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Save Ukraine!
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Love all Animals

 
Der Homo BND
Autor: Sean · Rubrik:
Kurzgeschichten

Verschiedenste Abläufe wären vorstellbar: Der Sessellift könnte auf halbem Weg stecken bleiben, die Insassen nach Tagen grausam erfrieren – aber alles sehr unwahrscheinlich! Eine grausame Todesart, als Liftbetreiber würde ich in so einem Fall riskieren, nach Ablauf einer Frist versteht sich, das Drahtseil zu kappen. Die meisten Insassen würden dann in die Tiefe stürzen, die Glücklichen kämen mit ein paar Schrammen und blauen Flecken davon. Wir zum Beispiel, meine Cousine und ich, wir durften gerade erst Platz nehmen, sogleich die mechanische Bewegung: Sicherheitsbügel einholen, den Sicherheitsbügel vor den Bauch, die Skier auf dem unteren Bügel abstellen, während sich der Zweiersitz noch majestätisch einschaukelt. Sollte der Sessellift tatsächlich stecken bleiben, jetzt, würde ich noch schnell abspringen, Bügel wieder weg und runter... Dasselbe oben, kurz vor dem Ausstieg. Kostet vielleicht ein bisschen Überwindung, gegebenenfalls würde ich aber noch ein bisschen warten, denn der Liftbetreiber wird doch wohl die Telefonnummer von einem Techniker im Handy gespeichert haben!

Todesszenario zwei: Schussfahrt, kleine Bodenwelle, technisches Versagen meines linken Skis, der in der Mitte durchbricht! Diese Idee sollte ich meiner Cousine mitteilen, fände sie vielleicht komisch. Aber: Wie soll denn der Ski in der Mitte durchbrechen? Meine Skiausrüstung ist zwar schon etwas älteren Datums, trotzdem würde es sich doch eher, sogar aus Sicht meiner Feinde, um ein kleines Wunder handeln! Wobei man einen Sturz in voller Fahrt in der Regel überlebt, streckenweise sogar besser als bei langsamerer Fahrt. Bei langsamer Fahrt ist man in der Regel darum bemüht, den Schwung gekonnt aussehen zu lassen, wie Fire and Ice! –Was bei einem Sturz peinliche Verrenkungen verursachen kann, aufgrund der falschen Gewichtsverlagerung nämlich, ein häufiger Fehler bei Anfängern vor allem.

Einen geraden Schwung bekomme ich locker hin, ebenso meine Cousine, eine schnelle Abfolge von Schwüngen allerdings – genannt „Wedeln“ – nicht ohne Risiko. Es ist besser, wie ich vorhin erneut feststellen musste, die Verhältnisse der Piste so auszunutzen, dass Wedeln im Nachhinein einfach nicht möglich war. Es gibt natürlich Könner, die das ganz anders sehen, und über alles Mögliche hinwegwedeln: Buckel, Tiefschnee, und meinen Stolz! Der zum Beispiel, roter Overall, gelbe Brille, die Skier immer parallel zusammen.

Après-ski, für mich eine Quelle des Freizeitstress, fällt bei uns aber gänzlich weg. Früher hätte ich mir das ja nicht nehmen lassen: Die pinkfarbene Elho-Jacke weg, die gelbe übergezogen, dann in die Disko! Bei genauerer Sicht sind Diskotheken in Österreich eigentlich die Hölle, inklusive Wien, Jagertee hat jedoch die Eigenschaft, Eurotechno irgendwie hörbar zu machen. Es gibt da die asozialsten Ski-Geschichten; mein Bruder erzählt meistens immer dieselbe: Wir sind mal in einer großen Gruppe nach Österreich zum Skifahren. Einer der Mitfahrer sah früher immer so aus wie der Sänger von „Milly Vanilly“ (beziehungsweise das sind ja eigentlich zwei, wobei sich die Leute daran heute kaum noch erinnern werden); jedenfalls wollte mein Bruder, dass wir nach dem Skifahren in die Disko gehen und diesen Typen als den „Milly Vanilly“-Sänger ausgeben. Mein Bruder, was überhaupt der Anlass dafür ist, dass er die Geschichte immer wieder erzählt, sollte sich an der Tür also als sein Manager ausgeben. Ich glaube aber, dem Türsteher war das alles scheißegal, mir übrigens auch. Nein, ich würde sogar sagen, selbst wenn er ihn als Falko ausgegeben hätte…

Ich erzähle meist eine andere Après-ski-Geschichte, der Hauptgrund: Ich komme nicht drin vor. Wie gesagt, ich kannte einen, der Falko kannte, aber das ist nicht der Kern meiner Ski-Geschichte. Der Witz liegt vielmehr darin, dass der Typ über den die Geschichte handelt, in mondänen Skiorten (wie St Moritz) mit seiner Rockband gespielt hat. Eine tolle Zeit muss das in den 1970ern gewesen sein, als man zu Musik noch „Rock´n´Roll“ oder „Diskofox“ gesagt hat – weiß es aber auch nicht so genau… Jedenfalls kann ich die Geschichte überhaupt nicht richtig erzählen, weil ich die Last, dass sich damals doch etwas auf diesem Gebiet abgespielt haben könnte, nicht lange ertragen kann. Ich breche immer ab und erzähle den Leuten dann die Geschichte mit Falko, ich kannte einen, der ihn kannte...

Was ist das jetzt? Meine Cousine bringt es doch tatsächlich fertig beim Ausstieg einen Sturz hinzulegen, na ja, sie ist teil-behindert, den Ausstieg kriegt man doch schon mit fünf Jahren hin! Die Seilbahn wird kurz angehalten, unbeholfen rappelt sie sich auf ihre blauen Skier und fährt erst mal aus der Spur. „Alles klar?“ – „Ja.“

Früher hätte ich mich kurz vergessen: Sicher, ich bin keine 17 mehr, da ist Skifahren noch so eine Art Modenschau – trotzdem, wieso macht sie nicht einfach die mechanischen Ausstiegsbewegungen, die sie schon als Kind draufhatte? Meine Cousine ist übrigens echt behindert, allerdings nur so, dass man davon nicht viel bemerkt: Der rechte Unterarm fehlt seit sie 14 ist, ein schwerer Unfall. Beim Skifahren jedenfalls, kann man die Behinderung nicht sehen. Ihre Prothese ist am Oberarm mit so ledernen Gurten befestigt, Anorak und Handschuhe drüber – fertig! Sieht ganz normal aus.

