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Das Kaffeehaus
Autor: Stefan Schürrer · Rubrik:
Kurzgeschichten

Es ist ein kühler Samstagmittag.

Ich denke gerade an dich. An unsere gemeinsame Zeit in diesem sommerlichen Kaffeehaus an der Bönekerskapelle. Dieses Kaffee lag im alten Stadtteil dieser Stadt, die so weit dahinten zwischen den Bergen lag. In dieser Stadt sind wir aufgewachsen. Wir haben uns hier kennengelernt.

Hier waren wir zu zweit, jeder von uns hatte es geliebt im frohen Sonnenschein zu sitzen, sich zu sonnen, uns auszutauschen und tief in den Augen des Anderen zu vergehen. Die gotische, kleine Kapelle zierte den Platz und erzählte von einer anderen Zeit, in der die Menschen noch auf ihren Bänken ausharrten und glaubten. Jetzt war es nicht mehr so. Um die 80iger Jahre sollte sie abgerissen werden, wegen des Platzes. Die angrenzende Gasse sollte befahrbar werden für Automobile. Alles weicht wohl nach einer gewissen Zeit dem Fortschritt. Dieser Plan wurde dann doch nicht mehr umgesetzt. So steht sie noch heute hier und könnte noch immer von uns bewundert werden für ihren Mut dem Fortschritt zu strotzen. Aber es hatte sich so viel geändert. Niemand bewundert mehr. Dafür hat man keine Zeit mehr.

Mich hast du verlassen, vielleicht des Fortschritts wegen. Heute Morgen fiel noch haufenweise Schnee und die geschäftigen Leute hatten sich verkrochen in ihren zweisamen Häusern. Wer draußen lief verpackte sich in dickem Pelz. Ich nahm trotz des Wetters, obwohl ich diese Jahreszeit verabscheue, den Weg in die Altstadt auf mich und saß an dem großen Fenster in unserem Kaffeehaus. Ein gutes Buch zierte den Tisch.

Eine kleine Lektüre für kalte einsame Wintertage.
Don Carlos, Schiller. Ich stagniere gerade an der Stelle, an der der arme König erfahren hatte, dass der Marquise ihn betrogen hat. Ihn, den einsamen König… der einsame König weinte.

Nun geschah es aber, dass meine momentane innige Zufriedenheit durch dieses großartige Werk und meine selbstständig, glückvolle Einsamkeit zerstört wurde mit einem Male. Es geschah, als ich meinen Blick vom schönen Buch abwandte, vielleicht aufgrund des starken Mitgefühls dem König gegenüber, und schweifen ließ über den großen leeren Platz, an dem sich viele Geschäfte säumten. Ich traue meinen eigenen Augen nicht. Da läufst du! Diesen Moment werde ich nie vergessen. Du, auf der anderen Seite des Platzes, mit jemandem Arm in Arm.

Ein neuer auswechselbarer schmalspuriger Anzugträger hängte an deinem Rockzipfel und lauschte nicht etwa deinen geistreichen Erzählungen oder brachte dich zum Lachen, er redete ununterbrochen von sich selbst und langweilte dich. Das sah ich. Und bei diesem Anblick zerbrach meine innere Zufriedenheit. Meine Augen wurden feucht, mein Kinn zitterte.

Keine Träne war dieser Anblick mir wert, schwor ich mir und doch starb etwas eigentlich Unbedeutenes in mir.

Als mir nun auch noch bewusst wurde, ihr Beiden haltet auf unser Kaffeehaus zu, auf mich; starb etwas viel Wichtigeres. Mein durch die mühsam ertragenen, dahinschweifenden Tage in der Einsamkeit so mühsam geflicktes Herz zerbrach aufs Neue. Ich war mir doch sicher, dies ist unser Kaffeehaus! Der Glaube an unseren gemeinsamen Rückzugsort hielt mich bei Verstand an den verzweifelten Tagen. Nun war auch dies dahin. Heute war ein besonders verzweifelter Tag. Kann es noch schlimmer werden? Kann mich das Leben und das Universum noch mehr bestrafen?

Schlimmer noch! Deine rehbraunen Augen erkannten mich vom Weiten durch die zugeschneiten Fenster. Sie fixierten mich! Fesselten mich! Was in deinem böswilligen Kopf vorgeht, weiß ich genau; und dennoch hältst du auf das Kaffeehaus zu.

Du hast Angst mich erneut zu sehen. Zu merken, ich bin in unserem Kaffeehaus alleine und denke noch an unsere Zeit zusammen. Vielleicht bekommst du sogar Schuldgefühle. Alles Faktoren, die eine Umkehr oder Abkehr von eurem Plan begründen würden. Ich selbst halte dem Blick nicht stand und sinke einem unbeschriebenen Gesetze folgend auf meinen Stuhl zusammen. Der Unterwürfige, der Liebende muss leiden.

Wende meinen angsterfüllten traurigen Blick ab, richte ihn auf den Tisch. Mein Appetit ist geschwunden.

Die Tür geht auf und die elegante Erscheinung des erfolgreichen Kaufmannes erfüllt den ganzen Raum. Als Schlusslicht dieses glänzenden Sternes folgst du ihm, deiner unwürdig, solltest auf Händen getragen werden. Ich fühle mich plötzlich so hoffnungslos. Jedes Gespräch zwischen dieser Frau und mir, so schien es, ist fertig, bevor wir´s anfangen, und jede Handlung die mir jemals einfallen mag zu dieser Sekunde ist schon im Voraus gedeutet.

Ich spüre ihren fesselnden atemlosen Blick auf mir ruhen, wortlos geht sie im ruhigen Schritt, gezähmt, ihrem Freund hinterher. Hätte ich das Wort erheben sollen? Ein kurzer Blick? Würde er Schaden?

Geduckt und ängstlich, leidend greife ich mit unruhiger Hand in die Jackentasche, ablenkend, drehe mich dabei um und spiele mit dem Feuer, wage einen kurzen Blick. Werde direkt bestraft für meine tollkühne Aktion und verbrenne mich an ihrer sonnengleichen Ausstrahlung, ihrem zarten Antlitz und in meinem Inneren explodiert ein zurückgehaltenes Gefühl. Der Vulkan der Liebe spuckt seine gehässige Lava und Asche auf diesen eindrucksvollen Moment. Sie gehört mir nicht. Sie hat sich ihm hingegeben. Nie wieder wird sie mich lieben! Aber ihre Erscheinung! Ich wage es gar nicht sie zu beschreiben. Würde ihr nicht gerecht.

Heute ist es noch wie es beim ersten Mal war und dabei trennten wir uns doch schon vor über einem Jahr. Ich bekomme keinen klaren Gedanken zu fassen, mir schnürt es die Luftröhre zu bei diesem Anblick und versinke erneut in meinem Stuhl. Der Entschluss ist schnell gefasst. Ich muss hier raus.


Einstell-Datum: 2011-06-24

Hinweis: Dieser Artikel spiegelt die Meinung seines Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung der Betreiber von versalia.de übereinstimmen.

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