnte leider nicht teilnehmen, 10 Cent für so ein Stück Papier, bin ich Krösus? Aber auch so waren 99% überzeugend genug, um sie abzuschaffen. Natürlich mussten die entlassenen Boygroupteilnehmer und sonstige Konsorten entschädigt werden, das wurden sie auch, indem sie 50€ bekamen, die Sozialschmarotzer! So, jetzt aber WIRKLICH, versprochen, zurück zum Thema. Also, bis 1995 war alles genauso, bis der amerikanische Präsident, der hier mit Namen nicht genannt werden und ich keine Klage am Hals haben will, auf die Idee kam einen Atomtest durchführen zu lassen. Dummerweise hatte er sich um 10000km in der Breite verschätzt und die Atombombe landete mitten auf der Yucatan-Halbinsel in Mexiko. Dass es die nicht mehr gibt, versteht sich wohl von selbst... Nun, dadurch entstand eine solch globale Katastrophe, ihr könnt euch das gar nicht vorstellen. Südamerika und Mittelamerika sind auf der Weltkarte verschwunden, man hat keinen blassen Schimmer, wo diese Teile Amerikas sind, sie könnten ins All geschleudert worden sein, oder einfach nur weggesprengt... Fest steht nur, dass dieses Massaker wohl keiner überlebt hat. Mal wieder ein trauriges Kapitel in der Menschheitsgeschichte, aber es soll hier nicht um Sentimentalitäten gehen. Das hört sich hart an, aber selbst Greenpeace war machtlos. Und das heißt Einiges, was ich aber nicht näher ausbreiten möchte, mit Politik kenne ich mich nicht aus. Zuerst dachten wir, dass auch Nordamerika dieses traurige Schicksal ereilt hat, aber es kam anders. Hier hatten sich nämlich menschenähnliche, atomverseuchte Mutanten gebildet. Ihre Zahl wird auf 100000 geschätzt, allerdings kann man das nicht genau sagen. Wir wissen auch nur sehr wenig über sie, da sich kaum einer zu ihnen traut und Flughäfen haben sie auch keine, sodass nur die Wagehalsigsten nach Nordamerika gehen. Ich habe bisher keinen zurückkehren sehen...ups, ich habe ja auch noch keinen wegfahren sehen, mein Fehler! Ich meinte natürlich, dass ich noch nie gehört habe, dass jemand zurückgekehrt ist. In Europa, Afrika und Australien ging ein sehr merkwürdiger Prozess vor sich. Zuerst schien sich nicht allzu viel zu verändern, doch die Probleme in den internationalen Allianzen wurden immer größer, besonders, da mit den USA der bedeutendste Markt weggefallen war. Schließlich lösten sich alle Allianzen auf und gingen ihre eigenen Wege, mehr schlecht als recht. Deutschland war einer der wenigen Staaten, in der die Demokratie erhalten blieb. Viele andere verfielen der Anarchie wie Frankreich, Großbritannien und Spanien. Diktatoren hatten z.B. Polen oder die Türkei. Die merkwürdigsten Wesen erschienen und wir können uns bis heute nicht erklären, woher sie eigentlich stammen. Wahrscheinlich wissen es diese Wesen selber nicht... Wir vermuten, dass es etwas mit diesem Atomabwurf zu tun hat, aber woher soll man das wissen? Vielleicht waren sie schon immer da und wir konnten sie nicht sehen? Ist ja auch eigentlich egal, sie sind da und Punkt. Über Australien kann man nicht viel sagen, da es das wahrscheinlich auch nicht mehr gibt. Zumindest haben wir keine Kunde von Australien seit dem verhängnisvollen Datum. Wahrscheinlich wurde es vom Hochwasser des Indischen Ozeans weggespült, da die Gletscher der Antarktis unter der enormen Hitze, die nach dem Atomabwurf entstand, wie Butter zerschmolzen und alles unter sich begruben, was ihnen in den Weg kam. Deshalb ist auch der südliche Teil von Afrika nur noch schwer zu erreichen. In Asien und Afrika entstanden ähnliche Bedingungen wie in Europa, Anarchie war die verbreitetste Staatsform der Welt! Logisch, ohne Regierung keine Allianzen, außerdem hatte jedes Land genug eigene Sorgen. Eines muss aber noch erwähnt werden: das Leben hier ist fast so wie bei euch, es gibt Discos, Kneipen, Freizeitparks, Restaurants und weiß der Kuckuck was noch
alles. Nicht, dass ihr denkt, wir leben hier wie im 10.Jahrhundert. So, ich denke, der Grundriss ist klar, im Laufe meiner Geschichte, die ich euch gleich erzähle, werdet ihr noch einiges Interessantes mehr über diese unterschiedlichen Völker hören. Also: ordentlich hinlegen/hinsetzen, Taschenlampe bereit legen, falls du länger lesen willst, Taschentücher für die Gefühlsausbrüche und schon kann es los gehen. Entspann und traue dich in eine dir fremde Welt einzusteigen. Willkommen! Als kleines Quiz könnt ihr ja mal nach dem Genuss meines Buches versuchen herauszukriegen, wann ich geboren bin. Jetzt aber los!
2.Der harte Brotaufstrich
Nun, da wären wir nun bei meiner kleinen Geschichte. Alles fing an, als ich gerade 28 Jahre alt war. Es war ein kalter, trüber Herbsttag und es stand mal wieder nichts an. Kein Auftrag, die Kneipe war geschlossen, meine kümmerliche Katze schlief selig auf der Couch. Ich erinnerte mich, wie ich am Nachmittag in der Stadt war und dort von einer Gina Wild nicht unähnlich aussehenden Person spannenden Sexualkontakt für einen kleinen Teil von meinem Zaster angeboten bekam. Selbstredend lehnte ich ab, aber nicht aus Gründen der Impotenz, sondern eher aufgrund des finanziellen Aspekts. Nun, ich schaltete den Fernseher ein, in Erwartung eines spannenden Spielfilms. Doch ich wurde enttäuscht, halblustige Komiker wechselten sich mit langweiligen B-Movies ab. Das erfüllte meine TV-Seele nicht gerade mit Begeisterung. Ein dumpfes Geräusch ließ mich aufschrecken, ich dachte an Rohrbruch oder sowas in der Art. Das Geräusch verschärfte sich noch, als gerade Dieter Bohlens neuer Song „Boring Day“ über die Mattscheibe lief. Das konnte man ja noch irgendwie verstehen, aber seit wann campieren Dieter Bohlen Fans um mein Haus? Nun, mich dünkte, dass es vielleicht besser wäre nach dem Rechten zu sehen. Auf seltsame Art und Weise fühlte ich mich sogar bedroht, während ich die Treppe herunterging. Eine geradezu gespenstische Atmosphäre umgab mich und ich schaute hinaus zum Fenster. Die Nacht zog mich immer wieder an, sie war mir viel näher als der Tag. Ob das meine Lebenseinstellung widerspiegelt, weiß ich nicht, aber ich glaube nicht an einen solchen Unfug, dass man an allen möglichen Sachen erkennen kann, was für ein Typ Mensch man ist. Das ist mir einfach zu pauschal!
Jetzt sah ich auch, was das Geräusch verursacht hatte, oder glaubte es zu wissen. Ein umgeworfener Stuhl lag auf dem Boden. Aber wie war dann das zweite Geräusch entstanden? Wer ist schon so unterbelichtet und wirft einen Stuhl zweimal um? Ich sah zur Tür. Ein Schatten näherte sich, langsam, bedächtig. Ich bekam Angst, furchtbare Angst. Mir brach der Schweiß aus. Dann klingelte es in diesem nervigen Ton. Ganz vorsichtig ging ich zur Tür, immer darauf bedacht, dass ich in der nächsten Sekunde angegriffen werden könnte. Ich öffnete und ich sah einen merkwürdigen Besucher. Sein Gesicht war verhüllt, er trug einen blauen Umhang und eine lose, braune Hose. Am ulkigsten waren die Schuhe, die eine Art Bommeln besaßen. Ich sprach kein Wort, so fasziniert und gleichzeitig verunsichert war ich von dem Anblick. Der Fremde durchbrach die spannungsgeladene Stille.
„Sind Sie Detektiv Carl? Ich hätte da einen Auftrag für sie.“ Mir fiel auf, dass der Fremde, besser gesagt Auftraggeber, mit verstellter Stimme sprach. Aber andererseits zeigte mir das etwas ganz Elementares an ihm: er war ein ausgefuchster Mensch, der sein Handwerk verstand.
„Auftrag?“, fragte ich. Dieses Wort klang wie Musik in meinen Ohren. Es musste schon so lange her sein, dass ich einen Auftrag hatte, ich konnte mich nur schwach daran erinnern.