Mit den Skistecken ist das auch kein Problem: Lola kann ihre Plastikhand so einstellen, dass sich der Griff löst, wenn sie Lift fährt zum Beispiel. Nehmen wir den Schlepplift, klemmt sie sich die Skistecken einfach unter den rechten Arm. In die Prothese ist noch eine spezielle Fingerelektronik eingebaut, weiß ich, was den Arm unglaublich teuer macht. Wer will schon dauernd dieselbe Fingerhaltung? Meine Cousine kann eine Schere benutzen und sogar Autofahren. Ich kann es momentan nicht – der Führerschein seit drei Monaten weg.

Lola ist keineswegs zu bemitleiden, finde ich, sie sieht nämlich so aus wie Brooke Shields, die berühmte Schauspielerin. Hätte sie nur damals den Unfall nicht gehabt… Aber die Jungs laufen ihr noch immer scharenweise hinterher. Man sagt über Behinderte oft: Er/sie ist eigentlich ein ganz normaler Typ, man fühlt aber irgendwas stimmt doch nicht! So hat sich Lola, was die Sache mit Jungs angeht, sehr rar gemacht.

Also, wir stehen zum dritten Mal oben auf der Piste. Unsere Entscheidung fällt auf eine leichte Abfahrt, eine „rote Piste“. Dazu müssen wir erst auf einen so genannten Ziehweg, um so rüber auf den anderen Hang zu gelangen. Die Pisten liegen ja nicht, wie man als Unwissender vermuten könnte, gleich alle parallel nebeneinander. Es gibt auch nicht für jede Piste einen einzelnen Lift sondern besagte Ziehwege, die meist durch den Wald führen. Früher haben wir uns einen Heidenspaß daraus gemacht, solche Ziehwege irgendwie zu umgehen, beispielsweise mit einer riskanten Fahrt durch den Wald Gaudi zu haben, was verboten ist. Man könnte dabei frontal gegen einen Baum fahren, was einleuchtet, schlimmer noch: Der Umwelt schaden, junge Bäume verletzen zum Beispiel. Unten am Lift stehen dementsprechend große Warnschilder: Wer bei der Fahrt durch den Wald erwischt wird, fliegt ersatzlos und muss seinen Skipass abgeben.

Ich stand schon seit fünf Jahren nicht mehr auf den Brettern! Wir sind mit einem fetten Audi angereist, war dementsprechend stressig einen Parkplatz dafür zu finden. Der Wagen spart auf hundert Kilometer ungeheure Mengen Benzin ein, trotzdem verdient hier eigentlich jeder das Label „Umweltsünder“, weil sich die Hänge im Frühjahr nicht mehr richtig erholen – im Sommer sehen die Pisten wirklich ganz fürchterlich aus, so ähnlich wie vernarbte Haut. Im Tal Umweltfreund, so meine Devise, auf dem Gipfel Naturliebhaber!

Um noch einmal auf diese „Milly-Vanilly“-Geschichte meines Bruders zurückzukommen: Er verpasst ja die eigentliche Pointe, finde ich. Er gibt sich also als der Manager von „Milly Vanilly“ aus, dann gehen wir in die Disko – das ist doch eigentlich vollkommen unwitzig, oder? Die eigentliche Pointe liegt darin, dass Oliver, der angebliche „Vanilly“-Sänger, damals nicht zum Skifahren mitgekommen ist, wofür allein die Fakten sprechen, sondern zum Marihuana-Rauchen. Er und seine Freundin lagen sieben Tage (von insgesamt acht) nur auf ihrem Zimmer und haben Gras geraucht. Am letzten Tag sind sie dann doch einmal mit auf die Piste mit. Oli, man stelle sich das vor, hat nur eine Abfahrt hingelegt, dabei natürlich voll auf die Fresse geflogen und ist danach wieder zurück auf sein Zimmer Gras rauchen.

Lola ist gerade in den Wald abgebogen – ich gleich hinterher, wie früher! Ich umarme doch beinah gleich den ersten Baum! Die hat vielleicht ein Tempo drauf! Meine Skier sind halb im Schnee versunken, klar, hier ist heute noch kein einziger gefahren. Eng an den großen Fichten vorbei, ab und zu scheint die Sonne durch die Wipfel, was mir besonders romantisch vorkommt, weil das Licht kleinste Eispartikel in der Waldluft zum Glitzern bringt. Beinah wäre doch mein rechter Ski eingefädelt! So eine kleine Fichte, wenn sie direkt in der Spur steht! Konnte gerade noch eine „Pflugbremse“ hinlegen und mit einer spastischen Bewegung dem kleinen Baum ausweichen.

„Hey da, raus aus dem Wald!“ –Das auch noch! Lola kriegt sofort einen Lachkrampf, höre ich. Sie braust schnell davon, so als sei der Teufel hinter ihr her! „Hey“, schreit die urige Männerstimme noch einmal. Vorne geht es endlich wieder auf die reguläre Piste, nichts wie den Hang runter, bevor er noch einmal rufen kann. Lola, die dumme Kuh, guckt sich kurz um und schreit auch noch zurück: „Maul halten!“ – „Ha, ha, ha“, lache ich, so habe ich mir den Ausflug in den Bayerischen Wald vorgestellt – nur Deppen unterwegs!

Es wäre natürlich recht unklug, jetzt gleich den unteren Lift zu nehmen, was also machen? Gleich den Ziehweg nach links, okay. Die „Herrenabfahrt“ wird so einen engagierten Umweltschützer nicht abschrecken, aber wenn wir uns schnell beeilen und nicht allzu viele Leute am Lift anstehen, sind wir gleich dreißig Bügel im Vorsprung und wieder oben, noch ehe der sich verguckt! Die Liftkarte, was neu ist, wird unlängst nicht mehr von Hand kontrolliert, sondern von einem blauen Automaten mit Schranke. Das ist mit verschiedenen Sonderleistungen verbunden, die früher wohl nicht möglich gewesen wären, wie Vier-Stunden-Pass. Jedes Mal da draufgucken – ist heute doch viel zu aufwändig! Ich habe meinen Pass vorhin allerdings so dumm festgebunden, dass ich meinen ganzen Rumpf Richtung Automat bewegen muss, um mit der Karte in den kleinen Schlitz zu gelangen. Dabei wäre die Kordel wirklich lang genug gewesen, hätte ich nur anders binden müssen, nämlich einfach statt doppelt!

