- versalia.de
-- Literaturgeschichte & -theorie
--- Pavese im Doppelkammerbeutel

ArnoAbendschoen - 04.02.2022 um 12:22 Uhr

Als Reclam 1969 aus der Vielzahl der Erzählungen von Cesare Pavese (1908 – 1950) eine kleine Auswahl von kurzen oder allenfalls mittellangen Texten für eines seiner gelben Bändchen zusammenstellen ließ, bewies der Herausgeber Hans Bender dabei nicht nur seine Vertrautheit mit dem Werk insgesamt, sondern ordnete die sieben Texte auch sinnvoll symmetrisch an. Es sind nacheinander:

1. Die Nacht von San Rocco (titelgebend für die Sammlung) – 2. Weiberhass – 3. Hochzeitsreise – 4. Land der Verbannung – 5. Die Selbstmörder – 6. Haus am Hügel – 7. Geheimnis

Mit den, musikalisch gesprochen, Ecksätzen Nr. 1 und Nr. 7 kehrt der Autor in seine Heimat, das piemontesische Hügelland der Langhe, zurück. Es ist eine halb-archaische, bukolisch-bunte Bauernwelt, dennoch nicht idealisiert. In der Ouvertüre geht es um die Situation von Waisenjungen, die in der Obhut der Kirche heranwachsen, das strenge Regiment eines Paters, die Auflehnung der Burschen und wie man sich arrangiert. Die kleine Nebenfigur des Lehrers steht vielleicht dem Autor Pavese und seiner Problematik am nächsten. Der Lehrer kann einer durchreisenden Schaustellerin nahekommen und findet dabei „den Frieden und die Stille“. Im Gegensatz zu Nr. 1 hat Nr. 7 einen Ich-Erzähler. Er berichtet von seinem Aufwachsen in jener Landschaft, wie er ihre Magie kennenlernt und sie immer wieder aufzuspüren sucht. Es geht auch um die Geschichte seines Vaters, dessen zweite, viel jüngere Frau dem Erzähler eine ältere Schwester mit Wissen und Lebenserfahrung wird. Noch einmal scheint ferner der Stadt-Land-Dualismus auf, der für Paveses Werk so charakteristisch ist.

Nr. 4 – „Land der Verbannung“ – bildet das Mittelstück und verklammert thematisch die zwei Dreiergruppen von Erzählungen vor ihm und nach ihm, die zusammen ein spiegelbildliches Paar ergeben. Hier erinnert sich ein Ich-Erzähler an die Zeit seines Arbeitseinsatzes an der Küste Kalabriens – Pavese lebte dort selbst ein Jahr in Verbannung. Die Landschaft wird als trostlos, der Ort als öde empfunden. Der Erzähler lernt zwei Männer kennen, die beide Pech mit ihren Frauen haben oder hatten, der eine ein hierher verbannter Norditaliener, der andere einer aus der Gegend. Die zwei Tragödien werden dem Erzähler nur berichtet. Zu den beiden männlichen Protagonisten stellt er fest: „Die beiden, die dort zurückblieben, taugten nicht eben dazu, einander Gesellschaft zu leisten. Und doch sah ich sie Tage danach zusammen auf der Piazza; sie saßen auf dem langen Baumstamm. Sie sprachen kein Wort, aber sie waren immerhin beisammen.“ Wohingegen der Erzähler als Einsamer abreist.

Nr. 2 übertreibt es mit dem Titel „Weiberhass“. Tatsächlich geht es um ein junges Paar, das die Grenze nach Frankreich rasch illegal überqueren will. Dabei stranden sie in einem einsamen Albergo, das von einem Geschwisterpaar betrieben wird. Von den Flüchtlingen betrachtet sich der Mann als den Schuldigen, um dessentwillen sie beide fliehen müssen. Seine Begleiterin stellt sich für ihn als schwere Bürde auf der Flucht heraus. Unterstützung und Solidarität erfährt er von Seiten des Mannes im Albergo.

Die folgende dritte Erzählung „Hochzeitsreise“, wieder mit Ich-Erzähler, blickt zurück auf eine kurze unglückliche Ehe, die mit dem Dahinsiechen der jungen Frau endet. Ihr Mann kämpft nach ihrem Tod vergeblich gegen seine Schuldgefühle an und analysiert sich selbst dabei unbarmherzig. Dem entspricht in der abschließenden Dreiergruppe die Erzählung Nr. 5 „Die Selbstmörder“. Das ist eine Wiederaufnahme und Zuspitzung des Themas der Unverträglichkeit der Geschlechter. Jetzt bringt die immer wieder misshandelte Geliebte sich sogar um und vor ihr hat es der Jugendfreund des Erzählers schon getan.

„Haus am Hügel“, Nr. 6, variiert die bereits bekannten Motive ein weiteres Mal. An die Stelle des Gebirges in Nr. 2 tritt jetzt ein Villenviertel hoch über Turin. Der Erzähler besucht dort eine verheiratete junge Frau, Jugendfreundin von ihm, und ihre desolate Abendgesellschaft. Er findet Wirrsal und Disharmonie vor – die attraktive Frau im Zentrum ein Unruhepol - und schließt so: „Ich ging so vor mich hin, ohne Erinnerungen, beteiligte mich kaum an den Gesprächen und ersehnte den Augenblick, da ich allein sein würde.“

So schmal der Band ist, er enthält exemplarisch schon beinahe den ganzen Pavese, noch dazu klug arrangiert, wie ein Doppelkammerbeutel für ergiebigen Teeaufguss, sowohl zum Einstieg wie für Wiederbegegnung nach langer Zeit gut geeignet.




URL: https://www.versalia.de/forum/beitrag.php?board=v_forum&thread=6375
© 2001-2024 by Arne-Wigand Baganz // versalia.de