„Ja, genau. Darf ich hereinkommen? Es ist ziemlich kalt hier draußen.“
Für Auftraggeber tat ich doch alles und so antwortete ich: „Seien Sie mein Gast und fühlen sie sich wie zu Hause!“, worauf mein Gegenüber zynisch und belustigend reagierte: „Das kann ich mir kaum vorstellen.“ Ich nahm ihm diese ehrliche Bemerkung aber nicht übel, es war eh nur ein Spruch, der mir gerade eingefallen war.
Nachdem ich ihm einen Stuhl geholt hatte und wir uns um meinen Schreibtisch gesessen hatten, ging das Gespräch los. Du meine Güte, vor einer halben Stunde hatte ich einen verdammt langweiligen Abend erwartet und nun verfügte ich über meinen ersten Auftraggeber seit zwei Jahren! Es war nicht zu fassen, wie das Schicksal manchmal zuschlägt. Doch ich beendete meine Überlegungen, der Fremde begann von Neuem zu sprechen.
„Sie wirken nervös, Herr Detektiv. Entspannen sie sich, wir haben jede Menge Zeit, um alles zur vollsten Zufriedenheit auf beiden Seiten zu besprechen.“
„Jaja, Sie haben Recht, es ist nur so“, ich wollte tatsächlich sagen, dass ich schon lange keinen Fall mehr hatte, ging davon aber ab und erfand eine Notlüge, „dass ich nicht mit dem Kommen eines neuen meiner zahlreichen Auftraggeber zu dieser späten Stunde gerechnet hatte.“
„Quatschen Sie bitte nicht mit dieser Werbesprache, ich weiß, wie schlecht es um ihre Detektei steht.“ Mist, woher nur? Und warum hat er dann mich genommen? Auf die zweite Frage sollte ich bald eine Antwort bekommen.
„Ähm, darf ich Ihnen Kekse anbieten? Oder einen Kaffee?“
„Nein, danke, wir haben Wichtigeres zu tun als Kekse zu essen.“ Ich war froh über seine Antwort, denn erstens hatte ich auch keine richtige Lust auf Kekse und zweitens waren auch Kekse für mich teuer genug.
„Nun, Sie fragen sich bestimmt, warum ich sie ausgewählt habe als meinen Detektiv. Das kommt nicht von ungefähr. Ich habe alle Detekteien dieser Stadt untersucht und bin zu dem Schluss gekommen, dass ihre Detektei die beste für meinen Auftrag ist.“
„Nur die beste für ihren Auftrag? Oder auch insgesamt?“
„Das spielt keine Rolle.“, erwiderte der Fremde weise. Mich überraschte seine Cleverness, damit hatte ich nicht gerechnet.
„Ich brauche einen Detektiv, der absolut loyal zu seinen Auftraggebern steht und Dinge tut, die nicht unbedingt der konventionellen Arbeitsweise entsprechen. Und Sie sind der Einzige, der mir für solche Aktionen geeignet scheint. Sie können das als Ehrung ansehen.“
„Danke sehr.“ Mehr fiel mir nicht ein, ich musste auf ein neues Thema hinleiten. Mir kam ein Gedanke.
„Wie sieht eigentlich der Auftrag aus? Was soll ich für Sie tun?“
„Nun, bevor ich Ihnen dies anvertraue, müssen sie wissen: haben sie einmal diesen Auftrag angenommen, gibt es kein Zurück. Er wird gefährlicher, wahnwitziger und kurioser als alles, was Sie sich ausmalen können. Ich rede hier nicht von aufwendigen Tatortanalysen oder Fingerabdrücken, sondern von Aufgaben, die nur ein richtiger Detektiv ausführen kann. Sind sie sich ganz sicher, dass Sie mitmachen wollen?“
„Ja, warum sollte ich nicht einsteigen? Geld ist Geld und ein Auftrag ist besser als kein Auftrag!“
„Wohl wahr, wohl wahr, aber vergesst nicht: eventuell könnte Euch irgendwann bei diesem Auftrag der Gedanke kommen, es wäre doch besser keinen Auftrag zu haben.“
„Und wie sieht nun der Auftrag aus?“ Ich war sauer und wollte endlich ins Bett, solche philosophischen Überlegungen passten mir überhaupt nicht.
„Ihr müsst einen Mann für mich finden und eindeutig identifizieren. Dieser Mann darf nicht weiterleben. Er hat etwas getan, wofür man in meinem Land früher mit dem Tode bestraft wurde und ich möchte, dass Sie diesen Job übernehmen.“
„Töten? Ich soll töten? Wie viel bekomme ich für diese Mordaktion?“ Die Fragen sprudelten aus mir hervor. „Wie sieht der Mann aus? Wie heißt er? Wo kommt er her?“
„Schwer zu sagen, wie er heute aus sieht. Als ich ihn das letzte Mal sah, trug er kurzes, schwarzes Haar und war braun gebrannt. An mehr erinnere ich mich nicht. Leider kann ich nicht genau bestimmen, wo seine Herkunft liegt, da er in unser Land immigriert ist.“
Na toll, ich suchte also nach der Nadel im Heuhaufen. Zwei Fragen hatte ich noch...
„Ich suche also nach der Nadel im Heuhaufen, richtig?“
„Wenn Sie so wollen, ja. Aber ich bin mir ganz sicher, dass Sie es schaffen werden diesen Mann zu finden.“
„Wie groß sind denn meine Chancen Ihrer Meinung nach?“
„Nicht sehr groß, ehrlich gesagt. Aber lassen Sie sich nicht entmutigen, hier, 100 Dollar gibt es als Vorschuss. Wenn sie diesen Bastard gefunden haben, gibt es 900. Das macht insgesamt 1000 Dollar.“
Es war mir egal, wie der Mann wissen wollte, dass ich den Richtigen gefunden habe. Es war mir egal, dass ich ziemlich gegen meine moralischen Vorstellungen verstieß und den Mann nicht versuchte umzustimmen. Es war mir gar nicht erst aufgefallen, dass er zum ersten Mal ein Schimpfwort verwendet hatte. Ich sah das Geld und alles war vergessen.
Der Mann verabschiedete sich recht schnell und ich ging ins Bett. Der nächste Morgen brachte mich nochmal zum Grübeln. War es die richtige Entscheidung? Konnte ich einfach von einem Fremden einen solchen Auftrag annehmen? Sollte ich wirklich töten? Aber es gab noch Überlegungen in die andere Richtung. Woher hatte dieser Mann so viel Geld? Warum sprach er mit verstellter Stimme? War ich einem solchen Auftrag, abgesehen von der moralischen Perspektive, überhaupt gewachsen? Und noch ganz andere Dinge, über die ich nachdachte. Woher kamen die zwei dumpfen Geräusche? Warum war er zu so später Stunde gekommen? Wieso war sein Gesicht verhüllt gewesen? War wirklich nur ich für diesen Fall geeignet? Ich spürte, dass er in manchen Dingen wie zum Beispiel das Aussehen meines Opfers oder dem Grund, warum er mich genommen hatte, nicht ganz ehrlich gewesen war. Während ich diese Überlegungen anstellte, merkte ich, wie hart die Butter war, die ich da auf mein Brot verstrich. Sie weigerte sich auf das Brot zu kommen und gegessen zu werden wie ich innerlich von einem Fremden einen Auftrag anzunehmen und dann eventuell nur Hohn und Spott zu ernten. Eine solche Verbundenheit hatte ich noch nie mit einem Brotaufstrich gefühlt. So beschloss ich am Abend
zu dem Ort zu gehen, der mir am ehesten einfiel: zur Kneipe ...
3.Ich wollte doch nur abschalten
Es war schon spät, als ich mich fertig machte. Den Tag hatte ich damit verbracht die Tageszeitung zu lesen und mir den Kopf darüber zu zerbrechen, wie ich diesen Auftrag lösen wollte. Gedanken machte ich mir auch darüber, ob es überhaupt vernünftig war in einer solch prekären Situation zur Kneipe zu gehen. Aber jetzt, wo ich mich schnell kämmte und mein Gesicht wusch, waren diese Bedenken wie weggeblasen. Ich freute mich ganz einfach endlich mal wieder die alten Kameraden wiederzusehen, Ronny, den Barkeeper... In gewisser Weise war die Kneipe mein zweites Zuhause, immer, wenn ich niedergeschlagen war, kehrte ich dort ein. Ich nahm mein Jacket, das man seine Jährchen schon ansah, aus dem Schrank, packte ein paar Habseligkeiten in die vielen Seitentaschen und zählte mein Geld, zugegeben wenig. Aber jetzt war für mich nicht gerade der Augenblick, um darüber nachzudenken, ob ich auch noch mein letztes Geld verprassen sollte. Ich wollte nur abschalten, wollte mir Unterstützung für den Auftrag sichern. Plötzlich klingelte das Telefon. Es war die Samenspendenagentur, für die ich „arbeitete“. In zwei Wochen war der nächste Termin. Ich sagte schnell mein Kommen zu und legte sodann auf. Nun war ich noch mehr entschlossen zur Kneipe zu gehen, denn Samenspenden waren gleichzusetzen mit Geld. Ich schaltete das Licht aus, machte die Tür auf und schloss sie mit einem leichten Knarren. Gerade rechtzeitig zum Sonnenuntergang war ich vor die Türe getreten, ein atemberaubender Anblick. Ich fühlte ein großes Selbstbewusstsein in mir aufsteigen. Hatte der Fremde nicht gesagt, ich wäre der einzig geeignete Mann für diesen Fall? Ich war entschlossen allen zu zeigen, dass ich es wirklich war. Während des Weges war ich immer darauf bedacht im nächsten Moment angegriffen werden zu können. Aber natürlich bewahrheitete sich diese Befürchtung nicht. Warum auch? Noch machte ich keinem Ärger, also gab es auch keinen für mich.