Lola kriegt das mit ihrem linken Arm diesmal wirklich schnell geregelt, sie muss dann halt bloß links fahren – ist logisch, um sich mit dem „intakten“ Arm am Bügel festhalten zu können. „Hey, Sie da!“ – Scheiße, das ist der Typ! „Entschuldigen Sie, könnten wir kurz vorbei, meine Freundin hat Diabetes.“

„Meine auch.“

„Meine aber jetzt!“

Kurz vor dem Einstieg merke ich, Lola steht in der rechten Spur – das also auch noch! Na ja, dann werde ich sie während der Fahrt eben stützen müssen. „Anhalten! Sie da vorne, halten Sie die beiden auf!“ – „Noch was, Gevatter“, fragt ein Snowboarder? Der Idiot glaubt doch tatsächlich, dass ihm wer helfen wird – ein Waldschrat, grauer Vollbart und grüner Ganzkörper-Skianzug. Dann, wie ich beim Umschauen sehe, fährt er direkt zum Lifthäuschen, wahrscheinlich einen Mitarbeiter von unserer Fahrt berichten. Soll er ruhig machen!

Der Pistensau bietet sich, statt der normalen Liftspur, der äußere Rand an, wie auch die Slalomfahrt, was besonders Anfänger verwirrt und nervös macht. „Hey, ich bin auf der falschen Seite“, sagt Lola – ganz vergessen, dass sie wegen ihrem kaputten Arm eigentlich links hingehört.

Ich ahne Schlimmes: Da oben beim Ausstieg steht doch sonst kein Liftangestellter, oder? Tatsache, das Arschloch winkt uns sofort raus. Was uns denn einfiele, durch den Wald zu fahren, wenn das jeder machen würde! Ansonsten sagen Lift-Angestellte doch eigentlich nichts, oder doch nur sehr wenig, was an der bayerischen Sprache liegen mag. Dieser Waldschrat hat doch tatsächlich oben anrufen lassen, um uns den Tag zu versauen! Lola zieht ihren dümmsten Blick auf, ob das wohl wirken wird? Sie sagt: „Not understand. Swedish, you understand?“ – nix da, der kommt gleich mit „se forrest“ und so weiter… Jedenfalls dürfen wir nach kleiner Diskussion weiterfahren, was mich innerlich zum Lachen bringt: „Ich scheiße auf se forrest!“ – „Se forrest, se forrest, lass uns mal einen Jagertee trinken, was sagst du?“ fragt sie. Ich will noch einmal fahren – also gut!

Das flache Stück lässt sich sehr gut an. Der Snowboarder vor mir nimmt Anlauf zum Sprung über eine kleine Sprungschanze. Snowboarden ist was für Menschenaffen, finde ich – total gestörte Motorik: Das sieht so dermaßen unbeholfen und dumm aus, so ähnlich wie Hula-Hoop, finde ich. Die ganze Bewegung kommt aus der Hüfte, was an Skateboarden erinnert, wobei ich mir sicher bin, dass es sich eigentlich um zwei total verschiedene Sportarten handelt.
Ja, nur eines ist gleich: Skatemusik auf der Ohrmuschel, ein riesiger Kopfhörer unter der Mütze, viel zu groß ist im Verhältnis zum Kopf. Wie gesagt, diese unbeholfenen Hüftbewegungen und die rudernden Arme, die bei der Balance helfen sollen. Er macht überhaupt nur große Schwünge, natürlich über die ganze Pistenbreite – das Gefühl der Freiheit kommt wahrscheinlich daher, sie den normalen Skifahrern zu nehmen. Oder daher, dass Snowboarder untereinander „zoologische“ Tipps austauschen, damit alles noch affiger aussieht! Kurz vor der Schanze bringt der Typ sein Board also in gerade Position zum Absprung. Er geht dabei etwas in die Knie und lässt den Oberkörper gerade – in lässiger Erwartung eines Skaters, denke ich; aber auch das wird keine Auswirkungen auf die Weite des Sprungs haben, das ahne ich jetzt schon. Tatsache, der bringt das Board noch nicht mal einen Fußbreit in die Luft – meine Oma fährt im Hühnerstall Motorrad!

Lola mir hinterher, sehe ich im Augenwinkel; sie kann gut springen, wie ich von früher weiß, sogar mit stylischen Figuren. Ich halte kurz an. Als es den Snowboarder dann doch noch hinlegt, was einen ja nur freuen kann, platziert Lola einen Schwung so gekonnt, dass der Lakai einen ganzen Schwall Pulverschnee fressen muss. Seine Kumpel, Freunde aus dem Affengehege sozusagen, helfen ihm wieder auf, was nur langsam geht. Der Sturz hat ihm anscheinend wehgetan.

Der peinlichste Sturz, den ich je hingelegt habe, fiel in die Kategorie „technisches Versagen“. Auch wenn man diese Möglichkeit in der Regel ausschließt, mir ist tatsächlich mal ein Ski in der Mitte durchgebrochen. Der Unfall war nicht peinlich sondern eigentlich das Nachspiel: Ich war nämlich gezwungen, mir im Anschluss daran Skier zu leihen, nur gab es keine mehr. Es gab nur noch so genannte „Big Foot“ – Zwergenski, die, wie der Name schon sagt, die Schuhsohlen eines Yeti darstellen, inklusive geriffelter Skispitzen für die großen Zehen. Also damit kann jeder wedeln. So kommt es, dass man am Lift andauernd gefragt wird, ob und wieso, was doch sehr peinlich ist.

