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-- Prosa
--- Der Schmetterling

ixnay - 17.08.2004 um 16:34 Uhr

So bin neu hier! Hier mal mein erster Text:

Der Schmetterling

Nun ist es soweit. Ich sitze, den Rücken anlehnend, auf meinem Bett. Und nicht nur das, nein. Ich höre auch noch Musik. Musik? Was soll daran schlimm sein fragen Sie sich jetzt sicherlich. Ich muss vielleicht dazusagen, dass es nicht Musik ist, die aus meinen Lautsprechern dröhnt. Nein, es sind die Regentropfen die auf mein Dachfenster trommeln. Monoton, beruhigend, einschläfernd aber doch deprimierend. Wie konnte es nur soweit kommen? Was ist passiert, dass ich auf meinem Bett sitze, dem Regen lausche und auf die Rückwand meines Schreibtisches starre? Meine Gedanken drehen sich im Kreis. Irgendwo muss es begonnen haben. Irgendwo, irgendwann gab es einen Augenblick der alles veränderte. Und wegen den Nachwirkungen dieses Augenblickes sitze ich hier nun. Schmetterlingseffekt? Wohl kaum. Aber wenn doch, wer war dann der Schmetterling?
Der heutige Tag begann wie jeder andere auch. Aufstehen, waschen, frühstücken zur Schule fahren. Routine. Die Schule verlief wie jeden Tag. Die erste beiden Stunden langweilig, einschläfernd. Die darauffolgende Pause wie immer viel zu kurz. Nach einer weiteren Stunde (Mathe) und einer Stunde Physik fühlte ich mich ausgelaugt. Wie jeden Tag. Doch einen kleinen Lichtblick am Horizont gab es dann doch. Die letzten beiden Stunden fielen aus. Doch war dieses kleine Licht am Horizont genauso schnell wieder verschwunden, wie es kam, denn mein Bus war weg und der nächste fuhr erst in einer Stunde.
Also lief ich, um mir die Zeit und Langeweile zu vertreiben durch den Stadtpark. Ich schlenderte etwa eine viertel Stunde ziellos durch die Gegend, als ich auf eine alte Frau traf. Teilnahmslos saß sie auf der Bank und schien die Enten zu beobachten. Ich ging an ihr vorbei. Ein paar Meter weiter setzte auch ich mich auf eine Bank und beobachtete die Frau. Sie bewegte sich nicht. „Ob sie tot ist?“, fragte ich mich. Ich betrachtete sie näher. Ihr bleiches Gesicht war durchsetzt von Falten. Die Lachfalten gingen in die Sorgenfalten über und umgekehrt. Das für ihr alter noch recht volle und Lange aber weiße Haar hatte sie sich zu einem Dutt gebunden und mit einem Haarnetz überspannt. Sie trug ein weißes, langes Kleid und ihr Gesamtbild erinnerte selbst bei intensiver Betrachtung eher an ein Gespenst als an eine alte Frau.
Plötzlich bewegte sie sich. Das heißt, sie bewegte sich nicht plötzlich. Nein, sie bewegte sich ganz langsam. Ihre linke Hand löste sich von der Rechten in die sie gefaltet war und stütze sich neben ihr Bein auf die Bank. Die rechte Hand umklammerte die Rückenlehne und langsam und mit deutlich sichtbarer Anstrengung erhob sich die Frau, bis sie auf ihren wackligen Beinen stand. Sie sah zu mir herüber, als ob sie wüsste, dass ich sie beobachtet hatte, noch immer beobachtete. Langsam kam sie auf mich zu. Ihr Schatten eilte ihr voraus und verfing sich in den immer kahler werdenden Bäumen. Ein Windstoß zerrte an ihrem Kleid. Kurz bevor sie mich erreichte fiel ein Sonnenstrahl, der sich durch die Wolken gezwängt hatte, vor ihr auf den Boden, verschwand aber wieder als sie in den Lichtkegel eintrat. Sie blieb stehen, sah mich an als ob sie mich kennen würde. Ihre Augen starrten mich geradezu an, ihr Mund öffnete sich etwas und von ihren hellen Lippen hörte ich die Worte: „Auch du!“. Damit drehte sie sich weg und steuerte wieder auf ihre Bank zu. Bevor sie sich setzte, griff sie in ihr Tasche und holte ein Stück altes Brot hervor, welches sie lange betrachtete. Sie hoffte wohl wenigstens die Enten glücklich zu machen, wobei selbst die über ein so altes Stück Brot nicht glücklich wären. Doch anstatt es in Richtung der Enten zu werfen, warf sie es mir zu.




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