Dunkles Flutlicht erhellte die Treppe, die man zur Kneipe hinaufsteigen musste, eine meiner wenigen sportlichen Betätigungen übrigens. In der Kneipe war alles wie immer, umgeworfene Stühle, pöbelnde Besoffene, der Barkeeper brüllte... Mir ging Goethe durch den Kopf: „Hier bin ich Mensch, hier darf ich´s sein.“ Jawoll, genauso verhielt es sich. Ich setzte mich auf einen der freien Hocker vor dem Tresen und wollte mich gerade dem Barkeeper zuwenden, als mir ein Mann in der Ecke besonders auffiel. Er besaß ein braun gebranntes Gesicht, geradezu südländisch anmutende Züge. Er schien gar nicht in die Szenerie der Kneipe hineinzupassen, man konnte meinen, ein Vakuum schirmte ihn von der Außenwelt ab. Er regte sich nicht ein einziges Mal. Merkwürdiger Vogel, dachte ich nur. Dann sprach mich der Barkeeper an.
„Was darf´s sein?“ Als ich mich umdrehte, erkannte er mein Gesicht.
„Ach, du bist es, Carl. Lange nicht mehr hier gewesen.“
„Ja, Can, freue mich auch wieder hier zu sein.“
„Was waren denn die Gründe für deine Abwesenheit? Wir haben uns alle schon Sorgen gemacht, ich musste Ronny jeden Tag zwei Bier ausgeben, damit er überhaupt ansprechbar war. Bist du etwa Anti-Alkoholiker geworden?“
„Wenn es so wäre, würde ich wohl kaum hierher kommen, oder?“
Der Barkeeper dachte einen Moment nach, er war nicht immer der Hellste bei logischen Aussagen. „Nunja, du kannst natürlich auch warme Milch haben, obwohl, nein, warte. Die hat ja schon Oma Brunhilde vor 15 Minuten ausgetrunken.“
Manchmal war Can nicht zu helfen. „Ok, in aller Deutlichkeit. Ich bin hier, um alkoholische Getränke zu mir zu nehmen.“
Das Gesicht des Barkeepers hellte sich auf. „Oh, sehr schön, kennst mich ja, Carl, manchmal überforderst du mein Gehirn. Hast du etwa eine neue Vaterschaftsklage am Hals?“
„Eine?“, erwiderte ich zynisch. „Ach, weißt du, die sind mir mittlerweile völlig egal, ich bin mittlerweile sozusagen Profi im Verwalten von Anklagen.“ Ich überlegte kurz und beschloss dann die Karten offen auf den Tisch zu legen. „Es ist so, Can, ich habe einen Auftrag.“
Es war nicht genau zu bestimmen, was im Gesicht des Barkeepers überwog, der Spott oder die Überraschung. Ich kann mich nur erinnern, dass er in Sekundenbruchteilen anfing zu lachen. „Hört her, hört her, unser Meisterdetektiv Carl hat einen Auftrag!“
Die Menge drehte sich kurz zu mir und brach ebenfalls in schallendes Gelächter aus. Ich hätte mich am liebsten vor Scham im Boden verkrochen. Genauso schnell, wie das Lachen gekommen war, war es verschwunden. Der Barkeeper hatte sich ebenfalls wieder beruhigt.
„Nein, im Ernst, Carl, finde ich große Klasse. Wie viel hast du denn dem Auftraggeber an Schwarzgeld gegeben?“, feixte er nochmal, wurde dann aber ernst. „Hier, ein Glas von meinem besten Bier, geht auf´s Haus.“ Er zwinkerte mir zu und ging dann zu einem anderen Kunden. Egal, was man sich von Can erzählte, egal, wie rau er manchmal war, eines war er mit Sicherheit: ein herzensguter und geselliger Mensch, dem viel am Wohle seiner Freunde lag. Ich war ihm so dankbar, dass ich kein Wort hervorbrachte. Das war aber auch gar nicht nötig, denn Can und ich waren uns auch ohne viele Worte bewusst, wie viel wir einander bedeuteten. Ein Leben ohne Can wäre wie eine Suppe ohne Salz, um es mal philosophisch auszudrücken. Ich sog die verräucherte Luft in mich ein, beobachtete, wie ein Chinese in der Nase popelte und spürte, dass ich nirgends lieber gewesen wäre als hier. Aber Can blieb nicht mein einziger Gesprächspartner. Ronny umarmte mich stürmisch, als er mich entdeckt hatte.
„Carl, du bist es wirklich! Ich kann es nicht glauben. Ich habe dich so vermisst, das Saufen war ohne dich so langweilig.“
„Hey Ronny, Mensch, du siehst ja noch schlimmer aus als ich. Kann ich auch kaum glauben. Schön dich wieder zu sehen.“
„Wo hast du bloß gesteckt? 4 Wochen Abwesenheit, sag mal, hast du eine neue Frau zuhause?“
„Ich wünschte, es wäre so. Aber ich habe etwas am Hals, was man viel schwieriger wieder los wird.“
„Hmm, lass mich raten, eine Klage?“
„Ganz falsch, das wäre auch leicht zu ertragen. Nein, ich habe einen Auftrag.“
Ronny war jedoch nicht so überrascht von der Nachricht wie der Barkeeper. „Na dann herzlichen Glückwunsch, wurde ja auch mal wieder Zeit dafür. Worum geht es denn?“ Jetzt erst fiel mir auf, dass der Barkeeper gar nicht gefragt hatte, was genau ich für den Fremden erledigen sollte. Das lag wahrscheinlich aber auch in seiner Natur begründet, der Barkeeper hatte gelernt sich nicht zu sehr in die Angelegenheiten anderer einzumischen, während Ronny gar nicht genug über solche Dinge erfahren konnte.
„Na komm schon, Carl, spann mich nicht so auf die Folter!“
„Nunja, wie soll ich dir das erklären? Es geht prinzipiell darum einen Mann zu finden und diesem die letzte Ehre zu erweisen.“
„Hä? Sollst du einen toten Mann finden und vor dessen Grab niederknien?“
Jetzt musste ich lachen. Worauf dieser Ronny im Suff alles kam, war schon sensationell.
„Nein, Ronny. Ich soll einen lebenden Mann finden und ihn töten.“
Ronny war schockiert. „Oh mein Gott, Carl, das kannst du doch nicht machen! Tue es nicht, ich bitte dich als Freund.“ Ronny arbeitete ehrenamtlich für die UNO und war sogar gegen das Töten von Hühnern für Geflügelprodukte. Gegen das Töten von Menschen hatte er dementsprechend noch mehr.
„Sorry, ich habe keine andere Wahl. Er hat mir 900 Dollar dafür versprochen, 100 Dollar gab es schon als Vorschuss.“
„900 Dollar, so viel ist dir also ein Menschenleben wert? Ich bin schwer enttäuscht von dir, Carl.“
So ein Mist, mein bester Freund war sauer auf mich, das fing ja gut an mit dem Auftrag.
„Hör mal, Ronny, bitte überlasse es mir, ob ich die Sache durchziehe oder nicht, ok?“ Ronny nickte, aber ich spürte, dass ich in seiner Achtung gesunken war. Das traf mich tief. „Nun gut, Ronny, ich komme wieder, wenn du dich beruhigt hast. Ich spreche mal mit dem Typen in der Ecke.“
„Dem Spanier? Na dann Waidmannsheil, aus dem hat noch keiner ein Wort herausbekommen. Ich glaube, er würde noch nicht mal etwas sagen, wenn du ihm ein Glas an den Kopf schmeißt.“ Daraufhin ging Ronny, sichtlich schwermütig, aus der Kneipe.
Ronny hatte Recht. Ich konnte versuchen, was ich wollte, der Ausländer rührte sich überhaupt nicht. Was sollte das? War er ein Alien, der sich zu einem Menschen transformiert hatte und nun Informationen über die Menschheit sammelte? Was auch immer, ich ging nochmal zum Barkeeper.