Erst mal genug gefahren. Wir kehren ein, um oben auf der Hütte etwas zu trinken, beziehungsweise bleiben davor sitzen, um die Aussicht zu genießen. Ich besorge die Jagertee, Lola könnte das nicht – doch vielleicht, aber ich lasse sie erst gar nicht in diese Verlegenheit kommen, mit ihrer Prothese irgendwelche Kunststücke hinlegen zu müssen. Die Currywurst (mit Senf) liegt bei 5,50 Euro – für den Preis hole ich TAKE THAT nach Bischofsmais!

Bischofsmais ist der kleine Ort nebenan. Besteht aus mehreren Hotels, einer Kirche, einer großen Metzgerei, wo Lola und ich vorhin noch eine Rast eingelegt haben, Leberkäsbrötchen zu essen. Die Einheimischen selbst, was mir den Liftangestellten von vorhin wieder ins Gedächtnis zurückbringt, scheinen es mit der Umwelt nicht so genau zu nehmen. Bevor wir in die Metzgerei rein sind, hat Lola wenigstens den Motor abgestellt, der eine nicht, ließ einfach so den Motor laufen!

„Wie beugt man latentem Alkoholismus vor?“

„Keinen Schimmer!“
„Mit drei Jagertee, hier ist deiner.“

„Kapiere ich nicht.“

Lola ist nicht immer die Hellste, dabei habe ich mir den Witz vorher lange überlegt. Die Hinfahrt dauerte immerhin knapp eine Stunde.

„Latent heißt verdeckt, verstehst Du? Wenn du drei Jagertee bestellst, bist du quasi offener Alkoholiker!“

„Ach so, darum hast du dir nur zwei gekauft...“

„Was ist der Unterschied zwischen Nimm-2-Lachgummi und Weinland-s?“

„Keinen Schimmer!“

„Na ja, Lachgummi sind so teuer, dass man weinen könnte, die Weinland im Vergleich dazu so billig, dass man lachen könnte.“

„Kann ich aber nicht!“

„Ha, ha, saukomisch, verstehst du den nicht?“

„Doch, aber… schau mal, da kommen die drei Snowboarder von vorhin...“

Tatsache, das sind die drei. Snowboarden hat, aus meiner Sicht, eigentlich nur einen Vorteil: Snowboarder tragen keine Skischuhe, sondern so eine Art „Moonboots“. Während Skifahrer also mit ihren tonnenschweren Skischuhen beladen nur schwer vorankommen, dürften sich Snowboarder nach dem Abschnallen recht frei fühlen. Auch das noch, die nehmen am Nebentisch Platz. „Hey, kannst du mal aufpassen wo du hinfährst? Vorhin, eh, mein Kumpel war vorhin fast besinnungslos“, sagt der Größte zu Lola.

„Was meinst Du?“

„Eh, du weißt schon ganz genau, was ich meine, Alte!“

„Nimm´s locker, Mann, dein Kumpel hat überlebt, oder?“ schiebe ich ein.

„Eh, cooler Spruch, eh! Hört euch den an. Wer bist du überhaupt?“

„Ich bin Macintosh und das ist meine Freundin Lola.“
„Wir sind Knäcke, Josh und Mike aus München. Noch alles cool mit euch?“
„Immer cool bleiben, ja“, sagt Lola.

„Eh, also, ich bin Knäcke, wir sind hier fast jedes Wochenende und so.“

Auch im Sommer?“

„Null, da ist Halfpipe angesagt!“

Wir kommen also ins Gespräch. Knäcke absolviert gerade seinen Zivildienst, erzählt er, sei aber überhaupt kein Stress dabei, weil er die Wochenenden frei hat. Seine Freunde Josh und Mike, haben bislang noch keinen Ton gesagt, sie saugen mit dem Strohhalm an einem gemeinsamen Bier.

„Eh, was macht ihr so?“

„Eigentlich immer dasselbe,“ so meine Antwort.

„Und Außerdem?“

„Na ja, wahrscheinlich dasselbe wie ihr: Mucke downloaden, Blog schreiben, sonst eigentlich nichts.“

„Eh, was ist ein Blog, Mann?“

„Was? Du willst mir sagen, dass du nicht mal weißt, was ein Blog ist?“

„Keine Ahnung, Mann.“

„Ich weiß es,“ sagt Lola „du müllst deine Kumpels mit Texten ein, oder?“

„Richtig.“

„Was, eh, also du schreibst denen Mails, oder was?“

„Nicht direkt, ich lasse die Texte über Internet abrufen, so wie bei der normalen Zeitung, verstehst du: Du kannst vorher wählen, ob du das lesen willst oder nicht.“

„Der Üri hat doch auch so was, oder?“ fragt Mike Josh. Daraufhin sein Knäcke: „Eh, noch nie gelesen. Eh, weißt schon: Über was schreibst du eigentlich?“

„Meistens über Popkultur, Sachen wie: Was wäre, wenn Falko heute noch leben würde?“
„Falko – Rock me Amadeus und so, das kennen wir, echt cooler Song, hat sich meine ältere Schwester gekauft!“ Endlich fragt sein Kumpel Josh auch mal was: „Sag mal, was wäre denn, wenn Falko heute noch leben würde?“

„Ja, ich vermute, er würde immer noch Kokain nehmen.“

„Eh, keinen Scheiß und so, wir haben Gras dabei, Alter“, schlägt Knäcke vor. „Zeig mal.“

„Nachher, Mann, nachher…“

Eine halbe Stunde später... Lola raucht! Es besteht kein direkter Anlass dazu, aber sie fängt das Lachen an, mitten im Wald, typisch Lola. „Eh, was ist mit der Tante los? Hat die noch nie Gras geraucht, oder was?“

„Jedenfalls noch nie als Bullen dabei waren.“

„Wieso Mann, bist du Cop oder was?“ Ich bin wieder an der Reihe mit Ziehen, muss laut husten und sage: „Nullinger.“

„Mach keinen Kack, Mann, alles klar, Mann?“

Und wenn schon… Shit, denke ich, ohne Fußstapfen im Schnee würden Lola und ich hier wahrscheinlich nie wieder raus finden und im Wald überwintern müssen, weil wir so high sind. Was tun die in den Joint rein, frage ich mich? „Eh, sag mal, hörst du wirklich Falko?“ fragt Josh. „Ja, er mich auch, hoffe ich doch.“ Und Lola sagt: „Mein Vater hört immer Engelbert.“

„Total kranker Sound, Alte.“

Knäcke steht auf Lola, soviel ist klar – wird Zeit die drei mal wieder loszuwerden: Ich gebe ihnen eine falsche Münchner Telefonnummer und die scheiß Adresse von meinem Blog im Internet. „Eh, cool. Wir werden sehen, was du über Falko zu sagen hast, würde mich mal interessieren, auf jeden Fall,“ sagt Josh! Wir checken ab, ein Gefühl wie Woodstock. Als Lola mit Mike abcheckt, muss ich kurz lachen. Denn Josh, was ich cool finde, versteht genau was ich meine: So checken nur Frauen und Spastiker ab.

Ich bin kein Spezialist für die Erlebniswelten chronischen Haschisch-Raucher, mir stellt sich lediglich die Frage: Linker oder rechter Ski zuerst, beziehungsweise macht die Unterscheidung überhaupt Sinn? Ich würde im Sinne des Erfinders urteilen: Bei Skischuhen macht die Unterscheidung Sinn, bei Skiern nicht. Meine Skier sind übrigens so alt, dass sie vorne an der Spitze, was vollkommen außer Mode gekommen zu sein scheint, die gleiche Breite aufweisen, wie hinten! Lola fährt schon einein modernere Carver Ski (derselben Marke: Atomic) und fährt auch gleich los. Die neueren Modelle sind in der Länge kürzer, was sie zu schnellen Slalomskiern macht, und vorne an der Spitze breiter. Warum kriege ich den verdammten linken Schuh nicht in die Bindung rein? Na klar, die Bindung ist total vereist, davor hatte mich Lolas Vater ja noch gewarnt: Sind Schuhe und Bindung erst vereist, sagte er mir gestern Abend beim Einwachsen, steigt die Gefahr von Stürzen. Schon bei kleinen Erschütterungen wird die Bindung aufgehen, und der Fahrer, ich, auf der Nase liegen.

Lolas Vater ist eigentlich ein liebenswerter Typ von Mensch, aber nicht für alle. Seine Schüler werden ihn für besonders streng und pedantisch halten, er ist ja auch Oberstudienrat an einem Gymnasium in Straubing. In der Schule, behaupte ich mal, will er, dass alles in Ordnung ist, wie alle Lehrer, und dass seine Schüler ordentlich lernen! Wie kann ich ihn am besten beschreiben? Mit einem direkten Vergleich am Besten: Er sieht so ähnlich aus wie Harry Potter: Runde Brille, ganz ruhiger Typ also, eigentlich nicht viel dran. Andererseits ist „Harry Potter“ eine ganz spezielle Erlebniswelt, eine, die ich als Kiffer genau auskundschaften würde. Sich alle Teile von „Harry Potter“ ausleihen und anschließend, in dieser Welt gewissermaßen, auf die Reise gehen... Lola hat übrigens alle Teile sogar gelesen, was eigentlich nichts Außergewöhnliches ist, meinen Teil allerdings noch nicht: „Harry Potter und der Raucher von Nam Nam“.

In Harry Potter, wie unschwer aus den Filmen abzuleiten, ist Marihuana-Rauchen natürlich streng verboten, obwohl die Architektur des Colleges eine ganz andere Botschaft transportiert, die Schule ist ja wie für Kiffer gebaut, finde ich! Ich würde Knäcke (den ich da unten seine Snowboard-Affen-Übung machen sehe) in meine Potter-Geschichte einbauen. Er wäre so eine Art Guru und Oberraucher aus dem Zauberreich „Nam Nam“ – seine Freunde Josh und Mike entsprechend die ‚Unterraucher’.

Was fehlt noch? Ein riesiges Ungeheuer versperrt den Weg ins Zauberreich, zudem bekommt Harry einen Hochgeschwindigkeits-Besen überreicht sowie Nachhilfe beim Erlernen fiesester Zaubersprüche. Am Ende, was mir persönlich als Ausgang der Geschichte gefallen würde, verzichtet Knäcke auf liquid extasy, wird friedlich und raucht weiterhin sein Homegrow.

Verdammt, wieso stehe ich seit fünf Minuten unbeweglich auf meinen Skiern? Ein Zustand, den die Medizin, glaube ich, „Paralyse“ nennt. Jedenfalls gibt es noch bessere Filme, wie den Kultklassiker „24 Hour Party People“. Mir gefällt eigentlich nur eine Szene: Tony Wilson, verkörpert von Steve Coogan, bekommt oben auf dem Dach der „Factory“ einen Joint vom Sänger der Gruppe Happy Mondays überreicht, feinstes Inselgras! Wilson zieht am Joint, dreht sich um, und hat plötzlich eine Art Himmelsvision: Ihm erscheint Gott, was angesichts der Härte des Manchester Pop irgendwo normal ist, denke ich. Am Himmel erscheint ein helles Licht, das näher kommt. Aber Gott, wie sich herausstellt, kann das auf keinen Fall sein, sondern er selbst, unser Tony; in weiße Gewänder gekleidet, trägt er einen falschen weißen Bart. Tony dreht sich um, gibt den Joint dem Sänger zurück und sagt: „Ich habe Gott gesehen.“

Lola, was jetzt so einen ähnlichen Effekt auf mich hat, steht irgendwo da unten auf der Piste, hebt ihre Armprothese und winkt mir zu. Ich erkenne das am Skistecken: Normalerweise würde sich der Stecken beim Winken nämlich leicht bewegen müssen, nicht wahr? Es könnte natürlich sein, dass ich die Sache spiegelverkehrt sehe: Warte mal, von mir aus gesehen, müsste sie mit dem rechten Arm winken. Sie scheint da unten auf mich zu warten. Sie winkt ununterbrochen mit ihrer Armprothese und lacht dazu. Ist das nicht ein Bild für die Götter, so eine Art Himmelsvision?