„Ronny ist sauer auf mich, weißt du, wie ich ihn wieder aufheitern könnte?“
„Ach, lass ihn, Carl, er ist derzeit in einer sehr depressiven Stimmung. So ziemlich alles bringt ihn aus der Fassung.“
„Na gut, wie du meinst. Und weißt du, was es mit dem Spanier auf sich hat?“
„Dem in der Ecke? Ich weiß auch nicht viel über ihn, außer, dass er hierher immigriert ist und mal dem spanischen Heer angehörte. Ein sehr schweigsamer Typ, ich würde seine Nähe meiden.“
Ich trank schnell noch das spendierte Bier aus (lecker!) und bedankte mich beim Barkeeper für seine guten Ratschläge.
Auf dem Nachhauseweg stellte ich mich unter eine Laterne, um Licht zu haben. Ich machte mir ein paar Notizen, die wie folgt aussahen:
- schweigsamer Spanier: spanisches Heer, immigriert
- mit Ronny aussprechen
- dem Barkeeper eine Freude für Bier bereiten.
Zugegeben, nicht gerade die nützlichsten Notizen, aber immerhin etwas. Während ich zu Bett ging und den Tag Revue passieren ließ, hörte ich das Schnarchen von Oma Brunhilde im oberen Stockwerk. Ich versuchte mich auf etwas Anderes zu konzentrieren und schlief dann irgendwann um Mitternacht ein.
4. Die Natur ruft
Während ich am nächsten Morgen meine Notizzettel durchblätterte, fiel mir auf, dass ich außer diesen 3 Notizen vom Vortag noch gar nichts aufgeschrieben hatte. Es war
zum Verzweifeln, ich hatte keine Anhaltspunkte, keine Motivation, keine Ideen. Wer denkt sich auch solche Aufträge aus? Sicherlich, der Spanier in der Ecke könnte auch der Mann sein, den ich töten sollte, aber das fand ich ein wenig vorschnell. Ich wusste ja noch nicht mal, wo dieser Mann eigentlich lebte. Er konnte überall sein. Meine Güte, was hatte ich mir mit diesem Fall nur wieder eingebrockt? Der Fremde hatte mir gesagt, dass dieser Auftrag total aufregend wäre oder zumindest wahnwitzig, und was musste ich nun feststellen? Nichts von alledem war eingetreten, ich saß hier vor meiner Tasse Kaffee und rührte lustlos im heißen Gebräu. Wie viel Geld für diese Kaffeepackung wohl drauf gegangen ist, dachte ich trübselig. Ich verspürte keine große Lust hier untätig in der Wohnung zu bleiben und ließ einen Entschluss in mir reifen: morgen würde ich einen Ausflug in die Natur machen. Natürlich war das nicht ganz ungefährlich, es ging das Gerücht, dass um diese Jahreszeit die Zahl der Rotrüsselameisen drastisch zugenommen hatte. Für den gewieften Leser stellt sich natürlich nun die Frage: was zum Teufel sind Rotrüsselameisen? Nun, kleine Tierkunde. Wie man aus dem Namen entnehmen kann, ist besonders charakteristisch für diese Ameisenart, dass sie einen Rüssel haben und der nicht irgendwie aussieht, sondern rot gefärbt ist. Das würde ja nicht großartig stören, der große negative Punkt ist, dass ihr Chitin hochgradig giftig ist. Vermutlich sind sie auch eine Mutation aus dem Atombombencrash und aus der roten Waldameise entstanden. Biologie war schon immer mein Lieblingsfach, das einzige, wo ich besser als 3 stand. Ups, verraten... Achja, falls ihr euch noch fragt: Hui, wie macht der das dann mit der Rechtschreibung? Dazu kann ich nur eine Gegenfrage stellen: Wozu hat man einen Freund namens Ronny? So, nun zurück zu meinen Ausflugsplänen...
Ich schmierte mir zwei super leckere Brote, Putenbrustfilet mit Ketchup und dazu flankiert von zwei Käsescheiben. Außerdem verbrauchte ich noch meine letzte Halbfettmargarine (*seufz*), um das ganze, leckere Gebäck abzurunden. Kurze Pause, damit ihr zum Kühlschrank gehen könnt, wenn ihr es selbst ausprobieren wollt... Ok, dann kann es weiter gehen. Diese beiden Brote packte ich also in meine grüne Brotbüchse, nahm noch zwei Apfelschorlen, das war das billigste, was gleichzeitig auch noch gut schmeckte, und das alles ging dann in meinen Rucksack. Bevor ich endgültig fertig war, musste natürlich mein Stock auch noch mit auf die Reise, ein Erbe meines alten Opas. Mensch, morgen konnte ja nur ein super Tag werden, wenn ich Stück für Stück das schwer verdiente Geld in Form der Brote verzehrte. Ich schaute auf meinen Terminkalender: nein, heute stand nichts weiter an, der Termin bei der Samenspendenagentur war erst in 13 Tagen und der beim Friseur erst in einer Woche. Bei dem musste ich mich extra anmelden, damit er vorher sich eine Klammer auf die Nase setzen konnte und Zeit hatte, um Desinfektionsmittel zu kaufen. Ich fand diese Aktionen zwar übertrieben, aber ich sage es mal so: wer kann es ihm verübeln? Jetzt war ich zufrieden mit mir und konnte den Tag besinnlich gestalten. Ich hörte ein wenig Heavy Metal, kaufte Katzenfutter für meinen fast nur schlafenden Kater und sah zum Abschluss des Tages fern. Man kann diesen Tag auch als langweilig bezeichnen, für mich war es ganz gewöhnlichter Alltag. Nachdem ich genug gesehen hatte von Dieter Bohlen und Co., ging ich zu Bett. Kurz bevor ich das Licht ausschalten wollte, hörte ich ein krächzendes Geräusch und so beschloss ich besser das Fenster zuzumachen, obwohl ich natürlich auch meinen Kater beim Revierkampf hätte unterstützen können. Aber letztes Mal hatte ein krächzendes Geräusch den Fremden herbei beschworen und ich wollte meine Ruhe.
Der nächste Morgen begann für mich mit einem ausgesprochen großen Gähnen, denn diesmal hatte ich mir den Wecker gestellt, um auch pünktlich aufbrechen zu können. Schließlich wollte ich schauen, ob der Tau noch liegt, ich hatte eine gewisse Schwäche für solche Naturphänomene. Ich zog schnell meine Stiefel ein, sattelte den Rucksack auf meine Schultern und wollte gerade losgehen, als mir einfiel, dass ich den Kater ja nochmal schnell verabschieden könnte. Irgendwie war mir der kleine Racker ans Herz gewachsen, aber jetzt entdeckte ich ihn nicht. Hm, wahrscheinlich noch erschöpft von seinem nächtlichen Duell, dachte ich mir. Es war das einzige Lebewesen, wofür ich Verantwortung verspürte und auch eine Form von Liebe. Nun musste ich aber los, es war schon 9.00 Uhr. Etwas geknickt machte ich mich auf den Weg, in meiner Schusseligkeit übersah ich eine rote Ampel und wäre beinahe von einem roten Cabriolet niedergewalzt worden. Die Frau stieg verstört aus dem Wagen, aber ich beruhigte sie schnell. Nebenbei fiel mir ein, dass ich ja mal meinen Stock aus dem Rucksack packen könnte, vielleicht machte das Eindruck...
„Ist Ihnen auch nichts passiert? Sind Sie nicht verletzt?“
„Machen Sie sich um mich keine Sorgen, ich komme zurecht. Es war ja meine Schuld. Und von einem Cabriolet tot gefahren zu werden, nun, das ist sicher eine bessere Art zu sterben“, meinte ich gut gelaunt.
Die Frau schaute mich ungläubig an. „Sie sind ja verrückt, es ist nicht schön zu sterben, egal wie.“
Hui, meine Aussage hatte ihre Gemüter erregt... „War neulich ein Todesfall in Ihrer Familie, wenn ich fragen darf?“
„Ja, ich komme gerade von der Beerdigung meines Opas. Er starb an Krebs.“
Die Frau holte ein Taschentuch aus ihrer rosa Tasche. Sie besaß sehr autoritäre, aber auch feine Züge. Besonders ihr langes, rotes Haar stach mir sofort ins Auge. Sie gefiel mir, da sie nicht auf den Boden gefallen war.
„Das tut mir Leid, ich kann da leider kaum helfen, weil ich nur wenig Erfahrung in solchen Sachen habe“, antwortete ich stotternd.
„Wie süß, nein, Sie brauchen mir nicht helfen, ich komme auch zurecht.“ Sie lächelte mich an und erst dann fiel es mir ein. Hey, sie hatte meine Aussage von vorhin verwendet, na, wenn das nichts Gutes bedeutete...
„Nun, wir können hier nicht ewig den öffentlichen Verkehr behindern, was halten Sie davon, wenn wir uns mal auf einen Cafe treffen?“, fragte ich erwartungsvoll.