Ich kann meine verdammten Beine immer noch nicht bewegen! Irgendwas scheint das zu verhindern! Ich überlege einfach loszufahren, Lola in die Arme, so wie Verliebte das tun! Es geht nicht, denn die „Paralyse“ hält an. Ich ahne auch warum: Bewegungen werden teils vom Gehirn gesteuert, teils vom Rückenmark; entscheidend ist nicht der Befehl, sondern das Zusammenspiel der betreffenden Nervenimpulse. Beim Rauchen von Gras, wie von Knäcke verabreicht, kann das Zusammenspiel erheblich behindert werden. Das muss der Grund sein.

Lola guckt seit einer Weile fragend zu mir nach oben, sofern ich das überhaupt beurteilen kann. Noch immer lähmt das Nerven-Impuls-Gras des Knäcke meinen ganzen Bewegungsapparat. Ja, ich könnte Lola noch nicht einmal mitteilen, dass es nicht geht. Sie fährt ab, sehe ich, nimmt alleine den Sessellift und steht plötzlich neben mir, was – meinem Empfinden nach – nur fünf Sekunden gedauert hat.

„Macintosh, was ist los mit dir? Schiebst du einen Film, oder was?“

„Nicht direkt… eigentlich zwei.“ Also reden kann ich offenbar noch: „Komm schon, Lola, willst du dir hier den Arsch abfrieren?“

„Nö.“ Es geht wieder, meine Beine funktionieren.

Innerhalb von nur zehn Minuten ist die Sonne weg, hinter dem Berg verschwunden, die Pisten liegen im Schatten. Die Temperatur fällt etwas ab. Da unten sind auch Knäcke, Josh und Mike wieder – bei insgesamt fünf Pisten muss man sich ja früher oder später über den Weg fahren. Ich kann nicht beurteilen, ob die drei noch mal im Wald waren, Joint rauchen? Lola und ich machen jedenfalls gemütliche Fahrt. In etwa zwei Stunden wird der Lift zumachen, wir wollen es aber trotzdem ein bisschen langsamer angehen. Sie fragt mich, ob ich noch einen Jagertee trinken will? Ich spüre bereits meine Fußknöchel, die etwas schmerzen, sage aber „Nein“.

Früher hätte ich keinen Schmerz gefühlt, auch nicht bei hoher Belastung der Fußgelenke. Vor die Wahl gestellt: Morgen noch mal fahren oder nicht, ich würde nein sagen, beziehungsweise lange überlegen, und dann doch ja sagen. „Lola, ich muss mal pissen gehen.“

„Ich auch.“

„Aber nicht im Wald, oder“, frage ich.

Ich blicke in aller Gelassenheit auf meine Kindheit zurück, wie auch auf den gelben Pissstrahl, mit dem ich ein großes „M“ in den Schnee male. „M“ für Macintosh. Lola, was typisch ist, hat es sich nicht nehmen lassen, mit in die Büsche zu kommen: Sie sitzt, etwa 20 Meter entfernt, hinter einer großen Tanne zu pissen.

Mein zweiter Skiurlaub war überhaupt der beste: Mit 14 nach Grenoble, von da aus hoch in die Alpen – „Deux Alpes“. Die ganze Familie war damals dabei, was in dem Alter noch nicht so stört. Wie wir uns das leisten konnten? Na, überhaupt nicht! Mein Vater hielt sich zeitlebens für einen besonderen Mann, einfach los, ohne Blick auf den Kontostand, wie immer... Allerdings, was mich noch heute beruhigt, er war nur ein sehr durchschnittlicher Skifahrer – ein echter Prahlhans also, wie er im Buche steht.

Die Dimensionen in den Alpen sind natürlich ganz andere als hier. In „Alpe d´Huez“ beispielsweise, werden Gondeln mit 80 Plätzen betrieben! Auch so ein nobler Skiort in Frankreich. Vor Jahren, erinnere ich mich, kam mal eine runter gesaust, alle Insassen kamen dabei ums Leben. Die Gondeln fahren auch nicht eben in Sprunghöhe, wie hier, sondern 80 bis 100 Meter über steile Abhänge und schwarze Pisten hinweg. Wenn nicht sogar noch höher. Wer außer mir denkt beim Skifahren über mögliche Todesursachen nach? Natürlich keiner…

Wird sie das mit dem Pissen hinkriegen? Offenbar, Lola schreit kindisch zu mir rüber: „Fertig! Und du?“
„Nein, ich bin gerade noch beim C!“

„Ach so… Was für ein C?“ – „C für Macintosh.“

„Macintosh! Wieso nennst du dich eigentlich so?“

„Ganz einfach: Ich bin so eine Art wandelnder Computer, verstehst du? Überhaupt war mein erster Computer ein Macintosh.“

„Wie würdest Du mich denn nennen?“

„Keine Ahnung! …Cinderella vielleicht.“

„Fällt dir kein besserer Name ein?“

„Nein!“

Es musste ja so kommen: Lola, kaum steht sie wieder auf der Piste, wird ohne Rücksicht von einem irren Raser umgefahren. Der Irre steht auf, tut so, als ob er selbst einen riesigen Schock erlitten hätte, was die Schuld bekanntlich teilen soll... Kacke, Lolas Unterarm, was ich als Grund für einen Schock doch gelten lassen würde, liegt 10 Meter weiter unten auf einer kleinen Pistenerhebung. Die Plastikhand, was selbst Pistensäue erschrecken muss, umklammert noch den Skistecken! Sieht jedenfalls absurd aus.

Lola liegt flach auf dem Rücken und rührt sich nicht, was mir kurz Angst einjagt. Durch den Aufprall hat sich auch ein Ski gelöst, kam aber unweit der abgerissenen Prothese glücklicherweise zum Anhalten. Ich fahre schnell zu Lola. Es scheint ihr nicht viel passiert zu sein: Sie jault kindisch wegen einer Prellung, oder so was – kennt ja jeder Skifahrer. „Heile, heilesegen…geht doch gleich wieder vorbei, kleine Lola!“ – „Eben gar nicht“, jault sie.