„Gerne, wie wäre es am jetzigen Wochenende?“ Sie schaute in ihren Terminkalender. „Samstag um 17 Uhr im Alten Cafe an der Straße?“
„Ich werde da sein!“ Gerade wollte ich ein Liedchen trällern, da fragte sie mich noch eins:
„Wollen Sie wandern gehen? Schöner Stock übrigens.“
„Danke sehr, ist ein Erbstück. Ja, ich wollte noch wandern, ich muss mal ein wenig entspannen, habe viel am Hals.“
„Oh, das verstehe ich. Na dann, viel Spaß und bis dann!“ Sie winkte mir noch einmal zu und fuhr dann weiter.
Ich weiß nicht, aber Amors Pfeil musste mich getroffen haben, so sehnsüchtig erwartete ich den Samstag. Mit ihr war Small Talk so einfach. Noch froher gelaunt als zuvor ging ich weiter. Nach einer halben Stunde des enthusiastischen Spazierensgehens erreichte ich das Schild mit der Aufschrift „Vorsicht! Für Unfälle mit Tieren übernehmen wir keine Verantwortung!“ Darunter stand in Kleinbuchstaben „Kreis Wernigerode“. Aha, dachte ich und ging in den gar düsteren Wald. Es hätte ein geruhsamer Spaziergang werden können, aber diese Rotrüsselameisen bekam ich nicht aus meinem Kopf. Wie würde ich reagieren, wenn eine auf mich zukäme? Ok, in den Heldenkampf stürzen schied von vornherein aus, ich hatte keine Pestizide dabei und wenn Ronny erfahren würde, dass ich ein Insekt getötet und dabei gleichzeitig der Natur geschadet habe, würde er nie mehr ein Wort mit mir reden. Na gut, außer vielleicht im Suff, um mich nach einem Euro zu fragen. Ich versuchte so viel wie möglich zu entspannen, mich locker zu machen. Ich versuchte mich auf die Umgebung zu konzentrieren, auf die Gegebenheiten der Natur. Man musste hier gewaltig aufpassen, denn diese vielen Sträucher und Äste waren nicht ganz ungefährlich. Ich schaute auf die Karte, die an einer Weggabelung lag. Ich musste so ziemlich in der Mitte des Waldes sein, hatte aber schon in meiner Kindheit immer wieder Orientierungsprobleme gehabt, so z.B. als ich fünf Jahre alt war und mich meine Mutter vom Bäcker abholen musste, weil ich nicht wusste, ob ich den rechten oder linken Weg gehen soll. Meine Mutter meinte darauf, ich hätte eine unvoreingenommene politische Sichtweise. Jaja, den Zynismus habe ich von meiner Mutter geerbt. Auch fiel mir das Schild ein. Im nächsten Busch konnte also ein Fuchs sein und mich zerfleischen ohne dass es jemanden interessiert? Da hatte ich ja nichts zu befürchten, Tiere nahmen von meinem Gestank Abstand. Ich erreichte eine kleine Raststelle, auf der ich meine zwei super leckeren Brote essen wollte. Und was entdeckte ich? Nein, das durfte nicht sein. Sie waren doch unter der Apfelschorle! Verschwunden waren sie, kein Lebenszeichen war von ihnen auszumachen. Was ist das bloß für eine Welt, in der selbst dem ärmsten Detektiv sein Brot weggenommen wird? Daran hat auch der Atomcrash nichts geändert. Wenn ich den in die Finger kriege, der mir das Brot gestohlen hat! Der kann was erleben. Mein Magen meldete sich ebenfalls mit einem ausschweifenden Knurren zu Wort. Ja, Magen, du verstehst mein Seelenleid. Oder hatte ich doch vergessen sie einzupacken? Nein, das konnte nicht sein, mein Vater war in Preußen geboren, dementsprechend hatte ich den Ordnungssinn von ihm gelernt. Wenn ich es doch vergessen haben sollte...oh mein Gott, darüber durfte ich gar nicht nachdenken! Vor Wut zertrampelte ich die Spinne, die aus irgendeinem der Büsche hervorgekrochen war. Ich entschuldigte mich bei ihr, indem ich ihr eine letzte kleine Ruhestätte mit meinen Händen schaufelte. Das war nebenbei auch eine ganz angenehme Art mir die Zeit zu vertreiben. Ich sagte am Ende meiner kleinen Predigt noch „Ich folge dir, kleine Spinne, ob in die Hölle oder in den Himmel, wird sich herausstellen.
Amen!“ Dann kauerte ich mich deprimiert auf dem harten Stein, auf dem ich saß. Ich hatte eine Spinne umgebracht und mein Brot war verschwunden. Derzeit läuft aber auch alles falsch, da war der Status Quo noch tausendmal besser! Erst jetzt merkte ich, dass ich nicht der einzige war, der schlechte Stimmung hatte...
5. Wie ich dem Kobold begegnete
Was sah ich da an meinem Bein hängen? Ja genau, eines dieser kleinen nervigen Ding...äh, Lebewesen, genannt Kobold. Vor Angst hatte es meine Hose halb aufgerissen, was ich ihm äußerst übel nahm, wie sollte ich die Reparatur bezahlen? Achja, ich hatte ja bald meinen Termin bei der Samenspendenagentur, vielleicht kann ich davon etwas für die Reparatur zurücklegen. Meine Gedankengänge schienen Höhenflüge zu machen, ich hatte ja noch 20 Cent (seit der Euro-Einführung 1999 offizielle Währung...achja, das ist ja bei euch auch so, sorry!) in der Tasche. Die sollten eigentlich für einen Gina Wild Porno draufgehen...ach, Schwamm drüber, ich hatte zu Hause eine genügend große Auswahl. Zudem konnten mir solche Frauen nicht widerstehen, da war das Geld völlig egal. Trotzdem bekam ich keine ab, was, wie gesagt, an meiner hygienischen Pflege liegt. Wenn ihr da einen Widerspruch entdeckt habt, muss ich euch enttäuschen, lest das nochmal ganz in Ruhe! Aber nun, in diesem einen Augenblick, hing ein Kobold winselnd an meiner Hose, Hilfe suchend. Das musste mein Herz milde gestimmt haben. Ich kniete zu ihm hin und versuchte ihn zu streicheln. Doch dann biss der Gnom mir in den rechten Zeigefinger. Verdammt, am liebsten hätte ich dem kleinen Rabauken ordentlich die Leviten gelesen, aber diesmal überkam mich ein wenig Mitleid...Mitleid mit mir! Ein Riesentroll stand hinter mir, ohne dass ich es gemerkt hatte. Erst war das Brot weg, jetzt musste ich mit einem ausgewachsenen Bergtroll zurecht kommen. Der Tag konnte gar nicht schlimmer werden. Meine Zauberkräfte hatten sich verflüchtigt, seit ich aus dem Kleinkindalter heraus war, und Superman machte wahrscheinlich gerade Urlaub...was konnte mich jetzt noch retten? Ganz einfach, ein noch größerer Troll! Der tauchte plötzlich hinter dem Riesen auf und schlug den mit einem satten Volltreffer zu Boden. Natürlich ließ ich mir diese Gelegenheit nicht entgehen und versteckte mich im Busch. Die Dornen rissen meine Hose endgültig auseinander, aber das war mir so etwas von egal, es ging ums nackte nicht platt getreten werden! Da kam schon wieder Oma Brunhilde vorbei, entdeckte mich unglücklicherweise im Busch und sie fragte mich, ob ich zum Fasching gehen würde. Ich schüttelte nur entnervt den Kopf. Auf einmal ging der Troll ganz seelenruhig auf sie los. Sollte ich mich dem Kampf stellen? Nein, dazu war ich dann doch ein zu großer Feigling. Aber was war das? Der Troll schien Oma Brunhilde zuzulächeln, obwohl mir das eher nach einer unkoordinierten Mundbewegung aussah. Oma Brunhilde winkte ihm zu. „Na du kleiner, lieber, willst du mich begleiten?“ Tatsächlich, das tat er dann auch. Mal gut, dass Oma Brunhilde ihre Brille nicht auf hatte, dann hätte sie sich vielleicht anders entschieden. Ich grinste in mich hinein, wie die Nachbarn wohl reagieren würden, wenn sie sie mit einem Troll sehen würden. Aber dennoch, sie hatte mein Leben gerettet. Dafür werde ich mich revanchieren, wie auch immer das geschieht, beschloss ich. Trolle hatten wie gesagt eine Schwäche für alte Omas und so begleitete der Riesenklotz sie auf ihren alltäglichen einödischen Spaziergang. Dann fiel mir ein, was ich schon die ganze Zeit im Hinterkopf hatte, dieser Atomcrash hat wirklich alles verändert, Trolle sind auch nicht mehr das, was sie waren. Obwohl, Moment, wir kannten sie doch vorher gar nicht? Aber wie waren dann diese ganzen Comics entstanden? Eine beängstigende Gewissheit machte sich in mir breit, wie wenig Ahnung ich doch hatte. Langsam kam ich aus meinem Busch hervor und setzte mich zitternd auf einen Baumstamm. Doch den Kobold wurde ich nicht los. Das war mir aber auch in diesem Moment ziemlich egal, mein Leben war gerettet! Als der Riesentroll mit Oma Brunhilde gegangen war, besah ich mir den anderen näher und ging auf Sicherheitsabstand zu ihm. Der roch noch schlimmer als ich, könnt ihr euch das vorstellen? Und wow, eine solche Beule hatte ich in meinem ganzen Leben noch nicht gesehen, sie war größer als mein ganzes Gesicht! Und erst seine Zähne...an ihnen hingen Algen! Er schien aus dem Sumpf gekommen zu sein, sogenannte Sumpftrolle, die zweithäufigste Art nach den Bergtrollen... Sumpftrolle und Bergtrolle waren verfeindet, somit schien der zweite Troll ein Bergtroll zu sein. Irgendwie haben auch Bandenkriege ihren Vorteil, dachte ich listig. Jetzt merkte ich erst die riesenhaften Abdrücke auf dem Boden, Trollfußstapfen. Eine große Furcht stieg in mir auf, hey, die Ameise dort hätte ich sein können...
Es war eine der gefürchteten Rotrüsselameisen. Das Gerücht von ihrer Vermehrung stimmte also und ich war nun noch vorsichtiger als schon zuvor. Jetzt bekam ich einen kleinen Schreck, wo war der Kobold eigentlich gewesen, als ich mich im Gebüsch versteckt hatte? Ich hatte auch mal gehört, dass Kobolde Formenwandler sind! Sie konnten sich also auch als Oma Brunhilde ausgeben. Oh Schreck, war das vorhin nicht Oma Brunhilde? Dann fiel mir ein, dass Kobolde nicht ordentlich artikulieren können und nur Piep-Geräusche von sich geben. Was war ich beruhigt! Was mir auch noch auffiel: Oma Brunhilde trägt immer eine weiße Schürze mit blauen Punkten, doch diesmal hatte sie eine weiße Jogginghose mit roten Streifen. Sehr merkwürdig! Mehr Gedanken machte ich mir nicht, auch alte Omas können sich ändern. Ich werde sie mal nachher darauf einsprechen, beschloss ich. Vielleicht wollte sie auch einfach trendy aussehen, obwohl ich sie mit ihrer Schürze in besserer Erinnerung hatte. Da konnte ich sie wenigstens von meinen Ex-Geliebten unterscheiden... Wie ich mir so eine Verbindung zwischen Rotrüsselameise, Kobold und Oma Brunhilde zusammenschmiedete, fiel mir gar nicht auf, dass der Kobold auf den Baum geklettert war. Von dort aus bewarf mich der kleine Wicht feige mit ein paar gepflückten Äpfeln. Na warte, das kriegst du zurück, dachte ich kriegslüstern. An irgendwen musste ich nun meine Aggressionen loswerden und Kobolde standen nicht unter Artenschutz, beruhigte ich mich in Gedanken an Ronny. Es begann eine wilde Verfolgungsjagd, in der der Gewinner schon vorher feststand: richtig, der Kobold. Nun, ich nutzte ein ganz einfaches Prinzip der Natur, schließlich mussten auch Kobolde mal schlafen. Ich wartete auf den Einbruch der Nacht, dann schlug ich zu. Mit zwei satten Sprüngen war ich beim Kobold und packte ihn mir am Kragen. Kaum hatte er gemerkt, was los war, da schrie er auch schon wie am Spieß. Als perfekter Organisator ließ mich das allerdings kalt, notdürftig hatte ich mir aus gefundenen Seilresten ein Netz geflickt, in das ich den winzigen Unhold einsperrte. Haha, jetzt triumphierte ich! In meinem Gehirn arbeitete es: wo sollte ich denn nun schlafen? Ich beschloss nach einigen Überlegungen, eine sinnloser als die andere, mir eine Art Baumhaus einzurichten. Natürlich nur für begrenzte Zeit, bis ich den Kobold wieder los war und wusste, wie ich wieder nach Hause komme. Es war selbstverständlich nicht gerade einfach in völliger Dunkelheit ein Nachtlager zu errichten, zumal mit einem nervigen Kobold, der mich höhnisch auszulachen schien oder was auch immer diese Bewegung in seinem Gesicht ausdrücken sollte. Als er meine Nerven zum Tausendsten Mal überspannt hatte, müde und überarbeitet wie ich war, begann es auch noch zu regnen und mein Bauwerk drohte regelrecht zu verfließen. Jetzt reichte es mir! Gerade wollte ich mir diese Ausgeburt der Hölle greifen, da schrie er auf einmal etwas, das sich in etwa so anhörte wie „Nein, tue es nicht“. Ich blieb hart. Dieser Aussage folgte nun überdeutlich: „Ich mache dich reicher als alle Menschen auf dieser Welt!“ Er hatte meinen einzigen Mitleidsnerv tief getroffen. Was war nun besser, Autorität oder Reichtum? Ach, was soll´s, ich hatte schon immer moralische Bedenken gegen die Todesstrafe und fing an mit dem Kobold zu verhandeln...
„Sag mal, wie hast du denn das Sprechen gelernt? Ich denke, Kobolde können nur Piep-Geräusche?“
Ängstlich, aber stolz blickte mich das kleine Wesen an: „Dazu kann ich nur sagen: reines Vorurteil! Ihr hört uns nur nie zu, das ist alles.“ Ganz schön temperamentvoller Zwerg, äh, Gnom, schmunzelte ich.
„Ah, gut, ist ja auch nicht so wichtig, Herr...?“
„Gottfried ist mein menschlicher Name. Meinen Namen auf koboldisch verrate ich nicht.“
„Habe ich kein Problem mit, es geht mir ja auch vorwiegend um dein Angebot“, antwortete ich begierig.
„Noch nie was von der Sage der reichen Kobolde gehört? Das ist alles wahr, auch wenn wir keinen dämlichen Regenbogen brauchen.“
„Was? Ach tu meine Güte, los, erzähl mir von dir und deinem Volk, dann verschone ich dich vielleicht.“
„Das wirst du...“ Ich setzte meine grimmigste Miene auf. „Ist ja schon gut, mach´s dir bequem.“ Einen leichten Akzent hörte man raus, er schien die Sprache gelernt zu haben. Dumm oder faul war er also nicht, ich musste vorsichtig sein.
Er begann tief Luft zu holen und fing an zu sprechen: „Die Geschichte der Kobolde ist eine Geschichte voller Missverständnisse. Und wenn wir auf etwas stolz sind, dann ist es die Tatsache, dass es uns schon vor dem Atomcrash gab.“
Ich runzelte die Stirn: „Atomcrash? Woher wisst ihr davon?“
„Auch wir haben Ohren zum Hören, Mensch. Glaubst du wirklich, all diese Geschichten über Kobolde wären reine Einbildung?“
„Nein, ich habe ja einen vor mir. Aber was mich schon die ganze Zeit frage: Kobolde sind doch Formenwandler, du könntest dich doch einfach als Fliege ausgeben und fliehen!“
„Um dann vom nächstbesten Frosch aufgegessen zu werden? Oder von einem anderen Troll verfolgt zu werden?“
Er schaute in die Richtung des k.o.-geschlagenen Trolls. Man konnte seine Angst förmlich spüren. „Nein, da bleibe ich lieber hier und erzähle dir die Geschichte der Kobolde, das ist nicht so risikoreich.“ Eine Bitte fügte er noch hinzu: „Unterbrich mich diesmal nicht, ansonsten werde ich nie fertig.“ Ich nickte mit dem Kopf. Der Regen wurde immer schlimmer, aber noch hielt mein kleines Gebilde tapfer stand.
„Kobolde sind sehr stolze und reiche Wesen, musst du wissen. Sie sind sehr fleißig und listig, wenn sie es wirklich wollen. Ein guter Rat von mir: mach Kobolde nicht zu deinen Feinden, wir wissen uns zu wehren.“ Er grinste über das ganze Gesicht: „Oh ja, bitter mussten sie leiden, die uns verspotteten und uns nicht ernst nahmen.“ Etwas mulmig wurde mir schon, zumal der plötzlich neben dem Baum einschlagende Blitz den Effekt noch verstärkte. Ich musste hoffentlich keine Rachegelüste über mich ergehen lassen. Da ich versprochen hatte ihn nicht zu unterbrechen, notierte ich mir ein paar Fragen auf meine Notizzettel, wo zugegeben nicht sehr viel stand, noch nicht.