Der Rennfahrer steht noch konsterniert unweit der Unfallstelle Nummer 2, zwei, drei Meter neben der abgerissenen Prothese. Mein Gott, denke ich, wie soll ich ihm das nur erklären? Ist doch gar kein echter Arm, Sie können weiterfahren! Jedenfalls fahre ich einfach an ihm vorbei, hebe die Prothese auf, ohne ein einziges Wort zu sagen, und stapfe, parallel zum Hang, wieder hoch zu Unfallstelle 1, wo Lola liegt. Ich habe keine Anhung, wie man die Prothese wieder dran macht. Woher auch? „Warte hier, ich hole kurz noch den Ski.“

Zuerst die Jacke aus, dabei kann ich ihr helfen, den Rest wird sie besser wissen! Zum Glück hat sie das Jaulen aufgehört. Ich kann nicht beurteilen, ob ihr die Sache wirklich peinlich ist? Natürlich! Natürlich, sonst wäre sie kein freches girl. Was würde ich machen, wenn es mir die Prothese mit voller Wucht vom Arm wegreißt?
Schaulustige, wie ich sehe, gibt es keine, auch der Raser hat sich bereits aus dem Staub gemacht, dieser Vollidiot, diese Pistensau! Zwei, drei Skifahrer wundern sich kurz beim Vorbeifahren. Eine abgerissene Prothese sieht man auch nicht alle Tage! Man kann aber schlecht die Piste absperren und sagen: „Eh, haltet mal an, bis wir die Sache hier geregelt haben“, oder so was!

Also, den einen Ledergurt, wie ich jetzt sehe, hat es vorhin total aus den Angeln gerissen: „Macintosh, ich kriege das jetzt nur provisorisch wieder dran“, sagt sie, immer noch ein bisschen weinerlich.

„Besser als gar nicht. Ja, kann ich dir dabei irgendwie helfen, oder was?“

„Ja, hilf mir mal kurz auf die Beine.“

„Hier ist noch dein Ski, komm auf!“

Damit ist der Rest vom Tag eigentlich gestorben, denke ich. Lola kann unmöglich weiterfahren, das wird also unsere letzte Abfahrt, gleich zurück zum Audi. Ich denke jetzt schon an Problem Nummer 2: Wer soll das scheiß Auto fahren? Mein Führerschein ist, wie gesagt, weg!

„Macintosh“, stupst sie mich unten an, nachdem wir heil vor dem Wagen stehen „meine Elektronik ist geliefert.“

„Der Türöffner vom Wagen oder was?“

„Quatsch, die von meinem Arm, ich meine von meiner Hand.“

„Das heißt, ich muss fahren?“

„Das sowieso, nachdem wir den Skistecken aus der Hand haben.“

Klar, die Finger werden sich nicht von alleine aus dem Griff lösen. Ich zähle die Probleme: Das war also Problem Nummer 3. Mein Gott, alleine schon die Jagertee! Sollte uns die Polizei anhalten, das wäre bestimmt kein zivilgerichtlicher Fall mehr, da bin ich mir sicher! Jetzt bricht mein Feigling durch. Nicht, wie sonst langsam, sondern in ruckartigen Angstschüben. „Ist irgendwas mit dir?“

„Äh, nein, nur wie startet man den Motor?“

„Siehst du da den schwarzen Startknopf?“ Sie deutet mit dem Finger drauf. Bin seit gut zwei Monaten nicht mehr hinter einem Steuer gesessen, nur das eine Mal: Meine Mutter wollte, dass ich ihr den Wagen in die Garage fahre, was mich ganze zwanzig Minuten beschäftigt hat: Die Polizei, das verstehe ich unter Panikattacken, hätte aufkreuzen können, mich auf den vier Metern in die Garage anhalten und verhaften können. Wie vorhin auf der Piste, saß ich regungslos hinter dem Steuer, und konnte mich einfach nicht mehr bewegen. Solche Angstattacken kommen und gehen, wissen Sie, darum wollte ich eigentlich Gärtner werden, ruhiger Job, allerdings nur in meiner eigenen Villa am Strand von St. Sebastian, an der Nordküste Spaniens. Ha, ha, ha!

„Jogurth-?“ fragt sie.

„Nein…ich meine ja.“

„Sag mal, wie viel Kilometer sind das bis Straubing?“

„Noch so etwa 50.“

„Irre.“

„Geht doch. Äh, pass auf, da vorne kommt ein Laster!“ Das ist keine Strasse, sondern ein Karrenweg, ich meine, was die Breite angeht. Fünf Minuten später: „Rehe…“

„Was?“

„Rehe, schau, da hinten vor den Bäumen!“

Scheiß Rehe, denke ich, sag mir lieber einer, was das hölzerne Kreuz am Straßenrand bedeutet! „Schön“, sage ich, und versuche dabei ruhig zu bleiben. Kurz vor Straubing, es wird schon dunkel, fragt sie:

„Macintosh, wie geht´s bei dir so weiter, zukunftsmäßig?“

„Weißt du, ich werde einfach an meinem Blog weiterschreiben.“

„Ist das überhaupt echte Arbeit?“

„Kommt auf den Standpunkt an: Ich kann nicht arbeiten, ich kann nur regelmäßig schreiben.“

„Musst du mir mal zeigen, was du da so zusammenschreibst! Vielleicht gefällt es mir ja.“

„Werde ich machen!“

„Okay, Alter.“

Sie redet so wie Knäcke, und haut mir dabei sanft aufs Bein. Straubing, obwohl ich nicht auf den Bach neben der Straße achten sollte, wird von einem Wasserkraftwerk versorgt, jedenfalls zu einem gewissen Teil. Parallel reißt ein Bach ins Tal, was die städtischen „Rusel-Werke“ ausnutzen, um Strom zu gewinnen. So langsam, finde ich, kommt mein gewohnter Fahrstil zurück: Ich achte nur auf Nebensachen und denke über alles Mögliche nach, wie zum Beispiel über Wallenstein, Fürst zu Friedland, vielleicht der größte General, der jemals auf deutschem Boden gekämpft hat!

Geschafft. Lola öffnet die Doppelgarage per Fernbedienung – das ganze Haus ist mit solchen Vorrichtungen ausgestattet. Sogar der Vorhang im Wohnzimmer, wird per Knopfdruck bewegt. „Harry“ und seine Frau sind so reich, dass sie sogar auf die Gesundheit ihrer Putzfrau achten können!