6. Der Kobold und meine Wenigkeit
Während ich meinen Notizblock beiseite legte, merkte ich erst, wie sehr meine Hände zitterten. Gut, das konnte auch an der unbeschreiblichen Kälte liegen, aber diesmal war es doch mehr etwas Anderes. Der Kobold machte auf mich einen gewaltigen Eindruck, besonders, wenn er mit seinen Händen fuchtelte oder wie ein Besessener aufschrie. Da konnte er einem richtig Angst machen! Ich musste mich ablenken, wenn ich Schwäche zeigte, würde er sofort machen, was er wollte. Und wenn er floh, hatte ich ein großes Problem: man stelle sich vor eine ganze Horde Kobolde würde über mich herfallen. Oh mein Gott, einer war ja schon schwer zu ertragen, eine ganze Horde musste ja unmenschliche Mühen abverlangen. Was sollte ich auch als Verteidigungsmittel einsetzen? Pestizide waren verboten worden und eine Schrotflinte hätte ich mein Leben lang mit hoher Zinsrate zurückzahlen müssen. Nein, ich musste stark bleiben und den Kobold bei Laune halten. Ich hatte auch schon einen Plan...
„Hey, Kobold, hörst du dahinten das Gewitter?“
„Natürlich, Mensch, ich bin doch nicht taub!“
„Gut, aber nenne mich bitte Carl...“
„Ich nenne dich, wie ich will.“ Ich musste mich gewaltig beherrschen, doch die Rachegene der Kobolde mahnten mich einzuhalten.
„Weißt du, ich habe gehört, wenn Gewitter ist, kommen Trolle besonders gern in den Wald und zertrampeln alles, was ihnen in den Weg kommt...“
„Ach was, das sagst du doch nur so.“ Der Kobold wurde schon ängstlicher, mein Plan schien aufzugehen.
„Nunja, das dürfte dich noch nicht weiter stören, aber dabei haben sie es besonders auf Kobolde und andere kleine Lebewesen abgesehen. Bei meinem Spaziergang habe ich auch einen toten Kobold gefunden, kein schöner Anblick, wie er da platt getreten lag.“ Ich log wie gedruckt, denn eigentlich hatte ich eine Spinne gesehen und tot getreten, aber irgendetwas musste ich mir einfallen lassen.
„Wirklich, Mensch? Hast du irgendwelche Beweise?“
So ein Mist, was sollte ich bloß antworten. Ich wollte keine Utensilien für das Koboldgericht fälschen? Mir lag nichts daran einen verwesenden Kobold in der Tasche zu haben? Schließlich hatte ich eine Idee... „Willst du wirklich deinen toten Kameraden sehen? Ich meine, ist es nicht besser ihn tot zu wissen als ihn tot zu sehen?“
„Du hättest auch seinen Hut mitnehmen können!“ Der Kleine war gerissen, aber ich hatte schon viele unheimliche Begegnungen der dritten Art, soll heißen, ich war noch gerissener.
„Er hatte ja gar keinen, der Wind nahm den Hut fort, bevor ich ihm ihn abnehmen konnte. Und seine Hosen wollte ich nicht abnehmen, das gebietet mein Schamgefühl.“
„Ok, ok, ich glaube dir. Ich hatte eh nicht vor abzuhauen.“ Das sagen sie alle, dachte ich nur düster.
Immerhin, eine Schlacht war gewonnen, ich brauchte mir vorerst keine Sorgen machen. Zur absoluten Sicherheit verpflichteten sich der Kobold und ich einen Vertrag zu unterschreiben, der in etwa wie folgt lautete:
„Hiermit erklären die beiden Parteien, Gottfried, der Kobold, und Carl, der Detektiv, so lange unter einem Dach zu wohnen, bis beide zustimmen wieder getrennte Wege zu gehen. Dieser Vertrag ist vom Tag der Unterzeichnung gültig.“ Nun gut, Dach konnte man das wirklich nicht nennen, aber ein wenig Form sollte der Vertrag schon haben. Der Kobold unterzeichnete mit seinem Stift, der merkwürdigerweise völlig trocken war, in seiner Mini-Unterschrift, die ich gar nicht erkennen konnte, und ich mit meinem völlig durchnässten Stift, schön fett und deutlich. Puh, was für eine schwere Geburt zum Anfang!
„Nun, Gottfried, ich denke, es wäre jetzt erstmal besser, wenn wir uns ein bisschen hinlegen würden, der Tag war für uns beide sicher anstrengend...“
„Wie du meinst, Mensch, Aber diesmal bringt mir meine kleinere Größe einen eindeutigen Vorteil: ich brauche mich nur unter ein paar Blättern zudecken und schon werde ich nicht nass.“ Verdammt, er hatte Recht. Sich jetzt groß darüber aufzuregen, erschien mir aber auch nicht besonders sinnvoll, ein Schrumpfomat war noch in der Entwicklung und außerdem hatte ich keine Kraft mehr mich mit dem Kobold anzulegen. Deshalb beließ ich es bei einem unterwürfigen Nicken und schlief ein. Der nächste Morgen begann ruhig, doch nachdem nun endlich die Fronten in der Wohnungsfrage geklärt waren, kam das zweitwichtigste Thema dran: wie sollten wir Essen beschaffen in diesem gefährlichen Wald? An einigen lichten Stellen wuchsen Sträucher, aber sich die ganze Zeit von irgendwelchen Beeren zu ernähren, schien mir auch nicht ganz das Wahre. Es war wohl doch besser jemanden zu fragen, der mehr Ahnung davon hatte, wie man in der Natur überlebte...
„Hey, Gottfried, sage mal, was esst ihr Kobolde eigentlich so? Ich meine, vielleicht ist das ja auch für mich genießbar.“
„Ah, hat der Mensch Hunger? Nun, wir ernähren uns hauptsächlich von kleinen Fleischstückchen“, er grinste genüsslich, „natürlich roh, und von ein paar Beeren. Zu Festtagen gibt es besondere Speisen, deren Rezepte sind aber absolut geheim. Ich weiß selbst nicht, was da drin ist.“
„Schmeckt das wenigstens?“ Also ich würde mich nicht gerade wohl fühlen, wenn ich etwas zu mir nähme, wo ich nicht mal weiß, aus was das überhaupt besteht.
„Natürlich, Mensch. Jahrhundertlang schon bewahren wir die Rezepte in einer streng bewachten Kammer, nur der beste Koch darf Einblick darin erhalten.“
Wow, diese Kobolde waren viel intelligenter und „zivilisierter“, als ich sie je eingeschätzt hatte. Jahrhundertlang... Das bedeutete also auch, dass sie Meister im Verstecken waren, denn Kobolde traten zwar schon vor dem Atomcrash auf, aber eigentlich nur in irgendwelchen Fantasygeschichten. Eine Frage drängte sich geradezu auf, die ich auch auf meinem Notizzettel vermerkt hatte.
„Etwas wundert mich ja doch, Kobold, wenn ihr schon vor dem Atomcrash da wart, heißt das ja, dass die Geschichten über Kobolde gar keine Hirngespinste oder genialen Vermarktungsideen sind, sondern der puren Wahrheit entsprechen. Wie seid ihr entdeckt worden?“
„Tja, Mensch, das ist uns auch ein Rätsel. Aber sei dir sicher, dass diejenigen, die uns entdeckt haben, nie zugeben werden, dass es uns wirklich gibt. Wir haben mit allen einen lukrativen Pakt geschlossen, so könnte man es ausdrücken.“
„Habe ich dann nicht auch Chancen mit euch einen Pakt zu schließen?“ Ich träumte bereits von einer Villa, einem Swimmingpool und einem Diener, der mich aufrichtig mit den Worten „Oh gotterwählter Meisterdetektiv, welche Speise behagt heute dem Geschmacke seiner Exzellenz?“ empfing.
„Und nur, weil so ein abgewrackter, schlecht riechender Detektiv behauptet, er hätte einen Kobold gesehen, würden ihm alle glauben? Du bist wirklich wirr in deinen Gedankengängen, aber auch sympathisch. Du redest frei und ehrlich, solche Zeitgenossen sind leichter zu ertragen.“
Na gut, aus der Traum vom schnellsten Rennpferd der Welt, zurück zur miserablen Situation.
„Ich mache mich dann mal auf, mache hier ja keinen Blödsinn!“
„Wenn hier einer Blödsinn macht, dann wohl eher du.“ Ein leichtes Lächeln entlockte mir der Kobold, auf den Mund gefallen war er nicht.