Lolas Vater ist begeisterter Hobby-Meteorologe, schon erzählt? Im Wohnzimmer stehen, neben einem riesigen Flachbild-Fernseher, drei weitere Bildschirme, die in der Schrankwand eingebaut sind. Onkel Thomas („Harry“) könnte also seine eigenen Wetterprognosen stellen, was er auch tut. Ich habe mir ernsthaft überlegt, diesen Service meinen Blog-Lesern anzubieten. Ein Anruf pro Woche würde ausreichen, er würde bestimmt mitmachen, quasi als alternativer Wettermann: Onkel Thomas mit dem Wetter… Aber das wäre sicherlich auch nur für kurze Zeit reizvoll, solche Dienstleistungen gibt es doch bestimmt auch im Internet.

Meine Leser interessieren sich übrigens für Wallenstein, habe ich den Eindruck. Von den insgesamt zwei Reaktionen, die ich bislang (!) auf meinen Blog bekommen habe, kam die eine Mail von einem angeblichen Geschichtswissenschaftler, der von mir wissen wollte, warum ich Wallenstein mit Falko vergleiche? Die andere Mail war von meiner Exfreundin: „Komm runter von dem Zeug, Mac…“ Von welchem Zeug überhaupt, frage ich mich?

Lola und ich sehen Fern und entspannen bei der Kindersendung „Kapitän Blaubär“. Tante Julia kommt ins Wohnzimmer und fragt, wie Skifahren war? „Oh, ganz gut, “ murmelt Lola, sie glotzt einfach weiter. Ob wir vorerst mit ein paar Brotschnitten zufrieden wären? Klar doch, immer ran! „Wäre nett, Mutti.“ – „Prima, Tante!“

„Kapitän Blaubär“ ist schon ein heftiger Scheiß, finde ich. Onkel Thomas will kurz was auf den Bildschirmen seiner Wetter-Anlage nachgucken. „Na, ihr zwei?“

„Na, Vati?“

„Viel Spaß gehabt?“
Der Kapitän erzählt seinen drei Neffen gerade eine spannende Abenteuergeschichte, sehe ich. „Wollt ihr euch nicht die Sauna anmachen, Lola?“ fragt Onkel Thomas nebenbei. „Mmmhh“, zögert sie, „heute vielleicht nicht.“
„Wieso denn nicht?“

„Mir hat´s beim Skifahren den Arm rausgefetzt!“

„Ach du meine Güte, Lola, wie ist das denn passiert?“

„Macintosh und ich waren im Wald pissen…“

„Äh?“

„…Na ja, jedenfalls kam dann diese Ratte mit Vollschuss auf mich losgefahren, und…“ Sie lässt auch wirklich kein Detail aus!

Nach dem Abendbrot geht Onkel Thomas sich den Arm unten angucken. Unten im Keller, gibt es zwei Werkstätten, eine für Holzarbeiten, die andere für Elektronik. Die lederne Wohnzimmergarnitur zum Beispiel, was sich Onkel Thomas ausgedacht hat, lässt sich auf Knopfdruck beheizen. Es gibt sogar drei Stufen, geniale technische Erfindung. Lolas Armprothese hat Onkel Thomas übrigens auch selbst entwickelt, genauer gesagt, er hat das Standardmodell einfach zerlegt und umgebaut. Ich habe ja schon erwähnt, dass Lola ihre Finger bewegen kann, eigentlich so wie wir auch.

Aber wie soll das gehen, fragt man sich? Es geht durch den Oberarm selbst, Leute: Kleine Reflexe im Oberarm reichen aus, um beispielsweise den Zeigefinger zu bewegen. So kann sie mit ihrer Prothese in den Griff langen und eine Tasse heben. Das Standardmodell ist zwar auch aus biegsamen Teilen gefertigt (man kann die einzelnen Finger also auch verbiegen), funktioniert aber nur mittels der anderen Hand, nicht mittels Elektronik.

Mit 17, ich erinnere mich noch genau, hat Lola – kaum war sie nach dem Unfall wieder aus dem Krankenhaus – ihre Finger einzeln auf den Handrücken gebogen, nur um uns zu erschrecken. Onkel Thomas, wie ich später erfahren habe, litt damals noch unter schweren Depressionen, worauf seine Tochter aber nur indirekt einging – so ähnlich sehe ich auch das Verhältnis von Golo Mann zu seinem Vater. Ich komme von diesem Gras einfach nicht mehr runter.

Unter uns, ich wohne gar nicht in München, sondern in Dingolfing, seit guten drei Jahren. Der bayerischen Sprache bin ich auch nicht mächtig. Sicher, ich könnte kurz so tun, als ob ich Bayerisch kann – „koa“ hieße das dann. Das würde Niederbayern aber nicht überzeugen, denke ich. Ich schreibe – im eigentlichen Sinn – auch keine Blogs, sondern entwickle Sportwägen in einer in Bayern ansässigen Autofirma.
Stellen Sie sich kurz einen potenziellen Autokäufer vor, so einen wie Knäcke. Welche Bedürfnisse gibt es außer Getränkehalter und Mega-Aschenbecher noch? Und wie lassen sich diese Wünsche mit denen „normaler“ Autofahrer vereinbaren? Sicher, Knäcke muss sich das Paket mit Breitreifen und Chromfelgen extra bestellen, aber der Fond einer Suppe muss stimmig sein, das meint Dinge, wie Karosserie, Getriebe. Wenn Sie mich irgendwo treffen würden, ich wette, Sie kämen nicht dahinter, dass ich Autos entwerfe. Ich würde Sie außerdem, was sie nicht merken würden, in eines meiner neuen Automodelle setzen, gewissermaßen zur Probefahrt. Ich würde Sie, in meinem Kopf versteht sich, durch die spanische Sierra fahren lassen... Ich bin der Typ, der sich so was ausdenkt, verstehen Sie? Darum habe ich mir die Sache mit dem Blog überlegt. Lola, was Sie vielleicht besser beurteilen können, macht sich gut darin, was meinen Sie? Bis später – oder, wie die Bayern sagen: „Pfirdi“!


Einstell-Datum: 2010-01-02

Hinweis: Dieser Artikel spiegelt die Meinung seines Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung der Betreiber von versalia.de übereinstimmen.

Bewertung: 4444 (1 Stimme)

 

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