Während ich zu der nächsten Kastanie schlenderte, um mir ein paar Maronen zu schnappen, überlegte ich, ob es hier irgendwo einen Plan gab, um wieder aus dem Wald herauszufinden. Aber ich verwarf den Gedanken sofort, ich musste beim Kobold bleiben, ich hatte zuviel Angst davor, dass er sich mit seiner gesamten Koboldschar an mich rächen würde. Auf dem Weg zur Kastanie pflückte ich schon mal ein paar Beeren, die in etwa genießbar aussahen, und steckte sie in eine gefundene Aldi-Tüte. Als ich dann endlich vor dem Baum stand, überkam mich schon ein etwas mulmiges Gefühl. Diesen Baum sollte ich heraufklettern? Meine ersten Versuche scheiterten kläglich, ob jetzt meine Feigheit oder meine zwei linken Hände daran schuld waren, hätte auch ein ausgebildeter Gutachter nicht mit absoluter Genauigkeit bestimmen können. Dass es sinnlos war am Stamm zu rütteln, musste ich mir nicht klar machen, in Biologie hatte ich dazu genügend aufgepasst. Alles Gute kam von oben, und wenn etwas von oben kommt, muss es doch auch gemäß dem Gesetz der Schwerkraft auf dem Boden aufkommen. So dachte ich und wurde auch nach ein paar Sekunden fündig. Überall lagen kleine und große Maronen, auch ganze Äste waren abgefallen. Die Maronen, die am frischesten aussahen und am besten rochen, nahm ich mit. Im schlimmsten Fall soll man ja immer seinem Riechorgan vertrauen und ich wusste nicht, ob diese Lage in ihrer Aussichtslosigkeit noch gesteigert werden konnte. Aber wie auch immer, als ich zurückkehrte, hatte ich einen Beutel voll Essbares vorzuweisen und war mächtig stolz auf mich. Ich hoffte nur nicht, dass die Mücken durch den Geruch angelockt würden. Am Himmel
stand bereits der Mond, es war Vollmond. Zum Glück hörte ich keine Werwölfe heulen. Der Kobold schien zu schlafen und gerade, als ich mich auch etwas ausruhen wollte, ging er auf die Aldi-Tüte zu, ganz still und leise. Ich stoppte den kleinen Wicht per Hechtsprung.
„Gottfried, in solchen Zeiten müssen wir die Nahrung teilen, und zwar so wie früher: die eine Hälfte für mich, die andere für dich. Verstanden?“
„Jaja, schon gut, ich wollte ja nur nachgucken, ob es auch gut ist.“
„Mache dir darum keine Sorgen, was ich esse, kannst auch du essen. Es geht um unser Überleben, da ist keine Zeit für solch alberne Gedanken.“
In seinen Bart grummelnd verkroch er sich wieder in seine Ecke. Ich ging nochmal auf ihn zu.
„Tut mir Leid, hatte es nicht so gemeint, Gottfried“, entschuldigte ich mich für meine Härte.
„Ist schon gut, Mensch. Sage mal, was machst du eigentlich, wenn du nicht gerade Baumhäuser baust?“ Der Kobold schien durch das Essen kommunikativer geworden zu sein.
„Nun, ich löse Fälle. Ich bin Privatdetektiv“, erwiderte ich gelassen.
„Wirklich, Mensch?“ Wenn es für die Kobolde eine Gefühlsregung für Überraschung gab, dann diese.
„Du siehst mir nicht nach einem Detektiv aus“, argwöhnte der Kobold.
„Ach, und wozu würde ich sonst eine Aldi-Tüte mit mir herumschleppen und ein veraltetes Jacket mit vielen Taschen tragen?“
„Gute Frage, Mensch. So gesehen bist du noch verrückter als ich dachte. Im positiven Sinne, meine ich“, fügte der Kobold hinzu, als er meinen Gesichtausdruck sah. So langsam wurde mir der Kobold sympathischer und ich wünschte ihm eine „Gute Nacht“, was er mit „Wünsche dir eine bessere Nacht“ erwiderte. Immerhin, unsere Zwangsgemeinschaft entwickelte sich...
Ich versuchte endlich zu schlafen, doch es rasten mir zu viele Gedanken durch den Kopf. Wie geht es meiner Katze? Was wird aus dem Treffen mit der Frau, wofür ich noch Geld auftreiben musste? Schaffe ich es noch zum Friseur und zur Samenspendenagentur zu gehen? Und, last, but not least, wie sollte ich diesen Fall jemals lösen? Mit diesen Gedanken im Kopf fiel es einem natürlich bemerklich schwerer Schlaf zu finden. Ich bewunderte den Kobold, bisher hatte er noch nicht eine Spur davon gezeigt, dass ihm seine Heimat fehlte. Vielleicht waren Kobolde in solchen Sachen nicht ganz so vernarrt, aber andererseits hatte er ganz stolz von der jahrhundertlangen Tradition des Rezepte Aufhebens erzählt. Kobolde waren schon merkwürdige Wesen, aber waren wir Menschen das nicht auch? Mit diesen fast schon philosophischen Gedanken schlief ich endlich ein. Mir träumte von einem schwarzen Kobold, der mich platt zu treten drohte. Schon am nächsten Morgen hatte ich alles vergessen, denn der Morgengruß fiel nicht sehr berauschend aus...
7. Trolle schlafen nicht auf ewig...
“Carl, wach auf!” Wie ein Rasender zerrte der Kobold an meiner Jacke, die ich schon seit 4 Tagen nicht ausgezogen hatte, ich wollte keinen Schnupfen riskieren. Müde erhob ich mich langsam, mir kam es vor, als hätte ich mich gerade eben hingelegt. An ein Fortsetzen der kurzen Ruhe war aber nun nicht mehr zu denken...
„Was ist denn los? Sind unsere Vorräte verfault?“
„Schlimmer, Carl, schau mal nach unten...“ Mit einer beschwörerischen Stimme wies mich der Kobold auf die unbehagliche Szenerie hin. Was mir dabei auffiel, war, dass er zum ersten Mal meinen Vornamen ohne eine Aufforderung meinerseits benutzte. Der Wicht war manchmal schwer zu ertragen, aber diese Seite an ihm konnte man richtig schätzen lernen. Doch jetzt musste ich meine Gedanken auf das hinlenken, was sich da unten abspielte. Der Troll, der vor zwei Tagen k.o. gegangen war, regte sich langsam und gab ein paar Grunz-Laute von sich. Er schien nicht allzu gut geträumt zu haben...
„Was machen wir nur, Carl?“ Noch nie hatte ich den Kobold so ängstlich gesehen.
„Nun, wir könnten zum Beispiel wegrennen oder uns heldenmutig in den sicheren Tod stürzen.“ Das schien den Kobold nicht so wirklich zu überzeugen.
„Komm schon, Carl, du musst doch schon öfters solch heikle Situationen überstanden haben.“
„Ähm, nun ja, wenn ich ehrlich bin, war das Gefährlichste, was mir bis zu der Begegnung mit dem Troll passiert ist, dass ich mich mit dem Kopf beinah am Tresen gestoßen hätte...“, meinte ich etwas unsicher. Der Kobold schaute mich ungläubig an. „Ja, ich weiß, als Privatdetektiv hätte ich meine Zeit vielleicht etwas sinnvoller einsetzen sollen, aber, wenn du auch nur ein einmal von diesem leckeren Bier kosten könntest, wüsstest du, wovon ich rede.“ Bei dem Gedanken an Bier wurde ich ganz ohnmächtig vor Sehnsucht. Nur ein einziger Tropfen...
„Ich bin zwar jetzt etwas verwirrt, aber irgendetwas müssen wir unternehmen, Carl. Komm schon, lass dein Gehirn arbeiten, jetzt, da du nüchtern bist.“
„Ich hole Hilfe, warte hier. Allein können wir es niemals mit einem Troll aufnehmen.“ Der Kobold schaute wieder nach unten und nickte daraufhin ängstlich.
„Also ist es abgemacht?“ Die Zeit drängte, wir mussten uns beeilen.
„Ok, geh!“
Kaum hatte ich seine piepsigen Worte vernommen, sprang ich auf und rannte so schnell ich konnte. Eine Bitte rief mir der Kobold noch hinterher, die ich aber nicht mehr verstand. Ich war mir sicher, dass es sich um Essen handelte, aber darüber nachzudenken war jetzt nicht das Richtige. Die ganze Zeit, die ich hier verbracht hatte, fühlte ich mich wie auf einer Robinsonade, nur, dass ich meine Zeit mit einem Kobold verbringen gezwungen und nicht auf einer einsamen Insel gestrandet war. Wäre auch schwierig gewesen, denn seit ich mich mal als Jugendlicher auf einer Kreuzfahrt übergeben hatte, traute ich mich nicht mehr auf ein Schiff zu gehen. Verdammt, warum kommen einem solch schlechte Erinnerungen immer dann, wenn man sie am wenigsten gebrauchen kann? Hastig schüttelte ich mir meinen Kopf, um die Gedanken loszuwerden, als ich etwas erblickte. Es sah aus wie Papier, nur dünner. Ich zog es aus dem Gebüsch und konnte es im ersten Augenblick gar nicht richtig fassen. Ich hatte eine Bild-Zeitung gefunden, meine erste Verbindung zur Außenwelt seit 2 Tagen! Begierig saugte ich die Schlagzeile auf: „Kanzler Schröder beim Haare färben erwischt – SPD verliert Sympathien der konservativen Wähler“. In Windeseile blätterte ich die Zeitung durch, noch nie hatte ich eine Bild-Zeitung so liebgewonnen wie in diesem Moment. Dann fiel mir plötzlich ein, dass ich eigentlich nicht hier war, um nach Zeitungen Ausschau zu halten. Glucksend starrte ich noch einmal die Kastanie an, von der ich gestern Maronen g